European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1984:0080OB00014.840.0704.000
Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die Beklagten sind zur ungeteilten Hand schuldig, der Klägerin an Kosten des Revisionsverfahrens 8.735,62 S, die Erstbeklagte ist weiters allein schuldig, der Klägerin an Kosten des Revisionsverfahrens 2.911,87 S binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Der bei der Erstbeklagten haftpflichtversicherte Zweitbeklagte verschuldete am 27. 7. 1973 in Wien 2 auf der Kreuzung V*****straße – W*****straße einen Verkehrsunfall, an dessen Folgen der am 15. 1. 1913 geborene Lenker des Mopeddreirades (Invalidenfahrzeug) mit dem polizeilichen Kennzeichen W *****, A***** K*****, verstarb. In dem rechtskräftigen Feststellungsurteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 23. 5. 1980, AZ 38 C 45/80, wurde aufgrund der am 9. 7. 1976 gegen den Zweitbeklagten eingebrachten Klage dessen Alleinverschulden am Unfall festgestellt. Die Erstbeklagte verzichtete auf die Einrede der Verjährung bis 31. 12. 1980.
Die Klägerin begehrte von den Beklagten zur ungeteilten Hand die Bezahlung von 346.535,36 S sA und von der Erstbeklagten weitere 124.358 S sA. Sie habe aufgrund des KOVG – einzeln angeführte – Leistungen mit dem begehrten Gesamtbetrag an die Witwe erbracht. Die Ehegatten K***** hätten das monatliche Einkommen des Verunglückten gemeinsam gleichteilig verbraucht; der Deckungsfonds sei gegeben. Die bis 31. 7. 1976 fällig gewordenen Leistungen seien mit 124.358 S zu veranschlagen, wofür nur die Erstbeklagte hafte; für die später fällig gewordenen Beträge von 346.535,36 S hafteten beide Beklagte zur ungeteilten Hand.
Die Beklagten beantragten die Abweisung des Klagebegehrens. Eine „Pflegezulage II“ sei nicht gewährt worden; Pflege‑ und Frauenzulage seien bei der Ermittlung des Deckungsfonds nicht zu berücksichtigen, weil H***** K***** nach Wegfall der Pflege ihres Ehegatten einem anderen Erwerb nachgehen könne und auch aufgrund der sie treffenden Schadenminderungspflicht dazu verpflichtet sei. Wegen des angegriffenen Gesundheitszustands wäre A***** K***** auch ohne diesen Unfall seit 1974 nicht mehr am Leben. H***** K***** hätte bestenfalls 30 vH des monatlichen Einkommens A***** K*****s an Unterhalt erhalten. Der die Legalzession normierende § 55a KOVG sei verfassungswidrig. Bezüglich aller vor dem 7. 10. 1978 entstandenen Ansprüche werde Verjährung eingewendet. Die „Unfallskausalität“ hinsichtlich der Leistungen bezüglich des Krankenhausaufenthalts der Witwe werde bestritten.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren gegen die Beklagten zur ungeteilten Hand mit 328.956 S sA und gegen die Erstbeklagte mit weiteren 124.358 S sA statt. Das Mehrbegehren von 17.579,36 S sA wies es ab. Es traf– zusammengefasst dargestellt – nachstehende Feststellungen:
Der durch den Unfall tödlich verletzte A***** K***** hatte aufgrund verschiedener schon vor dem Unfall bestandener Leiden eine Lebenserwartung von 8 bis 9 Jahren. Zum Zeitpunkt des Todes bezog er eine Rente vom Landesinvalidenamt. Weitere Einkünfte hatte er nicht. Seine Gattin H***** K***** war nicht berufstätig. Sie bekam durchschnittlich monatlich 3.000 S an Kostgeld. Mit diesem Geldbetrag musste sie alle Auslagen für die Lebenserhaltung bestreiten. Für Kleidung bekam H***** K***** von ihrem Gatten zu Weihnachten einen Betrag von 1.000 S. Die fixen Kosten betrugen: monatlich Zins 220 S, Licht für 2 Monate 700 S, Heizung für eine Heizperiode 5.000 S, Radio und TV monatlich 180 S. Der Verstorbene gab monatlich 500 S für Rauchwaren aus. Er trank auch öfters ein Glas Wein. A***** K***** war hilfsbedürftig, er musste zB der Friseur in die Wohnung kommen. Monatlich sparte er 3.000 S, damit schaffte er sich ua ein Invalidenkraftfahrzeug an, das rund 20.000 S kostete.
Zum Zeitpunkt des Unfalls bezog A***** K***** vom Landesinvalidenamt:
eine Beschädigungsgrundrente von S 1.134,‑
mit Alterszulage S 72,‑
Pflegezulage S 3.535,‑
eine Kleider‑ und Wäschepauschale S 48,‑
eine Zusatzrente S 1.995,‑
und eine Frauenzulage S 138,‑
S 6.922,‑
Dazu Sonderzahlungen und Wohnungsgeld.
Die fiktive Rente des A***** K***** wurde für die Zeit vom 1. 9. 1973 bis Jänner 1982 im einzelnen wie im erstgerichtlichen Urteil errechnet. Von diesen fiktiven Rentenbeträgen wären für die freiwillige Krankenversicherung der Ehefrau monatliche entsprechende Beiträge in Abzug gebracht worden.
Das Landesinvalidenamt erbrachte für die Witwe die im Ersturteil auf S 15 dargestellten Leistungen.
Rechtlich war das Erstgericht der Ansicht, dass der Klägerin ein Regressrecht nach § 55a KOVG zustehe, soweit an die Witwe des A***** K***** vom Landesinvalidenamt Aufwendungen gemacht wurden, welche diese als Schadenersatz wegen Unterhaltsentganges von den Beklagten begehren könnte. Der Anspruch auf 17.579,36 S sei verjährt.
Das Berufungsgericht gab der Berufung beider Teile in der Hauptsache nicht Folge, sondern bestätigte die erstgerichtlichen Entscheidung. Auf der Grundlage der erstgerichtlichen Feststellungen verwarf es den Verjährungseinwand der Beklagten, weil die Erstbeklagte bis 31. 12. 1980 auf die Einrede der Verjährung verzichtet habe. Gegen den Zweitbeklagten sei eine erfolgreiche Feststellungsklage eingebracht worden. Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des dem § 332 ASVG nachgebildeten § 55a KOVG bestünden nicht. Eine Ersparnisanrechnung wegen niederer Leistungen an die Witwe komme nicht in Betracht (JBl 1980, 592). Von den Gesamteinkünften seien ihr unter Berücksichtigung der Fixkosten 40 % zugekommen. Die infolge der Rentenanpassung eintretende Erhöhung sei beiden zugutegekommen. Die Witwenpension sei im kongruenten Deckungsfonds enthalten. Ein anderer Erwerb könne der Witwe nach dem Tod des Gatten nicht zugemutet werden. Auch die Sterbevierteljahresgebühren fänden im Anspruch auf Ersatz der Begräbniskosten ihre Deckung. Die Witwe habe schließlich auch Anspruch auf Aufrechterhaltung der Krankenversicherung.
Gegen die Entscheidung des Gerichts zweiter Instanz richtet sich die Revision der Beklagten aus den Anfechtungsgründen des § 503 Abs 1 Z 2 und 4 ZPO mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass das noch offene Klagebegehren abgewiesen werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Außerdem wird die Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit des § 55a KOVG durch den Verfassungsgerichtshof beantragt.
Die Klägerin beantragt in der Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Unter dem Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des berufungsgerichtlichen Verfahrens behaupten die Beklagten angeblich Verfahrensverstöße des Gerichts zweiter Instanz, die jedoch nicht vorliegen, was nicht näher zu begründen ist (§ 510 Abs 3 ZPO).
In der Rechtsrüge stellen sich die Beklagten auf den Standpunkt, dass § 55a KOVG verfassungswidrig sei. Wie bereits das Berufungsgericht richtig ausführte, vermögen sie aber keine stichhältigen Gesichtspunkte aufzuzeigen, worin eine solche gelegen sein soll. Im Gegensatz zur Ansicht der Revisionswerber ist § 55a KOVG dahin zu verstehen, dass dann, wenn der Beschädigte oder seine Hinterbliebenen … aus Anlass des Ablebens sowohl Leistungen nach dem KOVG als auch Schadenersatz aufgrund anderer Rechtsvorschriften beanspruchen können – wie dies in dem vorliegenden Fall voll zutrifft –, der Schadenersatzanspruch bis zur Höhe der Leistungen nach dem KOVG auf den Bund übergeht (VwGH 2. 6. 1971, 1651/70 in SozM VIII B 185). Dass die tödliche Verletzung A***** K*****s, für welche die Beklagten einzustehen haben, den Anlass für vom Bund zugunsten der Witwe H***** K***** erbrachte Pflichtleistungen nach dem KOVG bilden, ist aber nicht zweifelhaft. Voraussetzungen für die Legalzession nach § 55a Abs 1 KOVG ist allerdings, dass die sachliche und zeitliche Kongruenz zwischen dem gegen den Schädiger gerichteten Ersatzanspruch und den vom Legalzessionar aus Anlass des Schadensereignisses zugunsten des Geschädigten erbrachten Pflichtleistungen gegeben ist (ZVR 1978/81 ua). Wie die Revionswerber im Grunde selbst erkennen, handelt es sich daher bei den Bemängelungen der Revision in Wirklichkeit um solche gegen die Auslegung des § 55a KOVG durch das Berufungsgericht, nicht aber um fundierte Darlegungen gegen die Verfassungsmäßigkeit dieser sowohl vom Verwaltungsgerichtshof als auch vom Obersten Gerichtshof bereits mehrfach angewendeten Bestimmung, weshalb sie nicht geeignet sind, Bedenken im angestrebten Sinn zu begründen.
In ihren weiteren Ausführungen bekämpft die Revision die Ansicht des Berufungsgerichts, dass die Leistungen der Klägerin im Anspruch H***** K*****s gegen die Beklagten ihre Deckung finden. Bei der Beurteilung dieser Frage ist zunächst davon auszugehen, dass die Ansprüche der Witwe gegen den Schädiger ihre Grundlage darin finden, dass ihr gemäß § 1327 ABGB insbesondere das zu ersetzen ist, was ihr an Unterhalt entgangen ist. Es ist ständige Rechtsprechung, dass bei Fehlen konkreter Anhaltspunkte, wie sich die für die Unterhaltsleistung im konkreten Fall maßgebende Einkommensverteilung in der Familie des Getöteten gestaltet hätte, der Aufteilungsschlüssel nach richterlichem Ermessen gemäß § 273 ZPO festzusetzen ist (ZVR 1981/121 uza). Nichts anderes hat das Berufungsgericht getan, indem es einerseits unter Heranziehung der festgestellten Unterhaltsreichung zu einer Quote von 40 % kam, mit welcher H***** K***** an den gesamten Einkünften ihres Mannes, die in der Rente nach dem KOVG bestanden, partizipierte, andererseits aber auch auf die voraussichtliche Entwicklung der Einkommensverhältnisse Bedacht nahm und insbesondere in Anschlag brachte, dass A***** K***** nach dem Wegfall der zweckorientierten Sparquote für das Invalidenfahrzeug mehr für den Unterhalt seiner Frau aufgebracht hätte. Da die Vorinstanzen feststellten, dass die gesamte Rente A***** K*****s nach dem KOVG beiden Familienmitgliedern als alleinige Einkommensquelle diente, ist eine Unterscheidung in einzelne Leistungskategorien hier nicht zielführend. Die Ansicht der Revision, dass die Pflegezulage A***** K***** nur für sich verbraucht hätte, findet daher ebensowenig in den Feststellungen der Vorinstanzen ihre Deckung wie die Fiktion, dass damit nur Dienstleistungen durch H***** K***** abgegolten sein sollten. Es kommt vielmehr der Grundsatz zum Tragen, dass es allein auf den tatsächlichen Unterhaltsentgang – wie ihn die Vorinstanzen im oben dargestellten Ausmaß feststellten – ankommt (8 Ob 167/76 ua).
Unter der Rubrik „Sonstiges“ beschweren sich die Beklagten, dass der Umstand nicht berücksichtigt worden sei, wonach A***** K***** bis zum Schluss des Verfahrens erster Instanz ohnedies gestorben wäre, weshalb das „Sterbevierteljahresquartal“ auf jeden Fall geleistet hätte werden müssen. Abgesehen davon, dass mit dieser Behauptung nicht genau auf dem Boden der Feststellungen der Vorinstanzen argumentiert wird, weil diese nur von einer „Lebenserwartung“ von 8 bis 9 Jahren ausgingen und daher logischerweise A***** K***** nicht unbedingt ohne den Unfall zum genannten Zeitraum verstorben hätte sein müssen, schneiden die Beklagten damit folgende bereits ausjudizierte Frage an:
Nach nunmehr ständiger Rechtsprechung ist es für die Legalzession, deren Grundsätze auch hier geltend, gleichgültig, ob der Versicherungsträger ohne Unfall mehr für den Getöteten zu zahlen gehabt hätte. Die Legalzession zugunsten des Sozialversicherungsträgers verfolgt auch den Zweck, den Schädiger tatsächlich zur Tragung des Schadens heranzuziehen. Dem Schädiger soll die Sozialversicherung des Geschädigten nicht wie eine Haftpflichtversicherung zugutekommen. Demnach wurde der Einwand einer „Bereicherung“ des Sozialversicherungsträgers durch den Tod des Versicherten und die Geltendmachung eines Vorteilsausgleichs bezüglich der nach dem Versicherten zu leistenden Hinterbliebenenpension stets abgelehnt (vgl SZ 25/77; 7 Ob 4/79, 2 Ob 12/79 und die dort dargestellten Standpunkte der Lehre).
Auch mit dem letzten strittigen Punkt – dem aus dem Schreiben vom 18. 12. 1979 abzuleitenden befristeten Verjährungsverzicht – finden sich die Beklagten zu Unrecht beschwert. Wie der Oberste Gerichtshof in ständiger Judikatur klarstellte, bedeutet die Bestimmung des § 1502 ABGB, wonach der Verjährung im voraus nicht wirksam entsagt werden kann, nicht, dass jede in dieser Richtung abgegebene Erklärung des Schuldners ohne Wirkung sei. Verhält sich der Schuldner so, dass der Gläubiger mit Recht annehmen darf, der Schuldner werde sich im Falle einer Klageführung nach Ablauf der Verjährungsfrist auf sachlich Einwendungen beschränken und die Einrede der Verjährung nicht erheben, dann kann der Gläubiger der vom Schuldner dann doch erhobenen Verjährungseinrede die Replik der Arglist, des Handelns wider Treu und Glauben entgegensetzen (SZ 47/104; SZ 48/67 uza). Der gleiche Grundsatz muss auch im vorliegenden Fall gelten, in welchem aus dem Schreiben vom 18. 12. 1979 der Beklagten an die Vertreterin der Klägerin eindeutig zu entnehmen ist, dass bis zum 31. 12. 1980 auf die Einrede der Verjährung verzichtet werde. Das Berufungsgericht unterstellte mit Recht, dass nach Treu und Glauben diese Terminisierung nur so verstanden werden kann, dass einer bis dahin eingebrachten Klage der Republik die Einrede der Verjährung nicht entgegengesetzt werde. Im Übrigen haben die Beklagten bereits in der Klagebeantwortung als richtig zugegeben, „dass die erstbeklagte Partei bis 31. 12. 1980 gegenüber der klagenden Partei auf den Einwand der Verjährung Verzicht geleistet hat“ (AS 18), was im Zusammenhang mit den von der Klägerin herangezogenen außergerichtlichen Bereinigungsversuchen wiederum nur im Sinne der berufungsgerichtlichen Rechtsansicht verstanden werden kann.
Rechtlich anders, im Ergebnis aber gleich, ist beim Verjährungseinwand des Zweitbeklagten (ON 14) davon auszugehen, dass gegen ihn am 9. 7. 1976 eine erfolgreiche Feststellungsklage eingebracht worden war. Durch die Einrbringung der Feststellungsklage (der später stattgegeben wurde) wurde die Verjährung aller in diesem Zeitpunkt zukünftigen Schadenersatzansprüche unterbrochen (SZ 39/19; ZVR 1971/103 uza). Die durch das Feststellungsurteil vom 23. 5. 1980 zu einer Judikatschuld gewordene Forderung der Klägerin unterliegt selbst wieder der Verjährung, die mit der Zustellung des Urteils zu laufen beginnt (ZVR 1971/103 uza). Da die Klägerin vom Zweitbeklagten nur den Ersatz solcher Leistungen begehrte, die sie ab 1. 8. 1976 an H***** K***** erbrachte, ist für keinen der geltend gemachten Anspruchsteile eine Verjährung eingetreten. Auch dies hat das Berufungsgericht zutreffend erkannt, die gegenteiligen Ausführungen der Beklagten sind nicht stichhältig.
Der Revision war somit der Erfolg zu versagen.
Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.
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