Spruch:
Die Anordnungen des letzten Willens werden nach § 778 ABGB nicht entkräftet, wenn anzunehmen ist, daß der Erblasser auch bei Kenntnis der Sachlage die Verfügung getroffen hätte
Für einen Noterben (Adoptivkind) ist "keine Vorsehung getroffen", wenn ihm in seiner früheren Eigenschaft als Pflegekind etwas letztwillig zugedacht wurde
OGH 25. April 1973, 7 Ob 75/73 (OLG Wien 5 R 10/83; LGZ Wien 2 Cg 39/72)
Text
Die am 6. Juni 1968 verstorbene Helene W hatte am 6. Jänner 1968 in einem eigenhändigen Testament "als alleinigen Erben Herrn Dir. Alfred B" (den Vater des Beklagten) "resp. dessen Sohn Alexander B" (den Beklagten) eingesetzt und als Legat unter anderem der Klägerin ein großes Brillantarmband mit 3 Solitären bestimmt. Nach der Errichtung des Testamentes adoptierte Helene W mit Wirkung vom 22. Feber 1968 den Beklagten. Dieser gab nach dem Tode der Erblasserin die bedingte Erbserklärung auf Grund des Gesetzes ab, auf Grund welcher ihm der Nachlaß rechtskräftig eingeantwortet wurde. Die Klägerin wurde mit ihrem Legatsanspruch auf den Rechtsweg verwiesen.
Das Erstgericht wies die Klage auf Herausgabe des vermachten Gegenstandes ab. Es stellte ergänzend zu dem eingangs geschilderten Sachverhalt fest, daß Helene W im Zeitpunkt der Testamentserrichtung keine Noterben hatte und daß sie auch nach der Adoption des Beklagten gegenüber Zeugen mehrfach zum Ausdruck brachte, daß die Legate erfüllt werden sollen. Das Erstgericht verneinte jedoch den Anspruch auf Legatserfüllung, weil das Testament gemäß § 778 ABGB durch die nachträgliche Qualifikation des Klägers zum Noterben außer Kraft getreten sei und die Willensäußerungen der Erblasserin mangels neuerlicher Einhaltung der Formvorschriften für letztwillige Anordnungen unbeachtlich seien.
Das Berufungsgericht gab der von der Klägerin erhobenen Berufung folge und änderte das Ersturteil im Sinne der Klage ab. Das Berufungsgericht übernahm den festgestelllten Sachverhalt als unbedenklich, vertrat aber die Rechtsansicht, daß die bloße Erwähnung des Noterben im Testament die in § 778 ABGB geforderte Vorsehung für ihn beinhalte. Überdies sei der Beklagte tatsächlich Alleinerbe geworden, wobei es nicht darauf ankomme, daß ihm der
Nachlaß auf Grund des Gesetzes eingeantwortet wurde. Die Stattgebung des Klagebegehrens entspreche auch dem unbekämpft festgestellten Wunsch der Erblasserin, daß die Legate ungeachtet der Adoption erfüllt werden sollen.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Beklagten nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Nach § 778 ABGB werden - von hier nicht in Betracht kommenden Ausnahmen abgesehen - alle Anordnungen des letzten Willens "gänzlich entkräftet", wenn ein kinderloser Erblasser erst nach Erklärung seines letzten Willens einen Noterben erhält, für den keine "Vorsehung" getroffen ist. Die Anwendung dieser Bestimmung auch auf den Fall einer nachträglichen Adoption (SZ 40/74 u. a.) ist hier unbekämpft.
Dem Revisionswerber ist zuzugeben, daß entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes nicht schon jede Erwähnung im Testament eine "Vorsehung" für den nach Testamentserrichtung erhaltenen Noterben darstellt. Maßgeblich ist vielmehr, daß der spätere Noterbe nicht in dieser Eigenschaft übergangen wurde. Für ein A ist deshalb nicht vorgesehen, wenn ihm bloß in seiner früheren Eigenschaft als Pflegekind etwas zugedacht wurde, weil er dann als Noterbe übergangen wurde, was nicht dem vermuteten Willen des Erblassers entspricht (SZ 40/74). Im Fall der Entscheidung SZ 41/22 war hingegen die genannte Voraussetzung durch ausdrückliche Erwähnung des nachgeborenen Kindes erfüllt. Ob dasselbe hier zutrifft, hängt davon ab, ob die Erbeinsetzung des Vaters des Beklagten "respektive" des Beklagten selbst die Bestimmung mehrerer Miterben oder aber einer Ersatzerbschaft beinhaltete. Die Lösung dieser Frage wäre wieder von dem erst zu erforschenden Willen der Erblasserin abhängig.
Derartige weitere Erhebungen sind jedoch entbehrlich, weil der Klägerin der mit Recht schon vom Berufungsgericht hervorgehobene, von der Erblasserin nach der Adoption mehrfach ausgedrückte Wunsch der Erblasserin zugute kommt, daß die Legate ungeachtet derselben erfüllt werden sollen. Im österreichischen Recht fehlt zwar eine dem § 2079 zweiter Satz dBGB entsprechende Bestimmung, daß die Anfechtung einer letztwilligen Verfügung wegen Hinzutritt eines übergangenen Noterben ausgeschlossen sei, soweit anzunehmen ist, daß der Erblasser auch bei Kenntnis der Sachlage die Verfügung getroffen haben würde. Die Bedachtnahme auf den mutmaßlichen Willen des Erblassers tritt aber auch im § 778 ABGB durch die Aufrechterhaltung der dort bestimmt bezeichneten Vermächtnisse (zu öffentlichen Anstalten, zur Belohnung geleisteter Dienste oder zu frommen Absichten in einem den vierten Teil der reinen Verlassenschaft nicht übersteigenden Betrage) deutlich hervor. Es begegnet deshalb die Ansicht Weiß (in Klang[2] III, 881) keinen Bedenken, daß die Anwendung dieser Bestimmung, die doch mehr ist als eine bloße Auslegungsregel, dann entfällt, wenn anzunehmen ist, daß der Erblasser auch bei Kenntnis der Sachlage die Verfügung getroffen hätte. Entgegen der Ansicht des Revisionswerbers ist nämlich nicht einzusehen, warum für eine solche Aufrechterhaltung einer bereits getroffenen Verfügung neuerlich die Formvorschriften für letztwillige Verfügungen eingehalten werden müßten. Hat also hier die Erblasserin auch noch nach der Adoption mehrfach erklärt, daß die Legate erfüllt werden sollen, so ergibt sich daraus zweifelsfrei, daß sie diese Legate auch bei bereits erfolgter Adoption bestimmt hätte.
Soweit der Beklagte in seiner Revision die festgestellten Äußerungen der Erblasserin über ihre Absicht, Legate aufrecht zu erhalten, "bestreitet" und darauf verweist, daß diese Feststellung wegen Obsiegens im Verfahren erster Instanz für ihn nicht anfechtbar war, ist ihm zu entgegnen, daß sie eben deshalb auch noch im Revisionsverfahren anfechtbar gewesen wäre (SZ 26/262, JBl. 1972, 97 u. a.), daß aber die wiedergegebene Bemerkung der Revision wegen des Fehlens jeder näheren Ausführung keine gesetzmäßige Bekampfung darstellt (vgl. Rspr. 1931/330) und demnach ein Mangel des Berufungsverfahrens ebenfalls nicht dargetan ist.
Die vom Berufungsgericht ausdrücklich mitübernommene Feststellung des Beharrens der Erblasserin auf die Erfüllung des Legats der Klägerin auch nach der Adoption des Beklagten reicht somit zur Stattgebung der Klage auf Legatserfüllung aus.
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