Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Text
Begründung
Die Minderjährige und ihre Eltern sind polnische Staatsbürger mit ständigem gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich. Die Ehe der Eltern wurde mit Urteil des Bezirksgerichtes Liesing vom 5.2.1996 rechtskräftig geschieden, wobei die Obsorge für die drei der Ehe entstammenden Kinder nicht geregelt wurde. Seit der Scheidung wohnen die drei Kinder bei der Mutter, wo sie in geordneten Verhältnissen aufwachsen. Die Minderjährige wird dort zeitweise auch von ihren Geschwistern beaufsichtigt; sie fühlt sich zu beiden Elternteilen hingezogen, ist jedoch in den Haushalt der Mutter besonders stark eingebunden. Beide Eltern sind zur Erziehung der Minderjährigen geeignet, die Mutter wird darin zusätzlich von den beiden wesentlich älteren Geschwistern unterstützt, die ihr bei der Betreuung hilfreich sind. Die Eltern sind tiefgreifend zerstritten.
Am 19.1.1996 beantragte die Mutter, ihr die elterliche Gewalt bezüglich der Minderjährigen zuzuteilen. Der Vater stellte zunächst seinerseits den Antrag, ihm die alleinige elterliche Gewalt zuzuteilen, änderte sein Begehren jedoch unter Hinweis auf die polnische Rechtslage dahingehend, die elterliche Gewalt beiden Elternteilen zu belassen.
Das Erstgericht übertrug mit Beschluß vom 14.2.1997 (ON 72) die Ausübung der elterlichen Gewalt auf die Mutter. Gleichzeitig wurde dem Vater ein Besuchsrecht in 14-tägigen Abständen jeweils beginnend am Samstag um 9.00 Uhr und endend am darauffolgenden Sonntag um 18.00 Uhr, sowie ein Urlaubsbesuchsrecht im Umfang von einer Woche im Winter eines jeden Jahres und vier Wochen in den jeweiligen gesetzlichen Sommerschulferien eines jeden Jahres eingeräumt.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Vaters nicht Folge und erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs für nicht zulässig, da die Voraussetzungen des § 14 Abs 1 AußStrG nicht vorlägen. In rechtlicher Hinsicht führte das Rechtsmittelgericht aus, im vorliegenden Fall seien die Bestimmungen des Haager Übereinkommens über die Zuständigkeit der Behörden und das anzuwendende Recht auf dem Gebiet des Schutzes von Minderjährigen vom 5.10.1961, BGBl Nr 446/1975 (Minderjährigenschutzabkommen-MSA) anzuwenden. Die Behörden des Staates, in dem ein Minderjähriger seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, seien vorbehaltlich der Bestimmungen der Art 3, 4 und 5 Abs 3 MSA dafür zuständig, Maßnahmen zum Schutz der Person zu treffen. Sie hätten nach Art 1 MSA die nach ihrem innerstaatlichen Recht vorgesehenen Maßnahmen zu treffen. Ein gesetzliches Gewaltverhältnis, das nach dem Recht des Staates, dem der Minderjährige angehört, besteht, sei in allen Vertragsstaaten anzuerkennen (Art 3 MSA). Das genannte Abkommen gelte auch für Obsorgeentscheidungen und sei auf alle Minderjährigen anwendbar, die ihren gewöhnlichen Aufenthaltsort in Österreich haben. Schutzmaßnahmen seien nach österreichischem Recht alle gerichtlichen Eingriffe in das elterliche Obsorgeverhältnis. Im vorliegenden Fall folge daraus, daß das Erstgericht unbedenklich davon ausgehen konnte, im Scheidungsurteil sei die elterliche Gewalt nur deshalb nicht geregelt, weil parallel dazu der Streit um die elterliche Gewalt bereits anhängig gewesen sei, und daß im Sinne des § 176 ABGB eine Weiterbelassung der elterlichen Gewalt bei beiden Elternteilen dem Kindeswohl abträglich wäre. Darüber hinaus sei auch bei Anwendung polnischen Rechts im Interesse des Kindes die nachträgliche Regelung der elterlichen Gewalt und die Abänderung der Form der Ausübung möglich. Gegen die Festlegung des Umfanges des Besuchsrechtes, welche auf dem schlüssigen Gutachten des Sachverständigen beruhe, bestünden keine Bedenken.
Gegen diesen Beschluß richtet sich der (außerordentliche) Revisionsrekurs des Vaters mit dem Antrag, die elterliche Gewalt hinsichtlich der Minderjährigen beiden Eltern zu belassen, allenfalls ihm ein Besuchsrecht in dem bereits im Rekurs begehrten Umfang einzuräumen, hilfsweise den angefochtenen Beschluß aufzuheben und die Rechtssache an das Rekursgericht zur Verfahrensergänzung und Neuschöpfung eines Beschlusses zurückzuverweisen oder auch den erstinstanzlichen Beschluß aufzuheben und die Rechtssache an das Gericht erster Instanz zurückzuverweisen. Nach Art 3 MSA dürften nur solche Schutzmaßnahmen von den Gerichten des Aufenthaltsortes getroffen werden, die auch die im Heimatsstaat des Kindes geltenden Gesetze vorsähen. Nach polnischem Recht werde die elterliche Gewalt jedoch auch nach der Scheidung von beiden Elternteilen ausgeübt, sofern nicht im Scheidungsurteil anderes beschlossen werde. Von diesem Grundsatz gehe das polnische Recht nur dann ab, wenn einer der Elternteile verstorben oder in seiner Geschäftsfähigkeit beschränkt sei, ihm die elterliche Gewalt entzogen oder die Befugnis zu deren Ausübung ausgesetzt werde (Art 94 leg cit), was im gegenständlichen Fall nicht zutreffe, weshalb kein Grund vorliege, die elterliche Gewalt allein auf die Mutter zu übertragen. Überdies sei ihm zumindest ein großzügigeres Besuchsrecht einzuräumen sei. Der Revisionsrekurs sei zulässig, weil zur Problematik der Anerkennung im Heimatsstaat bestehender Gewaltverhältnisse nach Art 3 MSA jedenfalls im Hinblick auf polnischem Familienrecht unterliegende Minderjährige keine höchstgerichtliche Judikatur vorliege, obwohl einer solchen in Anbetracht der nicht unbeträchtlichen Zahl von in Österreich lebenden polnischen Minderjährigen erhebliche Bedeutung zukomme.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist gemäß § 14 Abs 1 AußStrG zulässig, da das Rekursgericht im Anlaßfall von der Anwendbarkeit des Haager Minderjährigerschutzabkommens ausgeht und somit von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes abweicht, wonach die Bestimmungen des Vertrages über die wechselseitigen Beziehungen im bürgerlichen Rechtssachen und über Urkundenwesen, abgeschlossen zwischen Österreich und der Volksrepublik Polen im Jahre 1963, anzuwenden sind (4 Ob 506/94 = ZfRV 1994/36, 159).
Dem Revisionsrekurs kommt jedoch keine Berechtigung zu.
Das Haager Minderjährigenschutzabkommen vom 5.10.1961 ist in Polen am 13.11.1993 in Kraft getreten (Dietrich Marcks, Daten internationaler Abkommen zum Familienrecht (1994) 149). Gemäß Art 18 läßt dieses jedoch die Bestimmungen anderer zwischenstaatlicher Übereinkünfte unberührt, die im Zeitpunkt seines Inkrafttretens zwischen den Vertragsstaaten gelten. Zwischen Österreich und der Volksrepublik Polen wurde 1963 der Vertrag über die wechselseitigen Beziehungen in bürgerlichen Rechtssachen und über Urkundenwesen abgeschlossen (BGBl 1974/79), welcher seit 20.2.1974 in Kraft ist. Im Anlaßfall sind daher die Bestimmungen dieses Vertrages anzuwenden.
Wenn ein mj. Angehöriger eines Vertragsstaates seinen gewöhnlichen Aufenthalt im anderen Vertragsstaat hat, sind nach Art 31 Abs 1 des genannten Vertrages dessen Gerichte vorbehaltlich der Bestimmungen der Art 32 und 34 zuständig, nach dem für sie geltenden Rechte Maßnahmen zum Schutz der Person oder des Vermögens des Minderjährigen zu treffen; von solchen Maßnahmen ist die diplomatische oder zuständige konsularische Vertretungsbehörde des Heimatstaates des Minderjährigen zu verständigen (Art 31 Abs 2). Art 32 Abs 1 des Vertrages bestimmt, daß die Gerichte des Heimatstaates des Minderjährigen nach dem für sie geltenden Recht unter Verständigung der Gerichte des Aufenthaltstaates zum Schutz der Person oder des Vermögens des Minderjährigen Maßnahmen treffen können, welche dann an die Stelle der Maßnahmen treten, die allenfalls von den Gerichten des Aufenthaltsstaates getroffen worden sind. Diese Bestimmungen, die weitgehend dem Haager Minderjährigenschutzabkommen nachgebildet sind, verteilen somit die "internationale Zuständigkeit" für Schutzmaßnahmen auf den Staat des gewöhnlichen Aufenthaltes und den Heimatstaat. Diese Zuständigkeiten bestehen grundsätzlich nebeneinander, jedoch läßt der Wortlaut des Vertrages eindeutig erkennen, daß in erster Linie mit der Zuständigkeit der Gerichte des gewöhnlichen Aufenthaltes des Kindes gerechnet wird (4 Ob 506/94):
Die Gerichte des Aufenthaltsstaates "sind zuständig", die Behörden des Heimatstaates hingegen "können Schutzmaßnahmen treffen" (Art 32 Abs 1). Die Gerichte des Aufenthaltsstaates sind somit lediglich dann nicht mehr zuständig, wenn bereits durch die Gerichte des Heimatstaates des Kindes Schutzmaßnahmen ergriffen worden sind; in solchen Fällen besteht nur noch eine Eil- bzw Notzuständigkeit der Gerichte am gewöhnlichen Aufenthalt des Minderjährigen (Art 34).
Im Anlaßfall besteht somit kein Zweifel an der Zuständigkeit der österreichischen Gerichte, zumal im Heimatstaat der Minderjährigen keine Schutzmaßnahmen ergriffen worden sind. Art 31 des Vertrages legt darüber hinaus ausdrücklich fest, daß die Gerichte des Aufenthaltsstaates nach dem für sie geltenden Recht vorzugehen haben, sodaß an der Anwendung österreichischen Familienrechtes, konkret des § 176 ABGB, kein Zweifel bestehen kann. Das Erstgericht hat somit zu Recht entsprechend § 176 ABGB die zur Sicherung des Wohles des Kindes nötigen Verfügungen getroffen. Im Zusammenhang mit den Feststellungen ergeben sich keine Bedenken dagegen, daß die konkrete Obsorgeregelung diesem Normzweck entspricht, sodaß die Entscheidung zu bestätigen war. Daran vermag der Umstand, daß auch der Vater erziehungstauglich ist, nichts zu ändern, da die Lebensumstände bei der Mutter insgesamt günstiger sind; das Belassen der Obsorge bei beiden Elternteilen entspricht angesichts der festgestellten Umstände keinesfalls dem Kindeswohl. Auch zu einer Änderung der vorgenommenen Besuchrechtsregelung gibt es keine Veranlassung.
Hinsichtlich der im Art 31 Abs 2 des Vertrages normierten Verständigungspflicht der Gerichte des Aufenthaltsstaates wurde nicht festgelegt, welche Wirkung die Verletzung dieser Pflicht hat. Im Gegensatz zu der im Art 4 des Minderjährigenschutzabkommens geregelten Verständigungspflicht bestimmt der Rechtshilfevertrag, daß die Gerichte die diplomatische oder zuständige konsularische Vertretungsbehörde des Vertragsstaates, dessen Angehöriger der Minderjährige ist, von den getroffenen Maßnahmen zu verständigen haben. Aus diesem Wortlaut ergibt sich, daß die Verständigung im nachhinein zu erfolgen hat, weshalb im Anlaßfall eine Verletzung dieser Verständigungspflicht nicht vorliegt, sondern vielmehr das Erstgericht nach nunmehrigem Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung die entsprechende Verständigung vorzunehmen haben wird.
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