OGH 8Ob51/15f

OGH8Ob51/15f27.5.2015

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Prof. Dr. Spenling als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Tarmann‑Prentner, die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Dr. Brenn sowie die Hofrätin Dr. Weixelbraun-Mohr als weitere Richter im Schuldenregulierungsverfahren des Schuldners Mag. M***** G*****, vertreten durch Urbanek Lind Schmied Reisch Rechtsanwälte OG in Wien, über den Revisionsrekurs des Schuldners gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten als Rekursgericht vom 19. März 2015, GZ 7 R 195/14b-145, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Tulln vom 1. November 2014, GZ 5 S 21/03y-140, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Begründung

Über das Vermögen des Schuldners wurde mit Beschluss des Erstgerichts vom 29. 9. 2003 das Schuldenregulierungsverfahren eröffnet. Die Summe der im Verfahren festgestellten Forderungen beträgt 6.477.250,67 EUR, wovon der überwiegende Teil aus vertraglichen und gesetzlichen Haftungen des Schuldners aus seiner Tätigkeit als Gesellschafter und Geschäftsführer zweier insolventer Kapitalgesellschaften resultierte.

Nach Ablehnung seines Zahlungsplans durch die Mehrheit der Gläubiger leitete das Erstgericht auf Antrag des Schuldners mit Beschluss vom 31. 1. 2006 das Abschöpfungsverfahren ein.

Während der Dauer des Abschöpfungsverfahrens war der Schuldner mit einem Nettoeinkommen von rund 2.000 EUR bis 2.200 EUR (zuzüglich Sonderzahlungen) als Key Account Manager unselbstständig beschäftigt. Er leistete im Abtretungszeitraum aus dem pfändbaren Teil seines Arbeitseinkommens Zahlungen in Höhe von insgesamt 47.242,50 EUR (rund 0,7 % der festgestellten Forderungen), weiters gelangten rund 9.000 EUR (etwa 0,14 % der festgestellten Forderungen) aus einer dem Schuldner zugefallenen Erbschaft zur Verteilung an die Gläubiger.

Am 8. 4. 2013 stellte der Schuldner den Antrag, das Abschöpfungsverfahren für beendet zu erklären und ihm nach Aussetzung gemäß § 213 Abs 3 IO unter Auferlegung von Ergänzungszahlungen die Restschuldbefreiung nach Billigkeit zu erteilen, in eventu das Abschöpfungsverfahren gemäß § 213 Abs 4 IO zu verlängern.

In der Begründung führte der Schuldner an, er sei nicht fahrlässig in seine Situation geraten und habe sich im Abschöpfungsverfahren sehr eingeschränkt und bemüht. Er sei nach wie vor im selben Unternehmen beschäftigt und habe sein Einkommen steigern können. Er trage einen erhöhten Unterhaltsaufwand für seine Tochter, die an Knocheneiterung leide und aus diesem Grund keine Lehrstelle finde. Im Jahre 2012 sei auch noch seine Gattin an Brustkrebs erkrankt.

Die Forderung der Hauptgläubigerin, der B***** AG, resultiere aus der Finanzierung eines vom früheren Unternehmen des Schuldners betriebenen Großprojekts. Der Bankdirektor sei persönlich „laufend involviert und befasst“ gewesen. Da es zu einer Abnahme des Projekts nicht gekommen sei, weil eine beteiligte Firma dies verhindert habe, seien mit der nachfolgenden Insolvenz des Unternehmens auch die persönlichen Haftungen des Schuldners schlagend geworden. Die übrigen Gläubiger seien „Lieferanten“, die „dann auch nicht mehr bedient“ worden seien. Es lägen daher Billigkeitsgründe iSd § 213 Abs 4 IO vor, die trotz der besonders niedrigen Quote eine Restschuldbefreiung rechtfertigen würden.

Rund ein Drittel der Konkursgläubiger sprachen sich gegen die Anträge des Schuldners aus, die übrigen Gläubiger sowie der Treuhänder stimmten ‑ mit diversen Modifikationen ‑ entweder zu, oder enthielten sich einer Äußerung.

Mit Beschluss vom 1. 12. 2014 gab das Erstgericht dem Antrag des Schuldners gemäß § 213 Abs 3 IO im zweiten Rechtsgang statt. Es erklärte das Abschöpfungsverfahren für beendet, setzte die Entscheidung über die Restschuldbefreiung für drei Jahre aus und legte fest, dass der Schuldner an die Insolvenzgläubiger innerhalb dieses Zeitraums weitere 0,58164 % ihrer Forderungen zu bezahlen habe.

Für die nach § 213 Abs 3 IO zu treffende Billigkeitsentscheidung komme es auf eine umfassende Interessenabwägung an. Das Gesetz verlange keine Mindestquote, weshalb der Umstand, dass der Schuldner nicht einmal 0,9% der festgestellten Forderungen abdecken habe können, eine Stattgebung nicht grundsätzlich hindere. Gerade für Fälle wie den vorliegenden, in denen der Schuldner als Privatperson hohe Schulden aus einer unternehmerischen Tätigkeit abzudecken habe, sei die Bestimmung des § 213 Abs 3 IO vom Gesetzgeber vorgesehen worden.

Der Schuldner habe trotz schwieriger familiärer Verhältnisse, nämlich der Krankheit seiner Tochter und seiner Ehegattin, nur durch seine außergewöhnlichen Anstrengungen weit überdurchschnittliche Erträge erwirtschaften können. Zusätzlich sei auch sein Wohnhaus vor Einleitung des Abschöpfungsverfahrens zur teilweisen Abdeckung der Schulden verwertet worden. Unter diesen besonderen Umständen erscheine es unbillig, ihm die Restschuldbefreiung nur wegen „faktischer Zahlen“ zu versagen. Die festgelegten Ergänzungszahlungen entsprächen einem Betrag von 37.500 EUR, den der Schuldner laut der Stellungnahme des Treuhänders bei Ausschöpfung aller Möglichkeiten in den nächsten drei Jahren noch aufbringen könnte. Es liege im Interesse der Gläubigergesamtheit, diesen Betrag quotenmäßig zu verteilen und keine einzelnen Gläubiger zu bevorzugen.

Das Rekursgericht gab dem von der Gläubigerin B***** AG (ON 25) erhobenen Rechtsmittel mit dem angefochtenen Beschluss Folge. Es änderte die Entscheidung des Erstgerichts dahin ab, dass es sämtliche Anträge des Schuldners abwies und das Abschöpfungsverfahren für beendet erklärte.

Entgegen der Ansicht des Erstgerichts seien weder die frühere unternehmerische Tätigkeit des Schuldners noch der Umstand, dass das Erreichen der Mindestquote schon von Beginn des Verfahrens an aussichtslos gewesen sei, für sich allein hinreichende Gründe für eine Billigkeitsentscheidung. Die Situation eines ehemaligen Unternehmers sei mit der eines unselbstständig beschäftigten Interzedenten aus dem Familienkreis, wie er in den Gesetzesmaterialien zu § 213 Abs 3 Z 3 IO als Anwendungsbeispiel genannt werde, nicht gleichzusetzen.

Zwar habe der Rekurswerberin schon bei der Kreditvergabe bewusst sein müssen, dass der Schuldner im Fall des Scheiterns des Unternehmens seine übernommenen enormen Haftungen nicht werde bedienen können, allerdings treffe diese Überlegung nicht auf alle Gläubiger zu. Über das Zustandekommen der anderen Verbindlichkeiten habe der Schuldner aber keine nachvollziehbaren Angaben gemacht.

Bei der Gewichtung der Billigkeitsgründe sei auf das Verhältnis der §§ 213 Abs 3 und Abs 4 IO Bedacht zu nehmen. Könne der Schuldner die Mindestquote aller Voraussicht nach auch am Ende des dreijährigen Verlängerungszeitraums nach § 213 Abs 4 IO nicht erreichen, dann komme nach herrschender Lehre und Rechtsprechung eine Verlängerung nicht in Betracht. Genauso scheine aber auch nach § 213 Abs 3 IO eine Fortführung des Verfahrens zwecklos, wenn selbst mit den auferlegten Ergänzungszahlungen keine die Restschuldbefreiung erlaubende Quote erreicht würde. Wäre dafür ein Ergänzungsbetrag nötig, den der Schuldner bei realistischer Betrachtung keinesfalls aufbringen könnte, würde dies genau zu jener Situation führen, die auch eine Verlängerung des Abschöpfungsverfahrens verbiete. Hier könne der Schuldner im besten Fall nur eine Gesamtquote von rund 1,45 % erreichen, womit der Ermessens- und Handlungsspielraum der Gerichte deutlich unterschritten werde.

Das Rekursgericht erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs für zulässig, weil es eine Stellungnahme des Höchstgerichts zum möglichen Ausmaß des Unterschreitens der Mindestquote bei einem Vorgehen nach § 213 Abs 3 IO bei immens hohen Forderungen für wünschenswert erachte.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs des Schuldners ist entgegen dem Ausspruch des Rekursgerichts mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

1. Die Abwägung der nach Billigkeit zu berücksichtigenden Gründe für und gegen die Restschuldbefreiung ist im Allgemeinen von den Umständen des Einzelfalls abhängig und stellt damit regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 528 Abs 1 ZPO dar (RIS-Justiz RS0042405 [T27]; 8 Ob 119/13b; 8 Ob 100/09b; 8 Ob 107/08f). Sie könnte die Zulässigkeit des Revisionsrekurses nur begründen, wenn den Vorinstanzen eine grobe Verkennung der Rechtslage unterlaufen wäre. Diese Voraussetzung zeigt der Revisionsrekurs nicht auf.

2. Billigkeitsentscheidungen sind von völlig individuellen Umständen und gegeneinander abzuwägenden Interessen geprägt, sodass es weder möglich noch sinnvoll erscheint, im Anwendungsbereich des § 213 Abs 3 IO einen fixen Schwellenwert für das gerade noch zulässige Unterschreiten der Mindestquote festzulegen. Dies gilt umso mehr, als diese Bestimmung eine der Interessenlage angepasste Ungleichbehandlung der Gläubiger erlaubt, sodass unterschiedliche Quoten innerhalb desselben Verfahrens möglich sind.

Der Oberste Gerichtshof hat auch bereits ausgesprochen, dass ein nicht bloß geringfügiges Unterschreiten der Mindestquote einer Restschuldbefreiung nach Billigkeit (dort: nach § 213 Abs 2 KO) nicht zwingend entgegensteht (RIS-Justiz RS0112275 [T1] = 8 Ob 107/08f). Bei einem Verfehlen um nahezu 80 % wurde ‑ unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls ‑ eine Versagung der Restschuldbefreiung für zumindest vertretbar erachtet (8 Ob 107/08f). Auch die vorliegende Entscheidung des Rekursgerichts bewegt sich innerhalb dieses Ermessensspielraums.

3. Bleibt die erreichbare Quote außerordentlich weit hinter der Mindestquote zurück, ist im Gegenzug ein besonders hohes Gewicht der zu berücksichtigenden Billigkeitsgründe erforderlich, um eine Restschuldbefreiung rechtfertigen zu können. Der Umstand, dass ein Schuldner exorbitant hohe Verbindlichkeiten angehäuft hat, kann für sich allein de lege lata nicht hinreichend sein, um ihm über den gesetzlichen 90%igen Schuldenerlass hinaus noch weitere Nachlässe in einem Ausmaß zuzubilligen, das einem durchschnittlichen Privatschuldner mit einer geringeren Forderungssumme selbst dann verwehrt bleibt, wenn diesem die Aufbringung seiner Mindestquote genauso schwer oder schwerer fällt.

4. Für das Vorliegen von entsprechenden Billigkeitsgründen ist der Schuldner behauptungspflichtig.

Die Risikokreditvergabe durch die Rekurswerberin hat das Rekursgericht iSd § 213 Abs 3 Z 4 IO in jedenfalls vertretbarer Rechtsansicht zugunsten des Schuldners in die Abwägung einbezogen. Diese Einschätzung betrifft aber lediglich rund die Hälfte der gesamten festgestellten Forderungen von mehr als 6 Mio EUR. Es gibt auch keinen Anhaltspunkt dafür, dass die den Forderungen zugrundeliegenden Leistungen dem Schuldner oder den von ihm beherrschten Unternehmen iSd § 213 Abs 4 Z 2 IO seinerzeit keinen Vermögensvorteil gebracht hätten.

5. Andere nachvollziehbare Billigkeitsgründe wurden nicht behauptet.

5.1. Das Antragsvorbringen, der Schuldner sei ohne Verschulden in die Insolvenz geraten, war mit dem Akteninhalt (Bericht des Treuhänders ON 91) nicht vereinbar. Von einem redlichen kaufmännischen Scheitern, das aus rechtspolitischen Erwägungen besondere Erleichterungen bei der privaten Entschuldung des ehemaligen Unternehmers rechtfertigen würde, konnte hier nicht ausgegangen werden.

5.2. Die Verwertung des mit Absonderungsrechten überlasteten Reihenhauses - das der Schuldner anscheinend nach wie vor bewohnt - erbrachte keinen Erlös für die Masse. Auch die aus der Beiziehung eines Masseverwalters resultierenden höheren Verfahrenskosten fielen im Verhältnis zum hohen auf die Mindestquote fehlenden Differenzbetrag nicht ins Gewicht.

5.3. Erkrankungen eines Schuldners während des Abschöpfungszeitraums, die seine Erwerbsfähigkeit beeinträchtigen, werden in der Rechtsprechung als berücksichtigungswürdige Gründe im Rahmen einer Billigkeitsentscheidung anerkannt (vgl 8 Ob 119/13b); im vorliegenden Fall war aber nicht der Schuldner selbst betroffen.

Es ist zwar nicht zu bezweifeln, dass die Krankheiten seiner Familienangehörigen auch für ihn mit großer emotionaler Belastung verbunden waren und sind, eine damit einhergehende wesentliche Behinderung seiner Berufstätigkeit kann aber aus dem Sachverhalt nicht abgeleitet werden.

5.4. Ein erhöhter Unterhaltsbedarf der Tochter des Schuldners für diverse Heilbehelfe ist nachvollziehbar, die konkret von ihm genannten Beträge bewegten sich aber im Bereich von wenigen hundert Euro pro Jahr. Dem steht gegenüber, dass der Schuldner nicht Alleinverdiener war und nach Abzug der Abschöpfungsbeträge laufend ein unpfändbares Nettoeinkommen von rund 1.500 EUR monatlich plus Sonderzahlungen zur Verfügung hatte.

6. Unter den gegebenen Umständen ist die Ermessensentscheidung des Rekursgerichts, die mit der höchstgerichtlichen Rechtsprechung (8 Ob 71/11s; 8 Ob 119/13b) in Einklang steht, insgesamt jedenfalls nicht unvertretbar und keine offenkundige Fehlentscheidung, die die Zulässigkeit des Revisionsrekurses rechtfertigen könnte.

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