OGH 2Ob563/84

OGH2Ob563/8422.5.1984

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Piegler als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Kralik, Dr. Melber, Dr. Huber und Dr. Egermann als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj Silke V*****, infolge Revisionsrekurses des Vaters Alfred V*****, vertreten durch Dr. Erich Portschy, Rechtsanwalt in Graz, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Rekursgericht vom 24. Februar 1984, GZ 3 R 38/84-15, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Voitsberg vom 4. Jänner 1984, GZ 1 P 27/83-12, abgeändert wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und dem Erstgericht nach Verfahrensergänzung eine neue Entscheidung aufgetragen.

Text

Begründung

Die Ehe der Eltern der Minderjährigen wurde mit Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 7. 4. 1983, GZ 16 Cg 431/82-2, gemäß § 55a EheG rechtskräftig geschieden. Die elterlichen Rechte und Pflichten stehen der Mutter zu.

Das Erstgericht regelte auf Antrag des Vaters dessen Recht auf persönlichen Verkehr mit dem Kinde dahin, dass der Vater die Minderjährige monatlich an zwei Wochenenden über Samstag und Sonntag zu sich nehmen kann.

Das Rekursgericht änderte den erstgerichtlichen Beschluss dahin ab, dass es den Antrag des Vaters abwies.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen den Beschluss des Rekursgerichts erhobene Revisionsrekurs des Vaters ist berechtigt.

Nach den Feststellungen des Erstgerichts wohnen Mutter und Kind bei der mütterlichen Großmutter des Kindes. Die Mutter hat einen Lebensgefährten, zu dem das Kind gute Beziehungen unterhält. Den Vater erlebt das Kind als nicht mehr zur Familie gehörig. Die psychologische Stellungnahme der Amtspsychologin des Amts der Steiermärkischen Landesregierung empfiehlt, die Besuche durch den Vater für mindestens 6 Monate auszusetzen, da die Minderjährige sehr viel Ruhe benötigt, um sich psychisch stabilisieren zu können, und zwangsweise Kontakte mit dem Vater nicht zielführend sind.

Das Erstgericht folgte der Empfehlung der Amtspsychologin nicht. Es vertrat die Auffassung, dass die Ausübung des Besuchsrechts durch den Vater dem Wohle des Kindes diene. Eine Aussetzung des Besuchsrechts auf 6 Monate würde die Entfremdung zwischen Vater und Kind noch verstärken. Es sei Aufgabe der Mutter, auf das Kind dahin entsprechend einzuwirken, dass die Stellung des Vaters trotz der Scheidung der Ehe gewahrt bleibe.

Das Rekursgericht traf aufgrund des psychologischen Gutachtens die ergänzende Feststellung, dass das Kind bei der psychologischen Untersuchung nicht durch die Mutter beeinflusst wirkte. Es ist beim Kind eine gewisse Depressivität, eine arge Nervosität und eine eher geringe psychische Belastbarkeit gegeben. Im Falle eines zwangsweisen Kontakts wären schwere psychosomatische Reaktionen beim Kind zu erwarten.

Die zweite Instanz vertrat den Standpunkt, dass die Beanspruchung des Rechts auf persönlichen Verkehr mit dem Kinde zweckwidrig und ein Rechtsmissbrauch sei, wenn sich das Kind aus eigenem Antriebe der Rechtsausübung widersetze. Dies sei hier der Fall.

Gegen die Meinung des Rekursgerichts wendet sich der Revisionsrekurs mit der Begründung, dass es Aufgabe der Mutter und der Amtspsychologin sei, auf das Kind einzuwirken, damit eine auch dem Wohl des Kindes entsprechende Beziehung zum Vater hergestellt werden könne.

Das Recht auf persönlichen Verkehr mit dem Kinde ist nicht nur eine bloße Befugnis eines Elternteils, sondern ein Grundrecht der Eltern-Kind-Beziehung und ein allgemein anzuerkennendes Menschenrecht (EFSlg 40.722 ua). Durch die Ausübung dieses Rechts soll vor allem die blutsmäßige Bindung zu dem Elternteil, dem die Pflege und Erziehung nicht zukommt, gefestigt und eine Entfremdung verhindert werden (EvBl 1975/42 ua). Eine Beschränkung dieses Rechts kann nur dann erfolgen, wenn seine Ausübung das Wohl des Kindes ernstlich gefährden würde (EFSlg 35.871; EvBl 1975/42 ua). Es muss sich hiebei jedoch um gewichtige Umstände handeln (EvBl 1974/284). Eine ängstliche oder neurotische Reaktion des Kindes auf den Besuch des anderen Elternteils oder dessen Ablehnung durch das Kind (EFSlg 31.254) reichen nicht aus, den Kontakt zu dem Kinde zu unterbinden. Es müssen konkrete Umstände vorliegen, die die Annahme rechtfertigen, dass das Besuchsrecht missbraucht oder in einer dem Kinde nachteiligen Weise ausgeübt wird (EvBl 1975/42; 1 Ob 509/83).

Im vorliegenden Fall verlief die Entwicklung des Kindes bis zur Scheidung der Ehe der Eltern altersangemessen. Die Minderjährige war ein folgsames, aufgewecktes und problemloses Kind. Nur während der Scheidung zeigten sich psychosomatische Auffälligkeiten (AS 46). Diese waren eine natürliche Folge der mit dem Scheidungsverfahren verbundenen Spannungen zwischen den im gemeinsamen Haushalt lebenden Eltern. Da diese Konfliktsituation ausgestanden ist, kann darauf eine Verweigerung des Besuchsrechts des Vaters nicht gegründet werden. Die noch vorhandene psychische Belastung, wie sie sich aus dem Verhalten des Kindes bei seiner Vorstellung in der Familienberatung zeigte, geht über das mit der Aufhebung des Familienbandes durch die Trennung der Eltern verbundene Maß nicht hinaus und muss daher in Kauf genommen werden (vgl EFSlg 40.739 ua). Hier ist anzumerken, dass es ein beide Elternteile treffendes Verhaltensgebot ist, durch Geduld und Zuneigung diese Belastung des Kindes abzubauen. Vornehmlich ist es aber die Pflicht jenes Elternteils, der die Pflege und Erziehung ausübt, durch entsprechende Einwirkung auf das Kind, darauf hinzuwirken, dass der persönliche Kontakt zu dem anderen Elternteil ermöglicht wird, weil nur dadurch am ehesten eine Normalisierung der Beziehungen erreicht werden kann (vgl EFSlg 35.875, 24.236; 1 Ob 509/83).

Nach der vom Rekursgericht zulässigerweise (1 Ob 721/81) getroffenen ergänzenden Feststellung wären aber im Falle zwangsweiser Kontakte mit dem Vater schwere psychosomatische Reaktionen beim Kind zu erwarten. Diese Feststellung reicht aber für die Beurteilung der Frage, ob dem Vater das Besuchsrecht, wenn auch nur vorübergehend, zu versagen ist, nicht aus. Es werden weder die zu erwartenden Reaktionen näher dargestellt, noch lässt auch die Stellungnahme der Amtspsychologin, auf der diese Feststellung beruht, erkennen, aufgrund welcher Umstände eine solche Annahme gerechtfertigt ist. Der Sachverhalt ist daher in dieser Richtung ergänzungsbedürftig. Sollte sich im fortgesetzten Verfahren nicht bereits aufgrund einer Anhörung der Mutter ergeben, dass mit Rücksicht auf den Zeitablauf ohnedies bereits eine Beruhigung des Kindes eingetreten ist, wäre allenfalls ein Gutachten eines Sachverständigen aus dem Fachgebiet der Psychologie oder der Psychiatrie darüber einzuholen, ob geradezu krankhafte und abnorme Reaktionen des Kindes vorliegen, die jenes Maß überschreiten, das als natürliche Folge mit der Trennung der Eltern verbunden ist.

Demgemäß ist dem Revisionsrekurs Folge zu geben.

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