OGH 8Nc15/03b

OGH8Nc15/03b7.7.2003

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Petrag als Vorsitzenden und durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Rohrer und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofes Dr. Lovrek als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj. Jacqueline R*****, geboren am 5. September 1998, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die mit Beschluss des Bezirksgerichtes Floridsdorf vom 9. April 2003, GZ 16 P 434/01p-55, gemäß § 111 Abs 1 JN verfügte Übertragung der Zuständigkeit zur Führung der Pflegschaftssache an das Bezirksgericht Wels wird genehmigt.

Text

Begründung

Mit Beschluss des Bezirksgerichtes Favoriten vom 3. Juli 2000, GZ 8 P 77/99h-12, wurde die Obsorge zur am 5. September 1998 geborenen mj. Jacqueline R***** der Mutter Vanessa R***** entzogen und die mütterliche Urgroßmutter Sonja R***** zum Vormund der Minderjährigen bestellt und mit der Pflege und Erziehung des Kindes beauftragt. Ferner übertrug das Bezirksgericht Favoriten mit dem genannten Beschluss seine Zuständigkeit zur Führung der Pflegschaftssache zur Gänze dem Bezirksgericht Floridsdorf (Wohnort der mütterlichen Urgroßmutter und der Minderjährigen).

Nachdem die Urgroßmutter bekanntgegeben hatte, dass die Minderjährige und sie ihren Wohnsitz nach 4600 Wels, ***** verlegt hatten, übertrug das nunmehr zuständige Bezirksgericht Floridsdorf mit Beschluss vom 9. April 2003, GZ 16 P 434/01p-55, die Pflegschaftssache gemäß § 111 Abs 1 JN an das Bezirksgericht Wels mit dem Ersuchen, den Übertragungsbeschluss gemeinsam mit dem zu fassenden Übernahmebeschluss zuzustellen.

Das Bezirksgericht Wels lehnte die Übernahme - ohne förmliche Beschlussfassung - mit dem Hinweis darauf ab, dass der Akt erst nach Rechtskraft des Übertragungsbeschlusses übernommen werde. Eine Zustellung des Übertragungsbeschlusses an die Parteien erfolgte ebensowenig wie eine Zustellung der Note des Bezirksgerichtes Wels, mit der die Übernahme der Zuständigkeit vor Rechtskraft des Übertragungsbeschlusses abgelehnt wurde.

Rechtliche Beurteilung

Gegen den Beschluss des Pflegschaftsgerichtes, mit dem es einen Antrag auf Übertragung der Zuständigkeit ablehnt oder mit dem es seine Zuständigkeit auf Antrag oder von Amts wegen gemäß § 111 JN einem anderen Gericht überträgt, steht den Parteien ein Rechtsmittelrecht zu. Die Zustellung an die Beteiligten stellt also keinen "reinen Formalakt" dar, sondern ist Voraussetzung der Wirksamkeit der Übertragung gegenüber den Parteien. Der Übertragungsbeschluss ist allerdings nach § 111 Abs 2 JN erst dann wirksam, wenn das andere Gericht die Zuständigkeit (oder die übertragenen Geschäfte) übernimmt. Bis dahin bleibt es also in Schwebe, ob überhaupt ein Zuständigkeitswechsel eintritt, sodass es bis dahin auch keinen Rekurs dagegen und keine Rekursentscheidung darüber geben kann. Es erscheint daher sinnvoll, dass der anfechtbare Übertragungsbeschluss in Analogie zu § 44 Abs 2 JN erst von dem anderen Gericht, das die Zuständigkeit übernimmt, den Parteien zugestellt wird (6 Nd 510/94 = EFSlg 76.010; Mayr in Rechberger² § 111 JN Rz 6). Die gegenteilige ältere Rechtsprechung, dass ohne rechtskräftigen Übertragungsbeschluss nach § 111 Abs 1 JN eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofes nicht in Betracht komme (RIS-Justiz RS0047067), wird daher nicht aufrecht erhalten. Dem steht auch die Entscheidung 10 Nd 509/01 nicht entgegen, weil dort nur ausgesprochen wurde, dass dann, wenn die Voraussetzungen für die Genehmigung der Übertragung der Zuständigkeit nicht gegeben sind, jedenfalls kein Hindernis bestehe, eine Entscheidung schon vor Zustellung und Rechtskraft des Übertragungsbeschlusses zu treffen. Dass in allen anderen Fällen zwingend ein rechtskräftiger Übertragungsbeschluss nach § 111 Abs 1 JN Voraussetzung für die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes ist, lässt sich dieser Entscheidung nicht entnehmen.

Da das Bezirksgericht Wels in seiner Ablehnung zwar zum Ausdruck gebracht hat, grundsätzlich zur Übernahme der Pflegschaft wegen des Wohnsitzwechsels bereit zu sein, seine Ablehnung jedoch (nur) auf die mangelnde Zustellung des Beschlusses des übertragenden Gerichtes gestützt hat, war die Übernahme der Pflegschaft zu genehmigen. Diese Genehmigung steht auch im Einklang mit der Rechtsprechung (RIS-Justiz RS0047300; RS0046908).

Es wird im Sinne der obigen Ausführungen Sache des übernehmenden Gerichtes sein, für die Zustellung des nunmehr die Gerichte bindenden Übertragungsbeschlusses Sorge zu tragen, damit dieser auch gegenüber den Parteien wirksam wird.

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