Spruch:
1. Die Rekursbeantwortung der beklagten Partei wird als verspätet zurückgewiesen.
2. Dem Rekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und in der Sache selbst zu Recht erkannt, dass das Urteil des Erstgerichts einschließlich der Kostenentscheidung wiederhergestellt wird.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 16.965,60 EUR (darin 1.010,60 EUR USt und 10.902 EUR Pauschalgebühr) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin gewährte einer GmbH & Co KG (in der Folge: Kreditnehmerin) einen Kontokorrentkredit in Höhe von etwa 1,3 Mio EUR zur Abwicklung mehrerer Immobilienprojekte. Der Beklagte ist sowohl Kommanditist als auch Geschäftsführer der Komplementärin der Kreditnehmerin. Er übernahm mit einem Blankowechsel für deren gesamte Kreditverbindlichkeit bei der Beklagten die Wechselbürgschaft.
Nach Eröffnung des Konkurses über das Vermögen der Kreditnehmerin am 25. 6. 2010 erwirkte die Klägerin gegen den Beklagten den streitgegenständlichen Wechselzahlungsauftrag.
Der Beklagte wandte ‑ soweit für das Rechtsmittelverfahren noch wesentlich ‑ ein, die Zahlungsunfähigkeit der Kreditnehmerin sei durch ein vereinbarungswidriges Verhalten der Klägerin schuldhaft herbeigeführt worden, diese könne daher keinen Anspruch aus der Bürgschaft geltend machen.
Die Klägerin habe der Kreditnehmerin am 26. 3. 2010 eine zur Teilfertigstellung eines Immobilienprojekts beantragte Kreditaufstockung von 550.000 EUR versprochen, und zwar durch ihren mit der ständigen Betreuung der Kreditnehmerin beauftragten Angestellten, dessen Zusagen von der Klägerin bis dahin stets eingehalten worden seien.
Dieser Angestellte habe die Genehmigung der Kreditaufstockung als sicher dargestellt, woraufhin die Kreditnehmerin die Fertigstellungsarbeiten in Auftrag gegeben habe. Im Zuge einer Besprechung vom 7. 6. 2010 habe jedoch ein anderer Angestellter der Klägerin der Kreditnehmerin eröffnet, dass doch keine Kreditaufstockung bewilligt werde. Ein darauffolgendes schriftliches Ersuchen der Kreditnehmerin um verbindliche Klarstellung ihrer Position habe die Klägerin unbeantwortet gelassen. Zwar hätten Vertreter der Klägerin am 21. 6. 2010 in Anwesenheit der Gattin des Beklagten eine Besichtigung des laufenden Bauprojekts durchgeführt, ein für den 22. 6. 2010 vereinbarter Besprechungstermin sei jedoch kurzfristig von Seiten der Bank wieder abgesagt worden.
Da die Kreditnehmerin ohne Kreditaufstockung ihre finanziellen Verpflichtungen, die sie im Vertrauen auf die ursprüngliche Zusage eingegangen sei, nicht erfüllen hätte können, habe der Beklagte selbst am 25. 6. 2010 die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beantragt. Am 1. 7. 2010 sei dem Beklagtenvertreter nachträglich die beantragte Kreditaufstockung zugesagt worden.
Die Klägerin replizierte, die Insolvenz der Kreditnehmerin sei allein dem Verhalten des Beklagten anzulasten, der zuerst ohne rechtsverbindliche Kreditzusage ungedeckte Verbindlichkeiten begründet, aber dann die positive Entscheidung über sein Aufstockungsansuchen nicht abgewartet, sondern mit seinem Konkursantrag das Projekt zum Scheitern gebracht habe. Im Konkursverfahren habe sich außerdem gezeigt, dass die beantragte Kreditaufstockung nicht ausgereicht hätte, um die Insolvenz abzuwenden.
Das Erstgericht hielt den Wechselzahlungsauftrag aufrecht. Auf eine Wechselbürgschaft seien die Vorschriften über die Bürgschaft nach dem ABGB nicht anzuwenden, eine Prüfung des Einwandes des Beklagten erübrige sich daher mangels rechtlicher Relevanz.
Das Berufungsgericht gab dem Rechtsmittel des Beklagten Folge und verwies die Entscheidung zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück.
Auch als Wechselbürge könne sich der Kläger auf § 1364 ABGB (analog) berufen, der nach Auffassung der herrschenden Rechtsprechung eine umfassende Sorgfaltspflicht des Gläubigers gegenüber dem Bürgen normiere. Sollte die Insolvenz der Kreditnehmerin tatsächlich von der Klägerin durch Bruch einer Kreditzusage herbeigeführt worden sein, worüber im fortgesetzten Verfahren erst Feststellungen getroffen werden müssten, bestehe durchaus Raum für einen Entfall der Haftung des Beklagten.
Ob dem Beklagten gegen die Klägerin Schadenersatzansprüche zustehen könnten, sei nicht mehr zu prüfen, weil er in erster Instanz keine substantiierte Aufrechnungseinrede erhoben und auch in seiner Berufung die Verfahrensrüge nicht gesetzmäßig ‑ nämlich neuerlich ohne Konkretisierung des unterbliebenen Kompensandoeinwandes ‑ ausgeführt habe.
Das Berufungsgericht erklärte den Rekurs an den Obersten Gerichtshof gemäß § 519 Abs 1 Z 2 ZPO für zulässig, weil die in der Lehre und Rechtsprechung uneinheitlich beurteilte Rechtsfrage zu klären sei, ob ein Verstoß gegen die Sorgfaltspflicht des Gläubigers im Sinn des § 1364 ABGB nur Schadenersatzansprüche des Bürgen begründe oder ob er zum Wegfall des Bürgschaftsanspruchs führe.
Mit ihrem Rekurs strebt die Klägerin die Wiederherstellung der erstgerichtlichen Entscheidung an.
Dem Beklagtenvertreter wurde der Rekurs am 1. 7. 2014 zugestellt. Die erst am 21. 8. 2014 eingebrachte Rekursbeantwortung des Beklagten ist daher verspätet. In Wechselstreitigkeiten haben die Bestimmungen über die Fristenhemmung nach § 222 Abs 1 ZPO gemäß Abs 2 leg cit keinen Einfluss auf den Ablauf der Notfristen.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs der Klägerin ist im Sinne der zitierten Ausführungen des Berufungsgerichts zulässig, er ist auch berechtigt.
1. Die Bestimmungen des ABGB über die Bürgschaft sind auf die Wechselbürgschaft grundsätzlich nicht anwendbar (RIS‑Justiz RS0032174). Die Übernahme einer Wechselbürgschaft begründet eine Haftung nach bürgerlichem Recht nur dann, wenn dies vereinbart wurde. Eine solche Vereinbarung wurde hier weder behauptet, noch bieten die vorgelegten Urkunden dafür einen Anhaltspunkt.
2. Gemäß § 1364 ABGB erlischt die Verbindlichkeit des Bürgen nicht, wenn der Gläubiger bei Fälligkeit der Schuld nicht sofort auf Erfüllung gedrungen hat. Der untätige Gläubiger ist dem Bürgen aber insoweit verantwortlich, als dieser wegen der Saumseligkeit des Gläubigers seinen eigenen Rückgriffsanspruch verloren hat.
Dem Berufungsgericht ist beizupflichten, dass nach Auffassung der herrschenden Rechtsprechung aus dem zweiten Satz des § 1364 ABGB über dessen engeren Wortlaut hinaus eine umfassende Sorgfaltspflicht des Gläubigers in Ansehung des Bürgen abzuleiten ist, die auch während der Dauer des Vertragsverhältnisses besteht (RIS‑Justiz RS0032306; 8 Ob 119/97a SZ 70/182), und zwar - in einem sich aus dem Interzessionszweck ergebenden Kernbereich ‑ auch gegenüber dem reinen Wechselbürgen.
Sowohl ein Bürge und Zahler als auch ein Wechselbürge (im Verhältnis zu seinem unmittelbaren Vertragspartner) können sich während des bestehenden Vertragsverhältnisses darauf berufen, der Gläubiger habe vertragliche Neben- und Sorgfaltspflichten zu ihren Lasten verletzt (RIS‑Justiz RS0108422; 8 Ob 119/97a).
Den Gläubiger trifft die Obliegenheit, seine Ansprüche gegen den Schuldner so geltend zu machen, dass eine Inanspruchnahme des Interzedenten möglichst unterbleiben kann und gegebenenfalls die Verfolgung seines Regressanspruchs nicht erschwert wird. Bei einer Kreditbürgschaft kann eine Sorgfaltsverletzung etwa dann vorliegen, wenn der Gläubiger ohne sachliche Rechtfertigung zu Lasten des Bürgen anderweitige Sicherheiten aufgegeben hat oder wenn er die Inanspruchnahme des Schuldners durch ungerechtfertigte Kreditverlängerung hinauszögert (RIS‑Justiz RS0016993; RS0016978; vgl auch 3 Ob 13/12a [Garantie]).
3. Nach herrschender Auffassung begründet eine verschuldete Sorgfaltsverletzung des Gläubigers im Sinne des § 1364 Satz 2 ABGB eine selbständig geltend zu machende Schadenersatzforderung des Bürgen (vgl Ohmeyer/Klang in Klang ² VI 245 f; Gamerith in Rummel ³ § 1364 ABGB Rz 3; Mader/W. Faber in Schwimann ³ § 1364 ABGB Rz 2 f; Th. Rabl in ABGB-ON 1.02 § 1364 ABGB Rz 15; 8 Ob 118/06w).
Der Standpunkt, die Obliegenheitsverletzung führe unmittelbar zum Wegfall oder zur Kürzung des Bürgschaftsanspruchs, stützt sich auf eine Parallele zu § 1356 ABGB, ist aber soweit überblickbar vereinzelt geblieben ( Iro zu 6 Ob 587/86 ÖBA 1988/97, 722; P. Bydlinski zu 3 Ob 559/91 ÖBA 1993/363, 64; ders aber anscheinend ggt in: Die Kreditbürgschaft² 133; 7 Ob 605/95).
Die in § 1356 ABGB bezeichnete Nachlässigkeit des Gläubigers bezieht sich auf die Voraussetzung, den Bürgen überhaupt in Anspruch nehmen zu können, wogegen die Bürgschaftsverbindlichkeit nach § 1364 ABGB als solche unberührt bleibt und der saumselige Gläubiger dem Bürgen nur für den Verlust des ‑ eine Zahlung des Bürgen begrifflich voraussetzenden ‑ Rückgriffsanspruchs verantwortlich ist. Die Beschränkung des Bürgen auf einen Schadenersatzanspruch wird dem Sicherungszweck der Bürgschaft gerecht, mit dem es schwer vereinbar wäre, dem Gläubiger nicht nur den Nachweis der allgemeinen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Bürgen aufzuerlegen, sondern vorweg auch gleich den Nachweis, dass er an der Nichtzahlung des Hauptschuldners keine Schuld trägt.
4. In den meisten Fällen führt sowohl die schadenersatzrechtliche als auch die „obliegenheitsrechtliche“ Variante zum selben Ergebnis (so Iro zu ÖBA 1988/97, 719; ebenso 1 Ob 8/04i, ÖBA 2004/1238, 883).
Im vorliegenden Verfahren hat der Beklagte allerdings, wie die Vorinstanzen zutreffend erkannt haben, in erster Instanz zwar vorgebracht, durch das Verhalten der Klägerin Schaden erlitten zu haben, er hat aber keine Kompensandoeinrede gegen die Wechselforderung erhoben. Über einen Schadenersatzanspruch war daher nicht zu entscheiden.
Ob das Erstgericht die Frage eines Kompensandoeinwands im Rahmen der allgemeinen Anleitungspflicht allenfalls mit dem Beklagtenvertreter erörtern hätte müssen, war vom Berufungsgericht mangels gesetzmäßiger Verfahrensrüge nicht zu prüfen und kann daher auch vom Obersten Gerichtshof nicht mehr aufgegriffen werden.
5. Der Vollständigkeit wegen ist aber festzuhalten, dass schon das Vorbringen des Beklagten die von ihm abgeleiteten Rechtsfolgen nicht tragen hätte können.
Die Behauptungs‑ und Beweislast für eine Verletzung der dem Bürgen gegenüber gebotenen Sorgfalt sowie die Kausalität für den behaupteten Schaden liegt beim in Anspruch genommenen Bürgen (RIS‑Justiz RS0032311; RS0032130 [T2]; RS0032306 [T4]). Aus dem vom Beklagten zur Begründung seines Standpunkts vorgebrachten Tatsachen ließe sich eine Verletzung der in seinem Interesse gebotenen Sorgfalt durch die Klägerin nicht schlüssig ableiten.
Zusammengefasst beruft sich der Beklagte darauf, dass er allein aufgrund der mündlichen Zusage eines Kundenbetreuers für die Kreditnehmerin Verbindlichkeiten eingegangen sei, die ihre Zahlungsunfähigkeit zur Folge hatten. Das Risiko, im Vertrauen auf die bloß in Aussicht gestellte Finanzierung ungedeckte Verbindlichkeiten einzugehen, lag aber nicht in der Sphäre der Klägerin, sondern der vom Beklagten verantwortlich vertretenen Kreditnehmerin.
Zudem gesteht der Beklagte zu, dass die Klägerin das Kreditansuchen der Gesellschaft ohnehin bewilligt hätte, wäre nicht vorher über seinen Antrag der Konkurs eröffnet worden. Im Kern reduziert sich der Vorwurf gegen die Klägerin also darauf, dass sie ihre Entscheidung zu lange hinausgezögert habe, obwohl ihr der dringende Finanzierungsbedarf der Kreditnehmerin bekannt war. Allein damit ist aber ein „in den Konkurs Treiben“ und eine im analogen Anwendungsbereich des § 1364 ABGB relevante Sorgfaltspflichtverletzung gegenüber dem Wechselbürgen nicht zu begründen.
Es besteht keine Obliegenheit einer Bank im Sinn eines Kontrahierungszwangs, einen ausgeschöpften Kreditrahmen zu erhöhen, und zwar gerade auch dann nicht, wenn sie erkennen kann, dass dem Kunden andernfalls die Insolvenz droht und seine Zahlungsfähigkeit von der Bereitstellung der zusätzlichen Kreditmittel abhängt. Eine leichtfertige Vergabe weiterer Geldmittel in einer derartigen Situation würde erst recht den geschützten Interessen eines Bürgen zuwiderlaufen und eine Sorgfaltspflichtverletzung im Sinn des § 1364 Satz 2 ABGB begründen (RIS‑Justiz RS0016993), noch dazu wenn der Bürge ‑ wie hier ‑ in seiner Wechselwidmungserklärung die uneingeschränkte Haftung auch für die künftigen Verbindlichkeiten der Kreditnehmerin übernommen hat.
6. Aus den dargelegten Gründen erweist sich die Rechtssache als spruchreif im Sinne der Wiederherstellung des stattgebenden Urteils erster Instanz. Über einen berechtigten Rekurs gegen den Aufhebungsbeschluss des Rekursgerichts kann der Oberste Gerichtshof eine Sachentscheidung fällen (§ 519 Abs 2 letzter Satz ZPO).
Die Entscheidung über die Kosten der Rechtsmittelverfahren beruht auf den §§ 41 und 50 Abs 1 ZPO.
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