European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:E121478
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
1. Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass der Beschluss des Erstgerichts wiederhergestellt wird.
2. Die Revisionsrekursbeantwortung des Schuldners wird zurückgewiesen.
Begründung:
Über das Vermögen des Schuldners wurde mit Beschluss des Erstgerichts vom 4. 3. 2009 das Schuldenregulierungsverfahren eröffnet und am 29. 4. 2009 nach Scheitern des angebotenen Zahlungsplans das Abschöpfungsverfahren eingeleitet. Innerhalb der siebenjährigen Laufzeit der Abtretungserklärung erhielten die Gläubiger eine Quote von 4,55 % ihrer angemeldeten Forderungen.
Über Antrag des Schuldners erklärte das Erstgericht mit Beschluss vom 12. 10. 2016 das Abschöpfungsverfahren für beendet, setzte die Entscheidung über die Restschuldbefreiung gemäß § 213 Abs 3 IO aF aus und trug dem Schuldner auf, binnen drei Jahren ab Rechtskraft der Entscheidung an drei näher bezeichnete Gläubiger im Einzelnen angeführte Ergänzungszahlungen zu leisten sowie die offenen Verfahrenskosten zu bezahlen, um von den nicht erfüllten Verbindlichkeiten befreit zu werden.
Am 5. 12. 2017 stellte der Schuldner den Antrag auf Beendigung des Abschöpfungsverfahrens und Erteilung der Restschuldbefreiung nach § 280 IO idF des IRÄG 2017.
Das Erstgericht wies den Antrag mangels der Voraussetzungen des § 280 IO nF ab.
Das Rekursgericht gab dem Rechtsmittel des Schuldners Folge und sprach aus, dass ihm die Restschuldbefreiung erteilt werde.
Die auf anhängige Abschöpfungsverfahren anzuwendende Übergangsbestimmung des § 280 IO idF IRÄG 2017 sei dahin auszulegen, dass auch nach einer Billigkeitsentscheidung gemäß § 213 Abs 3 IO aF ein Antrag auf Restschuldbefreiung gestellt werden könne. Eine andere Interpretation würde zur unsachlichen Benachteiligung dieser Personen gegenüber jenen Schuldnern führen, deren Verfahren nach § 213 Abs 4 IO aF verlängert wurde. Dieses Ergebnis sei mit dem Wortlaut des § 280 IO nF vereinbar, weil das Verfahren erst nach der Entscheidung über die Restschuldbefreiung endgültig als beendet angesehen werden könne.
Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil – soweit überschaubar - noch keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Anwendung des § 280 IO nF in einem am 1. 11. 2017 anhängigen Verfahren, in dem nach § 213 Abs 3 IO aF Ergänzungszahlungen aufgetragen wurden, bestehe.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs der Gläubigerin ist aus den vom Rekursgericht dargelegten Gründen zulässig und auch berechtigt.
1. Die für das Schuldenregulierungsverfahren maßgeblichen Änderungen der IO durch das IRÄG 2017 traten mit 1. 11. 2017 in Kraft. Sie sind grundsätzlich nur auf neue Verfahren anzuwenden, nämlich wenn das Insolvenzverfahren nach dem 31. 10. 2017 eröffnet wurde, oder wenn der Antrag auf Einleitung des Abschöpfungsverfahrens nach diesem Datum bei Gericht eingelangt ist.
Für Abschöpfungsverfahren, die bei Inkrafttreten des Gesetzes bereits anhängig waren, gilt weiterhin die bisherige Rechtslage, allerdings mit der Maßgabe der Übergangsbestimmung des § 280 IO idF IRÄG 2017, welche lautet:
„Nach Einleitung des Abschöpfungsverfahrens bis zur Entscheidung über die Restschuldbefreiung ist auf Antrag des Schuldners das Abschöpfungsverfahren zu beenden, wenn die Abtretungserklärung abgelaufen ist oder seit dem 1. November 2017 fünf Jahre der Abtretungserklärung abgelaufen sind. § 213 Abs 1 zweiter bis vierter Satz in der vor dem IRÄG 2017 vorgesehenen Fassung sind anzuwenden.“
2. Der erkennende Senat hat bereits jüngst in der Entscheidung 8 Ob 6/18t vom 26. 1. 2018 ausgesprochen, dass die wesentlichen Neuerungen des IRÄG 2017 im Bereich des Abschöpfungsverfahrens, nämlich die Verkürzung des Zeitraums der Abtretungserklärung von sieben auf fünf Jahre und der Entfall des Erfordernisses einer Mindestquote, nach § 280 IO, für anhängige Verfahren nur teilweise und in zeitlicher Abstufung wirksam werden. Während eine Mindestquote nach § 280 IO nF auch in sämtlichen bereits anhängigen Verfahren entfällt, in denen nach dem 31. 10. 2017 über die Erteilung einer Restschuldbefreiung zu entscheiden ist, kommt die Verkürzung des Abschöpfungszeitraums auf fünf Jahre in diesen alten Verfahren, wenn überhaupt, nur zeitverzögert und nicht in vollem Ausmaß zum Tragen.
In allen laufenden Verfahren, in denen die Abtretung vor dem 1. 11. 2015 wirksam wurde, bleibt es unverändert bei einer insgesamt siebenjährigen Laufzeit. Nur wenn der Abschöpfungszeitraum erst nach diesem Datum zu laufen begonnen hat, verringert sich nach § 280 IO nF die effektive Gesamtdauer sukzessive bis zum 1. 11. 2022. Ungeschmälert kommt die Verkürzung auf fünf Jahre erst jenen Schuldnern zugute, deren Abtretungszeitraum am 1. 11. 2017 oder später begonnen hat. Entgegen der Rechtsauffassung des Rekursgerichts sieht § 280 IO keine vorzeitige und damit privilegierende Verkürzung jener anhängigen Verfahren vor, die vor dem Stichtag wegen Nichterreichens der Mindestquote nach § 213 Abs 4 IO aF (anstelle der Beendigung ohne Restschuldbefreiung) bereits aus Billigkeitsgründen verlängert wurden. Ein Antrag nach § 280 IO ist hier nur unter der Voraussetzung zulässig, dass auch die Abtretungserklärung für das verlängerte Verfahren abgelaufen ist (8 Ob 6/18t; 8 Ob 5/18w; 8 Ob 20/18a).
3. Auf ein anhängiges Schuldenregulierungs-verfahren, in dem das Abschöpfungsverfahren nach § 213 Abs 3 IO aF für beendet erklärt wurde und die Entscheidung über die Restschuldbefreiung unter Auferlegung von bestimmten Ergänzungszahlungen ausgesetzt wurde, kommt eine unmittelbare Anwendung des § 280 IO nF wörtlich nicht in Frage. Eine wiederholte Beendigung desselben Abschöpfungsverfahrens ist begrifflich nicht möglich (vgl 8 Ob 6/18t).
Die Ansicht des Rekursgerichts, eine Beendigung des „Abschöpfungsverfahrens“ nach § 280 IO nF sei in Wahrheit erst nach der Entscheidung über die Restschuldbefreiung anzunehmen, steht im Widerspruch zu § 280 IO nF. Zwar fällt die Beendigung des Abschöpfungsverfahrens nach § 213 IO aF in der Regel mit der Entscheidung über die Restschuldbefreiung zusammen, die Ausnahme bildet aber die Billigkeitsentscheidung nach § 213 Abs 3 IO. Hier findet während der Dauer der Aussetzung der Endentscheidung kein Abschöpfungsverfahren mehr statt.
Für eine einschränkende Interpretation des Wortlauts des § 280 IO im Sinne eines bloßen Antrags auf vorzeitige Restschuldbefreiung könnte sprechen, dass in den nach dem Übergangsrecht über Antrag des Schuldners getroffenen Entscheidungen nicht mehr auf eine Quotenerfüllung im Abschöpfungsverfahren Bedacht zu nehmen ist. Daraus könnte – wovon das Rekursgerichtausgeht – weiter abgeleitet werden, dass es auch auf die Erfüllung der rechtskräftig aufgetragenen Ergänzungszahlungen nicht mehr ankommt, weil das Verfahren jedenfalls mit Restschuldbefreiung zu beenden wäre.
Dagegen spricht zunächst, dass der Beschluss nach § 213 Abs 3 IO aF auch bereits eine bindende Entscheidung über das Ausmaß der Restschuldbefreiung enthält und lediglich deren Erteilung oder Versagung noch vorbehalten bleibt (8 Ob 57/13k).
Darüber hinaus sieht das IRÄG 2017 grundsätzlich keine Abänderung bereits rechtskräftiger gerichtlicher Entscheidungen vor. Auch die Übergangsregelung des § 280 IO nF lässt nicht erkennen, dass damit ein Eingriff in die durch den Beschluss nach § 213 Abs 3 IO aF bereits vor dem 1. 11. 2017 rechtskräftig erworbene Rechtsposition jener Gläubiger beabsichtigt war, die noch Ergänzungszahlungen zu erhalten haben und in diesem Umfang auch zur Exekutionsführung berechtigt sind (Mohr in Konecny/Schubert Insolvenzgesetz § 213 IO Rz 18).
Die Anwendung des § 280 IO nF auf Verfahren wie das hier vorliegende würde entgegen der Rechtsansicht des Rekursgerichts auch keine unsachliche Benachteiligung verhindern. Vielmehr wären dadurch in der maßgeblichen Vergleichsgruppe der Schuldner, denen im Übergangszeitraum eine Billigkeitsentscheidung nach § 213 Abs 3 IO gewährt wurde, ausgerechnet jene bevorzugt, die ihren auferlegten Ergänzungsverpflichtungen nicht nachgekommen sind, und diejenigen benachteiligt, die bereits Ergänzungsleistungen erbracht haben.
Es besteht keine mit dem Gesetzeszweck oder einer Gleichbehandlung der Schuldner zu begründende Notwendigkeit, die Übergangsregelung nicht ihrem Wortlaut entsprechend auszulegen, der die nach § 213 Abs 3 IO bereits beendeten Abschöpfungsverfahren vom Anwendungsbereich ausschließt. Es liegt in der Natur jeder Gesetzesänderung, dass Sachverhalte, die vor und nach dem Stichtag ihres Inkrafttretens verwirklicht wurden, einer unterschiedlichen rechtlichen Behandlung unterliegen können. Gemäß § 5 ABGB wirken Gesetze im Zweifel nicht zurück (RIS‑Justiz RS0008745). Vor dem Inkrafttreten eines Gesetzes abschließend verwirklichte Sachverhalte sind daher grundsätzlich nach altem Recht zu beurteilen (RIS‑Justiz RS0008715, RS0008747). Die Beurteilung anspruchsbegründender Tatbestände, die bereits vollständig verwirklicht sind, hat daher prinzipiell nach der im Zeitpunkt der Entstehung des Anspruchs geltenden Rechtslage zu erfolgen (5 Ob 98/94; 6 Ob 2094/96a; 9 Ob 35/01i). Der Gesetzgeber kann zwar eine ausnahmsweise Rückwirkung anordnen, sie muss sich jedoch aus dem Gesetz selbst ergeben (RIS‑Justiz RS0008713, RS0008694).
Dem Rekurs der Gläubigerin war sohin Folge zu geben und die dem Gesetz entsprechende Entscheidung des Erstgerichts wiederherzustellen.
4. Die Revisionsrekursbeantwortung des Schuldners war hier zurückzuweisen. Das Rechtsmittelverfahren in Insolvenzsachen ist mit Ausnahme des Eröffnungsverfahrens grundsätzlich einseitig (RIS‑Justiz RS0116129; 8 Ob 5/18w, 8 Ob 6/18t).
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)