OGH 8Ob70/12w

OGH8Ob70/12w28.6.2012

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Spenling als Vorsitzenden und durch den Hofrat Hon.‑Prof. Dr. Kuras, die Hofrätin Dr. Tarmann-Prentner sowie die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Dr. Brenn als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj M***** S*****, und der mj S***** S*****, wohnhaft bei der Mutter U***** S*****, diese vertreten durch Mag. Franz Doppelhofer, Rechtsanwalt in Graz‑Seiersberg, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Vaters H***** S*****, vertreten durch Dr. Christine Ulm, Rechtsanwältin in Graz, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Rekursgericht vom 17. April 2012, GZ 2 R 97/12t‑170, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Graz‑Ost vom 27. Februar 2012, GZ 232 Ps 155/10b‑162, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen (§ 71 Abs 3 AußStrG).

Begründung

Rechtliche Beurteilung

1. Vermeintliche Mängel des erstinstanzlichen Verfahrens, die das Rekursgericht mit Begründung verneint hat, können im Revisionsrekurs nicht mehr geltend gemacht werden (RIS‑Justiz RS0030748; auch nicht im Außerstreitverfahren: RS0050037). Diese Anfechtungsbeschränkung kann auch nicht mit dem ‑ hier zudem in keiner Weise nachvollziehbaren ‑ Argument unterlaufen werden, das Rekursgericht habe sich mit einer Mängelrüge inhaltlich nicht ausreichend auseinandergesetzt (vgl zum Berufungsverfahren: RIS‑Justiz RS0042981 [T5, T7, T22]).

Die Voraussetzungen für eine ausnahmsweise Durchbrechung dieses Grundsatzes aus Gründen des Kindeswohls (RIS‑Justiz RS0050037 [T4]) liegen hier schon mangels Relevanz nicht vor. Der Revisionsrekurs bemängelt die Qualität des in erster Instanz eingeholten psychologischen Gutachtens, legt aber nicht dar, welche von den Feststellungen abweichende Tatsachen eigentlich mit einer erneuten Begutachtung der Kinder bewiesen werden sollten.

2. Sind beide Eltern nach Scheidung, Aufhebung oder Nichtigerklärung ihrer Ehe mit der Obsorge betraut und beantragt ein Elternteil die Aufhebung dieser Obsorge, so hat das Gericht, wenn es nicht gelingt eine gütliche Einigung herbeizuführen, nach Maßgabe des Kindeswohls einen Elternteil allein mit der Obsorge zu betrauen (§ 177a Abs 2 ABGB). Eine Aufrechterhaltung der Obsorge beider Eltern (auch nur in einem Teilbereich) ist gegen den Willen eines Elternteiles ausgeschlossen. Die Entscheidung, welcher Elternteil mit der alleinigen Obsorge zu betrauen ist, hängt dabei allein vom Kindeswohl ab (RIS‑Justiz RS0120492).

3. Die nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffende Entscheidung, welchem Elternteil bei Gegenüberstellung der Persönlichkeit, Eigenschaften und Lebensumstände die Obsorge für das Kind übertragen werden soll, ist immer eine solche des Einzelfalls, der in der Regel keine grundsätzliche Bedeutung iSd § 62 Abs 1 AußStrG zukommt, sofern dabei auf das Kindeswohl ausreichend Bedacht genommen wurde (RIS‑Justiz RS0007101, RS0115719).

Eine vom Obersten Gerichtshof im Interesse der Rechtssicherheit aufzugreifende Fehlbeurteilung ist in diesem Fall nicht erkennbar. Die inhaltlichen Ausführungen des Revisionsrekurses erschöpfen sich vielmehr in dem Versuch, die in dritter Instanz nicht mehr überprüfbaren klaren Tatsachenfeststellungen zur gegenwärtigen Betreuungssituation, den eigenen Wünschen der Kinder auf deren Beibehaltung und den voraussichtlich negativen Folgen eines Wechsels in Frage zu stellen.

4. Gegen die Bestimmung des § 177a Abs 2 ABGB bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken (2 Ob 266/05i uva; zuletzt 3 Ob 27/12k; 5 Ob 84/11f; RIS‑Justiz RS0120492).

Den vom Revisionsrekurswerber ins Treffen geführten Entscheidungen des EGMR vom 3. Dezember 2009 (Zaunegger gegen Deutschland, ÖJZ 2010/2) und vom 3. Februar 2011 (Sporer gegen Österreich, NL 2011, 35) liegt ein ganz anders gelagerter Sachverhalt zu Grunde. Jene Verfahren hatten die Obsorge für außerehelich geborene Kinder und das generelle Fehlen der gesetzlichen Möglichkeit einer gemeinsamen Obsorge der Eltern in dieser Konstellation zum Gegenstand.

Im vorliegenden Verfahren war der Rechtsmittelwerber als ehelicher Vater nicht von einer gemeinsamen Obsorge ausgeschlossen, sondern bestand zwischen den geschiedenen Eltern tatsächlich über längere Zeit eine solche Regelung. Das für deren sinnvolle Ausübung notwendige Einvernehmen der Eltern ist mittlerweile aber weggefallen, zumal beide widerstreitende Anträge auf Zuteilung der jeweils alleinigen Obsorge gestellt haben. Nur über den Inhalt dieser Anträge ‑ und nicht über die Frage, ob theoretisch auch eine gemeinsame Obsorge weiterhin denkbar wäre ‑ hatten die Vorinstanzen zu entscheiden.

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