OGH 8Nc11/08x

OGH8Nc11/08x14.10.2008

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Spenling und Dr. Kuras und die Hofrätinnen Dr. Lovrek und Dr. Glawischnig als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj Viktoria M*****, über die Befangenheitsanzeigen der Mitglieder des Senats 6 des Oberlandesgerichts Linz sowie des Präsidenten und Vizepräsidenten sowie sämtlicher Richterinnen und Richter des Landesgerichts Linz in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

1. Der Präsident, die Vizepräsidentin sowie sämtliche Richterinnen und Richter des Oberlandesgerichts Linz sind hinsichtlich der Entscheidung über die Befangenheitsanzeigen des Präsidenten und Vizepräsidenten sowie sämtlicher Richterinnen und Richter des Landesgerichts Linz als befangen anzusehen.

2. Der Präsident, der Vizepräsident sowie sämtliche Richterinnen und Richter des Landesgerichts Linz sind in der Pflegschaftssache 8 P 47/05t des Bezirksgerichts Urfahr-Umgebung befangen.

3. Zur Entscheidung als Rekursgericht in der unter Punkt 2. angeführten Pflegschaftssache wird das Landesgericht St. Pölten bestimmt.

Text

Begründung

Das im Kopf angeführte Pflegschaftsverfahren betrifft eine Tochter des Leitenden Visitators und Senatspräsidenten des Oberlandesgerichts Linz. Aus Anlass eines Rekurses gegen einen Beschluss des Pflegschaftsgerichts erklärten nicht nur die Mitglieder des nach der Geschäftsverteilung zuständigen Senats, sondern auch alle sonstigen Richterinnen und Richter des Landesgerichts Linz ihre Befangenheit mit der Begründung, dass sich das pflegebefohlene Kind nunmehr in der Obsorge seines Vaters befinde und dieser als Leitender Visitator des Oberlandesgerichts Linz demnächst auch eine Regelrevision des Landesgerichts Linz durchführen und im Zuge dessen über die Richter des Landesgerichts Linz gutachterliche Stellungnahmen abzugeben haben werde, die wesentlichen Einfluss auf das berufliche Fortkommen der Richter habe. Die Akten wurden daher dem Oberlandesgericht Linz als übergeordnetem Gerichthof zur Entscheidung über diese Selbstablehnungen gemäß § 23 JN vorgelegt.

Die Mitglieder des nach der Geschäftsverteilung des Oberlandesgerichts Linz zuständigen Senats 6 zeigten hierauf ebenfalls ihre Befangenheit an. Sie verwiesen dabei auf mehrere Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs, denen die Auffassung zugrundeliege, dass in den die Kinder des Leitenden Visitators betreffenden Sachen alle Richter des Linzer Oberlandesgerichtssprengels befangen seien (6 Ob 93/08g, 12 Ns 66/07p, 11 Ns 80/07i). Der Präsident des Oberlandesgerichts Linz legte den Akt „gemäß §§ 23, 30 JN" dem Obersten Gerichtshof zur Entscheidung vor.

Rechtliche Beurteilung

Der erkennende Senat hat dazu erwogen:

Insbesondere bei größeren Gerichten reicht der Umstand, dass ein nicht demselben Senat angehöriger Kollege durch ein anhängiges Verfahren involviert sein könnte, für sich allein nicht aus, die Befangenheit aller anderen Mitglieder dieses Gerichts anzunehmen, wenn sie darlegen, mangels weiterer als beruflicher Kontakte mit diesem Kollegen nicht befangen zu sein (RIS-Justiz RS0046129; 6 Ob 223/07y). Das bloß kollegiale Verhältnis zwischen Mitgliedern desselben Gerichtshofs hindert eine objektive Entscheidung über eine behauptete Befangenheit eines oder mehrerer Richterkollegen nicht (1 Ob 148/08h). Eine Ablehnung von Richtern „auf Vorrat" ist im Gesetz nicht vorgesehen (9 Nc 9/08k).

Der vorliegende Fall ist allerdings durch eine weitere Besonderheit gekennzeichnet:

Soweit die Geschäftsverteilung Vertreter ausweist (§§ 26 Abs 4, 33 Abs 1 GOG), sind diese nur dann in der dort bestimmten Reihenfolge heranzuziehen, sofern sie nicht - was von Amts wegen, also auch ohne darauf abzielenden Antrag zu berücksichtigen ist (arg „geeignet" in § 183 Abs 3 letzter Satz Geo) - selbst ersichtlich ebenfalls (sei es aus dem beim primär Zuständigen vorliegenden oder anderen aktenkundigen Umständen) ausgeschlossen, abgelehnt oder dem Anschein der Befangenheit ausgesetzt sind (12 Os 68/07b); in einem solchen Fall ist (ausnahmsweise) sogar von der Einholung von Äußerungen nach § 183 Abs 3 Geo abzusehen und zugleich die Befangenheit sämtlicher Richter festzustellen (11 Ns 80/07i - ebenfalls denselben OLG-Richter betreffend). In diesem Sinn ist daher davon auszugehen, dass das Oberlandesgericht Linz richtermäßig insgesamt an einer Entscheidung über die Befangenheit der untergeordneten Richter des Landesgerichts Linz (offenkundig) verhindert ist (§ 23 JN).

Zur Entscheidung über die Befangenheitsanzeigen des Präsidenten, Vizepräsidenten sowie sämtlicher Richterinnen und Richter des Landesgerichts Linz ist daher - wegen anzunehmender Befangenheit aller Richter des Oberlandesgerichts Linz - der Oberste Gerichtshof berufen.

Der Oberste Gerichtshof hat bereits mehrfach in - unter anderem auch von der Minderjährigen eingeleiteten Mediensachen - unter Hinweis auf § 72 StPO ausgesprochen, der von den Richtern angeführte Befangenheitsgrund des Landesgerichts Linz sei geeignet, deren volle Unbefangenheit in Zweifel zu ziehen, weshalb ihre Befangenheit anzunehmen sei (13 Ns 62/07g; 12 Ns 66/07p). In seiner, zwei Schwestern der Minderjährigen betreffenden Entscheidung 6 Ob 93/08g hat der Oberste Gerichtshof ausdrücklich ausgeführt, dass dies auch in dem Fall zutreffe, in dem sich die Prüfung der Befangenheit eines Richters nach § 19 JN richte.

Es war daher die Befangenheit sämtlicher Richterinnen und Richter (einschließlich des Präsidenten) des Landesgerichts Linz spruchmäßig festzustellen. Das Landesgericht Linz ist somit im Sinn des § 30 Satz 1 JN an der Ausübung der Gerichtsbarkeit gehindert, weshalb das Landesgericht St. Pölten als Gericht gleicher Gattung (als Rekursgericht) zur Entscheidung über den noch unerledigten Rekurs zu 15 R 29/08b des Landesgerichts Linz zu bestimmen war. Die Delegation an das Landesgericht St. Pölten ist zweckmäßig, weil es sich bei diesem Gericht um das außerhalb des Sprengels des Oberlandesgerichts Linz nächstgelegene Landesgericht handelt (so auch schon 6 Ob 93/08g).

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