OGH 8Ob574/84

OGH8Ob574/846.9.1984

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr.

 Stix als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Kropfitsch und Dr. Zehetner als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei mj Jochen G*****, vertreten durch seine Eltern Helmut und Gerda G*****, diese vertreten durch Dr. Wolfgang Ölz, Rechtsanwalt in Dornbirn, wider die beklagte Partei S*****, vertreten durch Dr. Gerold Hirn und Dr. Burkhard Hirn, Rechtsanwälte in Feldkirch, wegen 32.639 S sA, infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 27. März 1984, GZ 1 R 59/84‑12, womit das Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom 26. Jänner 1984, GZ 6 Cg 3833/83‑7, aufgehoben wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1984:0080OB00574.840.0906.000

 

Spruch:

Der Rekurs wird zurückgewiesen.

Der Antrag des Klägers, den Beklagten zum Ersatz der Kosten der Rekursbeantwortung zu verhalten, wird abgewiesen.

 

Begründung:

Am 14. 1. 1983 fuhr der Kläger als Teilnehmer eines Schulschikurses im Schigebiet Laterns‑Gapfohl, das durch Liftanlagen des Beklagten erschlossen ist, talwärts. Er kam zu Sturz und stieß mit dem Kopf gegen einen holzernen Starkstrommast, wodurch er körperlich verletzt wurde.

Der Kläger begehrte vom Beklagten als Betreiber des Schilifts Schadenersatz von 32.639 S sA. Der Strommast habe sich im unmittelbaren Pistenbereich befunden und sei nicht abgesichert gewesen. Der Kläger habe eine Schiliftkarte gekauft. Zwischen ihm und dem Beklagten habe ein vertragliches Verhältnis bestanden, in dessen Rahmen es eine vertragliche Nebenleistungspflicht der Beklagten darstellte, dass eine gesicherte Schiabfahrt zur Verfügung gestellt werde. Der Beklagte habe außerdem als Pistenhalter iSd § 1319a ABGB zu haften. Der Kläger habe sich die Verletzung nicht etwa durch den Sturz auf der Piste zugezogen, sondern erst durch den Anprall am Starkstrommast.

Der Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Ihn treffe kein Verschulden an diesem Unfall. Entlang der Schipiste stünden etwa 30 Holzmasten einer Starkstromleitung, welche gut sichtbar seien und sich außerhalb der Schipiste befänden. Die Pistenpräparierung geschehe bis zu einem Abstand von etwa 1 bis 2 m zu den Masten hin. Eine Verpflichtung des Beklagten, diese Masten abzusichern, bestehe nicht. Eine solche Forderung sei nicht zumutbar, weil die damit verbundenen Kosten nicht zu rechtfertigen seien. Auch Bäume und sonstige natürliche Hindernisse befänden sich gut sichtbar in der Piste. Die Verletzungen des Klägers seien durch den Sturz auf den Boden hervorgerufen worden. Die gleichen Verletzungen wären auch eingetreten, wenn der Mast abgesichert gewesen wäre. Das Vorhandensein der Masten begründe keine atypische Gefahr.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es legte seiner Entscheidung folgenden Sachverhalt zugrunde:

Der Kläger befand sich als Teilnehmer eines Schulschikurses in der Gruppe der weniger guten Schiläufer, die aus etwa 12 Schülern bestand. Die Gruppe fuhr mit Barbara H***** als Begleitperson die Abfahrt von der Bergstation Richtung Zwischeneinstieg talwärts, wobei die Abfahrt nicht in einem Zug, sondern in Abständen bewältigt wurde, weil die Gruppe immer wieder stehen blieb und dann den nächsten Abschnitt fuhr. Die Gruppe kam schließlich auf einen mittelsteilen Hang. Der Kläger fuhr als Letzter in der Gruppe. Am Fuße des Hanges teilte sich die Piste, wobei der nach links führende Teil zum Zwischeneinstieg führte. Hier befand sich ein Holzdoppelmast. Die Gruppe des Klägers befuhr diesen Teil der Abfahrt, um zu dem Zwischeneinstieg zu gelangen. Der Pistenbereich war zum Unfallszeitpunkt präpariert. In diesem Bereich verläuft links über die Piste eine Starkstromleitung, die auch den nach oben anschließenden mittelsteilen Hang längs diagonal quert. Die Starkstromleitung dient der Stromversorgung der Liftanlagen des Beklagten. Die Stützen der Starkstromleitung bestehen aus runden Holzmasten.

Die präparierte Piste rechts vom Doppelmast, bei dem der Unfall geschah, war 30 bis 40 m breit, links davon ca 7 bis 8 m. Die linke Begrenzung der präparierten Piste erfolgte durch natürlichen Baumbestand. Die Präparierung der Piste war bis etwa 1 m an die Holzmasten der Starkstromleitung herangeführt. Im Unfallsbereich war die Piste zumindest teilweise eisig und hart. Das Gelände war hier nicht sehr steil, die Neigung mittelstark bis flach. Die Gruppe war vorher etwa 100 m oberhalb der Unfallstelle stehen geblieben und von dort aus im Schuss losgefahren, dies, um ohne anschieben zu müssen, bis zum Zwischeneinstieg durchfahren zu können. Im Bereich der Unfallstelle war die Abfahrt so flach, dass ein Schifahrer, der von hier aus in Richtung Zwischeneinstieg losfährt, kaum in einem Zug zum nahegelegenen Zwischeneinstieg kommt.

Während die anderen Mitglieder der Gruppe die Unfallstelle ohne Schwierigkeit und ohne zu stürzen passierten, kam der Kläger, der an diesem Doppelmast auf dem links davon gelegenen Pistenteil vorbeifahren wollte, zu Sturz. Er fuhr nicht direkt gegen den Doppelmast. Wie und aus welchem Grund der Kläger zum Sturz kam und wie der Sturz im Einzelnen ablief, ließ sich bisher nicht feststellen. Er lag jedenfalls anschließend an den Sturz am Fuß eines der beiden Masten, und zwar desjenigen, der dem linken Pistenteil näher lag, mit dem Körper um den Mast herumgekrümmt.

Zum Unfallszeitpunkt herrschten gute Sichtverhältnisse. Die Starkstromleitung bestand seit dem Jahr 1972, desgleichen die Pisten in der Form, wie sie zum Unfallszeitpunkt waren. Die Holzmasten der Starkstromleitung war nicht abgesichert.

Der Kläger erlitt eine Gehirnerschütterung und eine Hautabschürfung im Bereich der Nasenregion. Er wurde in das Landeskrankenhaus Feldkirch eingeliefert, wo er bis zum 4. 2. 1983 verblieb. Er wurde beschwerdefrei entlassen.

Das Erstgericht war rechtlich der Ansicht, dass zur Verkehrssicherungspflicht des Pistenhalters die Vornahme der nach der Verkehrsauffassung erforderlichen und zumutbaren Schutzmaßnahmen hinsichtlich künstlicher oder natürlicher Gefahrenquellen im unmittelbaren Bereich des von ihr eröffneten oder unterhaltenen Schiverkehrs gehöre. Den Pistenhalter treffe die Pflicht zur Sicherung vor atypischen Gefahren. Eine solche für einen Schiläufer nicht oder nur schwer erkennbare und überraschende Gefahr sei durch den Bestand der Starkstromleitung nicht gegeben gewesen. Solche Holzmasten könnten bei dieser Art der Piste eine für einen Schifahrer nicht oder nur schwer erkennbare oder für ihn überraschende Gefahr nicht bilden. Deshalb sei eine Absicherung der Holzmasten durch den Pistenhalter nicht erforderlich gewesen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers Folge, hob das erstgerichtliche Urteil auf und trug dem Gericht erster Instanz auf, nach Verfahrensergänzung neuerlich zu entscheiden. Es vertrat die Auffassung, das es sich bei jenen Starkstrommasten, die auf oder in unmittelbarer Nähe der präparierten Piste stehen, um künstliche Hindernisse handelt, die sehr wohl eine latente Gefahr des Aufpralls eines Schifahrers darstellen und daher entweder beseitigt gehören oder doch so zu sichern seien, dass die mit der Gefahr einer Kollision verbundenen Folgen ausgeschaltet oder so weit wie möglich gemildert werden. Nach den Feststellungen des Erstgerichts sei der „A“‑Starkstrommast, in dessen Nähe oder mit dem sich der Unfall ereignete, an einer Stelle gestanden, an der die Schiabfahrt rechts und links daran vorbeiführte und die mechanische Pistenpräparierung bis auf eine Entfernung von etwa 1 m an den Mast herangeführt wurde. Das bedeute, dass sich dieser Mast praktisch inmitten der Piste befand. Künstliche Hindernisse, auch wenn sie leicht erkennbar sind, seien jedenfalls zu sichern, wenn eine Kollision mit ihnen schwer vermeidbar ist. Der Mast wäre daher derart abzusichern gewesen, dass zumindest die Härte eines Aufpralls gemildert wird. Eine solche Absicherung durch Anbringung von Strohballen, Schaumgummimatten oder ähnlichem Material wäre unschwer und mit durchaus zumutbaren Kosten zu bewerkstelligen gewesen. Das Erstgericht habe zwar zunächst Beweis durch Sachverständigen darüber zugelassen, ob die Verletzungen des Klägers bereits durch den Sturz auf den Boden und nicht erst durch den Anprall an den Holzmast verursacht wurden; von dieser Beweisaufnahme habe es jedoch in der Folge wieder Abstand genommen, weil es aufgrund seiner, vom Berufungsgericht nicht übernommenen Rechtsansicht, dass dem Beklagten ein Versehen in der Erfüllung der Pistenabsicherungspflicht nicht vorgeworfen werden könne, diese Tatsachenermittlung nicht mehr für erforderlich hielt. Infolgedessen unterblieben auch Feststellungen darüber, ob die Kopfverletzungen des Klägers durch den Sturz auf den Boden oder durch den Anprall am Holzmast der Elektroleitung entstanden sind. Ohne diese Beweisaufnahme über den Verursachungszusammenhang sei das Verfahren mangelhaft, weshalb das Urteil aufzuheben gewesen sei.

Da hinsichtlich der zumutbaren Maßnahmen im Rahmen der Wahrnehmung der Pistensicherungspflicht in Rechtsprechung und Literatur doch „eine erhebliche Bandbreite“ bestehe, sei ein Rechtskraftvorbehalt gemäß § 519 Abs 1 Z 3, 479 Abs 1 ZPO dem Beschluss beizufügen gewesen.

Gegen die Entscheidung des Gerichts zweiter Instanz richtet sich der Rekurs des Beklagten, in welchem er die Abänderung des berufungsgerichtlichen Beschlusses und die Wiederherstellung der Entscheidung des Erstgerichts beantragt.

Der Kläger beantragt in der Rekursbeantwortung, dem Rekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist unzulässig.

Der Oberste Gerichtshof ist gemäß § 526 Abs 2 ZPO als Rekursgericht bei der Beurteilung der Zulässigkeit des Rekurses an einen Ausspruch des Gerichts zweiter Instanz nach § 519 Abs 1 Z 3 ZPO bzw § 528 Abs 2 ZPO nicht gebunden. Er hat vielmehr zu prüfen, ob der Rekurs nach den genannten Bestimmungen zulässig ist oder nicht.

Von entscheidender Bedeutung für den vorliegenden Rechtsstreit ist die Frage, ob der in der Schipiste stehende Starkstrommast so abgesichert hätte werden müssen, dass Schifahrer bei der Ausübung des Schisports auf der Piste keiner zusätzlichen Gefährdung ausgesetzt worden wären. Dabei kommt es nicht darauf an, dass sich eine allenfalls durch bereits lange Zeit bestehende latente Gefahr bisher nicht verwirklicht hatte (1 Ob 667/83). Das Berufungsgericht hat sich unter Heranziehung der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs eingehend mit der Problemstellung des hier gegebenen Einzelfalls auseinandergesetzt. Es hat sich unter Berufung auf die nicht nur in der ZVR 1982/268, sondern auch in EvBl 1981/169 abgedruckte Entscheidung des Höchstgerichts dafür ausgesprochen, dass der mitten in der Piste stehende Starkstrommast abgesichert hätte werden sollen. Inwiefern die vom Gericht zweiter Instanz dargelegten Rechtsgrundsätze nicht mit der Judikatur übereinstimmen sollen, wurde im Rekurs des Beklagten nicht dargetan. Es besteht für den erkennenden Senat kein Anlass, von den bereits in zahlreichen Entscheidungen dargelegten Grundsätzen über die Pflicht zur Sicherung vor Gefahrenquellen auf Schipisten in irgendeiner Hinsicht abzugehen. Soweit schließlich Fragen des Einzelfalls im Vordergrund stehen, wie sie sich etwa daraus ergeben, dass die Piste bis ganz zum Starkstrommasten geführt wurde, dieser links und rechts umfahrbar war udgl, erscheinen die für die Zulässigkeit des Rekurses im Sinne der genannten Bestimmungen erforderlichen Kriterien von vornherein nicht gegeben. All dies hat aber zur Folge, dass der vorliegende Rekurs gemäß § 519 Abs 2 ZPO (§ 502 Abs 4 ZPO) nicht zuzulassen und das Rechtsmittel daher als unzulässig zurückzuweisen war.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO; der Kläger hat in seiner Rekursbeantwortung die Unzulässigkeit des Rekurses nicht geltend gemacht; die Rechtsmittelschrift war daher zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung nicht erforderlich, was nach den zitierten Bestimmungen einen Kostenzuspruch ausschließt.

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