Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die Beklagten sind zur ungeteilten Hand schuldig, dem Kläger die mit S 7.808,- bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin die Barauslagen von S 960,- und die Umsatzsteuer von S 622,55) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
In der Nacht vom 3. auf 4.6.1983 ereignete sich im Ortsgebiet von Graz auf der Kreuzung Elisabethstraße-Beethovenstraße ein Verkehrsunfall, an dem der Kläger als Lenker und Halter des Motorrades T 6.876 und die Zweitbeklagte als Lenkerin und Halterin des bei der Erstbeklagten gegen Haftpflicht versicherten PKWs Ford-Escort, pol. Kennzeichen K 200.822, beteiligt waren. Die Zweitbeklagte wurde wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung verurteilt, wobei ihr zur Last gelegt wurde, den Unfall durch mangelhafte Beobachtung der Fahrbahn und durch Mißachtung des dem Kläger zustehenden Vorranges verschuldet zu haben. Der Kläger begehrte von den Beklagten die Bezahlung von S 505.768,70 s.A. (S 250.000,-- Verunstaltungsentschädigung, S 400.000,-- Schmerzengeld, S 5.100,-- Nachhilfekosten und S 668,70 Heilbehandlungskosten abzüglich einer Akontierung von S 150.000,--) und stellte ein entsprechendes Feststellungsbegehren auf Haftung der Beklagten für alle Folgen aus dem Unfall.
Die Beklagten beantragten die Abweisung des Klagebegehrens. Von der hier nicht mehr relevanten Einwendung des Mitverschuldens abgesehen, bekämpften sie die geltend gemachten Ersatzansprüche als zu hoch.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren s.A. statt.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten teilweise Folge und änderte das erstgerichtliche Urteil dahin ab, daß es dem Kläger nur S 455.768,70 s.A. zuerkannte und das Mehrbegehren von S 50.000 abwies. Den Feststellungsausspruch bestätigte es. Gegen die Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz richtet sich die Revision der Beklagten aus dem Anfechtungsgrund des § 503 Abs1 Z 4 ZPO mit dem Antrag, das berufungsgerichtliche Urteil dahin abzuändern, daß dem Kläger nur S 305.768,70 s.A. zugesprochen, ein Mehrbegehren von S 200.000 aber abgewiesen werden möge. Die Revision betrifft nur die Höhe des Schmerzengeldes und der Verunstaltungsentschädigung.
Der Kläger beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.
Die Revision ist in vollem Umfang zulässig, weil die in einem Geldbetrag bestehenden Streitwerte hinsichtlich der Abänderung S 15.000 und der Bestätigung S 60.000 übersteigen und der Streitwert, über den das Berufungsgericht entschied, jedenfalls über S 300.000 liegt.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist jedoch nicht berechtigt.
Zu dem hier noch relevanten Fragenkomplex trafen die Vorinstanzen folgende Feststellungen:
Durch den Unfall erlitt der am 18.2.1963 geborene Kläger ein schwerstes und lebensbedrohendes Schädelhirntrauma mit Epiduralhämatom links, eine temporoparietale Schädelfraktur links, eine Aspiration des rechten Oberlappens und einen Verschluß der Arteria cerebri posterior links. Er gelangte in bewußtlosem Zustand und komatös in die Grazer Universitätsklinik, wo er vorerst bewußtlos blieb und ein apallisches Durchgangssyndrom entwickelte. Nachdem er schließlich langsam erwacht war, mußte der Kläger langanhaltend mit einer Sonde ernährt werden. Ab 16.6.1983 konnte der Kläger mit der Aufnahme von Oralnahrung beginnen. Er wurde langsam mobilisiert und zeigte sich ansprechbar und verlangsamt, jedoch kooperativ. Der Kläger mußte vorerst bis 30.6.1983 in der Intensivpflegeeinheit der Universitätsklinik für Anästhesie Graz stationär behandelt werden und wurde dann - über ärztlichen Rat - auf dem Luftweg an die neurologische Universitätsklinik Innsbruck tranferiert, wo er bis 5.8.1983 einer intensiven neurologischen Rehabilitationsbehandlung unterzogen und beim Rückgang der neurologischen Beschwerdesymptomatik intensiv ergotherapeutisch und logopädisch betreut wurde. Er mußte in dieser Zeit sprechen, schreiben und lesen neu lernen. Während der Behandlung trat auch eine Besserung des apallischen Durchgangssyndroms ein.
Nach der am 5.8.1983 erfolgten Entlassung aus der stationären Behandlung mußte sich der Kläger einer ambulanten Nachbehandlung unterziehen.
Bei einem weiteren, vom 6.12.1983 bis 14.12.1983 dauernden Krankenaufenthalt wurde als Ersatz für einen ausgesägten Knochendeckel ein Kunstdeckel eingepflanzt, welcher Eingriff komplikationsfrei verlief. Die Maßnahme hatte eine kosmetisch nicht oder nur wenig störende Narbe im Bereich der linken Schläfe zur Folge.
Verblieben ist eine ausgedehnte substantielle Hirnschädigung links temporal mit Halbseitenblindheit nach rechts, eine leichte Beeinträchtigung der Feinmotorik der rechten Hand, eine mäßiggradige, vorwiegend expressive und mnetische Sprachstörung, damit verbunden auch eine "Lese-, Schreib- und Rechenschwäche", und eine leichte Apraxie sowie ein leicht- bis mittelgradiges hirndiffuses organisches Psychosyndrom mit Merkfähigkeits-, Aufmerksamkeits- und Antriebsschwäche und eine leichte Beeinträchtigung der Affektivität.
Der Kläger hat sich zwar seit der Beendigung seiner stationären Krankenhausbehandlung bemüht, die verletzungsbedingten Ausfallserscheinungen zu kompensieren, konnte hiebei aber nur bescheidene Fortschritte erzielen. Die beschriebenen Unfallfolgen werden mit hoher Wahrscheinlichkeit auf Dauer verbleiben. Eine wesentliche Besserung ist nicht wahrscheinlich. Der Kläger, der seinen Zustand zu erkennen in der Lage ist, ist auf Grund der Unfallfolgen zwar nicht hilflos und auch nicht erwerbsunfähig, doch besteht eine dauernde Invalidität von 80 %.
Zum Unfallszeitpunkt war der Kläger Student der Elektrotechnik an der Universität Graz. Er wollte dieses Studium mit der Qualifikation eines Diplomingenieurs für Elektrotechnik abschließen. Ohne den Unfall hätte er das Studienziel mit hoher Wahrscheinlichkeit nach üblicher Studienzeit erreicht. Infolge des Unfalles verlor der Kläger einen Großteil seines bis dahin erworbenen Wissens. Er war in der Folge intensiv bestrebt, sich dieses Wissen wieder anzuzeigen, was aber nur hinsichtlich eines Teiles des Maturawissens gelungen ist. Der Kläger hat eine Fortsetzung des Studiums zwar versucht, blieb aber damit erfolglos. Es besteht mit Sicherheit keine Aussicht mehr, das begonnene Studium jemals wieder erfolgreich fortsetzen und abschließen zu können. Der Kläger wird daher unfallbedingt das von ihm angestrebte Berufsziel nicht erreichen. Er hat inzwischen versucht, einen kaufmännischen Ausbildungskurs zu absolvieren, blieb aber auf Grund der Unfallfolgen auch hier ohne Erfolg. Derzeit ist der Kläger als Hilfskraft in einem Betrieb beschäftigt, in dem sein Vater als Geschäftsführer tätig ist und in dem auch seine Mutter arbeitet. Er kann mit dieser Tätigkeit ein Nettoeinkommen von etwa S 8.000,-- im Monat erzielen. Im wesentlich handelt es sich bei der derzeitigen Beschäftigung des Klägers um eine soziale Maßnahme, mit der bezweckt wird, ihn einer nach seinen Möglichkeiten sinnvollen Beschäftigung zuzuführen. Geistig anspruchsvolle Berufe kann der Kläger unfallbedingt nicht mehr ergreifen. Darüber hinaus sind ihm aber auch Berufe verschlossen, die ein Stereosehen oder eine Tätigkeit an exponierten Stellen erfordern. Der Kläger hat eine befristete Lenkerberechtigung erhalten, mutet sich aber das Lenken von Fahrzeugen nicht mehr zu und sollte eine solche Tätigkeit auf Grund der Unfallfolgen aus ärztlicher Sicht unterlassen.
Vor dem Unfall war der Kläger ein gesunder und altersgemäß entwickelter junger Mann. Nunmehr ist er im Umgang mit anderen Personen und insbesondere im Umgang mit Mädchen gehemmt und verlangsamt. Abgesehen von der kaum störenden Narbe im Bereich der linken Schläfe ist das äußere Erscheinigungsbild des Klägers nicht beeinträchtigt. Auch die Halbseitenblindheit nach rechts fällt äußerlich nicht auf. Auf Grund der Unfallfolgen sind aber die Heiratsaussichten des bisher ledigen Klägers vermindert und es besteht insgesamt nicht nur die Gefahr, sondern eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit, daß das bessere Fortkommen des Klägers unfallsbedingt verhindert ist.
Bis etwa Ende März 1985 hatte der Kläger gerafft unfallbedingt Schmerzen starken Grades in der Dauer von 20 Tagen, Schmerzen mittleren Grades in der Dauer von 40 Tagen und Schmerzen leichten Grades in der Dauer von 65 Tagen. Unter der Voraussetzung, daß es in der Zukunft zu keiner Komplikation kommt, sind für die Zukunft - ebenfalls komprimiert betrachtet - auf Grund der Unfallverletzungen weitere Schmerzempfindungen, und zwar Schmerzen leichten Grades - insbesondere in Form von Kopfschmerzen - in der Dauer von 7 bis 10 Tagen jährlich zu erwarten.
Das Erstgericht hielt ein Schmerzengeld von S 400.000 und eine Verunstaltungsentschädigung von S 250.000 für angemessen. Auch das Berufungsgericht gelangte zu einem Schmerzengeldbetrag von S 400.000. Hinsichtlich der Verunstaltungsentschädigung erachtete es jedoch einen betrag von nur S 200.000 für berechtigt. Demgegenüber stellen sich die Beklagten in der Revision auf den Standpunkt, daß ein Schmerzengeld von S 300.000 und eine Verunstaltungsentschädigung von S 150.000 ausreichend wären. Ihren Ausführungen kommt jedoch keine Berechtigung zu:
1. Schmerzengeld:
Nach ständiger Rechtsprechung sind bei der Bemessung des Schmerzengeldes die Art und Schwere der Körperverletzung, die Art und Dauer der Schmerzen, sowie die Dauer der Beeinträchtigung des Gesundheitszustandes und die damit verbundenen Unlustgefühle zu berücksichtigen (8 Ob 127/83; 2 Ob 23/84; ZVR 1985/102 uza). Es ist umso höher zu bemessen, je bedeutender die körperliche Verletzung, je länger die Heilung oder Gesundheitsstörung, je intensiver die mit der Verletzung verbundenen Schmerzen und je empfindlicher die üblen Folgen für das Leben und die Gesundheit des Verletzten sind (8 Ob 244,245/70; 2 Ob 41,42/83 ua). Letzteres Kriterium ist im vorliegenden Fall besonders gravierender Art: Der Kläger war vor dem Unfall ein Student der Elektrotechnik mit ausgezeichneten Berufschancen; er durfte ein Leben erwarten, in welchem er die Verwirklichung seiner Ziele auf der Basis des Vollgebrauches seiner geistigen Fähigkeiten erreichen konnte. Wegen der überaus schweren Kopfverletzung ist er nunmehr - wie aus den Feststellungen der Vorinstanzen eindeutig hervorgeht - auf die soziale Fürsorge seiner Umwelt angewiesen. Bedenkt man weiters, daß der Kläger ungefähr vier Monate lang nur mit einer Sonde ernährt werden konnte und faktisch ebensolang in der Intensivpflegeeinheit der Universitätsklinik Graz behandelt werden mußte, zeigt sich die lebensbedrohende Kopfverletzung auch aus diesem Gesichtspunkt her in ihrer ganzen Schwere. Es kann daher kein Grund dafür gefunden werden, das dem Kläger von den Vorinstanzen mit S 400.000 ausgemessene Schmerzengeld auch nur geringfügig herabzusetzen.
2. Verunstaltungsentschädigung:
Dem Berufungsgericht ist zwar insoweit ein Irrtum unterlaufen, als es bei der Bemessung der Verunstaltungsentschädigung auch die Verhinderung des besseren Fortkommens des Klägers "im Rahmen der Ausnützung seiner stark verminderten Erwerbsfähigkeit" berücksichtigte. Von dem Entschädigungsanspruch nach § 1326 ABGB wird nämlich eine allfällige, durch die Verletzungsfolgen bewirkte Minderung der Erwerbsfähigkeit nicht erfaßt (8 Ob 162/78; 2 Ob 136/81; 8 Ob 8/85; vgl ZVR 1984/322 ua). Im Ergebnis ist dem Gericht zweiter Instanz aber zuzustimmen, daß die Verhinderung des besseren Fortkommens des Klägers infolge seiner V e r u n s t a l t u n g nicht in Zweifel gezogen werden kann. Verunstaltung ist insoweit kein medizinischer Begriff, sondern vielmehr nach der Lebensanschauung zu beurteilen (ZVR 1984/45 uza). Darnach kann es aber keinem Zweifel unterliegen, daß Folgeerscheinungen einer Hirnleistungsschwäche, wie sie hier vorliegen, als Verunstaltung im Sinne des § 1326 ABGB zu qualifizieren sind (ZVR 1970/81; 8 Ob 50/82 ua). Der verlangsamte Umgang mit anderen Personen, die Halbseitenblindheit, die Beeinträchtigung der Feinmotorik der rechten Hand und die verbliebene Sprachstörung des Klägers zeigen insgesamt ein Erscheinungsbild schwerer Beeinträchtigung des äußeren Gehabens und sind daher als gravierende Verunstaltung anzusehen. Daß diese geeignet ist, das berufliche Fortkommen des Klägers aber noch weit mehr seine Heiratsaussichten schwer zu beeinträchtigen, bedarf keiner weiteren Erörterung. Maßgebend für die Höhe der Entschädigung nach § 1326 ABGB sind insbesondere das Ausmaß der Entstellung, die hieraus allenfalls abzuleitenden Schlüsse auf die Art der Verletzung sowie die Größe der Wahrscheinlichkeit der Verhinderung des besseren Fortkommens und der Minderung der Heiratsaussichten (ZVR 1985/8 ua). Berücksichtigt man daher, daß das vorhandene Erscheinungsbild des Klägers zwangsläufig auf seine schwere Kopfverletzung und demnach auf einen gravierenden geistigen Defekt hinweist und daß dies sowohl bei der Partnersuche als auch im Berufsleben überaus nachteilig ist, kann in dem vom Berufungsgericht ausgemessenen Verunstaltungsbetrag letztlich ein Rechtsirrtum nicht erblickt werden.
Der Revision war somit der Erfolg zu versagen.
Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)