OGH 8Ob635/87

OGH8Ob635/875.11.1987

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Stix als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Kropfitsch und Dr. Zehetner als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Elfriede B***, geboren am 14. Mai 1962 in Senftenbach, Hausfrau, 4984 Weilbach 15, vertreten durch Dr. Thomas Langer, Rechtsanwalt in Linz, wider die beklagte Partei Ernst B***, geboren am 31. August 1943 in Uttendorf, Forstarbeiter, derzeit Strafvollzugsanstalt Garsten, vertreten durch Dr. Manfred Denkmayr, Rechtsanwalt in Mauerkirchen, wegen Ehescheidung, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 3. Juni 1987, GZ 2 R 20/87-35, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Kreisgerichtes Ried im Innkreis vom 10. November 1986, GZ 1 Cg 195/86-25, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 3.397,35 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin Umsatzsteuer von S 308,85, keine Barauslagen) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die am 14. Mai 1962 geborene Klägerin und der am 31.August 1943 geborene Beklagte haben am 6. Februar 1982 vor dem Standesamt Weilbach die Ehe geschlossen. Es handelte sich beiderseits um die erste Ehe. Beide Streitteile sind österreichische Staatsangehörige; ihren letzten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt hatten sie in Weilbach. Der Ehe der Streitteile entstammt die am 10. Dezember 1982 geborene Tochter Elfriede. Überdies gebar die Klägerin am 10. Juli 1986 ein weiteres Kind, nämlich eine Tochter namens Nathalie, für deren Ehelichkeit die Vermutung des § 138 Abs 1 ABGB spricht.

Im vorliegenden Rechtsstreit begehrte die Klägerin die Scheidung ihrer Ehe mit dem Beklagten, weil die eheliche Gemeinschaft seit April 1983 aufgehoben und die Ehe tiefgreifend und unheilbar zerrüttet sei. Darüber hinaus habe der Beklagte die Klägerin praktisch nur ausgenützt und zu strafbaren Handlungen mißbraucht und bestimmt und dadurch die Ehe schuldhaft so zerrüttet, daß mit der Wiederherstellung einer dem Wesen der Ehe entsprechenden Lebensgemeinschaft nicht mehr zu rechnen sei.

Der Beklagte bestritt die Zerrüttung der Ehe und ein Verschulden daran. Für den Fall der Scheidung der Ehe beantragte er, das Alleinverschulden oder zumindest das überwiegende Verschulden der Klägerin an der Zerrüttung der Ehe festzustellen, weil sie seit mehreren Jahren ein ehewidriges Verhältnis zu Gerhard B*** habe, mit dem sie seit mindestens 1984 die Ehe breche; B*** sei auch der Vater des zuletzt von der Klägerin geborenen Kindes. Das Erstgericht schied die Ehe der Streitteile gemäß § 49 EheG aus beiderseitigem gleichteiligem Verschulden.

Es stellte im wesentlichen folgenden Sachverhalt fest:

Der zwölfmal vorbestrafte Beklagte lernte im Oktober 1980 die unbescholtene, damals erst 18 Jahre alte Klägerin kennen. Trotz Kenntnis dieser Vorstrafen ging die Klägerin mit dem Beklagten eine Lebensgemeinschaft ein. Der Beklagte war schon jahrelang mit Holzschlägerungen beschäftigt, bekam aber wegen seiner Vorstrafen keine Gewerbeberechtigung. Er überredete daher die Klägerin, dieses Gewerbe im August 1981, noch vor ihrer Heirat, anzumelden. Die Klägerin hatte von der Führung eines solchen Unternehmens keine Ahnung; tatsächlich wurde es auch vom Beklagten geführt. Von 1981 bis 1983 begingen die Streitteile im Zusammenhang mit diesem Holzschlägerungsunternehmen eine Reihe von Straftaten, deretwegen sie wegen des Verbrechens des schweren gewerbsmäßigen Betruges verurteilt wurden. Die bedingte Nachsicht der über die Klägerin verhängten zweijährigen Freiheitsstrafe begründete der Schöffensenat damit, daß die Klägerin lediglich durch ihren Gatten zur Betrügerin geworden sei. Der Beklagte wurde zu viereinhalb Jahren Freiheitsstrafe verurteilt und befindet sich seit 6. April 1983 ununterbrochen in Haft.

Die Untersuchungshaft der Klägerin dauerte vom 6. April bis zum 27. Mai 1983. Bis Oktober 1984 besuchte sie ihren Gatten noch mehrmals im Gefangenhaus, einerseits, weil sie ihn nicht "hängen" lassen wollte, andererseits, weil sie wußte, wie sehr er am gemeinsamen Kind hängt. Durch die Untersuchungshaft und die Trennung vom Beklagten erfaßte die Klägerin aber mehr und mehr, daß sie letztlich durch den Beklagten straffällig geworden war. Es wurde ihr auch bewußt, daß sie aus dem Holzschlägerungsunternehmen und den Straftaten für Schulden im Ausmaß von S 600.000,-- haften müsse. Im Lauf des Jahres 1984 fand die Klägerin nach dem Abklingen eines anfänglichen Solidaritätsgefühles mehr und mehr in die Wirklichkeit zurück und wies dem Beklagten die Schuld an ihrer tristen wirtschaftlichen und persönlichen Lage zu; der immer deutlicher werdenden Entfremdung folgte letztlich ein Wegfall der Ehegesinnung. Dies äußerte sich darin, daß die Klägerin Ende Oktober 1984 die Scheidungsklage zu 1 Cg 412/84 des Kreisgerichtes Ried im Innkreis erhob, die sie jedoch im Berufungsverfahren ohne Anspruchsverzicht zurückzog. Kurz darauf brachte sie die vorliegende Klage ein. Die Klägerin unterhält seit Herbst 1985 ehewidrige Beziehungen zu Gerhard B***, der mutmaßlich der Vater der am 10. Juli 1986 geborenen zweiten Tochter der Klägerin ist. Die eheliche Lebensgemeinschaft der Streitteile ist zerrüttet, einerseits wegen der ehewidrigen Beziehungen der Klägerin, andererseits aber auch deshalb, weil sie seit Herbst 1984 die Schuld des Beklagten an ihrer persönlichen und wirtschaftlichen Situation erfaßte, dadurch eine Entfremdung eintrat und die Ehegesinnung wegfiel.

Rechtlich beurteilte das Erstgericht den festgestellten Sachverhalt im wesentlichen dahin, daß die Voraussetzungen des § 55 EheG nicht gegeben seien, die Ehe aber aus gleichteiligem Verschulden beider Streitteile nach § 49 EheG zu scheiden sei. Dem Beklagten falle zur Last, daß er die neunzehnjährige unbescholtene Klägerin zu Betrügereien veranlaßt habe, während die Klägerin das ehewidrige und ehebrecherische Verhältnis mit Gerhard B*** gegen sich gelten lassen müsse. Dieses Verschulden wiege aber nicht schwerer, weil es schon in die Zeit der Auflösung der ehelichen Gemeinschaft falle.

Der gegen diese Entscheidung gerichteten Berufung des Beklagten gab das Berufungsgericht mit dem angefochtenen Urteil keine Folge. Das Berufungsgericht übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes und führte rechtlich im wesentlichen aus, bei der Verschuldensabwägung seien die von den Ehegatten begangenen Eheverfehlungen in ihrer Gesamtheit gegenüberzustellen. Dabei sei vor allem zu berücksichtigen, wer mit der Zerrüttung der Ehe den Anfang gemacht habe und wieweit spätere Eheverfehlungen des einen Ehegatten die Folge der bereits durch das Verschulden des anderen Ehegatten eingeleiteten Zerrüttung der Ehe gewesen seien. Unter dem Gesichtspunkt, daß in erster Linie zu berücksichtigen sei, wer mit der Zerrüttung der Ehe den Anfang gemacht habe, könne auch ein Ehebruch bei der Ausmessung des dem anderen Ehegatten anzulastenden Verschuldens in anderem Licht erscheinen, wenn er zu einem Zeitpunkt gesetzt worden sei, als die Ehe wegen des Verhaltens des anderen Ehegatten bereits zerrüttet gewesen sei. Allerdings dürfe eine derart schwere Eheverfehlung wie ein Ehebruch auch nicht bagatellisiert werden.

Im vorliegenden Fall sei die Zerrüttung der Ehe dadurch eingeleitet worden, daß der Beklagte die Klägerin zu strafbaren Handlungen verleitet habe, was ihr seit der Untersuchungshaft im Jahr 1983 immer deutlicher zu Bewußtsein gekommen sei und auslösend dafür gewesen sei, daß sie die eheliche Gesinnung im Lauf des Jahres 1984 verloren habe. Daß die Klägerin den Beklagten in der Haft anfänglich noch besucht habe, spreche nicht dagegen, weil die Klägerin erst allmählich erfaßt habe, in welche triste wirtschaftliche und persönliche Lage sie der Beklagte gebracht habe. Auch das gemeinsame Kind sei ein Grund gewesen, den Beklagten noch durch längere Zeit zu besuchen. Der Abschluß dieses Bewußtseinsbildungsprozesses werde am deutlichsten dadurch gekennzeichnet, daß die Klägerin im Oktober 1984 die Scheidungsklage mit der Begründung, der Beklagte sei wegen Betrügereien zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden, eingebracht habe. Die nachfolgenden Verfehlungen der Beklagten in Form ehewidriger und ehebrecherischer Beziehungen zu Gerhard B*** seien nur mehr die Folge der vom Beklagten herbeigeführten Zerrüttung der Ehe. Diese Verfehlungen der Klägerin träten gegenüber jenen des Beklagten weder völlig in den Hintergrund noch aber mit einem erheblichen graduellen Unterschied hervor, sodaß vom überwiegenden Verschulden eines der beiden Streitteile nicht gesprochen werden könne. Gegen dieses Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision des Beklagten. Er bekämpft es aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, "daß das alleinige oder überwiegende Verschulden der Klägerin an der Zerrüttung der Ehe ausgesprochen werde"; hilfsweise stellt er einen Aufhebungsantrag. Die Klägerin hat eine Revisionsbeantwortung mit dem Antrag erstattet, der Revision des Beklagten keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Soweit der Beklagte in seiner Rechtsrüge versucht, die Richtigkeit der von den Vorinstanzen als feststehend angenommenen tatsächlichen Entscheidungsgrundlagen zu bekämpfen, ist sein Rechtsmittel nicht dem Gesetz gemäß ausgeführt; auf die diesbezüglichen Rechtsmittelausführungen ist nicht weiter einzugehen. Geht man von den von den Vorinstanzen getroffenen Feststellungen aus, dann erweist sich auch ihre rechtliche Beurteilung als zutreffend.

Bei der Beurteilung eines Mitverschuldens im Sinne des § 60 Abs 3 EheG müssen die beiderseitigen Eheverfehlungen in ihrem Zusammenhang gesehen werden, wobei es nicht nur auf den Grad der Verwerflichkeit der einzelnen Ehewidrigkeiten ankommt, sondern auch darauf, wie weit sie einander bedingten und welchen ursächlichen Anteil sie am Scheitern der Ehe hatten. Maßgebend ist das Gesamtverhalten der Ehegatten und nicht die Zahl, sondern das Gewicht ihrer Eheverfehlungen, ihre Reihenfolge und ihr Beitrag zur Zerrüttung der Ehe (EFSlg 46.235; EFSlg 48.824; 5 Ob 544/87 ua). Das überwiegende Verschulden eines Ehegatten (der vom Beklagten primär angestrebte Ausspruch des alleinigen Verschuldens der Klägerin kommt bei der von ihm unbekämpft gebliebenen Scheidung der Ehe aus einem Verschulden des Beklagten im Sinne des § 49 EheG nicht in Betracht) ist nur auszusprechen, wenn die Schuld des einen Gatten erheblich schwerer ist und das Verschulden des anderen fast völlig in den Hintergrund tritt (EFSlg 46.242; EFSlg 48.832 uva). Der vom Obersten Gerichtshof wiederholt ausgesprochene Grundsatz, daß nach unheilbarer Zerrüttung der Ehe begangene Eheverfehlungen bei der Beurteilung der Frage, welchen der beiden Ehegatten das überwiegende Verschulden trifft, keine entscheidende Rolle spielen (EFSlg 46.237; EFSlg 48.829 uva), gilt auch für den Ehebruch. Auch ein solcher muß in einem milderen Licht erscheinen, wenn er zu einem Zeitpunkt gesetzt wurde, als die Ehe wegen des Verhaltens des anderen Ehegatten bereits unheilbar zerrüttet war. Er stünde dann nicht einmal dem Ausspruch des überwiegenden Verschuldens des anderen Ehegatten entgegen (EFSlg 43.688; EFSlg 48.830; EFSlg 48.831 ua).

Geht man von diesen rechtlichen Grundsätzen aus, dann ist in den Entscheidungen der Vorinstanzen über den Verschuldensausspruch ein Rechtsirrtum zu Lasten des Beklagten nicht zu erkennen. Denn nach den für die rechtliche Beurteilung maßgebenden und im Revisionsverfahren nicht mehr bekämpfbaren Feststellungen der Vorinstanzen hatte die Klägerin zufolge des ehewidrigen Verhaltens des Beklagten (Einbeziehung der Klägerin in seine Straftaten) bereits im Herbst 1984 die eheliche Gesinnung völlig verloren, was sie im übrigen mit der Einbringung einer Scheidungsklage gegen den Beklagten durchaus deutlich zum Ausdruck brachte. Damit war bereits die unheilbare Zerrüttung der Ehe eingetreten (SZ 36/124; EFSlg 43.629; EFSlg 46.178; EFSlg 48.763 ua); die Aufnahme der ehebrecherischen Beziehungen der Klägerin mit Gerhard B*** erfolgte nach den Feststellungen der Vorinstanzen erst später. Damit kommt aber im Sinne obiger Rechtsausführungen dem ehebrecherischen Verhältnis der Klägerin nicht mehr ein solches Gewicht zu, daß es gerechtfertigt erschiene, ihr überwiegendes Verschulden auszusprechen.

Der Revision des Beklagten muß daher ein Erfolg versagt bleiben. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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