European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1985:0080OB00626.850.1127.000
Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Der Beklagte ist schuldig, der Klägerin die mit S 3.553,50 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin die Barauslagen von S 600.‑ und die USt. von S 268,50) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Die zwischen den Streitteilen am 30. 9. 1978 vor dem Standesamt T***** geschlossene und unter Nr. 18/1978 beurkundete Ehe wurde aus dem Verschulden des Beklagten im ersten Rechtsgang rechtskräftig geschieden. Gegenstand des zweiten Rechtsganges bildet der vom Beklagten gestellte Antrag, das überwiegende Mitverschulden der Klägerin festzustellen (AS 69).
Das Erstgericht wies den Mitschuldantrag ab.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten nicht Folge, sondern bestätigte die erstgerichtliche Entscheidung.
Dagegen richtet sich die Revision des Beklagten, in welcher er Mangelhaftigkeit des berufungsgerichtlichen Verfahrens und unrichtige rechtliche Beurteilung geltend macht und beantragt, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß das überwiegende Verschulden der Klägerin an der Zerrüttung der Ehe festgestellt werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Die Klägerin beantragt in der Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Zunächst ist darauf zu verweisen, daß nach dem rechtskräftigen Scheidungsurteil der Beklagte durch sein grundloses Verlassen der Klägerin schwere Eheverfehlungen im Sinne des § 49 EheG begangen hat. Im übrigen gingen die Vorinstanzen bei dem hier allein noch relevanten Streitpunkt von folgendem Sachverhalt aus:
Bei der Klägerin besteht seit 1976 eine multiple Sklerose, wobei es sich um eine Systemkrankheit des Gehirns handelt. Diese Krankheit ist schleichend entstanden, mit Muskelschwäche, starker Ermüdbarkeit und Unsicherheit beim Gehen. In weiterer Folge kam es zu einer ausgesprochen spastisch ataktischen Lähmung der unteren Extremitäten mit ausgeprägten Gehstörungen, vorübergehend auch zu Doppelbildern und zu einer sogenannten retrobulbären Neuritis. Die Diagnose war der Klägerin bereits 1977 bekannt. Anfänglich war gesagt worden, daß sie an einer Encephalomyelitis leidet. Die Klägerin konnte sich darunter nichts vorstellen. Die Diagnose der multiplen Sklerose ist über Jahre hinweg unsicher; es ist eine Erfahrungstatsache, daß Ärzte in der Regel bei der Mitteilung der endgültigen und verbindlichen Diagnose zurückhaltend sind. Die multiple Sklerose führt in ihrem weiteren Verlauf in der Regel zu psychischen Veränderungen. 1977 war die Beklagte wegen ihres Leidens an der neurologischen Abteilung des Landeskrankenhauses K*****, was der Beklagte schon vor der Heirat wußte. Er hatte bemerkt, daß die Klägerin schwer und mitunter auch stolpernd ging. Der Gesundheitszustand der Klägerin verschlechterte sich im Laufe der Zeit immer mehr. Der Beklagte wußte zur Zeit der Eheschließung auch, daß die Klägerin bei Nervenfacharzt Dr. Z***** immer wieder in Behandlung war. Diese Behandlung wurde nach der Eheschließung fortgesetzt, was dem Beklagten ebenfalls bekannt war. Bis Oktober 1978 fuhr die Klägerin Auto; dann war sie hiezu – sie konnte die Pedale nicht mehr sicher bedienen – nicht mehr in der Lage. Der Beklagte hätte sich vor der Eheschließung Kenntnis über die Art und den voraussichtlichen Verlauf der Krankheit der Klägerin durch Befragen des behandelnden Arztes verschaffen können. Zur Zeit der Auflösung der häuslichen Gemeinschaft im Mai 1979 hatte die Klägerin noch keine Kenntnis über den weiteren Verlauf ihrer Krankheit. Sie rechnete nicht damit, daß ihr Zustand einmal ein solcher sein würde, wie er vom Sachverständigen Dr. K***** im August 1983 geschildert wurde; die Klägerin kann allein nicht mehr gehen oder sich vom Stuhl erheben. Sie ist in ihrer Ausdrucksweise und in ihren Bewegungen verlangsamt und schwer besinnlich. Sie kann allein auch nicht stehen.
Sowohl das Erstgericht als auch das Berufungsgericht vertraten die Auffassung, daß der Klägerin aus dem festgestellten Sachverhalt eine schwere Eheverfehlung nach § 60 Abs. 3 EheG nicht angelastet werden könne.
Der Beklagte vertritt in der Revision einen gegenteiligen Standpunkt. Seine Ausführungen sind nicht stichhältig:
Wie der Oberste Gerichtshof mehrfach erkannte, ist eine Eheverfehlung dann als schwer zu bezeichnen, wenn sie im allgemeinen und objektiv in den Lebens‑ und Berufskreis der Ehegatten – bei einem selbst mit rechter ehelicher Gesinnung erfüllten und daher auch zur Nachsicht bereiten Ehegatten – eine völlige Entfremdung herbeiführen würde (EF‑Slg 36.294, 29.495, 24.943, 41.179). Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Der Klägerin kann kein Vorwurf daraus gemacht werden, daß sie ihre schwere Krankheit nicht richtig einschätzte und in ihrer Konsequenz psychisch so weit wie möglich zu verdrängen suchte. Der Beklagte war ständig mit ihrem Krankheitsbild konfrontiert; es wäre an ihm gelegen, ihr mit rechter ehelicher Gesinnung beizustehen; dazu hätte gehört, daß er sich als nur mittelbar Betroffener selbst ein genaues Bild über den voraussichtlichen Krankheitsverlauf und dessen Heilungschancen verschafft hätte. Statt dessen löste er die häusliche Gemeinschaft im Mai 1979 auf. Damals hatte die Klägerin noch keine Kenntnis über das ganze Ausmaß ihres bevorstehenden Leidens. Es bedarf keiner weiteren Ausführungen mehr, um die Haltlosigkeit des in der Revision enthaltenen Vorwurfs dahin aufzuzeigen, daß der Klägerin nicht zugemutet werden kann, auf eheliche Gefühle des Beklagten in einer Weise Bedacht zu nehmen, daß diesem die erforderliche Beistandsleistung abgenommen und ihm ihre ganze Hilfsbedürftigkeit früher als von ihr vorausgeahnt unterbreitet worden wäre.
Seiner Revision war somit der Erfolg zu versagen.
Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.
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