OGH 8Ob81/18x

OGH8Ob81/18x19.7.2018

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, den Hofrat Mag. Dr. Wurdinger, die Hofrätin Mag. Korn, den Hofrat Dr. Stefula und die Hofrätin Mag. Wessely‑Kristöfel als weitere Richter in der Erlagssache der Antragstellerin Sparkasse A* (Anstalt des öffentlichen Rechts), Deutschland, *, vertreten durch WOLF THEISS Rechtsanwälte GmbH & Co KG in Wien, wegen Hinterlegung nach § 1425 ABGB, über den Revisionsrekurs der Antragstellerin gegen den Beschluss des Landesgerichts Feldkirch als Rekursgericht vom 6. April 2018, GZ 1 R 62/18b‑8, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Bezau vom 23. Februar 2018, GZ 2 Nc 47/18g‑5, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E122407

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

 

Begründung:

Die Antragstellerin ist eine deutsche Sparkasse in der Rechtsform einer Anstalt öffentlichen Rechts mit Sitz und Hauptniederlassung in Bayern. Sie hatte in R* in Vorarlberg eine Zweigstelle gemäß § 9 BWG, deren Geschäftszweig das Betreiben aller banküblichen Geschäfte war.

In dieser Zweigstelle eröffnete M* O* am 27. 8. 1992 ein Überbringersparbuch mit Losungswort, dessen Saldo zum 15. 1. 2018 264,86 EUR betrug. Nach den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Antragstellerin ist Erfüllungsort R*.

Aus wirtschaftlichen Gründen schloss die Antragstellerin 2015/2016 die Zweigstelle, was sie auf der Homepage der Zweigstelle, in einer Regionalzeitung, im Bundesanzeiger von Deutschland und im Amtsblatt der Wiener Zeitung kundmachte. Ihr gelang trotz Bemühungen nicht, mit M* O* Kontakt aufzunehmen. Von diesem ist der Antragstellerin lediglich seine deutsche Staatsbürgerschaft und eine nicht mehr aktuelle Adresse in Deutschland bekannt, nicht hingegen sein Geburtsdatum und sein weiterer Verbleib.

Die Antragstellerin strebte eine Beendigung und Abwicklung sämtlicher bestehender Geschäftsbeziehungen mit Kunden der ehemaligen Zweigstelle an, sofern keine anderweitige Regelung, zB eine Übertragung der Geschäftsbeziehung an die Hauptniederlassung der Antragstellerin nach Deutschland, gefunden und mit den Kunden vereinbart werden konnte. Unter Vorbringung des bisher geschilderten Sachverhalts und mit der Begründung, sie strebe eine Aufkündigung des Kundenverhältnisses und anschließend die Hinterlegung der Schuld nach § 1425 ABGB an, beantragte die Antragstellerin, das angerufene Gericht möge einen Kurator bestellen.

Mit Beschluss vom 21. 11. 2017 bestellte das Bezirksgericht Innere Stadt Wien mit der Begründung, der Aufenthalt von M* O* sei unbekannt, Rechtsanwalt Dr. H* „zum Abwesenheitskurator […], der diese Person auf ihre Gefahr und Kosten vertreten wird, bis sie selbst auftritt oder eine bevollmächtigte Person namhaft macht“.

Die Antragstellerin erklärte mit Schreiben an den Abwesenheitskurator vom 4. 12. 2017 gemäß Nr 26 (1) der AGB idF Oktober 2015 („Kündigung aus wichtigem Grund“; Anm) „unter Einhaltung einer (angemessen) Kündigungsfrist von einem Monat am 15. 12. 2017 mit Wirkung zum 15. 1. 2018“ die „ordentliche Kündigung der Geschäftsbeziehung mit Herrn M* O*“. Der Abwesenheitskurator bestätigte mit Schreiben vom 12. 12. 2017 den Zugang der Kündigung der Geschäftsbeziehung.

Am 29. 1. 2018 stellte die Antragstellerin beim Erstgericht einen Erlagsantrag nach § 1425 ABGB, worin sie die Ausfolgung des (von ihr gleichzeitig bei Gericht einbezahlten) Sparbuchguthabens von 264,86 EUR an M* O* oder einen anderen Inhaber des Überbringersparbuchs von dessen Vorlage, der Nennung des Losungswortes, einer Identitätsfeststellung und einer anschließenden Sparbuchentwertung abhängig macht.

Das Erstgericht wies den Antrag mangels internationaler Zuständigkeit zurück und in eventu auch in der Sache ab.

Das Rekursgericht änderte den erstinstanzlichen Beschluss dahin, dass es den Antrag abwies. Entgegen der Ansicht des Erstgerichts sei die inländische Gerichtsbarkeit (internationale Zuständigkeit) zu bejahen. Es fehle aber an den notwendigen materiellen Voraussetzungen einer Hinterlegung der Schuld nach § 1425 ABGB insofern, als für den abwesenden Gläubiger bereits ein Abwesenheitskurator bestellt worden sei. Der Bestellungsbeschluss enthalte keine Einschränkung seines Wirkungsbereichs, sodass sich seine Vertretungsbefugnis auf sämtliche Angelegenheiten beziehe und er auch für die Vermögensverwaltung von M* O* bestellt worden sei. Eine „primäre“ (sofortige) Hinterlegung komme daher nicht in Betracht.

Das Rekursgericht ließ den ordentlichen Revisionsrekurs gemäß § 62 Abs 1 AußStrG zu, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage fehle, „ob bei Bestellung eines Abwesenheitskurators für den abwesenden Gläubiger zunächst dem Kurator die Leistung anzubieten ist und eine primäre Hinterlegung in diesem Fall nicht in Betracht kommt“.

Gegen den den Erlagsantrag abweisenden Beschluss des Rekursgerichts richtet sich der aus dem Rechtsmittelgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobene Revisionsrekurs der Antragstellerin, mit dem sie die Stattgabe des Erlagsantrags anstrebt.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht dargelegten Grund zulässig, aber nicht berechtigt.

1. Die Antragstellerin vertritt die Ansicht, sie habe im Falle eines unbekannten oder abwesenden Gläubigers als Schuldnerin nach § 1425 ABGB ein Wahlrecht, sogleich die Hinterlegung vorzunehmen oder zunächst einen Kurator gemäß § 270 ABGB zu beantragen. Nur wenn ein bereits vorhandener Kurator auch zum Vermögensverwalter bestellt worden sei, sei ihm allenfalls die Leistung anzubieten. Im vorliegenden Fall sei Rechtsanwalt Dr. H* nicht mit der Vermögensverwaltung beauftragt worden.

2.1. Voranzuschicken ist, dass im vorliegenden Fall nicht eine Sachlage zu beurteilen ist, in welcher noch kein Kurator bestellt wurde. Vielmehr wurde bereits mehr als zwei Monate vor dem Erlagsantrag ein Abwesenheitskurator bestellt. Es ist daher allein zu beurteilen, ob diesem als materiell-rechtliche Voraussetzung für den Erlagsantrag die Auszahlung des Sparguthabens von der Antragstellerin –  Zug um Zug gegen Vorlage des noch nach dem alten Recht errichteten Überbringersparbuchs und gegen Nennung des Losungswortes sowie Durchführung einer Identitätsfeststellung und anschließender Sparbuchentwertung (vgl Roth, Grundriß des österreichischen Wertpapierrechts2 [1999] 128 f; Harrich in Laurer/Schütz/Kammel/Ratka, BWG4 [2017] §§ 31, 32 Rz 30)  – anzubieten gewesen wäre.

2.2. Der Abwesenheitskurator ist berechtigt, innerhalb seines Wirkungskreises für den Vertretenen zu handeln (vgl RIS‑Justiz RS0130926). Wie weit die Rechte des Abwesenheitskurators gehen, ist dem Bestellungsbeschluss zu entnehmen (1 Ob 233/71 = SZ 44/139 mwH). Enthält dieser keine Einschränkung, so bezieht sich die Vertretungsbefugnis des Abwesenheitskurators auf sämtliche Angelegenheiten (Mondel, Die Kuratoren im österreichischen Recht2 Rz 4/79; vgl für Deutschland: Götz in Palandt, BGB77 § 1911 Rz 9; Bettin in Bamberger/Roth/Hau/Poseck, BeckOK BGB [46. Edition] § 1911 Rz 7). Mangels Einschränkung obliegt dem Abwesenheitskurator auch die Vermögensverwaltung (1 Ob 233/71 = SZ 44/139). Dem entspricht, dass nach Rechtsprechung (4 Ob 25/50 = SZ 23/151 = RIS‑Justiz RS0049249) und Lehre (Reischauer in Rummel, ABGB3 § 1424 ABGB Rz 1; Heidinger in Schwimann/Kodek, ABGB4 § 1425 Rz 7 ua) der Zahlung an den Abwesenheitskurator, außer wenn der Schuldner die Kuratorbestellung erschlichen hat, schuldbefreiende Wirkung zukommt.

2.3. Im vorliegenden Fall wurde Rechtsanwalt Dr. H* ohne jede Einschränkung „zum Abwesenheitskurator [...], der diese Person auf ihre Gefahr und Kosten vertreten wird, bis sie selbst auftritt oder eine bevollmächtigte Person namhaft macht“, bestellt. Seine Vertretungsbefugnis umfasste damit auch die Vermögensverwaltung.

2.4. Der Oberste Gerichtshof entschied in 6 Ob 105/08x, dass die in § 1425 ABGB angeordnete Verständigung des Gläubigers von der Hinterlegung jedenfalls dann gegen eine sofortige gerichtliche Verwahrung spricht, wenn die Bestellung eines zur Entgegennahme des zu verwahrenden Gegenstands befugten Vertreters ein Vorgehen nach § 1425 ABGB von Vornherein vermieden hätte und keine besonderen Umstände vorliegen, die seine Bestellung unzumutbar machen.

2.5. Im vorliegenden Fall wurde sogar bereits ein Abwesenheitskurator mit entsprechendem Befugniskreis bestellt. Zumal eine Hinterlegung nach § 1425 ABGB kein Selbstzweck ist, muss jedenfalls dann, wenn der unbekannte oder abwesende Gläubiger bereits einen Abwesenheitskurator mit entsprechendem Befugniskreis hat, der Hinterlegung ein Anbieten der Zahlung an diesen vorangehen. Nur wenn dieser die Zahlung zurückweist, steht dem Schuldner frei, deshalb die Hinterlegung nach § 1425 ABGB zu beantragen. Der Annahmeverzug des Gläubigers berechtigt den Schuldner grundsätzlich zur Hinterlegung nach § 1425 ABGB (Heidinger in Schwimann/Kodek, ABGB4 § 1425 Rz 12 uva). Dass nach Bestellung eines Abwesenheitskurators mit entsprechendem Befugniskreis keine „primäre“ (sofortige) Hinterlegung in Betracht kommt, sondern diesem die Leistung anzubieten ist (8 Ob 145/17g), zumal er eben Vertreter des Abwesenden ist, entspricht auch der österreichischen Lehre (Reischauer in Rummel, ABGB3 § 1425 ABGB Rz 1 und 1a; Stabentheiner in Kletečka/Schauer, ABGB‑ON1.04 § 1425 Rz 9). Auch nach der Rechtslage in Deutschland wird davon ausgegangen, dass keine (in § 372 BGB geregelte) Hinterlegung aus dem Hinterlegungsgrund der Abwesenheit des Gläubigers vorzunehmen ist, wenn der Gläubiger einen gesetzlichen Vertreter hat, als welcher ein bestellter „Abwesenheitspfleger“ nach § 1911 BGB im Umfang seines Wirkungskreises gilt (s Fetzer in MünchKommBGB7 § 372 Rz 8; Grüneberg in Palandt, BGB77 § 372 Rz 5; Schwab in MünchKommBGB7 § 1911 Rz 19).

3. Der Revisionsrekurs führt letztlich als Begründung dafür, dass dem Abwesenheitskurator die Auszahlung des Sparguthabens nicht angeboten wurde, an, dieser habe ohnehin das Überbringersparbuch nicht in seinen Händen und kenne ebensowenig das Losungswort. Die Antragstellerin sei (zwecks Vermeidung einer Doppelbeanspruchung in Hinsicht auf ihre Verpflichtung, einem später auftretenden Präsentanten des Überbringersparbuchs bei Nennung des Losungswortes den im Sparbuch vermerkten Guthabensbetrag auszuzahlen) damit berechtigt, dem Abwesenheitskurator, solange er nicht über das Sparbuch samt Losungswort verfügt, die Auszahlung zu verweigern. Ihm die Zahlung Zug um Zug gegen Vorlage des Sparbuchs und Nennung des Losungswortes anzubieten wäre ein sinnloser Formalakt. Weil der Abwesenheitskurator offenkundig nicht der Zug-um-Zug-Verpflichtung entsprechen könne, sei die Antragstellerin zur sofortigen Hinterlegung berechtigt.

Die Antragstellerin hat in erster Instanz nicht vorgebracht, dass der Abwesenheitskurator das Überbringersparbuch nicht innehat und das Losungswort nicht kennt. Zumal sie Besagtes bereits in erster Instanz vorbringen hätte können, liegt eine unzulässige Neuerung im Sinne des § 49 Abs 2 AußStrG vor. Dass der Abwesenheitskurator weder das Überbringersparbuch innehat noch das Losungswort kennt, ist im Übrigen nicht zwingend anzunehmen, weil zwischen seiner Bestellung und dem Erlagsantrag mehr als zwei Monate lagen, in welchen der Abwesenheitskurator erfolgreiche Nachforschungen getätigt haben könnte.

Dem Revisionsrekurs der Antragstellerin war daher keine Folge zu geben.

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