European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1984:0080OB00567.840.1004.000
Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur Ergänzung des Verfahrens und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Begründung:
Der mj Kläger begehrte von der Beklagten die Zahlung von 65.000 S sA sowie die Feststellung, dass die Beklagte dem Kläger für alle zukünftigen Folgen aus dessen Sturz von einem Klettergerüst zu haften habe. Die Beklagte habe im Modenapark einen Kinderspielplatz errichtet, auf dem sich ein Klettergerüst befand. Entgegen jeglicher Vernunft sei das Klettergerüst nicht auf einem Rasen‑ oder Wiesenboden aufgestellt gewesen, sondern auf einem Asphalt‑ bzw Betonboden. Am 7. 3. 1982 habe der Kläger das Klettergerüst benützt, sei hiebei abgestürzt und auf den Steinboden gefallen, wodurch er eine Schädelfraktur erlitten habe. Auf einem Wiesenboden wäre eine so schwere Verletzung nicht eingetreten. Der Kläger stütze seinen Schadenersatzanspruch auf jeden Rechtsgrund, insbesondere aber auf § 1319 ABGB. Die erlittenen Schmerzen rechtfertigten ein Schmerzengeld von 65.000 S, die Gefahr einer unfallskausalen Wiedererkrankung das Feststellungsbegehren.
Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Das Klettergerüst sei nicht auf einem gefährlichen Asphalt‑ oder Betonboden, sondern auf einem Belag aus Kaltasphalt-Mischgut aufgestellt gewesen, das kaum härter oder gefährlicher sei als ein festgetretener und verhärteter Erdboden. Auch sei das Spielgerät seit ca 15 bis 20 Jahren ohne Unfall benützt worden. Darüber hinaus liege eine Vernachlässigung der elterlichen Aufsichtspflicht vor, weil sich der 8-jährige Kläger ohne Aufsicht seiner Eltern am Spielplatz befunden habe.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.
Es traf im Wesentlichen folgende Feststellungen:
Das Klettergerüst ist seit ca 10–12 Jahren im Modenapark aufgestellt. Seit dieser Zeit ist kein Unfall passiert. Es war zum Unfallszeitpunkt in Ordnung und am Boden, einem Kaltasphalt-Mischgut, fest verankert. Die Ö‑Norm B 2604 sieht hinsichtlich von Kinderspielplätzen ua vor:
„3.5. Bodendecken. Geräte sollen nur auf Bodendecken aufgestellt werden, die geeignet sind, Sturzverletzungen weitgehend zu mindern (z.B. geschwaschener, nicht feinkörniger Quarz‑ oder Flußsand oder Kunststoffbodenbeläge)“.
Aufgrund des Gutachtens des Sachverständigen Univ. Doz. Dr. Bernhard Wielke steht fest, dass sowohl ein Beton‑ als auch ein Asphalt‑ oder ein durch Jahre festgetretener Erdboden eine Härte aufweisen, die bezüglich einer Verletzung bei einem Sturz auf den Kopf als etwa gleichwertig anzusehen ist. Eine stark benützte Rasenfläche wird bereits nach kurzer Zeit zu einem festgetretenen Erdboden. Auch das Vorhandensein von Kaltasphalt-Mischgut ist – wenn es mehrere Jahre aufgetragen war und festgetreten wurde – in keiner Weise weicher als die vorher genannten Bodenbeläge. Lockerer Sandboden hingegen führt dazu, dass der Schädel beim Sturz sehr tief eindringen kann, wodurch die Verletzungsgefahre um Größenordnungen abnimmt, das heißt sehr gering wäre.
Am 7. 3. 1982, einem Sonntag, spielte der gerade 8 Jahre alt gewordene Kläger gegen 11:00 Uhr im Modenapark. Er wohnte bei seinen Eltern in W*****. Der Kläger besuchte damals die 3. Klasse der Volksschule. Er ging gemeinsam mit seiner 10-jährigen Schwester in den Park. Der Kläger kletterte auf das Gerüst, das wie jenes auf dem beigelegten Foto aussah, hinauf und wollte auf der anderen Seite hinunterrutschen. Er blieb jedoch mit einem Fuß auf dem schräg nach oben herausragenden Holz hängen und stürzte mit den Kopf voran vom Gerüst hinunter, wobei er einen Bruch des Schädeldaches erlitt.
Rechtlich führte das Erstgericht aus, dass auf den vorliegenden Fall die Ö‑Norm keine Anwendung finde, weil sie weder Vertragsbestandteil sei noch verbindlichen Charakter habe. Ebensowenig sei § 1319 ABGB anzuwenden, weil sich kein Bestandteil vom Klettergerüst abgelöst habe. Schließlich könne auch nicht von einer Verletzung sogenannter Verkehrssicherungspflichten gesprochen werden; vielmehr übernehmen die Eltern das Risiko einer Verletzung, wenn sie ihre Kinder auf einem öffentlich zugänglichen Spielplatz spielen oder Sport treiben ließen.
Das Berufungsgericht gab der gegen diese Entscheidung erhobenen Berufung des Klägers nicht Folge, bestätigte das erstgerichtliche Urteil, sprach aus, dass der Wert des Streitgegenstands 300.000 S nicht übersteige, dass aber die Revision nach § 502 Abs 4 Z 1 ZPO zulässig sei, weil zur Frage der Verkehrssicherungspflicht auf Spielgeräten noch keine Judikatur vorhanden wäre.
Das Gericht zweiter Instanz verwarf zunächst die Ansicht des Klägers, dass § 1319 ABGB auf den vorliegenden Fall anzuwenden sei; hier kämen vielmehr Verkehrssicherungspflichten in Betracht. Diese Verkehrssicherungspflichten dürften aber nicht überspannt und dadurch in Wahrheit zu einer vom Verschulden losgelösten Haftung, die im Gesetz keine Deckung findet, entwickelt werden. Wenn die Beklagte allein im Interesse der jugendlichen oder kindlichen Besucher der Parkanlage Spielgeräte aufstellte, so erscheine es unzumutbar, ihr auch die Verpflichtung aufzuerlegen, etwa wie es die Ö‑Norm B 2604 vorsieht, für einen weiteren Untergrund (feinkörnigen Sand‑ oder Kunststoffbodenbeläge) zu sorgen und diese dann auch in Abständen zu kontrollieren bzw aufzulockern.
Gegen die Entscheidung des Gerichts zweiter Instanz richtet sich die Revision des Klägers, die er auf den Anfechtungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung stützt und in welcher er beantragt, das Urteil der Vorinstanzen dahin abzuändern, dass dem Klagebegehren stattgegeben werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Beklagte beantragt in der Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist im Sinne der dazu gegebenen Begründung des Berufungsgerichts zulässig, sie ist aber auch berechtigt:
Im Vordergrund steht die Frage, ob die Beklagte dafür haftbar ist, dass sich der Kläger beim Spielen auf dem Klettergerüst im Modenapark bzw bei dem Absturz von einem Gerät schwer verletzte. Im Gegensatz zur Ansicht der Vorinstanzen ist dies zu bejahen. In Lehre und Rechtsprechung wird das Bestehen sogenannter Verkehrssicherungspflichten anerkannt (Koziol, Österreichisches Haftpflichtrecht II 51; Koziol‑Welser 5 I 350; SZ 47/124; SZ 43/204; SZ 37/97; JBl 1969, 557; 1 Ob 544/81 ua). Danach hat derjenige, der eine Gefahrenquelle schafft, alles vorzukehren, um Schädigungen zu hindern (JBl 1979, 485; SZ 47/124; JBl 1973, 35; SZ 37/97 ua), soweit eine solche Gefahrenquelle für ihn bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt erkennbar ist (JBl 1979, 485; JBl 1967, 34). Durch die Anerkennung solcher Verkehrssicherungspflichten darf freilich der das Schadenersatzrecht beherrschende Verschuldensgrundsatz (§ 1295 ABGB) nicht durch eine vom Verschulden losgelöste Haftung ersetzt werden (vgl Koziol aaO 53). Abwehrmaßnahmen gegen gefährliche Zustände sind daher stets nur im Rahmen des Zumutbaren zu treffen, im Einzelfall kommt es auch auf die Wahrscheinlichkeit der Schädigung an. Für die Sicherung von Gefahrenquelle ist in umso höherem Maß zu sorgen, je weniger angenommen werden kann, dass die von der Gefahr betroffenen Personen sich ihrerseits vor Schädigungen vorzusehen und zu sichern wissen. Strenge Anforderungen sind zu stellen, wenn damit gerechnet werden muss, dass spielende Kinder an eine Gefahrenquelle gelangen (Soergel-Zeuner 10 zu § 823 BGB, Bem 117; vgl BGH FamRZ 1963/77, 243). Für das Ausmaß der Sicherungspflicht ist entscheidend, ob nach den Erfahrungen des täglichen Lebens eine naheliegende und voraussehbare Gefahrenquelle bestand (BGH FamRZ 1963/78, 244; 1 Ob 544/81).
Es bedarf keiner näheren Begründung, dass sich das Klettergerüst, dessen genaue Höhe zwar nicht festgestellt wurde, das aber – wie aus dem einen integrierenden Bestandteil der Feststellungen bildenden Foto hervorgeht – zumindest die Höhe einer erwachsenen Person aufwies, für spielende Kinder als umso gefährlicher erwies, je höher sie daran hinaufstiegen. Erfahrungsgemäß bestand insbesondere für Kinder in der Altersklasse des Klägers die Gefahr, dass sie im Zuge des Spielens an dem Gerät ihre Geschicklichkeit überschätzten. Dies musste den für die Errichtung und zur Verfügungstellung dieses Klettergerüstes zuständigen Organen der Beklagten klar gewesen sein. In logischer Konsequenz der dargestellten Rechtsgrundsätze wären daher entsprechende Vorkehrungen zu treffen gewesen, um das Spielgerät so zu sichern, dass Verletzungen im Einzelfall möglichst weitgehend hintangehalten worden wären. Hiebei genügt es nicht, die Tatsache in Rechnung zu stellen, dass schon jahrelang nichts passierte (1 Ob 667/83; 8 Ob 574/84); vielmehr wäre der latenten Absturz- und damit verbundenen Verletzungsgefahr von spielenden Kindern auf dem die Wirkung eines Betonbodens aufweisenden Kaltasphalt-Mischgut in weitgehendem Maße Rechnung zu tragen und für eine andere Unterlage allenfalls aus einem lockeren Sandboden zu sorgen gewesen, was nach den Feststellungen der Vorinstanzen und den Ausführungen des Sachverständigen die Verletzungsgefahr „um Größenordnungen“ vermindert hätte und worunter der Sachverständige verstand, dass die Verletzungsgefahr dann „sehr gering“ gewesen wäre. Diesen Grundsätzen trug die Beklagte zwar bereits Rechnung, indem sie nach ihren Ausführungen in der Revisionsbeantwortung nahezu auf allen anderen Spielplätzen entsprechend dämpfende Matten auflegte beziehungsweise Spielgeräte auf Sandboden stellte; dies ändert aber nichts daran, dass im gegebenen Fall, in dem eine derartige Absicherung nicht vorgenommen worden war, von ihrer grundsätzlichen Haftung für die Verletzung des Klägers auszugehen ist. Auf die Frage, ob die Beklagte auch aus der Verletzung der bezogenen Ö‑Norm bzw nach anderen Gesetzesstellen haftet, braucht bei diesem Ergebnis nicht mehr eingegangen zu werden.
Da die Vorinstanzenen – ausgehend von der oben dargelegten unzutreffenden Rechtsansicht – keine weiteren für die Beurteilung des Schmerzengeld‑ und Feststellungsbegehrens des Klägers erforderlichen Feststellungen über die genauen Unfallsfolgen des Klägers trafen, waren die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben; die Rechtssache musste demnach an das Gericht erster Instanz zur weiteren Verhandlung und neuerlichen Entscheidung zurückverwiesen werden. Soweit die Beklagte eine Verletzung der Aufsichtspflicht der Eltern des Klägers behauptete, kann dies allenfalls für eine Regressklage gegen diese relevant sein, im vorliegenden Verfahren aber einen Mitschuldeinwand gegenüber dem minderjährigen Kläger begründen (7 Ob 88/64; 2 Ob 343/67; 2 Ob 118/80 ua).
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 52 ZPO.
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