European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1984:0080OB00609.840.1004.000
Spruch:
Dem Revisionsrekrus wird nicht Folge gegeben.
Begründung:
Die am 19. 10. 1975 geborene Bettina P***** ist ein eheliches Kind des Dipl.Ing. Ernst und der Eveline P*****. Die Ehe der Eltern wurde mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 15. 12. 1976, 17 Cg 455/76‑5, aus beiderseitigem Verschulden geschieden. Nach dem pflegschaftsbehördlich genehmigten Scheidungsvergleich stehen die Elternrechte der Mutter allein zu. Seit der Scheidung der Eltern lebt das Kind in Pflege und Erziehung der Mutter, die mit dem Kind den 1. Stock des Einfamilienhauses der Großeltern mütterlicherseits bewohnt. Die Mutter studiert seit vielen Jahren Architektur, wobei sie ihr Studium mit Rücksicht auf die Betreuung des Kindes immer wieder zurückstellt; finanziell wird sie zur Gänze von ihren Eltern (Baumeisterunternehmen) erhalten.
Der Vater, der zunächst nach der Ehescheidung aufgrund einer einvernehmlichen außergerichtlichen Regelung mit der Mutter Besuchskontakte zu dem Kind unterhielt (ON 17), ließ einen Beschluss des Erstgerichts vom 9. 10. 1980 (ON 26), mit dem sein Antrag auf gerichtliche Festsetzung eines Besuchsrechts im Wesentlichen mit der Begründung abgewiesen wurde, für das Kind sei der Kontakt mit dem Vater seit Weihnachten 1979 angstbesetzt, in Rechtskraft erwachsen. Am 25. 2. 1983 stellte der Vater beim Erstgericht den Antrag, ihm ein Besuchsrecht zu seiner Tochter in der Form einzuräumen, dass er sie an jedem 2. und 4. Samstag im Monat um 14:00 Uhr bei der Mutter abholen könne und sie bis zum darauffolgenden Sonntag um 18:00 Uhr wieder zurückzubringen habe, dass er im Sommer einen zweiwöchigen Urlaub (höchstens 16 Tage) mit seiner Tochter verbringen könne und dass er auch am 25. Dezember eines jeden Jahres seine Tochter von 10:00 bis 20:00 Uhr zu sich nehmen dürfe. Er begründete diesen Antrag im Wesentlichen damit, dass er die Entscheidung des Gerichts, mit der ihm die Ausübung seines Besuchsrechts untersagt worden sei, solange akzeptiert habe, als seine Tochter noch im Kleinkindalter gewesen sei. Nunmehr besuche seine Tochter die Schule, habe Kontakt mit anderen Kindern und werde sicher darüber nachdenken, was mit ihrem Vater sei. Er liebe seine Tochter und habe Sehnsucht danach, sie nicht nur endlich einmal wiederzusehen, sondern auch mit ihr einen Kontakt zu pflegen, wie er zwischen Vater und Tochter üblich sei.
Die Mutter sprach sich gegen die vom Vater beantragte Besuchsrechtsregelung im Wesentlichen mit der Begründung aus, das Kind fürchte sich vor dem Vater und lehne ihn ab.
Das Erstgericht wies den Antrag des Vaters auf Einräumung des von ihm gewünschten Besuchsrechts ab.
Es stellte, abgesehen von dem bereits eingangs wiedergegebenen Sachverhalt, aufgrund eines Gutachtens des Sachverständigen Dr. Erwin Schmuttermeier fest, dass es sich bei dem Kind um ein physisch und psychosozial altersentsprechend entwickeltes Schulmädchen von differenzierter Wesensart und überdurchschnittlicher Intelligenz handelt. Es ist entsprechend der bisherigen Betreuungssituation in der mütterlichen Umwelt integriert und hat in der Mutter und deren Eltern die wichtigsten Bezugs‑ und Vertrauenspersonen gefunden. Der Vater ist dem Kind weitgehend entfremdet und stellt im Weltbild seiner Tochter eine Bedrohung und Quelle der Verängstigung dar. Daher würde nach den momentanen Gegebenheiten die Einräumung eines Besuchsrechts für den Vater dem Wohl des Kindes abträglich sein, wenngleich der Vater bei der Anbahnung der Kontakte möglichst rücksichtsvoll vorgehen möchte. Im Interesse des Kindes sind daher Maßnahmen erforderlich, die einerseits seine Befürchtungen abbauen und andererseits den Eltern einen Weg zur Verständigung hinsichtlich der Besuchsrechtsregelung eröffnen.
Rechtlich beurteilte das Erstgericht diesen Sachverhalt dahin, dass nach § 148 ABGB das Besuchsrecht in einer dem Wohl des Kindes gemäßen Weise zu regeln sei. Dabei genieße das Kindeswohl den Vorrang vor dem Recht eines Elternteils auf persönlichen Verkehr mit seinem Kind. Da die Einräumung eines Besuchsrechts an den Vater derzeit dem Wohl des Kindes abträglich wäre, sei der diesbezügliche Antrag des Vaters abzuweisen.
Dem gegen diese Entscheidung gerichteten Rekurs des Vaters gab das Rekursgericht mit dem angefochtenen Beschluss Folge. Es hob die Entscheidung des Erstgerichts auf und trug diesem die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf.
Das Rekursgericht führte im Wesentlichen aus, dass im Allgemeinen jedes Kind zu seiner gedeihlichen Entwicklung eines möglichst intensivem Kontakts zu beiden Elternteilen bedürfe. Der Zweck des Besuchsrechts liege darin, einen auf der Blutsverwandtschaft beruhenden Zusammenhang zwischen dem das Besuchsrecht ausübenden Elternteil und dem Kind aufrecht zu erhalten und eine gegenseitige Entfremdung zu verhindern. Die Ausübung des Besuchsrechts setze entweder eine (bereits vorhandene) Verbundenheit von Elternteil und Kind, zumindest aber die Absicht, eine solche Verbundenheit herzustellen, voraus. Selbst eine frühere Interesselosigkeit des Vaters reiche nicht aus, um ihm ein Besuchsrecht zu versagen.
Aufgrund der vorliegenden Verfahrensergebnisse bestehe kein Grund zur Annahme, dass ein Besuchsrechtsantrag des Vaters im derzeitigen Stadium abzuweisen wäre. Zwar habe der Sachverständige darauf hingewiesen, dass die Einräumung eines Besuchsrechts in der üblichen Form dem Wohl des Kindes abträglich wäre; er habe aber auch klargelegt, dass, wenn eine in Familienangelegenheiten erfahrene Facheinrichtung mit der Vorbereitung von Zusammenkünften von Vater und Tochter befasst werde, aus ärztlicher Sicht keine Bedenken gegen die Einräumung und spätere Erweiterung eines Besuchsrechts bestünden. Anhaltspunkte dafür, dass es aus anderen Gründen für das Wohl des Kindes abträglich sein könnte, wenn es mit seinem Vater zusammentreffe, seien nicht gegeben. Vielmehr scheine der Vater nunmehr bemüht, einen Kontakt mit dem Kind herzustellen, wobei er auf die gegebenen Umstände insoweit, Rücksicht zu nehmen bereit sei, als er sich damit einverstanden erklärt habe, während der ersten Besuche des Kindes entweder die Mutter oder eine sonstige Pflege‑ und Fürsorgeperson beizuziehen oder einer anderen Besuchszeit oder Besuchsdauer zuzustimmen.
Es sei daher davon auszugehen, dass unter der Voraussetzung, das sich geeignete dritte Personen fänden, die die Vorbereitung und anfängliche Überwachung des Besuchsrechts gewährleisteten, die aber zu solchen Leistungen freiwillig bereit sein müssten, ein Besuchsrecht in der Dauer von etwa einem halben Tag zweimal monatlich in Gegenwart dieser dritten Person gerechtfertigt sei. Solle sich ergeben, dass nach diese Einführungszeit das Verhältnis zwischen Vater und Kind eine Ausweitung des Besuchsrechts zulasse, so bestehe dagegen kein Bedenken; eine Übernachtung des Mädchens beim Vater sei nach den vorliegenden Verfahrensergebnissen derzeit allerdings nicht gerechtfertigt. Die Mutter werde aufgrund ihrer Erziehungspflichten alles zu unternehmen haben, was für einen positiven Verlauf der Besuche des Vaters notwendig sei.
Das Erstgericht werde im fortgesetzten Verfahren zu klären haben, ob sich eine freiwillig zu diesen Diensten bereit dritte Person finde, die die vom Sachverständigen vorgeschlagene Vorbereitung einer Besuchsrechtsregelung übernehme und in der Folge auch während der Anfangsphase den Vater bei Ausübung seines Besuchsrechts unterstützend begleite. Sollte dies der Fall sein, dann werde das Erstgericht unter Beachtung der ihm überbundenen Rechtsansicht eine neuerliche Entscheidung zu treffen haben. Dabei werde zum Ausdruck zu bringen sein, dass es sich um eine Entscheidung handle, die nur für die Zeit gelte, bis beurteilt werden könne, ob dem Vater ein Besuchsrecht ohne Beschränkungen eingeräumt werden könne.
Gegen diese Entscheidung richtet sich der Revisionsrekurs der Mutter mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss im Sinne der Wiederherstellung der Entscheidung des Erstgerichts abzuändern; hilfsweise stellt sie einen Aufhebungsantrag.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist nicht berechtigt.
Die Mutter versucht in ihrem Rechtsmittel im Wesentlichen darzutun, dass der Antrag des Vaters auf Einräumung eines Besuchsrechts abzuweisen sei, weil befürchtet werden müsse, dass das Kind durch diese Besuche seelischen Schaden erleiden könnte. Im Übrigen sei keine vom Kind akzeptierte Person vorhanden, die die Vorbereitung und anfängliche Überwachung eines Besuchsrechts gewährleisten könnte.
Dem ist Folgendes zu entgegnen:
Das Recht auf persönlichen Verkehr mit dem Kind im Sinne des § 148 Abs 1 ABGB ist nicht nur eine bloße Befugnis eines Elternteils, sondern ein Grundrecht der Eltern‑Kind‑Beziehung und ein allgemein anzuerkennendes Menschenrecht (EFSlg 40.722; 2 Ob 563/84 ua). Durch die Ausübung dieses Rechts soll vor allem die blutsmäßige Bindung zu dem Elternteil, dem die Pflege und Erziehung nicht zukommt, gefestigt und eine Entfremdung verhindert werden (EvBl 1975/42 ua): Eine Beschränkung dieses Rechts kann nur dann erfolgen, wenn seine Ausübung das Wohl des Kindes ernstlich gefährden würde (EFSlg 35.871; EvBl 1975/42; 1 Ob 509/83; 2 Ob 563/84 ua). Es muss sich hiebei jedoch um gewichtige Umstände handeln. Eine ängstliche Reaktion des Kindes auf den Besuch des anderen Elternteils oder dessen Ablehnung durch das Kind reichen nicht aus, den Kontakt mit dem Kind zu unterbinden. Es müssen vielmehr konkrete Umstände die Annahme rechtfertigen, dass das Besuchsrecht missbraucht oder in einer dem Kind nachteiligen Weise ausgeübt wird (EFSlg 31.254; EvBl 1975/42; 1 Ob 509/83; 2 Ob 563/84 ua). Um den Zweck des Besuchsrechts zu erreichen, ist es in der Regel auch erforderlich, den Umgang des Besuchsberechtigten Elternteils mit dem Kind nicht zu überwachen und das Kind während der Besuchsdauer diesem Elternteil allein anzuvertrauen. Eine andere Regelung wird nur dort zu treffen sein, wo das Wohl des Kindes dies erfordert (EFSlg 33.487; 5 Ob 708/81 ua).
Wendet man diese Grundsätze auf den vorliegenden Fall an, dann zeigt sich, dass die Verfahrensergebnisse nicht ausreichen, um über den Antrag des Vaters auf Einräumung eines Besuchsrechts absprechen zu können.
Wenn das Erstgericht aufgrund des Gutachtens des Sachverständigen Dr. Schmuttermeier feststellte, dass der Vater im Weltbild seiner Tochter eine Bedrohung und eine Quelle der Verängstigung darstelle (auf den doch etwas anders lautenden Befund des Psychologischen Dienstes des Jugendamts der Stadt Wien ON 37 S 69 wurde nicht eingegangen), ist daraus im Sinne obiger Rechtsausführungen für eine Einstellung oder Einschränkung des dem Vater zustehenden Besuchsrechts nichts zu gewinnen. Für die Beurteilung der Frage, ob dem Vater ein Besuchsrecht einzuräumen ist, bejahendenfalls in welchem Ausmaß und in welcher Art, bedarf es vielmehr konkreter Feststellungen darüber, ob und in welcher Weise durch die Ausübung eines derartigen Besuchsrechts dem Kind ein Schaden zugefügt werden könnte. Anhaltspunkte dafür, dass in der Person des Vaters Umstände gegeben wären, aus denen auf eine Gefährdung des Kindes bei Einräumung eines Besuchsrechts geschlossen werden könnte, liegen nach der Aktenlage nicht vor. Dass sich das Kind vor seinem Vater fürchtet und ihn ablehnt, ist an sich kein Grund für eine Einstellung oder Einschränkung des dem Vater zustehenden Besuchsrechts. Entscheidend ist vielmehr, ob diese Furcht und Ablehnung ihre Grundlage in einem tatsächlichen Fehlverhalten des Vaters hat und vor allem, ob sie ein solches Ausmaß erreicht, dass bei Durchsetzung des Besuchsrechts eine ernstliche psychische Schädigung des Kindes befürchtet werden müsste. In dieser Richtung ist aber den Feststellungen der Vorinstanzen nichts zu entnehmen.
Es werden daher – zweckmäßigerweise nach entsprechender Ergänzung des Gutachtens des beigezogenen Sachverständigen unter Berücksichtigung des vom Psychologischen Dienst des Jugendamts der Stadt Wien erhobenen Befundes – konkrete Feststellungen darüber zu treffen sein, worauf eine bestehende Angst des Kindes vor seinem Vater zurückzuführen ist und welche konkreten Folgen für das Kind zu erwarten wären, wollte man trotz einer derartigen Angst ein zeitlich angemessenes Besuchsrecht des Vaters durchsetzen. Wäre in diesem Fall nicht mit einer ernsten und schwerwiegenden psychischen Beeinträchtigung des Kindes zu rechnen, dann bestünde überhaupt kein Anlass dafür, dem Vater ein zeitlich angemessenes Besuchsrecht ohne Beiziehung dritter Personen zu verweigern.
Müsste allerdings bei Einräumung eines solchen Besuchsrechts mit einer ernstlichen psychischen Beeinträchtigung des Kindes gerechnet werden, dann wäre in Betracht zu ziehen, ob derartige Folgen durch Einräumung eines zunächst zeitlich eingeschränkten Besuchsrechts in Gegenwart geeigneter dritter Personen abgewendet werden können. Bei der Beurteilung der Eignung solcher dritter Personen wird es nicht darauf ankommen, ob sie vom Kind akzeptiert werden oder nicht, sondern darauf, ob ihre Beiziehung geeignet ist, eine ernste psychische Beeinträchtigung des Kindes zu vermeiden. Auch in dieser Richtung wird, sollte diese Frage aktuell werden, eine Ergänzung des eingeholten Sachverständigengutachtens erforderlich sein. Dabei wird eindeutig dazu Stellung zu nehmen sein, ob dem Vater ein Besuchsrecht von bestimmter Dauer in Gegenwart einer bestimmten dritten Person (bzw im Rahmen einer bestimmten Facheinrichtung) eingeräumt werden kann, ohne dass damit die Gefahr einer ernstlichen psychischen Beeinträchtigung des Kindes bestünde.
Erst dann, wenn auch durch die Einräumung eines solchen eingeschränkten Besuchsrechts eine ernstliche Schädigung des Kindes zu erwarten wäre, könnte dem Vater im Sinne des § 148 Abs 1 ABGB die Ausübung des Besuchsrechts ganz verweigert werden.
Da sich somit das Verfahren als ergänzungsbedürftig erweist, muss dem Revisionsrekurs der Mutter ein Erfolg versagt bleiben und hat es bei der Aufhebung der Entscheidung des Erstgerichts zu verbleiben. Das Erstgericht wird allerdings im fortgesetzten Verfahren die in dieser Entscheidung dargelegte Rechtsansicht des Obersten Gerichtshofs zu beachten haben.
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