Spruch:
Die mit Beschluss des Bezirksgerichts V***** vom 5. Februar 2001, GZ 3 P 2048/95y-105, gemäß § 111 Abs 1 JN verfügte Übertragung der Zuständigkeit zur Führung der Pflegschaftssache an das Bezirksgericht S***** wird nicht genehmigt.
Text
Begründung
Nachdem die Mutter der Minderjährige im Juli 1998 verstorben ist, hat das Bezirksgericht V***** mit Beschluss vom 27. 7. 1998 (ON 74) den Jugendwohlfahrtsträger Land Kärnten, vertreten durch den Magistrat V***** - Jugendamt, zum Sachwalter für die Minderjährige und ihre am 28. 9. 1994 geborene Halbschwester bestellt, und zwar mit dem Aufgabenkreis Vertretung gegenüber Ämtern und Behörden, insbesondere zur Beantragung von Reisedokumenten betreffend Lydia K*****. Am 12. 8. 1998 beantragte der außereheliche Vater Wolfgang Reinhold S***** mit der Begründung, die Minderjährige befinde sich seit praktisch einem Jahr bei ihm in Pflege und Erziehung, die Übertragung der Obsorge auf ihn. Mit Ablauf des August 1998 wurden die für die Minderjährige gewährten Unterhaltsvorschüsse eingestellt, weil sie sich seit August 1998 im gemeinsamen Haushalt mit dem Unterhaltsschuldner Wolfgang Reinhold S***** befinde (ON 86).
Über den Obsorge-Antrag des Vaters ist bislang nicht entschieden worden, wobei zu bemerken ist, dass das Bezirksgericht V***** nach Vorlage eines Sozialberichts der Bezirkshauptmannschaft V***** (ON 87) einen in K***** ansässigen Sachverständigen aus dem Bereich Kinderneuropsychiatrie bestellte; der Vater hat jedoch mehrere ihn selbst und die Minderjährige betreffende Untersuchungstermine nicht wahrgenommen.
Mittlerweile ist der Vater von Kärnten nach S***** gezogen (ON 100, 104, 108). Die Minderjährige hält sich während der Woche im 5-Tage-Internat der S*****schule in *****K*****, BRD, auf und zum Wochenende mit ihrem Vater bei der väterlichen Großmutter in ***** S***** (ON 100, 108). Weder der Vater noch die Minderjährige sind in S***** gemeldet; der Vater wohnt bei seiner Mutter, deren Schwester die Leitung des Internats in K*****, BRD, innehat (ON 108). Der Vater beabsichtigt, in S***** eine Wohnung zu suchen und dort zu leben (ON 108).
Mit Beschluss vom 5. 2. 2001 (ON 105) hat das Bezirksgericht V***** die Pflegschaftssache gemäß § 111 Abs 1 JN an das Bezirksgericht S***** übertragen, da sowohl die Minderjährige als auch ihr Vater dort ihren Wohnsitz hätten und eine Beurteilung darüber, ob die Übertragung der Obsorge an den Vater dem Kindeswohl entspreche, vor Ort zweckdienlicher möglich sei. Das Bezirksgericht S***** hat die Übernahme - ohne förmliche Beschlussfassung abgelehnt, zumal über den Antrag auf Übertragung der Obsorge noch nicht entschieden sei; außerdem sei der nunmehrige dauernde Lebensmittelpunkt der Minderjährigen noch völlig offen. Letztlich stehe auch die bisher eingehende Betrauung des Bezirksgerichts V***** mit der Pflegschaftssache, insbesondere die durchgeführten Erhebungen zum Obsorgeantrag, einer Zuständigkeitsübertragung an das Bezirksgericht S***** entgegen (ON 106).
Weder der Beschluss, mit dem das Bezirksgericht V***** gemäß § 111 Abs 1 JN seine Zuständigkeit als Pflegschaftsgericht dem Bezirksgericht S***** übertrug, noch die Note, mit der die Übernahme der Zuständigkeit gemäß § 111 Abs 2 Satz 1 JN verweigert wurde, wurden den Parteien zugestellt.
Rechtliche Beurteilung
Bei Kompetenzkonflikten im Sinne des § 47 JN vertritt der Oberste Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dass er erst dann zur Entscheidung berufen sein kann, wenn beide konkurrierenden Gerichte rechtskräftig über die Zuständigkeit abgesprochen haben, weil - so lange nicht beide die Zuständigkeit der Gerichte verneinenden Entscheidungen rechtskräftig sind - die Frage der Zuständigkeit noch im Rechtsmittelweg erledigt werden könne. Die Rechtslage nach § 111 Abs 2 JN ist jedoch eine andere (RZ 1980/49). Der Übertragungsbeschluss ist jedenfalls in dem Fall, dass eine Übertragung von Amts wegen oder auf einseitigen Antrag beschlossen wurde, den Parteien zuzustellen und kann von ihnen angefochten werden. Die Parteien können sich nur nicht mehr beschwert erachten, wenn das Gericht, an das die Pflegschaftssache übertragen werden soll, bereits die Übernahme der Geschäfte ablehnte, weil dann ohnehin das beiden Gerichten gemeinsame Oberlandesgericht oder der Oberste Gerichtshof zu entscheiden hat (RZ 1980/49). Es besteht somit für den Obersten Gerichtshof zumindest dann, wenn die Voraussetzungen für die Genehmigung der Übertragung der Zuständigkeit nicht gegeben sind, kein Hindernis, eine Entscheidung schon vor Zustellung und Rechtskraft des Übertragungsbeschlusses zu treffen, weil es dann ein nicht sachgerechter, das Verfahren nur verzögernder Formalismus wäre, den Parteien durch Zustellung dieses Beschlusses die Gelegenheit zu geben, dessen Beseitigung im Rechtsmittelweg zu erreichen. Ein solcher Fall liegt hier aber vor:
Nach § 111 Abs 1 JN kann das Pflegschaftsgericht seine Zuständigkeit einem anderen Gericht übertragen, wenn dies im Interesse des Pflegebefohlenen gelegen erscheint, insbesondere, wenn dadurch die wirksame Handhabung des dem Pflegebefohlenen zugedachten Schutzes voraussichtlich befördert wird. Diese Voraussetzungen liegen in der Regel vor, wenn die Pflegschaftssache dem Gericht übertragen wird, in dessen Sprengel der Mittelpunkt der Lebensführung des Kindes liegt (EF 66.880, 69.749, 72.819, 75.979, 85.185 uva). Offene Anträge sprechen im allgemeinen nicht gegen eine Zuständigkeitsübertragung (EF 85.186). Im Einzelfall kann jedoch eine Entscheidung durch das schon bisher zuständige Gericht zweckmäßiger sein, insbesondere wenn dem Gericht eine besondere Sachkenntnis bei der Entscheidung zukommt (EF 85.187) oder wenn sich das Gericht bereits eingehend mit den offenen Anträgen befasst und Vernehmungen durchgeführt hat (EF 85.188). Solange über eine Obsorgezuteilung nicht entschieden ist, wird in der Regel eine Zuständigkeitsübertragung für unzweckmäßig gehalten (EF 82.131).
Ein solcher Fall liegt hier vor. Die Wohnverhältnisse des Vaters, der sich derzeit bei seiner Mutter in ***** S***** aufhält, aber auf Wohnungssuche ist, haben sich noch in dem Maße konsolidiert, dass bereits vor der Entscheidung über den Obsorgeantrag - nach dem derzeitigen Stand des Verfahrens und der gepflogenen Erhebungen - bereits davon ausgegangen werden könnte, dass nunmehr der Mittelpunkt der Lebensführung des Kindes im Sprengel des Bezirksgerichts S***** läge und durch eine Übertragung der Zuständigkeit dem Wohl des Kindes entsprochen würde.
Der Beschluss des Bezirksgerichts V***** auf Übertragung der Zuständigkeit ist daher nicht zu genehmigen.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)