European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1984:0080OB00583.840.1017.000
Spruch:
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Der Kläger ist schuldig, der Beklagten die mit 4.089,40 S bestimmten Kosten der Rekursbeantwortung (darin die Barauslagen von 400 S und die Umsatzsteuer von 335,40 S) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Begründung:
Der Kläger begehrte mit Nichtigkeitsklage die Aufhebung des gegen ihn von der nunmehrigen Beklagten erwirkten Versäumungsurteils des Bezirksgerichts Wels vom 26. Mai 1982, 2 C 681/82‑2. Er sei in dem genannten Verfahren nicht vertreten gewesen. Die Klage und Ladung zur ersten Tagsatzung sei an seine geschiedene Gattin und Lebensgefährtin Gertrude S***** ausgehändigt worden, die den Rückschein mit dem Namenszug des Klägers unterfertigt habe. Gertrude S***** habe ihm davon keine Mitteilung gemacht und auch selbst die erste Tagsatzung nicht besucht, sodass bei dieser am 26. Mai 1982 ein Versäumungsurteil ergangen sei. Dieses sei am 2. Juni 1982 zugestellt worden, wobei das Geschäftsstück wiederum von Gertrude S***** entgegengenommen wurde. Schließlich sei auch die Mitteilung vom Räumungstermin, die beim Postamt hinterlegt wurde, von Gertrude S***** behoben worden. Von ihr sei in seinem Namen sogar ein Räumungsaufschub beantragt worden. Gertrude S***** habe ihm weder von der Klage und Ladung zur ersten Tagsatzung noch von den übrigen Zustellungen Mitteilung gemacht, sodass der Kläger vom Verfahren erst am 2. September 1982 durch einen Brief des Vertreters der Beklagten Kenntnis erlangt habe.
Die Beklagte bestritt dieses Vorbringen und wandte ein, dass die Klage und Ladung zur ersten Tagsatzung dem Kläger am 3. Mai 1982 ordnungsgemäß eigenhändig zugestellt wurden. Das Klagsvorbringen enthalte keinen gesetzlichen Anfechtungstatbestand im Sinne des § 529 Abs 1 Z 2 ZPO, weshalb die Zurückweisung der Klage gemäß § 543 ZPO begehrt werde.
Diesen Antrag wies das Erstgericht ab, ohne den Beschluss auszufertigen, gab jedoch mit Urteil dem Klagebegehren statt. Es hob das Versäumungsurteil des Bezirksgerichts Wels vom 26. Mai 1982, 2 C 681/82‑2 und das diesem Urteil vorangegangene Verfahren als nichtig auf und verpflichtete die Beklagte zum Kostenersatz.
Das Erstgericht stellte folgenden Sachverhalt fest:
Die Beklagte brachte am 20. April 1982 zu 2 C 681/82 des Bezirksgerichts Wels eine Klage gegen den Kläger wegen 18.501,44 S sA und Räumung ein. Der Postbeamte Hugo H***** stellte die Gleichschrift dieser Klage zusammen mit der Ladung zur ersten Tagsatzung zu und übergab das Schriftstück (GeoForm 31a) an Gertrude S*****, die in der Wohnung des Beklagten in ***** wohnt. Diese ging in die Wohnung, setzte auf den Rückschein den Namenszug des Beklagten Karl S***** und überbrachte sodann den Rückschein dem Postbeamten. Sie teilte dem Kläger nichts von der Zustellung mit und übergab ihm auch die Schriftstücke nicht. Auch besuchte sie die erste Tagsatzung nicht. Über Antrag der jetzigen Beklagten erließ das Bezirksgericht Wels am 26. Mai 1982 ein Versäumungsurteil im Sinne des Klagebegehrens. Die Ausfertigung des Versäumungsurteils wurde am 2. Juni 1982 wiederum an Gertrude S***** in *****, mit GeoForm 30a zugestellt, weil der Beklagte in der Wohnung nicht anwesend war, Gertrude S***** unterschrieb den Rückschein dieses Mal mit ihrem eigenen Namen. Sie erzählte dem Beklagten wiederum nichts von der Zustellung des Versäumungsurteils. Am 18. Juni 1982 wurde dem Versäumungsurteil die Bestätigung der Rechtskraft und Vollstreckbarkeit erteilt.
Gertrude S***** ist die geschiedene Gattin des Klägers. Sie wohnte zur Zeit der Zustellvorgänge in der Wohnung des Klägers. Der Kläger erfuhr vom Verfahren 2 C 681/82 erstmals Ende August oder Anfang September 1982. Damals bemerkte er einen Brief des Beklagtenvertreters. Er setzte sich hierauf mit dessen Kanzlei in Verbindung und erfuhr vom Verfahren. Hierauf veranlasste er die Rückkehr seiner geschiedenen Gattin aus dem Urlaub und befragte sie zur Sache. Diese klärte ihn über den Sachverhalt auf.
In der rechtlichen Beurteilung dieses Sachverhalts erkannte das Erstgericht, dass die Zustellung der Klage und Ladung zur ersten Tagsatzung nach § 477 Abs 1 Z 4 ZPO nichtig sei. Aufgrund der ordnungsgemäßen Zustellung des Versäumungsurteils und des fruchtlosen Verstreichens der Rechtsmittelfrist sei das Versäumungsurteil rechtskräftig geworden und der Kläger somit zur Erhebung der Nichtigkeitsklage berechtigt gewesen. Der auf § 529 Abs 1 Z 2 ZPO gestützten Nichtigkeitsklage sei daher stattzugeben und das angefochtene Urteil aufzuheben gewesen.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten Folge. Es hob das erstgerichtliche Urteil auf und wies die Klage zurück. Außerdem sprach das Gericht zweiter Instanz aus, dass der Wert des Streitgegenstands, über den es entschieden hatte, zusammen mit dem in einem Geldbetrag bestehenden Teil 15.000 S nicht aber 300.000 S übersteigt und der Rekurs an den Obersten Gerichtshof nach § 502 Abs 4 Z 1, § 528 Abs 2 ZPO zulässig sei.
Das Erstgericht sei auf die Rechtzeitigkeit der Nichtigkeitsklage als Zulässigkeitsvoraussetzung nicht eingegangen. Gemäß § 534 Abs 1 ZPO sei die Nichtigkeitsklage binnen der Notfrist eines Monats zu erheben. Im Falle des § 529 Abs 1 Z 2 ZPO beginne die Frist gemäß § 534 Abs 2 Z 2 ZPO mit dem Tage, an welchem die Entscheidung der Partei zugestellt wurde, jedoch nicht vor eingetretener Rechtskraft der angefochtenen Entscheidung. Rechtskräftig werde ein Urteil dann, wenn seine Zustellung an eine der Aktenlage nach zur Empfangnahme berechtigte Person gesetzmäßig erfolgte und wenn nicht rechtzeitig ein zulässiges Rechtsmittel erhoben wurde. Dem Kläger sei das Versäumungsurteil vom 26. Mai 1982 am 2. Juni 1982 durch Ersatzzustellung an seine geschiedene Gattin Gertrude S*****, die in seiner Wohnung wohnte, zugestellt worden, wobei er durch das festgestellte Verhalten seiner Lebensgefährtin keine Kenntnis von der Zustellung erlangte. Diese Zustellung sei nach der zur Zeit der Zustellung geltenden gesetzlichen Vorschrift des § 102 ZPO gesetzmäßig erfolgt. Die Unterlassung der Lebensgefährtin des Klägers, ihm die Zustellstücke auszufolgen, habe auf die Gültigkeit der Zustellung keinen Einfluss gehabt. Richtig habe das Erstgericht daher erkannt, dass das Versäumungsurteil infolge der gesetzmäßigen Zustellung und des fruchtlosen Verstreichens der Rechtsmittelfrist in Rechtskraft erwuchs. Die Rechtskraft des Versäumungsurteils sei 14 Tage nach der am 2. Juni 1982 erfolgten Zustellung eingetreten. Die Frist zur Erhebung der Nichtigkeitsklage nach § 534 Abs 1 und Abs 2 Z 2 ZPO habe somit am 18. Juni 1982 zu laufen begonnen und sei bei Einbringung der Nichtigkeitsklage am 1. Oktober 1982 bereits verstrichen gewesen. Die Klage sei daher verspätet überreicht worden.
Aus § 543 ZPO sei abzuleiten, dass das Fehlen der Zulässigkeitsvoraussetzungen für die Nichtigkeitsklage so wie das Fehlen der Prozessvoraussetzungen in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen wahrzunehmen ist. Dies gelte auch noch im Rechtsmittelverfahren über die Nichtigkeitsklage. Da das Erstgericht trotz Fehlens eines gesetzlichen Nichtigkeitstatbestands die Nichtigkeitsklage zuließ, habe das Berufungsgericht in Stattgebung des Rechtsmittels das Urteil der ersten Instanz aufheben und die Klage mit Beschluss zurückweisen müssen.
Gegen die Entscheidung des Gerichts zweiter Instanz richtet sich der Rekurs des Klägers, den er auf Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und unrichtige rechtliche Beurteilung stützt und in welchem er beantragt, den angefochtenen Beschluss aufzuheben, die Berufung der Beklagten abzuweisen und das Ersturteil wiederherzustellen.
Die Beklagte beantragt in der Rekursbeantwortung, dem Rekurs nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist zwar zulässig (RZ 1974/92; EvBl 1975/83 ua; Stohanzl ZPO 3 Anm bei § 519 und § 528 ZPO) aber nicht berechtigt:
Von der behaupteten Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens abgesehen, welche jedoch nicht vorliegt, was nicht näher zu begründen ist (§ 528a ZPO), stellt sich der Rekurswerber lediglich auf den Standpunkt, dass § 534 Abs 2 Z 2 ZPO nur so sinnvoll verstanden werden könne, dass für die einmonatige Notfrist zur Einbringung der Nichtigkeitsklage nicht die Zustellung der Entscheidung, sondern die Kenntniserlangung von der Entscheidung maßgebend sei. Dem kann jedoch nicht gefolgt werden:
Im Gegensatz zur Ansicht des Klägers ist von dem Gesetzeswortlaut des § 534 Abs 2 Z 2 ZPO auszugehen, wonach die Frist für die Nichtigkeitsklage im Falle des § 529 Abs 1 Z 2 ZPO von dem Tage zu berechnen ist, an welchem die Entscheidung der Partei zugestellt wurde. Wann diese Kenntnis von der Entscheidung erlangt hat, ist demnach nicht maßgebend (GlUNF 1632; 6 Ob 24/65; Sperl , 690; Pollak , 621). Der Kläger stellt die zutreffende Ansicht des Berufungsgerichts nicht in Abrede, dass die Zustellung des Versäumungsurteils an seine im Haus wohnende und daher als Hausgenossin anzusehende geschiedene Ehegattin ( Fasching II, 585) gemäß der damals geltenden Bestimmung des § 102 ZPO wirksam war; die Nichtigkeitsklage ist nur zulässig, wenn die Entscheidung rechtswirksam geworden und die Rechtsmittelfrist ungenützt verstrichen ist (SZ 47/99 ua). Er muss aber auch gegen sich gelten lassen, dass es hiebei nicht darauf ankam, ob und wann er von dem Inhalt des Schriftstücks Kenntis erlangte (JBl 1961, 426; 7 Ob 726/79 ua). Darauf stellte es das Gesetz nicht ab. Es nahm damit zwar in Kauf, dass in Ausnahmsfällen der Adressat von dem Schriftstück nicht oder erst verspätet erfährt, berücksichtigte aber – im Gegensatz zum gegenteiligen Standpunkt des Rekurswerbers –, dass in den weitaus überwiegenden Fällen die wirksame Ersatzzustellung auch zur rechtzeitigen Kenntnisnahme des Inhalts des Schriftstücks führt. Die Ausführungen des Rekurswerbers sind daher nicht stichhältig.
Dem Rekurs war somit der Erfolg zu versagen.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50, 521a Abs 1 Z 3 ZPO.
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