OGH 8Ob80/85

OGH8Ob80/8519.3.1986

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Stix als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Kropfitsch und Dr. Zehetner als Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1) V*, und 2) Hugo K*, beide vertreten durch Dr. Otto Ackerl, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei E*‑AG, *, vertreten durch Dr. Otto Philp und Dr. Gottfried Zandl, Rechtsanwälte in Wien, wegen S 527.065,33 s.A., Zahlung einer monatlichen Rente von S 2.000,‑‑ und Feststellung (S 61.000,‑‑), Revisionsstreitwert S 100.000,‑‑ hinsichtlich der erstklagenden und S 294.766,67 hinsichtlich der beklagten Partei, infolge Revision der erstklagenden und der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 4. Juli 1985, GZ. 15 R 141/85‑75, womit infolge Berufung der erstklagenden und der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 31. Jänner 1985, GZ. 39 b Cg 318/80‑66, teilweise bestätigt und teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1986:0080OB00080.85.0319.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Der Revision der beklagten Partei wird nicht Folge gegeben. Hingegen wird der Revision der erstklagenden Partei teilweise Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil, das im Umfang des Abspruches über das Feststellungsbegehren der zweitklagenden Partei bestätigt wird, wird im Umfang des Abspruches über das Leistungsbegehren der erstklagenden Partei dahin abgeändert, daß es diesbezüglich als Teilurteil wie folgt zu lauten hat:

Die beklagte Partei ist schuldig, der erstklagenden Partei den Betrag von S 243.633,33 samt 4 % Zinsen aus S 410.900,‑‑ vom 20. 1. 1978 bis 10. 7. 1978, aus S 407.056,‑‑ vom 11. 7. 1978 bis 28. 9. 1978, aus S 380.900,‑‑ vom 29. 9. 1978 bis 19. 4. 1979, aus S 355.900,‑‑ vom 20. 4. 1979 bis 9. 5. 1979, aus S 350.900,‑‑ vom 10. 5. 1979 bis 20. 11. 1979, aus S 300.900,‑‑ vom 21. 11. 1979 bis 20. 11. 1980 und aus S 243.633,33 seit 21. 11. 1980 abzüglich eines an Zinsen bereits bezahlten Betrages von S 6.617,48 binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Das Mehrbegehren der erstklagenden Partei auf Zahlung eines weiteren Betrages von S 90.000,‑‑ s.A. wird abgewiesen. Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens in erster Instanz und des Berufungsverfahrens bleibt dem Endurteil vorbehalten. Die beklagte Partei ist schuldig, der zweitklagenden Partei die mit S 2.520,85 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin Barauslagen von S 198,72 und Umsatzsteuer von S 211,11) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens in Ansehung der erstklagenden Partei bleibt dem Endurteil vorbehalten.

 

Entscheidungsgründe:

Am 1. 8. 1977 ereignete sich gegen 23,35 Uhr im Ortsgebiet von Klagenfurt im Bereich der Kreuzung Koschatstraße ‑ Egger Lienzweg ein Verkehrsunfall, an dem der Zweitkläger als Fußgänger und Robert B* als Halter und Lenker des PKW mit dem Kennzeichen K * beteiligt waren. Die Beklagte ist der Haftpflichtversicherer dieses Kraftfahrzeuges. Der die Fahrbahn der Koschatstraße überquerende Zweitkläger wurde vom PKW des B* niedergestoßen und schwer verletzt. Wegen dieses Verkehrsunfalles wurde B* mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt vom 8. 11. 1977, 10 E Vr 2157/77‑6, des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs. 1 und Abs. 4 zweiter Fall StGB schuldig erkannt. Es wurde ihm zur Last gelegt, daß er sich vor der Fahrt durch den Genuß von Alkohol in einen die Zurechnungsfähigkeit nicht ausschließenden Rauschzustand versetzt und in diesem Zustand die notwendige Vorsicht im Straßenverkehr außer Acht gelassen, insbesondere eine überhöhte Geschwindigkeit eingehalten hat. Der Zweitkläger hat seine Schadenersatzansprüche aus diesem Verkehrsunfall dem Erstkläger zum Inkasso abgetreten.

Im vorliegenden Rechtsstreit begehrte der Erstkläger aus dem Rechtsgrund des Schadenersatzes aus diesem Verkehrsunfall zuletzt (ON 65 S 262) die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung eines Betrages von S 527.065,33 s.A. und zur Zahlung einer monatlichen Rente von S 2.000,‑‑ ab Klagstag. Das Kapitalbegehren des Erstklägers umfaßt (unter Berücksichtigung geleisteter Zahlungen der Beklagten in der Höhe von S 167.266,67) unter anderem ein Schmerzengeld von S 400.000,‑‑, eine Verunstaltungsentschädigung im Sinne des § 1326 ABGB von S 100.000,‑‑, den Ersatz von Kleiderschäden in der Höhe von S 750,‑‑ und den Ersatz der Kosten der Reparatur einer Uhr in der Höhe von S 150,‑‑. Der Zweitkläger stellte ein auf Feststellung der Haftung der Beklagten für alle seine künftigen Unfallschäden im Rahmen der Haftpflichtversicherungssumme gerichtetes Feststellungsbegehren, das er mit S 61.000,‑‑ bewertete. Das zuletzt gestellte Kapitalbegehren des Erstklägers beruht auf einem offensichtlichen Rechnungsfehler, denn die Summe der insgesamt geltend gemachten Schadenersatzansprüche beträgt S 689.332,‑‑; zieht man davon die außer Streit gestellten Zahlungen der Beklagten von S 167.266,67 ab, ergibt dies einen Betrag von S 522.065,33 und nicht von S 527.065,33.

Dem Grunde nach stützten die Kläger ihr Begehren im wesentlichen auf die Behauptung, daß B*, wie sich aus dessen strafgerichtlicher Verurteilung ergebe, das Alleinverschulden an diesem Verkehrsunfall treffe. Der Zweitkläger habe bei dem Unfall so schwere Verletzungen erlitten, daß ihm ein Schmerzengeld von S 400.000,‑‑ gebühre. Er sei infolge der bei dem Unfall erlittenen Verletzungen stark entstellt. Da sein Fortkommen behindert sei, habe er im Sinne des § 1326 ABGB Anspruch auf eine Verunstaltungsentschädigung in der Höhe von S 100.000,‑‑. Der zum Unfallszeitpunkt 48-jährige Zweitkläger sei nicht verheiratet gewesen und infolge der beim Unfall erlittenen entstellenden Verletzungen auch in seinen Heiratsaussichten beeinträchtigt (ON 31 S 137). Die vom Erstkläger geltend gemachten Ersatzansprüche für Kleiderschaden und Uhrreparaturkosten sind der Höhe nach unbestritten; auch das Feststellungsinteresse des Zweitklägers ist unbestritten.

Die Beklagte wendete dem Grunde nach im wesentlichen ein, daß wohl B* ein mit zwei Dritteln zu bewertendes Verschulden an diesem Verkehrsunfall treffe, daß aber auch ein mit einem Drittel zu bewertendes Mitverschulden des Zweitklägers vorliege, weil er versucht habe, die Kreuzung ohne Beachtung des Fahrzeugverkehrs in der Fahrtrichtung B*s gesehen von links nach rechts laufend zu überqueren; B* habe trotz sofortiger Reaktion den Kontakt mit dem Zweitkläger nicht mehr vermeiden können. Das Schmerzengeld sei nur mit S 250.000,‑‑ zu bemessen. Ein Anspruch nach § 1326 ABGB bestehe nicht, weil der Zweitkläger infolge der bei dem Unfall erlittenen Verletzungen arbeitsunfähig geworden sei und daher in seinem besseren Fortkommen im Beruf nicht mehr behindert werden könne. Der Zweitkläger sei zur Unfallszeit geschieden und Vater von fünf zum Teil noch minderjährigen Kindern gewesen. Unter diesen Umständen sei davon auszugehen, daß der Zweitkläger auch ohne diesen Unfall nicht die Absicht gehabt hätte, wieder eine fixe Bindung einzugehen (ON 35).

Das Erstgericht entschied, ohne dies in seinem Urteil vorschriftsmäßig zum Ausdruck zu bringen, mit Teilurteil über die vom Erstkläger geltend gemachten Ersatzansprüche an Schmerzengeld, Verunstaltungsentschädigung, Kleiderschaden und Uhrreparaturkosten. Es verurteilte die Beklagte zur Zahlung von S 350.900,‑‑ s.A. Die Abweisung eines aus diesen Ersatzansprüchen resultierenden Mehrbegehrens des Erstklägers ist dem Spruch des Urteiles des Erstgerichtes nicht zu entnehmen, war aber, wie sich aus den Entscheidungsgründen ergibt, zweifellos beabsichtigt. Dem Feststellungsbegehren des Zweitklägers gab das Erstgericht statt; in Ansehung des Zweitklägers liegt somit ein Endurteil des Erstgerichtes vor.

Diese Entscheidung wurde vom Erstkläger und von der Beklagten mit Berufung bekämpft.

Mit dem angefochtenen Urteil gab das Berufungsgericht der Berufung des Erstklägers keine Folge. Der Berufung der Beklagten gab es hinsichtlich der Entscheidung über das Begehren des Zweitklägers nicht, hinsichtlich der Entscheidung über das Begehren des Erstklägers teilweise Folge. Es änderte die Entscheidung des Erstgerichtes, die es in Ansehung des Feststellungsbegehrens des Zweitklägers bestätigte, in Ansehung des Leistungsbegehrens des Erstklägers dahin ab, daß es diesem einen Betrag von S 233.766,67 s.A. zusprach und ein auf Zahlung eines Betrages von S 167.266,66 s.A. gerichtetes Mehrbegehren abwies. Das Berufungsgericht sprach aus, daß der Wert des Feststellungsbegehrens den Betrag von S 300.000,‑‑ übersteigt.

Gegen diese Entscheidung richten sich die Revisionen des Erstklägers und der Beklagten. Der Erstkläger bekämpft sie im Umfang der Abweisung seines Begehrens mit einem Betrag von S 100.000,‑‑ s.A. (Verunstaltungsentschädigung) aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß ihm ein Betrag von S 333.766,67 s.A. zuerkannt werde. Die Beklagte bekämpft die Entscheidung des Berufungsgerichtes in ihrem gesamten klagsstattgebenden Teil aus den Revisionsgründen der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne der Abweisung des Klagebegehrens abzuändern; hilfsweise stellt sie einen Aufhebungsantrag.

Beide Streitteile haben Revisionsbeantwortungen mit dem Antrag erstattet, der Revision des Gegners nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Beide Revisionen sind im Hinblick auf die Höhe des Streitgegenstandes, über den das Berufungsgericht in Ansehung jedes Klägers entschieden hat, ohne die im § 503 Abs. 2 ZPO normierte Beschränkung der Revisionsgründe zulässig. Sachlich ist die Revision der Beklagten unberechtigt, während der Revision des Erstklägers teilweise Berechtigung zukommt.

Die Vorinstanzen gingen im wesentlichen von folgendem für die Beurteilung der im Revisionsverfahren noch zu lösenden Fragen relevanten Sachverhalt aus:

Zur Unfallszeit fuhr Robert B* mit seinem PKW auf der Koschatstraße in Klagenfurt stadtauswärts. Die Fahrbahn der Koschatstraße in Richtung stadtauswärts ist in drei je 3 m breite durch Bodenmarkierungen gekennzeichnete Fahrstreifen geteilt. Die Fahrbahn dieser Straße wird durch einen 1,5 m breiten Grünstreifen getrennt, auf dem sich Sträucher mit einer Höhe von ca. 0,5 m befinden. Die Gegenfahrbahn weist zwei Fahrstreifen auf, die 3,4 m und 3,6 m breit sind. An der Kreuzung Koschatstraße ‑ Egger Lienzweg befindet sich ein Schutzweg für Fußgänger.

B* fuhr mit seinem PKW auf dem rechten Fahrstreifen mit einer Geschwindigkeit von rund 70 km/h. Auf der Unfallskizze sind Bremsspuren eingezeichnet, aus denen sich ergibt, daß sich bei Bremsbeginn die rechte Begrenzung des PKW in einer Entfernung von etwa 1,5 m zum rechten Fahrbahnrand befand. Diese Bremsspur beginnt 7,4 m vor dem Schutzweg und endet 11,1 m nach dem Schutzweg.

Der Zweitkläger wollte die Koschatstraße am Schutzweg von links nach rechts (in Fahrtrichtung des B* gesehen) überqueren. Er blieb, bevor er die Gegenfahrbahn betrat, stehen, überquerte die Gegenfahrbahn, blieb neuerlich am Mittelstreifen stehen und überquerte den Schutzweg weiter nicht laufend, aber schnellen Schrittes.

Durch den Zusammenstoß wurde die Motorhaube links und die Frontscheibe beschädigt. Aus den Verletzungen des Zweitklägers im Zusammenhalt mit der Beschädigung des PKW ergibt sich, daß es zu einer Berührung zwischen der rechten Körperseite des Zweitklägers und der linken vorderen Ecke des PKW kam.

Der Zweitkläger legte vom Mittelstreifen bis zum Zusammenstoß eine Strecke von 6,5 m zurück. Bei einer Gehgeschwindigkeit von 4 km/h benötigte der Zweitkläger für diese Strecke einen Zeitraum von 6 Sekunden; in diesem Zeitraum legte der PKW bei einer Geschwindigkeit von 70 km/h rund 116 m zurück. Nimmt man eine Laufgeschwindigkeit des Zweitklägers an, dann war der PKW rund 73 m vor dem Schutzweg, als der Zweitkläger diesen betrat.

Wäre B* mit einer Geschwindigkeit von 50 km/h gefahren, hätte der Anhalteweg seines Fahrzeuges unter Zugrundelegung einer Reaktionszeit von einer Sekunde und einer mittleren Bremsverzögerung von 6 m/sec2 rund 30 m betragen. Der PKW hätte daher ab Gefahrenerkennungsstelle bis zum Zusammenstoß angehalten werden können.

Der Zweitkläger erlitt bei diesem Verkehrsunfall eine schwere Gehirnerschütterung mit Gehirnschädigung, einen Bruch des oberen und unteren Schambeinastes rechts und links mit Harnwegverletzung, einen offenen Unter- und Oberschenkelbruch rechts, einen Unterschenkeltrümmerbruch links, Rißquetschwunden im Gesicht und Hautabschürfungen am ganzen Körper, einen Bruch des rechten Schienbeinkopfes und einen Riß des vorderen Kreuzbandes des rechten Kniegelenkes.

Der Zweitkläger hat kaum eine Schulbildung. Er war vor dem Unfall als landwirtschaftlicher Hilfsarbeiter bzw. als angelernter Arbeiter bei einer Dachdeckerfirma berufstätig. In diesen Berufen ist er seit dem Unfall nicht mehr arbeitsfähig.

Das äußerliche Erscheinungsbild des Zweitklägers ist durch die Folgen der beim Unfall erlittenen Verletzungen insofern verändert, als eine Muskelatrophie im Bereich des rechten Ober- und Unterschenkels vorliegt und im Bereich des rechten Unterschenkels Narben zurückblieben, und zwar in der Mitte eine quere Narbe und von ihr ausgehend eine senkrechte Narbe, die senkrecht nach distal verläuft.

Die Beklagte hat an den Erstkläger folgende Zahlungen geleistet: 11. 7. 1978 S 3.844,‑‑, 29. 9. 1978 S 26.156,‑‑, 20. 4. 1979 S 25.000,‑‑, 10. 5. 1979 S 5.000,‑‑, 21. 11. 1979 S 50.000,‑‑ und 21. 11. 1980 S 63.884,15, insgesamt also S 173.884,15. Davon wurde ein Betrag von S 167.266,67 der Abgeltung der Ansprüche an Schmerzengeld, Kleiderschaden und Uhrreparaturkosten gewidmet und der restliche Betrag von S 6.617,48 der Abgeltung von Zinsen seit 20. 1. 1978 aus diesen Ersatzansprüchen.

Rechtlich beurteilte das Erstgericht den festgestellten Sachverhalt im wesentlichen dahin, daß den Zweitkläger kein Mitverschulden an diesem Verkehrsunfall treffe. Als der Zweitkläger die Fahrbahn betreten habe, habe sich der PKW rund 116 m vom Schutzweg entfernt befunden. Der Zweitkläger habe damit rechnen können, daß der Lenker dieses Fahrzeuges die Fahrgeschwindigkeit so wähle, daß er rechtzeitig anhalten könne. Der Zweitkläger habe daher den Schutzweg nicht überraschend betreten. Wenn auch dem Fußgänger bei der Benützung eines Schutzweges ein wenigstens ungefähres Abschätzen der Verkehrssituation auferlegt werde, könne doch bei dem hier zu beurteilenden Verkehrsunfall davon ausgegangen werden, daß der Zweitkläger berechtigt gewesen sei, den Schutzweg zu betreten, wenn zu diesem Zeitpunkt im Ortsgebiet ein Kraftfahrzeug rund 116 m vom Schutzweg entfernt gewesen sei. Das Schmerzengeld sei mit S 350.000,‑‑ zu bemessen. Ein Anspruch nach § 1326 ABGB bestehe nicht, weil der Zweitkläger nicht entstellt sei. Der Erstkläger habe Anspruch auf Schmerzengeld in der Höhe von S 350.000,‑‑ und die der Höhe nach unbestrittenen Beträge für Kleiderschaden und Uhrreparaturkosten von zusammen S 900,‑‑. Die von der Beklagten geleisteten Teilzahlungen wurden vom Erstgericht nicht berücksichtigt.

Das Berufungsgericht führte rechtlich im wesentlichen aus, daß B* zunächst entgegen § 9 Abs. 2 StVO dem Zweitkläger das ungehinderte und ungefährdete Überqueren der Fahrbahn nicht ermöglicht und sich dem Übergang nicht mit einer Geschwindigkeit genähert habe, die im Einklang mit der Beleuchtung seines PKW durch Abblendlicht gestanden sei. Darüber hinaus komme seiner Alkoholisierung, die prima facie Ursache seines Aufmerksamkeitsfehlers gewesen sei, besondere Bedeutung zu. Bei Prüfung eines allfälligen Fehlverhaltens des Zweitklägers dürfe nicht außer Acht gelassen werden, daß diesem die von B* gesetzten Gefahrenfaktoren nicht ausreichend erkennbar gewesen seien: Weder sei die von B* eingehaltene Geschwindigkeit derart überhöht gewesen, daß sie dem Zweitkläger erkennbar gewesen sei noch habe der Zweitkläger die Alkoholisierung und die dadurch herabgesetzte Reaktionsbereitschaft und -fähigkeit des B* erkennen können. Ohne diese zusätzlichen Gefahrenquellen sei jedoch mit einem gefahrlosen Reagieren des PKW-Lenkers zu rechnen gewesen, sodaß ein allfälliges Fehlverhalten des Zweitklägers zumindest gegenüber den Verstößen des PKW-Lenkers in den Hintergrund trete und vernachlässigt werden könne.

Im Hinblick auf die schweren Verletzungsfolgen erscheine an Schmerzengeld der volle beanspruchte Betrag von S 400.000,‑‑ gerechtfertigt, von welchem allerdings die der Widmung der Beklagten entsprechende Summe von S 166.666,66 abzuziehen sei (die nicht auf den Kleiderschaden von S 500,‑‑ und den der Uhr entsprechenden Anteil von S 100,‑‑ zu veranschlagen gewesen sei), sodaß eine Summe von S 233.333,34 verbleibe.

Ein Anspruch auf Verunstaltungsentschädigung bestehe nicht. Einerseits sei Verdienstentgang nach § 1325 ABGB und nicht Verunstaltungsentschädigung zu gewähren, wenn der Verletzte nicht wegen der Verunstaltung, sondern wegen der dadurch verminderten körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit daran gehindert werde, eine bessere Stellung zu erreichen. Trotz unfallsbedingter Minderung der Erwerbsfähigkeit gebühre dem Verletzten allerdings eine Verunstaltungsentschädigung nach § 1326 ABGB, wenn er infolge der nachteiligen Veränderung in seinem besseren Fortkommen in einem Beruf, den er trotz der Verletzungsfolgen noch auszuüben in der Lage sei, behindert werden könne. Da der Zweitkläger aber aus dem Erwerbsleben auf unabsehbare Zeit ausgeschieden sei, komme diese Komponente des Anspruches nicht in Betracht. Was die verminderte Heiratsfähigkeit anlange, sei zunächst dem Erstgericht darin beizupflichten, daß die entstellenden Auswirkungen des Unfalls als solche zu geringfügig seien, um eine irgendwie ins Gewicht fallende Verminderung zu bedeuten. Darüber hinaus berufe sich aber der Erstkläger darauf, daß auch die unfallskausale Hirnleistungsschwäche und vor allem die dauernde Berufsunfähigkeit berücksichtigt werden müßten. In der Lehre sei die Auffassung vertreten worden, daß Verletzungen, die das äußerliche Erscheinungsbild nicht verändern, bei Zutreffen der sonstigen Voraussetzungen eine Analogie zu § 1326 ABGB rechtfertigten. Daraus sei aber im Ergebnis für den Erstkläger nichts zu gewinnen, da zwar nicht die Vereitelung einer bestimmten Heiratsaussicht dargetan werden müsse, sondern der Nachweis der Möglichkeit eines Schadens genüge; es müsse aber andererseits doch eine gewisse geringgradige Möglichkeit bestehen. Im vorliegenden Fall sei der im Jahr 1929 geborene Zweitkläger nach seinen eigenen Angaben für sechs Kinder sorgepflichtig, wozu noch komme, daß es sich schon vor dem Unfall um eine intellektuell geringfügig unterbegabte Person gehandelt habe, bei welcher auch noch ein Beschulungsmangel im Vordergrund gestanden sei; der Zweitkläger habe keine Schule besucht und könne kaum lesen und schreiben. Auch unter Zugrundelegung der erwähnten sich auf eine wohlbegründete Analogie stützenden Rechtsmeinung könne daher dem Erstkläger ein Anspruch nach § 1326 ABGB nicht zuerkannt werden.

I) Zur Revision der Beklagten:

Die Beklagte versucht mit ihren Revisionsausführungen darzutun, daß dem Zweitkläger ein mit einem Drittel zu bewertendes Mitverschulden anzulasten sei.

Dem kann nicht gefolgt werden.

Der Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt nicht vor, was nicht näher zu begründen ist (§ 510 Abs. 3 ZPO).

Aber auch die Rechtsrüge ist nicht berechtigt.

Gemäß § 76 Abs. 4 lit. a StVO durfte der Zweitkläger den Schutzweg nicht unmittelbar vor einem herankommenden Fahrzeug und für dessen Lenker überraschend betreten. „Unmittelbar“ im Sinne dieser Gesetzesstelle bedeutet nach ständiger Rechtsprechung, daß der Fußgänger den Schutzweg so knapp vor dem herankommenden Fahrzeug betritt, daß einem vorschriftsmäßig und aufmerksam fahrenden Lenker ein rechtzeitiges Anhalten nicht mehr möglich ist. „Überraschend“ betritt ein Fußgänger den Schutzweg dann, wenn andere Straßenbenützer den Umständen nach nicht damit rechnen konnten und nicht mehr in der Lage sind, ihr eigenes Verhalten danach einzurichten (ZVR 1984/225 mit weiteren Judikaturhinweisen uva.). Gemäß § 9 Abs. 2 StVO hat der Lenker eines Fahrzeuges einem Fußgänger, der sich auf einem Schutzweg befindet, das ungehinderte und ungefährdete Überqueren der Fahrbahn zu ermöglichen. Zu diesem Zweck darf sich der Lenker eines Fahrzeuges einem Schutzweg nur mit einer solchen Geschwindigkeit nähern, daß er das Fahrzeug vor dem Schutzweg anhalten kann, und er hat, falls erforderlich, vor dem Schutzweg anzuhalten.

Nach den vom Berufungsgericht übernommenen Feststellungen des Erstgerichtes, deren Richtigkeit im Revisionsverfahren nicht mehr bekämpft werden kann, befand sich der PKW des B* rund 116 m vom Schutzweg entfernt, als der Zweitkläger vom Fahrbahnteiler aus die Überquerung der Koschatstraße fortsetzte. Da der Anhalteweg des PKW des B* aus der tatsächlich eingehaltenen Geschwindigkeit von 70 km/h bei Zubilligung einer vollen Sekunde Vorbremszeit und einer Verzögerung von nur 6 m/sec2 rund 51 m betrug (siehe dazu die Bremswegtabellen in Dittrich-Veit-Veit StVO II), kann unter diesen Umständen keine Rede davon sein, daß der Zweitkläger den Schutzweg entgegen der Vorschrift des § 76 Abs. 4 lit. a StVO unmittelbar vor dem PKW des B* und für den Lenker überraschend betreten hätte. Selbst wenn man ‑ was aber durch die Feststellungen der Vorinstanzen nicht gedeckt ist ‑ von einer Überquerungsgeschwindigkeit des Zweitklägers von 8 km/h, die schon einer Laufgeschwindigkeit entspricht, ausginge, wäre dies noch immer nicht der Fall, weil dann der Zeitaufwand des Zweitklägers für die Strecke von rund 6,5 m bis zum Kollisionspunkt rund 3 Sekunden betragen hätte. In diesem Zeitraum legte der PKW des B* bei einer Geschwindigkeit von 70 km/h mehr als 58 m zurück und befand sich daher bei Betreten des Schutzweges durch den Zweitkläger immer noch außerhalb der Anhaltedistanz.

Mit Recht haben unter diesen Umständen die Vorinstanzen ein in der Übertretung der Vorschrift des § 76 Abs. 4 lit. a StVO gelegenes Mitverschulden des Zweitklägers verneint und eine Kürzung seiner Schadenersatzansprüche im Sinne des § 7 Abs. 1 EKHG abgelehnt.

II) Zur Revision des Erstklägers:

Mit Recht wendet sich der Erstkläger gegen die Verneinung eines Anspruches des Zweitklägers auf Verunstaltungsentschädigung durch die Vorinstanzen.

Eine Entschädigung nach § 1326 ABGB gebührt dann, wenn der Verletzte durch die Verunstaltung, also durch eine erheblich nachteilige Veränderung seiner Erscheinung, in seinem besseren Fortkommen behindert werden kann. Unter einer Verunstaltung im Sinne dieser Gesetzesstelle ist jede wesentlich nachteilige Veränderung der äußeren Erscheinung des Verletzten zu verstehen (ZVR 1974/56; 8 Ob 188/82; 8 Ob 259/82; 8 Ob 209/83 uva.), wobei es weder erforderlich ist, daß eine solche nachteilige Veränderung der äußeren Erscheinung besonders abstoßend wirkt noch daß sie bei einem normal bekleideten Menschen sichtbar ist (ZVR 1980/74; 8 Ob 198/81; 8 Ob 259/82; 8 Ob 209/83 uva.). Wesentlich für die Annahme einer Verunstaltung des Verletzten im Sinne dieser Gesetzesstelle ist die nachteilige Veränderung seiner Gesamterscheinung, die Beeinträchtigung seines äußeren Aussehens für den Beschauer, und zwar nicht nach medizinischen Begriffen, sondern unter Zugrundelegung eines ästhetischen Maßstabes nach allgemeiner Lebensanschauung (8 Ob 319/81; 8 Ob 273/82; 8 Ob 209/83 ua.).

Unter diesen Gesichtspunkten mag eine unbedeutende Narbenbildung, die die äußere Erscheinung des Verletzten nicht oder nicht wesentlich beeinträchtigt, nicht als Verunstaltung im Sinne des § 1326 ABGB zu werten sein. Allein darum handelt es sich im vorliegenden Fall nicht. Denn nach den Feststellungen der Vorinstanzen sind beim Zweitkläger nicht nur beträchtliche Narben im Bereich des rechten Unterschenkels zurückgeblieben, sondern ist auch eine Muskelverschmächtigung im Bereich des gesamten rechten Beines eingetreten. Ein verschmächtigtes und durch nicht unbeträchtliche Narben verunziertes Bein stellt aber unter Zugrundelegung eines ästhetischen Maßstabes nach allgemeiner Lebensanschauung eine erhebliche nachteilige Veränderung des äußeren Erscheinungsbildes des Betroffenen dar und ist daher als Verunstaltung im Sinne des § 1326 ABGB zu werten.

Daß der Zweitkläger infolge dieser Verunstaltung in seinem besseren beruflichen Fortkommen behindert werden könnte, ist den Feststellungen der Vorinstanzen nicht zu entnehmen. Der Zweitkläger war aber zur Unfallszeit und ist noch heute unverheiratet. Er braucht nicht den Nachweis einer bestimmten Heiratsabsicht oder einer bestimmten Heiratsaussicht zu erbringen; für den Zuspruch einer Verunstaltungsentschädigung genügt die bloße Möglichkeit einer Minderung der Heiratsaussicht schlechthin (vgl. ZVR 1978/21; ZVR 1978/47; 8 Ob 198/81; 8 Ob 259/82; 8 Ob 209/83 ua.). Daß die Heiratsaussicht des Zweitklägers durch die von den Vorinstanzen festgestellten entstellenden Verletzungsfolgen vermindert werden kann, entspricht der Lebenserfahrung und bedarf keiner weiteren Begründung. Weder das Lebensalter des Klägers (er war nach den Feststellungen der Vorinstanzen zur Unfallszeit 48 Jahre alt) noch das Ausmaß seiner intellektuellen Fähigkeiten noch der Umfang seiner Sorgepflichten sind eine hinlängliche Grundlage dafür, dem Zweitkläger jede auch nur geringgradige Wahrscheinlichkeit der Verbesserung seines Fortkommens durch eine Eheschließung abzusprechen und anzunehmen, daß eine solche Verbesserung seiner Lebenslage praktisch ausgeschlossen sei (vgl. SZ 47/60 ua.).

Die somit vorliegende Minderung der Heiratsaussicht des Zweitklägers durch die festgestellten entstellenden Verletzungsfolgen genügt für den Zuspruch einer Verunstaltungsentschädigung im Sinne des § 1326 ABGB, für deren Höhe das Ausmaß der Entstellung des Verletzten und die Größe der Wahrscheinlichkeit der durch die Verunstaltung bedingten Behinderung seines besseren Fortkommens maßgebend ist (8 Ob 209/82; 8 Ob 200/83; 8 Ob 68/85).

Im vorliegenden Fall kommt im Hinblick auf den geringen Grad der Verunstaltung des Zweitklägers und die geringe Wahrscheinlichkeit einer Beeinträchtigung seines besseren Fortkommens durch die erlittene Verunstaltung eine Verunstaltungsentschädigung in der vom Erstkläger angestrebten Höhe von S 100.000,‑‑ keinesfalls in Betracht; es erscheint vielmehr im Hinblick auf die Umstände des vorliegenden Falles eine Verunstaltungsentschädigung im Sinne des § 1326 ABGB in der Höhe von S 10.000,‑‑ angemessen.

Nur in diesem Umfang erweist sich die Revision des Erstklägers als berechtigt.

Es stehen somit dem Erstkläger (im Rahmen des ergangenen Teilurteiles) folgende Beträge zu:

 

1) Schmerzengeld (unbestritten)

S 400.000,--

2) Kleiderschaden (unbestritten)

S 750,--

3) Uhrreparaturkosten (unbestritten)

S 150,--

4) Verunstaltungsentschädigung

S 10.000,--

 

S 410.900,--

abzüglich der bereits vom Kläger abgezogenen der Abgeltung der Ansprüche an Schmerzengeld, Kleiderschaden und Uhrreparaturkosten gewidmeten Zahlungen der Beklagten

 

 

 

 

S 167.266,67

 

S 243.633,33

  

 

Dieser Betrag war dem Erstkläger samt Stufenzinsen zuzusprechen, wobei der von der Beklagten bezahlte der Abgeltung von Zinsen aus diesen Ersatzansprüchen gewidmete Betrag von S 6.617,48 von den zugesprochenen Zinsen abzuziehen ist.

Das auf Zahlung eines weiteren Betrages von S 90.000,‑‑ s.A. (Verunstaltungsentschädigung) gerichtete Mehrbegehren des Erstklägers ist abzuweisen.

In diesem Sinne war das angefochtene Urteil, das im Umfang der Entscheidung über das Feststellungsbegehren des Zweitklägers zu bestätigen war, im Umfang der Entscheidung über das Leistungsbegehren des Erstklägers abzuändern.

Der Vorbehalt der Kosten des Revisionsverfahrens in Ansehung des Erstklägers beruht auf § 52 Abs. 2 ZPO.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens in Ansehung des Zweitklägers (hinsichtlich dessen ein Endurteil vorliegt) beruht auf den §§ 41, 46 Abs. 1 erster Satz, 50 ZPO.

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