OGH 8Ob79/13w

OGH8Ob79/13w29.8.2013

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.‑Prof. Dr. Kuras, die Hofrätin Dr. Tarmann‑Prentner und die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Dr. Brenn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei F***** G*****, vertreten durch Mag. Dr. Wolfgang Mekis, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei R*****, vertreten durch Dr. Christian Tschurtschenthaler, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wegen 2.500 EUR sA und Herstellung (Gesamtstreitwert 67.500 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 2. Mai 2013, GZ 4 R 42/13y‑39, mit dem das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt vom 9. Jänner 2013, GZ 69 Cg 57/11m‑33, (mit einer Maßgabe) bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 2.045,70 EUR (darin enthalten 340,95 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Entscheidungsgründe:

Der Kläger ist Eigentümer einer Liegenschaft samt darauf errichtetem Wohnhaus, das direkt an die auf dem Waldgrundstück der Beklagten befindliche Felswand anschließt. Die Felswand verläuft im Bereich des Wohnhauses des Klägers nahezu senkrecht und weist eine Höhe zwischen 5 und 15 m auf. Die Felswand ist teilweise mit Buschwerk bewachsen; an der Geländekante stehen mehrere Bäume. Der Fels ist bereichsweise aufgelockert, sodass ein Herabfallen von Steinen bis zu einem Durchmesser von 20 cm, insbesondere bei Einwirkung von Wasser, Frost und Baumwurzeln, möglich ist. Eine dauerhafte und effektive Hangsicherung ist nur durch die Anbringung eines Steinschlagnetzes zu bewerkstelligen. In der Kalenderwoche 9 des Jahres 2011 stürzten von besagter Felswand Gesteinsbrocken im Durchmesser von bis zu 20 cm auf das Dach des Wohnhauses des Klägers, wodurch dieses erheblich beschädigt wurde. In einem Baubewilligungsbescheid aus dem Jahr 1960 wurde dem Rechtsvorgänger des Klägers die Auflage erteilt, dass der fragliche Felshang laufend zu überprüfen ist und gegebenenfalls Sicherungsmaßnahmen zu treffen sind, um das Gebäude gegen abstürzende Felsteile ausreichend zu schützen.

Der Kläger begehrte von der Beklagten die Zahlung von Sanierungskosten aufgrund des Steinschlags aus dem Jahr 2011 sowie das Ergreifen von Vorkehrungen baulicher Art, um in Hinkunft das Abstürzen von Gesteinen, Bäumen, größeren Ästen und sonstigen Stoffen zu vermeiden. Hilfsweise begehrte er die Unterlassung derartiger Immissionen. Von der Liegenschaft der Beklagten gehe eine Gefahr durch drohende Felsstürze und herabfallende Bäume oder größere Äste aus. Die Beklagte sei gemäß § 364 ABGB und nach dem Ingerenzprinzip verpflichtet, alle zumutbaren Vorkehrungen gegen weitere Schäden zu treffen. Die Felsliegenschaft der Beklagten befinde sich in einem verwahrlosten Zustand durch ungebremsten Wildwuchs. Bei dem Felssturz im Jahr 2011 habe es sich um ein für die Beklagte vorhersehbares Ereignis gehandelt.

Die Beklagte entgegnete, dass der Steinschlag ausschließlich durch Witterungs‑ und Korrosionseinflüsse auf die Felswand ausgelöst worden sei. Es handle sich dabei um naturgegebene Einwirkungen. Eine Haftung treffe sie nicht. Sie sei auch nicht verpflichtet, gegen die naturgegebenen Auswirkungen der Felswand Vorkehrungen zu treffen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren zur Gänze ab. Beim Herabfallen der Gesteinsmassen handle es sich um Naturereignisse, die nur schwer beherrschbar seien. Ein effektiver Schutz könne nur durch die vollständige bauliche Vernetzung des Felsens erreicht werden. Eine derartige Maßnahme überschreite die Grenzen der Zumutbarkeit. Außerdem habe der Kläger bzw sein Rechtsvorgänger die Gefahrensituation selbst herbeigeführt.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung, wobei es den Spruch an das geringfügig modifizierte Klagebegehren anpasste. Im Sinn des § 364 Abs 2 ABGB seien unmittelbare Zuleitungen und grob körperliche Immissionen unzulässig. Natürlich vorhandene Einwirkungen könnten aber nicht mittels Eigentumsfreiheitsklage abgewehrt werden. Nur bei Gefahrenerhöhung durch eine besonders gefährliche Nutzungsart bestehe für die dadurch begünstigten Auswirkungen der Naturgewalten eine Verantwortung. Im Anlassfall handle es sich bei der Steinschlaggefahr um Auswirkungen der natürlichen Beschaffenheit der Liegenschaft der Beklagten. Die Einwirkungen seien nicht auf menschliches Handeln, sondern allein auf Naturvorgänge zurückzuführen. Dafür hafte die Beklagte nicht. Auf die Zumutbarkeit allfälliger Vorkehrungen gegen den Steinschlag komme es nicht an. Auch von einer wesentlichen Erhöhung der Steinschlaggefahr durch die Belassung des Wildwuchses der Felswand könne nicht ausgegangen werden. Auf eine Haftung aus dem Ingerenzprinzip könne sich der Kläger ebenfalls nicht berufen. Die ordentliche Revision sei zulässig, weil nicht ausgeschlossen werden könne, dass aus der Entscheidung 4 Ob 43/11v ein anderes Ergebnis resultiere.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Klägers, die auf die Stattgebung des Klagebegehrens abzielt.

Mit ihrer Revisionsbeantwortung beantragt die Beklagte, das Rechtsmittel der Gegenseite zurückzuweisen, in eventu, diesem den Erfolg zu versagen.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil zu den Voraussetzungen der vom Kläger erhobenen Eigentumsfreiheitsklage durch unmittelbare Einwirkungen eine Klarstellung durch den Obersten Gerichtshof geboten erscheint. Die Revision ist aber nicht berechtigt.

1. Die geltend gemachte Nichtigkeit sowie die behauptete Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt ‑ wie der Oberste Gerichtshof geprüft hat ‑ nicht vor. Bei den Ausführungen des Berufungsgerichts, wonach der Gefahr durch Herabfallen von Gesteinsbrocken mit bloßen baumpflegerischen Maßnahmen nicht ausreichend begegnet werden könne, handelt es sich nicht um ergänzende Feststellungen des Berufungsgerichts, sondern um eine logische Schlussfolgerung zu den Feststellungen des Erstgerichts betreffend die Minimierung bzw Vermeidung des Steinschlagrisikos.

Soweit der Kläger eine Gefahrenerhöhung aus dem nach seinen Behauptungen im Laufe der Jahrzehnte zugenommene Bewuchs der Felswand ableitet, weicht er von der festgestellten Sachverhaltsgrundlage ab. Wie bereits vom Berufungsgericht mehrfach festgehalten wurde, hat der Bewuchs der Felswand nach den Feststellungen eine gewisse Haltefunktion und wirkt sich insofern auch positiv (vermindernd) auf das Steinschlagrisiko aus. Tiefwurzelnde Bewüchse, die sich nur negativ auswirken würden, kommen im fraglichen Bereich nicht vor. Das Berufungsgericht hat demnach zu Recht das Vorliegen eines sekundären Feststellungsmangels im Zusammenhang mit der vom Kläger begehrten Feststellung, wonach sich durch den unkontrollierten Bewuchs auf der Beklagtenliegenschaft im Laufe der Jahrzehnte die Gefahr des Steinschlags bzw des Herabfallens von Bäumen und Ästen erhöht habe, verneint. Die Überlegung in der Revision, wonach „durch gezielte Beschnitte des Bewuchses die Gefahr des Steinschlags minimiert werden könne“, stellt eine Wunschfeststellung dar.

Auch der Hinweis des Klägers auf die angeblich weiteren sekundären Feststellungsmängel zur „Zumutbarkeit der Hintanhaltung einer Gefährdung“ und zum Inhalt des Baubewilligungsbescheides aus dem Jahr 1960 ist nicht berechtigt. Der Begründungsversuch, dass sich die Auflage im Baubewilligungsbescheid zur laufenden Prüfpflicht des Felshangs und zum Ergreifen von Sicherungsmaßnahmen nur auf die Dauer des Bauverfahrens bezogen habe, ist nicht stichhaltig.

2. In rechtlicher Hinsicht geht der Kläger selbst davon aus, dass bei Elementarereignissen, die ohne menschliches Zutun eintreten, nachbarrechtliche Ansprüche ausgeschlossen sind. Er vertritt aber die Ansicht, dass das bewusste Hinnehmen eines ungebremsten Wildwuchses eine Gefahrenerhöhung durch eine besonders gefährliche Nutzungsart bewirke.

Auch darin ist dem Kläger nicht zu folgen.

3.1 Direkte Zuleitungen sind nicht nach Maßgabe des § 364 Abs 2 ABGB zu dulden. Vielmehr kann solchen Eigentumseingriffen mit Eigentumsfreiheitsklage gemäß § 523 ABGB begegnet werden. Unmittelbare Zuleitungen sind zielgesteuerte Tätigkeiten, die unmittelbar auf die Einwirkung gerichtet sind (1 Ob 279/02i; 1 Ob 263/06t) oder (auch frühere) Maßnahmen, die den Eintritt einer unmittelbaren Einwirkung auf das Nachbargrundstück bloß ermöglichen (1 Ob 168/06v). Diesen direkten Immissionen ist das Eindringen grob körperlicher Stoffe, wie zum Beispiel Steine oder Erdmassen, rechtlich gleichgestellt. Auch in dieser Hinsicht ist menschliches Handeln erforderlich (2 Ob 13/97v).

3.2 Auch im Zusammenhang mit unmittelbaren Einwirkungen ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass Auswirkungen der natürlichen Beschaffenheit des Nachbargrundstücks vom beeinträchtigten Grundnachbarn hinzunehmen sind. Mit Eigentumsfreiheitsklage nicht abwehrbar sind daher natürliche Einwirkungen, also solche, die nicht auf menschliches Handeln, sondern allein auf Naturvorgänge zurückzuführen sind (1 Ob 169/06v). Nachbarrechtliche Ansprüche sind somit ausgeschlossen, wenn es sich um Naturereignisse handelt, die ohne (begünstigendes) menschliches Zutun eintreten (2 Ob 13/97v).

In der Entscheidung 2 Ob 13/97v wurde dazu ausgesprochen, dass nicht schon jegliche Waldbewirtschaftung eine Immissionshaftung für Steinschlag-oder Lawinengefahr auslöse. Auch hier stehe die Naturgewalt im Vordergrund, deren Auswirkungen im Allgemeinen dem Waldeigentümer nicht zuzurechnen seien. Werde aber eine im Hinblick auf das Naturwirken besonders gefährliche Nutzungsart gewählt, die die Gefahr herbeiführe oder zumindest wesentlich erhöhe (im Vergleichsfall Kahlschlag des Schutzwaldes), so könne eine nachbarrechtliche Verantwortlichkeit bestehen.

3.3 Im Anlassfall hat die Beklagte keine Veränderungen an der Felswand vorgenommen. Beim „Hinnehmen“ eines ohne menschlichen Zutuns ausschließlich natürlich entstandenen „ungebremsten Wildwuchses“ handelt es sich entgegen der Ansicht des Klägers um keine Nutzungsart der Felswand. Vielmehr liegt ein bloßes Naturwirken vor. Davon abgesehen würde die Argumentation des Klägers auch daran scheitern, dass die von ihm behauptete Gefahrenerhöhung durch den Bewuchs der Felswand gerade nicht feststeht.

3.4 In der Entscheidung 1 Ob 279/02i wurde unter Hinweis auf die vom Grundeigentümer hinzunehmenden Auswirkungen der natürlichen Beschaffenheit des Nachbargrundstücks die vom Kläger zitierte Entscheidung 5 Ob 23/71 (SZ 44/22) zutreffend abgelehnt und ausgesprochen, dass es in einem solchen Fall auf die Zumutbarkeit von Vorkehrungen nicht ankomme. Auf die zitierte alte Entscheidung kann sich der Kläger daher nicht stützen. Er kann sich auch nicht auf die Entscheidung 4 Ob 43/11v berufen. Zwar wurde in dieser Entscheidung vertreten, dass aus einem bloßen Naturwirken durch (bewusstes) Aufrechterhalten dieses Zustands eine unmittelbare Zuleitung (durch überhängende Äste) werden könne. Als entscheidend für diese Beurteilung ist allerdings die Rechtswidrigkeit des Überhangs nach § 422 ABGB anzusehen.

3.5 Auf die „nachbarrechtliche Haftung“ aus dem Ingerenzprinzip bezieht sich der Kläger in der Revision nur mehr am Rande. Dazu ist zunächst darauf hinzuweisen, dass er in der Revision auch ausführt, dass die Beklagte als Waldeigentümerin unabhängig vom Haftungsprivileg des § 176 Abs 3 ForstG in ihrer Eigenschaft als Nachbar Unterlassungspflichten treffen würden. Dieser Hinweis könnte dahin verstanden werden, dass der Kläger sein Leistungsbegehren und damit die Haftung aus dem Ingerenzprinzip gar nicht mehr weiter verfolgt.

Ungeachtet dieser Überlegung kann sich der Kläger auch nicht auf das Ingerenzprinzip stützen. Nach diesem hat jeder, der eine Gefahrenquelle schafft, die notwendigen Vorkehrungen zur Abwendung daraus drohender Gefahren zu treffen (6 Ob 21/01h). Auch diese Haftung bezieht sich auf die Abwendung einer geschaffenen Gefahr, die nicht auf die natürlichen Gefahren beispielsweise eines Waldes zurückzuführen ist. Weder ein Waldeigentümer noch andere Personen dürfen (ohne Absicherung) durch positives Tun Gefahrenquellen schaffen oder eine Gefahr bestehen lassen, die nicht zu den natürlichen Gefahren des Waldes zu zählen ist (7 Ob 171/11i).

Auch in dieser Hinsicht fehlt es im Anlassfall an einer verpflichtenden menschlichen Vorhandlung (vgl RIS‑Justiz RS0022458). In der Entscheidung 6 Ob 21/01h, auf die sich der Kläger beruft, wurde dazu festgehalten, dass die natürliche Beschaffenheit eines Hanges keine von Menschenhand geschaffene Gefahrenquelle darstellt. Dementsprechend wurde ausgesprochen, dass die Beklagte dann haftungsfrei wäre, wenn der Unfall von einem Felssturz verursacht worden wäre, der den Abgang des auf die Fahrbahn gestürzten Baumes ausgelöst hätte. Die in dieser Entscheidung bejahte Sorgfaltspflicht zur Entfernung erkennbar gefährlicher Bäume resultiert aus der besonderen (forstrechtlichen) Obsorgepflicht des Waldeigentümers, zu Gunsten der Straßenbenützer der an den Wald angrenzenden öffentlichen Straße. Zur vorbeugenden Abwehr eines vom Waldzustand drohenden Schadens abseits von Straßen ist der Waldeigentümer allerdings grundsätzlich nicht verpflichtet (§ 176 Abs 2 ForstG).

4.1 Zusammenfassend ergibt sich:

Unmittelbare Immissionen, wie direkte Zuleitungen oder das Eindringen grob körperlicher Stoffe, können mit Eigentumsfreiheitsklage abgewehrt werden. Auch solche Einwirkungen setzen ‑ mangels besonderer Rechtswidrigkeit ‑ ein begünstigendes menschliches Handeln voraus. Auswirkungen der natürlichen Beschaffenheit des Nachbargrundstücks, also bloße Natureinwirkungen, müssen daher grundsätzlich hingenommen werden. Nur bei relevanter Gefahrenerhöhung durch eine gefährliche Nutzungsart besteht für das dadurch begünstigte Naturwirken eine nachbarrechtliche Verantwortlichkeit. Auch eine Haftung nach dem Ingerenzprinzip setzt ohne sonderrechtliche Anknüpfung eine geschaffene Gefahrenquelle durch eine verpflichtende menschliche Vorhandlung voraus.

4.2 Die Entscheidungen der Vorinstanzen stehen mit diesen Grundsätzen im Einklang. Dementsprechend haben sie das Klagebegehren zutreffend abgewiesen. Der Revision des Klägers war damit der Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.

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