OGH 8Ob166/63

OGH8Ob166/6317.7.1963

SZ 36/101

Normen

ABGB §1495
ABGB §1495

 

Spruch:

Hemmung der Verjährung zwischen Kind und Elternteil, auch wenn das Kind gemäß § 142 ABGB. dem anderen Elternteil zur Pflege und Erziehung überlassen wurde.

Entscheidung vom 17. Juli 1963, 8 Ob 166/63.

I. Instanz: Landesgericht Salzburg; II. Instanz: Oberlandesgericht Linz.

Text

Die Kläger sind die ehelichen Kinder des Beklagten. Sie sind am 8. Jänner 1942 (Erstkläger) und am 15. Juli 1943 (Zweitklägerin) geboren. Die Ehe ihrer Eltern ist mit Urteil des Landesgerichtes für ZRS. Wien vom 8. September 1948 rechtskräftig nach § 55 EheG. ohne Schuldausspruch geschieden worden. Am 27. September 1948 haben die Eltern der Kläger einen Notariatsakt geschlossen, in dem vereinbart wurde, daß die Kinder in Verpflegung und Erziehung der Mutter bleiben sollten und der Beklagte ab 1. Oktober 1948 für jedes Kind ein sechstel seines Nettoeinkommens, mindestens jedoch 160 S monatlich zu Handen der Mutter zu bezahlen habe. Einem Anspruch der Kinder auf Erhöhung dieses Unterhaltes bei Steigerung der Bedürfnisse der Kinder infolge ihres Heranwachsens sollte dadurch nicht vorgegriffen werden. Eine Vollstreckbarkeitsklausel fehlt im Notariatsakt. Die Vereinbarung wurde in Ansehung der beiden Kinder pflegeschaftsbehördlich genehmigt.

Die Kläger begehrten mit der am 2. Mai 1961 eingebrachten Klage Verurteilung des Beklagten zur Bezahlung des in der Zeit vom 1. Oktober 1948 bis 1. Mai 1959 aufgelaufenen Unterhaltsrückstandes, den sie zunächst mit je 52.970.50 S zusammen 105.941 S berechneten. In der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom 28. Dezember 1962 dehnten sie das Klagebegehren auf je 59.009.31 S, zusammen 118.018.63 S aus. Bei der Berechnung dieses Betrages wandten die Kläger in Berücksichtigung der Geldwertminderung den Lebenshaltungskostenindex für eine vierköpfige Arbeiterfamilie in Wien, bzw. ab März 1959 diesen Index korrigiert und verkettet mit dem Verbraucherpreisindex II, wie er vom Wirtschaftsforschungsinstitut Wien berechnet wurde, an.

Das Erstgericht hat das Klagebegehren abgewiesen. Es ist hiebei außer von den oben angeführten, unbestrittenen Tatsachen von folgenden wesentlichen Feststellungen ausgegangen: Am 14. Juni 1959 habe die Mutter der Kläger beim Pflegschaftsgericht beantragt, den Beklagten in Erfüllung seiner vertraglichen Verpflichtungen für die Zeit vom 1. Juni 1956 bis 31. Mai 1959 zur Zahlung eines Betrages, der je Kind ein Sechstel seines Nettoeinkommens in dieser Zeit darstelle, zu verhalten und weiter den ehelichen Vater ab 1. Juni 1959 zur laufenden Unterhaltszahlung in derselben ziffernmäßigen Höhe je Kind und Monat zu verpflichten. Das Pflegschaftsgericht habe ziffernmäßige Unterhaltsbeträge für die beiden Kläger ab 4. Juni 1959 bis zu deren Selbsterhaltungsfähigkeit festgesetzt, die mit 1. September 1960, bzw. 1. Oktober 1960 eingetreten sei. Mit dem weiteren Begehren auf Festsetzung eines Unterhaltsbetrages für die Zeit vom 1. Juni 1956 bis 3. Juni 1959 seien die Antragsteller auf den Rechtsweg verwiesen worden. In dieser Richtung sei der Beschluß in II. und III. Instanz bestätigt worden. Das Erstgericht stellte weiter das Einkommen des Beklagten in der Zeit vom 1. Oktober 1948 bis 30. April 1959 mit 369.810 S 98 g und die Unterhaltsverpflichtung mit 124.710 S 31 g fest. Von diesem Betrage komme jedoch ein Betrag von 54.489 S 60 g in Abzug, das sei ein Unterhaltszuschuß, den die Großmutter der Kinder, Emilie Z., von der Kammer der gewerblichen Wirtschaft erhalten habe und den die Kläger selbst auf den behaupteten Unterhaltsrückstand ab 1956 anrechneten. Daraus ergebe sich eine Leistungspflicht des Beklagten von 70.220 S 71 g. Der Beklagte habe darauf folgende Zahlungen geleistet: In barem Gelde 57.354 S, ferner Sonderaufwendungen im Betrage von 24.038 S 80 g, zusammen daher 81.392 S 80 g. Es ergebe sich daher eine Mehrleistung des Beklagten von 11.172 S 09 g. In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus: Die Genehmigung zur Prozeßführung sei der zur besonderen Sachwalterin für die beiden mj. Kläger bestellten Mutter der Kläger Gertrude P. laut der Beschlüsse des Bezirksgerichtes D. vom 13. April 1961 und 28. August 1961, erteilt worden. Über den geltend gemachten Anspruch sei im ordentlichen Rechtswege zu entscheiden, da es sich nicht um einen gesetzlichen, sondern um einen vertraglichen, strittigen Anspruch handle, und daher sei auch nicht die Eigenzuständigkeit des Bezirksgerichtes nach § 49 Z. 2a JN., sondern die Wertzuständigkeit des Gerichtshofes gegeben. § 1418 ABGB. stehe dem auf einen Vertragstitel gestützten Unterhaltsanspruch nicht entgegen; in diesem Falle könne ein Unterhalt auch für die Vergangenheit begehrt werden. Eine Verjährung des Anspruches gemäß § 1495 ABGB. sei nicht eingetreten. Bei Berechnung des Nettoeinkommens des Beklagten sei ein Spesenabzug von 30% als Entschädigung für den besonderen, mit der Berufsausübung verbundenen Aufwand anzuerkennen gewesen. Das Nettoeinkommen des Beklagten sei das Bruttoeinkommen, abzüglich Steuern, Abgaben und Spesenersatz, aber ohne Berücksichtigung der Kinderbeihilfe. Die Kammerunterstützung sei auf die Leistungspflicht des Beklagten in jenem Ausmaße anzurechnen gewesen, wie es die Kläger freiwillig getan hätten, denn darauf habe der Beklagte keinen Anspruch. Der Aufwertungsanspruch sei in mehrfacher Hinsicht unbegrundet. In dem Notariatsakt vom 27. September 1948 fehle eine Wertsicherungsklausel; es heiße darin vielmehr in Ziffer 5: "Dem Anspruch der Kinder auf Erhöhung des Unterhaltes bei Steigerung der Bedürfnisse infolge Heranwachsens werde hiedurch nicht präjudiziert." Damit sei klar zum Ausdrucke gebracht, daß die Unterhaltsvereinbarung unter der clausula rebus sic stantibus abgeschlossen worden sei und daß bei Steigerung der Bedürfnisse der Kinder eine Neuregelung der Unterhaltsverpflichtung des Beklagten hätte erfolgen müssen; dies sei aber nicht geschehen. Außerdem werde der Schaden, den der Schuldner seinem Gläubiger durch Verzögerung der bedungenen Zahlung zufüge, durch die gesetzlichen Zinsen vergütet (§ 1333 ABGB.) und schließlich fehle es überhaupt an einem aufwertbaren Rückstand des Beklagten.

Das Berufungsgericht hat der Berufung der Kläger nur im Kostenpunkte Folge gegeben, das Urteil des Erstgerichtes aber im übrigen bestätigt. Es hat die Rechtsansicht des Erstgerichtes, daß der Beklagte bei Berechnung seines Nettoeinkommens berechtigt sei, Spesen abzurechnen, und daß die Aufwertung der begehrten Unterhaltsleistung nicht zulässig sei, gebilligt. Das Berufungsgericht hat aber die Ansicht vertreten, daß der Anspruch verjährt sei, soweit er die Zeit vor dem 2. Mai 1958 betreffe. § 1495 ABGB. komme nicht zur Anwendung, weil diese Gesetzesbestimmung von elterlicher (und nicht von väterlicher) Gewalt ausgehe und diese durch die gemäß § 142 ABGB. getroffene Vereinbarung teilweise aufgehoben worden sei. In einem Falle, in dem einem Elternteil bei geschiedener Ehe das alleinige Erziehungsrecht zukomme und nur gelegentlich ein Besuch des anderen Elternteils, hier des beklagten Vaters, stattfinde, sei jede nähere persönliche Bindung der Kinder mit dem Vater praktisch verloren gegangen, so daß der Grund für die Verjährungshemmung nach § 1495 ABGB. weggefallen sei. Unter Berücksichtigung der dreijährigen Frist des § 1480 ABGB. seien daher alle Ansprüche aus der Zeit vor dem 2. Mai 1958 verjährt und die Kläger könnten nur die Rückstände vom 2. Mai 1958 bis 3. Juni 1959 geltend machen. Von dieser Rechtsansicht ausgehend, übernahm das Berufungsgericht die Feststellungen des Erstgerichtes über das Nettoeinkommen des Beklagten und seine Leistungen in dieser Zeit und gelangte unter Berücksichtigung der Kammerunterstützung ebenfalls zu einer Überzahlung des Beklagten.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Kläger Folge, hob das Urteil des Berufungsgerichtes auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung, allenfalls nach Verfahrensergänzung an das Berufungsgericht zurück.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Mit dem Revisionsgrunde der unrichtigen rechtlichen Beurteilung bekämpfen die Kläger die Berücksichtigung von 30% Spesen bei der Berechnung des der Unterhaltsverpflichtung des Beklagten zugrundezulegenden Einkommens. In dem Notariatsakt vom 27. September 1948 habe sich der Beklagte verpflichtet, für die beiden Kläger einen Unterhaltsbetrag von je ein Sechstel seines Nettoeinkommens zu bezahlen; die Mutter der Kläger habe diesen Ausdruck nicht so verstanden, wie ihn die Untergerichte auslegen. Eine nähere Erklärung des Ausdruckes "Nettoeinkommen" ist im Notariatsakte nicht enthalten. Die Untergerichte haben ihn jedoch zutreffend ausgelegt. Wenn auch im allgemeinen (so für Beamte und angestellte Dienstnehmer SZ. XII 102, EvBl. 1952 Nr. 268) unter dem Begriff Nettoeinkommen der Bruttoverdienst, vermindert um die gesetzlichen Abzüge, verstanden wird, so kann dies nicht in gleicher Weise für einen reisenden Handelsvertreter, wie es der Beklagte gewesen ist, gelten. Es kann nicht fraglich sein, daß dem Nettoeinkommen der Ersatz ausgelegter Spesen, die ein Handelsvertreter seinem Geschäftsherrn im einzelnen verrechnet und von diesem vergütet erhält, nicht hinzugezählt werden kann. Ebenso bilden solche Spesen aber dann keinen Teil des Einkommens, wenn sie mit einem Pauschalsatz vergütet werden - es sei denn, dieser Pauschalsatz wäre erwiesenermaßen zu hoch, sodaß dem Handelsvertreter ein Teil davon als Einkommen verbleibt - oder wenn, wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, die Spesen in dem aus Fixum und Provision bestehenden Einkommen des Handelsvertreters mitveranschlagt sind. Die Bekämpfung der untergerichtlichen Urteile erweist sich somit in diesem Belange nicht als stichhältig.

Die Kläger bekämpfen ferner die Ansicht des Berufungsgerichtes, daß eine Aufwertung der begehrten Unterhaltsrückstände abzulehnen sei. Es ist richtig, daß von der Rechtsprechung die Vorschrift des § 1418 ABGB. auf vertragliche Unterhaltsleistungen nicht angewendet wird (JBl. 1956, S. 448 u. a.). Dabei wird von der Erwägung ausgegangen, daß zufolge des Vertrages dem Unterhaltspflichtigen der Umfang der geschuldeten Leistung an jedem Fälligkeitstermin genau bekannt war, er also durch die Einforderung von unter Umständen erheblichen Unterhaltsrückständen nicht überrascht wird. Die gleichen Erwägungen müssen aber auch in der Frage der rückwirkenden Aufwertung von Forderungen aus Unterhaltsverträgen gelten. Dort wo auf Grund einer im Vertrage vorgesehenen, bestimmten und gültigen Wertsicherungsklausel die Höhe jeder Fälligkeit ohne weiteres errechnet werden kann, wird daher auch eine rückwirkende Aufwertung Platz greifen können (SZ. XXV 328). Dort aber, wo eine vertragliche, bestimmte Wertsicherungsklausel nicht vorliegt und daher die Aufwertung nur vom Richter auf Grund der clausula rebus sic stantibus - die Unterhaltsverträgen regelmäßig innewohnt (SZ. XXVI 222, Stanzl in Klang, Komm.[2], IV., S. 721 bei Anm. 55) - vorgenommen werden kann, wie im vorliegenden Falle, wird eine rückwirkende Aufwertung nicht in Frage kommen, weil in einem solchen Falle im Zeitpunkte der Fälligkeit die vom Richter erst auf Grund der clausula rebus sic stantibus neu festzusetzenden Leistungen dem Schuldner noch nicht bekannt sein können, er diesbezüglich also auch nicht in Verzug geraten kann. Dazu kommt, daß eine solche Aufwertung auch dann auszuschließen ist, wenn bei Vertragsabschluß eine Geldentwertung voraussehbar war (Stanzl a. a. O., bei Anm. 56). Der Vertrag zwischen dem Beklagten und der Mutter der Kläger wurde am 27. September 1948 geschlossen, also in einer Zeit, in der Österreich nicht nur auf eine damals nicht absehbare Zeit von fremden Mächten besetzt war, sondern in der auch die wirtschaftlichen Verhältnisse noch völlig ungeklärt waren. Es war damals für jedermann zumindest als möglich vorauszusehen, daß eine Geldentwertung eintreten könne. Die Untergerichte haben daher eine Aufwertung der eingeklagten rückständigen Unterhaltsforderung mit Recht abgelehnt.

Hingegen ist der Revision zuzustimmen, soweit sie die Ansicht des Berufungsgerichtes bekämpft, daß die Bestimmung des § 1495 ABGB. nicht anzuwenden sei. Diese Gesetzesstelle läßt die Ersitzung oder Verjährung zwischen Kindern und Eltern, solange erstere unter elterlicher Gewalt stehen, nicht beginnen. Der Begriff "elterliche Gewalt" sollte entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes keinen Gegensatz zum Begriffe "väterliche Gewalt" bedeuten (Wentzel - Plessl in Klang, Komm.[2], I/2 S. 10), die nur eine Spezies der elterlichen Gewalt ist (Unger, System des österreichischen allgemeinen Privatrechtes[4] II., S. 420 Anm. 9). Durch die pflegschaftsbehördlich genehmigte Vereinbarung über das Erziehungsrecht ist an den übrigen Rechtsbeziehungen zwischen den Eltern und Kindern nichts geändert, insbesondere hatte der Beklagte nach wie vor die väterliche Gewalt (Wentzel - Plessl a. a. O. S. 56). Es ist richtig, daß durch die Bestimmung des § 1495 ABGB. bezweckt wird, das gute Einvernehmen innerhalb der Familie durch Rechtsstreitigkeiten nicht zu stören (Klang Komm.[2] VI., S. 647). Die familienrechtlichen Bande zwischen Kindern und Eltern bestehen aber trotz Scheidung der Eltern weiter, auch zwischen den Kindern und jenem Elternteil, bei dem sich die Kinder nach der Scheidung nicht befinden, allerdings modifiziert durch eine Vereinbarung, bzw. eine gerichtliche Entscheidung nach § 142 ABGB. Diese Bindungen - hier zwischen den Kindern und dem Vater - bedürfen vielleicht gerade wegen der Scheidung der Ehe der Eltern eines besonderen Schutzes und würden durch Rechtsstreitigkeiten zweifellos empfindlich gestört werden. Der Zweck des Gesetzes verlangt daher auch bei geschiedener Ehe die Anwendung der Verjährungshemmung auf Forderungen zwischen den Kindern und beiden Elternteilen.

Da sich das Berufungsgericht, ausgehend von seiner durch den Obersten Gerichtshof nicht gebilligten Rechtsansicht in der Frage der Verjährung, mit der Bekämpfung der Feststellungen über das Einkommen des Beklagten in der Zeit vom 1. Oktober 1948 bis 2. Mai 1958 nicht befaßt hat, erweist sich das berufungsgerichtliche Verfahren als mangelhaft, sodaß das angefochtene Urteil aufgehoben werden mußte.

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