OGH 8Ob89/23f

OGH8Ob89/23f26.6.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat MMag. Matzka als Vorsitzenden sowie die Senatspräsidentin Dr. Tarmann‑Prentner und die Hofräte Dr. Stefula, Dr. Thunhart und Mag. Dr. Sengstschmid als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei F* F*, vertreten durch die Schlösser & Partner Rechtsanwälte OG in Graz, gegen die beklagte Partei M* eGen, *, vertreten durch die Hohenberg Rechtsanwälte GmbH in Graz, wegen 13.326 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgericht vom 14. April 2023, GZ 6 R 251/22h‑34, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Graz-Ost vom 20. September 2022, GZ 257 C 937/21x‑29, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0080OB00089.23F.0626.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 1.221,90 EUR (darin 203,65 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Der Kläger ist Eigentümer eines landwirtschaftlichen Grundstücks, auf dem er eine Kirschbaumkultur betreibt. Die Beklagte führte im März 2021 in einem nahegelegenen Wald im Auftrag des Grundeigentümers Schlägerungsarbeiten durch. Einige der zu fällenden Bäume waren sogenannte „Hänger“, die verstärkt einseitig in Richtung des angrenzenden unbestockten Grundstücks gewachsen waren. Es war abzusehen, dass sie der Schwerkraft folgend in diese Richtung fallen würden. Der mit der Schlägerung von der Beklagten beauftragte Arbeiter war deshalb angewiesen, diese Bäume mit dem Traktor unter Zug anzuseilen und über Kopf zu schneiden.

[2] Am Stamm einer ca 35 bis 40 m hohen Esche befestigte er in ca 6 m Höhe das Seil und positionierte den Traktor samt Seilwinde ca 50 m nördlich. Eine zusätzliche Umlenkrolle benutzte er bei diesem Baum ausnahmsweise nicht, weil er keine Bäume in der Umgebung fand, die er für stark genug hielt, um als Anschlagspunkt zu dienen. Dadurch reichte die Zugkraft der Seilwinde nicht aus und kam es zum unkontrollierten Umstürzen der Esche auf die Nachbargrundstücke, wo sie fünf Kirschbäume und einen Nussbaum des Klägers beschädigte.

[3] Einige Tage später fällte derselbe Arbeiter nach der gleichen Methode eine Linde, die schwächer gewachsen war als die Esche. Weil er zu wenig vorgespannt und wieder keine Umlenkrolle verwendet hatte, fiel auch dieser Baum auf das klägerische Grundstück und beschädigte weitere zwei Kirschbäume und einen Nussbaum.

[4] Der Arbeiter verfügte bis dahin über drei bis vier Jahre Erfahrung im Fällen von Bäumen, darunter auch „Hängern“ in der Dimension der gegenständlichen Esche. Er war der Meinung, dass die Bäume mit der gewählten Methode kontrolliert umfallen würden. Das Gewicht der Esche und der Linde sowie ihre Schwerpunktlage hatte er falsch eingeschätzt. Die Methode des Fällens mit Seilzug war an sich fachgerecht. Das Unterlassen der Verwendung einer Umlenkrolle, deren Anbringen technisch sehr wohl möglich gewesen wäre, war eine Fehlentscheidung. Ein erfahrener Schlägerer hätte wahrscheinlich eine Umlenkrolle verwendet. Bei richtiger Montage und Dimensionierung hätte der Schaden dadurch vermieden werden können.

[5] Der Kläger begehrt den Ersatz des ihm durch Zerstörung von sieben Kirschbäumen, Rodung, Ersatzpflanzung und Ernteausfall sowie für pauschale Unkosten entstandenen Schadens.

[6] Die Beklagte berief sich auf das Haftungsprivileg nach § 176 Abs 3 ForstG. Die Forstarbeiten hätten dem Stand der Technik entsprochen, der Unfall sei trotz gebotener Sicherungsmaßnahmen nicht vorhersehbar und verhinderbar gewesen. Das Begehren sei außerdem überhöht.

[7] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

[8] Nach § 176 Abs 3 ForstG hafte der Waldbesitzer für verursachte Schäden nur bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit. Ein solcher hoher Grad des Verschuldens sei den Arbeitern der Beklagten nicht vorzuwerfen.

[9] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Der Umstand, dass sich die Arbeiter der Beklagten beim Gewicht von zwei Bäumen verschätzt und bezüglich der Möglichkeit, eine Umlenkrolle zu verwenden, geirrt hätten, begründe noch keinen außergewöhnlichen Sorgfaltsverstoß.

[10] Über Antrag des Klägers erklärte das Berufungsgericht nachträglich die ordentliche Revision für zulässig, weil es eine erhebliche Rechtsfrage begründe, ob in der Gesamtheit von grober Fahrlässigkeit ausgegangen werden müsse, wenn den Arbeitern der Beklagten die gleiche Fehleinschätzung zweimal unterlaufen sei.

[11] Die Revision des Kläger strebt die Klagsstattgebung, allenfalls nach Verfahrensergänzung, an. Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, das Rechtsmittel des Klägers zurückzuweisen, jedenfalls aber ihm keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[12] Entgegen dem Ausspruch des Berufungsgerichts sind erhebliche Rechtsfragen im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO hier nicht zu lösen. Die Entscheidung kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO).

[13] 1. Nach § 176 Abs 3 ForstG haftet der Waldeigentümer oder eine sonstige, an der Waldbewirtschaftung mitwirkende Person für den Ersatz des Schadens, wenn im Zusammenhang mit Arbeiten im Zuge der Waldbewirtschaftung ein an diesen nicht beteiligter Mensch getötet, an seinem Körper oder an seiner Gesundheit verletzt oder eine ihm gehörige Sache beschädigt wird, sofern sie oder einer ihrer Leute den Schaden vorsätzlich oder grob fahrlässig verschuldet haben.

[14] 2. Ob jemand einen Unfall durch grobe Fahrlässigkeit verursacht hat, ist nach den konkreten Umständen des Einzelfalls zu beurteilen. Dabei ist zu prüfen, ob der Betreffende ganz einfache und naheliegende Überlegungen nicht angestellt hat, die nach den besonderen Verhältnissen, insbesondere seiner beruflichen Erfahrung erwartet werden müssen (RS0085228 [T2]). Das ist der Fall, wenn ein Fehler mit Rücksicht auf seine Schwere oder Häufigkeit nur bei besonderer Nachlässigkeit und nur bei besonders nachlässigen oder leichtsinnigen Menschen vorkommen kann (RS0038120).

[15] Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn ein objektiv schwerwiegender Sorgfaltsverstoß bei Würdigung der Umstände des Einzelfalls auch subjektiv schwerstens vorwerfbar ist (RS0030272; RS0031127). Es kommt insbesondere auf die Gefährlichkeit der Situation an (vgl RS0022698). Der Schadenseintritt muss zudem wahrscheinlich und nicht bloß möglich voraussehbar gewesen sein (RS0038120 [T5, T10]; RS0030359; RS0030477).

[16] 3.Die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts hält sich in diesem von der ständigen Rechtsprechung vorgegebenen Rahmen. Dem Arbeitnehmer der Beklagten ist, nachdem mehrere Bäume auf die beschriebene Weise problemlos gefällt worden waren, im Fall der Esche eine technische Fehleinschätzung unterlaufen. Dass dieser Sorgfaltsverstoß aber für einen erfahrenen Forstarbeiter ex ante als besonders gefährlich erkennbar gewesen wäre und er mit einem Schaden als geradezu wahrscheinlich rechnen hätte müssen, geht aus dem Sachverhalt nicht hervor.

[17] 4. Dem zweiten Schadensfall lagen insoweit geänderte tatsächliche Verhältnisse zugrunde, als der betroffene Lindenbaum schwächer gewachsen war als die davor gefällte Esche.

[18] Es lässt sich aus den Feststellungen nicht ableiten, dass für den Arbeiter dennoch eine Wiederholung des Schadensereignisses als wahrscheinlich vorhersehbar war, obwohl die Linde weniger als die Esche wog. Gerade die Feststellung, dass die Mitarbeiter der Beklagten nach dem ersten Vorfall zur Fällung der weiteren für problematisch erachteten Bäume ein Spezialunternehmen beigezogen haben, spricht gegen ihre generelle besondere Sorglosigkeit.

[19] Auch bezüglich der misslungenen Fällung der Linde weicht daher die Beurteilung des Berufungsgerichts nicht von den Grundsätzen der ständigen Rechtsprechung ab.

[20] 5. Mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO war die Revision zurückzuweisen.

[21] Die Beklagte hat in der Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen, sodass deren Kosten zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung dienten (RS0035979 [T16]).

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