OGH 7Ob692/89

OGH7Ob692/899.11.1989

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz, Dr. Warta, Dr. Egermann und Dr. Niederreiter als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ö*** L*** AG, Filiale Wörgl, Wörgl,

Bahnhofstraße 6, vertreten durch Dr. Helmut Atzl, Rechtsanwalt in Kufstein, wider die beklagte Partei Dr. Irene P***, Hausfrau, Kitzbühel, Porstendorffweg 5, vertreten durch Dr. Peter Kaltschmid, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen 16,085.559,38 S s.A. infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 18. September 1989, GZ. 2 R 294/89-29, womit die Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 14. März 1989, GZ 11 Cg 48/88-22, als verspätet zurückgewiesen wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben und dem Berufungsgericht eine Entscheidung über die Berufung aufgetragen. Die Kosten des Rekurses sind weitere Kosten des Berufungsverfahrens.

Text

Begründung

Das der Klage stattgebende Urteil des Erstgerichtes wurde dem frei gewählten Vertreter der Beklagten am 8. Juni 1989 zugestellt. Am 30. Juni 1989 stellte die Beklagte beim Bezirksgericht Kitzbühel einen Antrag, ihr für den Rechtsstreit Verfahrenshilfe zu gewähren und einen Rechtsanwalt als Verfahrenshelfer zu bestellen. Der Antrag langte beim Landesgericht Innsbruck am 4. Juli 1989 ein. Mit Beschluß vom 6. Juli 1989 bewilligte das Landesgericht Innsbruck der Beklagten die Verfahrenshilfe und übersandte das Zivilprozeßformular 4 am selben Tag an die Rechtsanwaltskammer. Der Ausschuß der Tiroler Rechtsanwaltskammer bestellte am 10. Juli 1989 Rechtsanwalt Dr. Peter K*** für die vorliegende Rechtssache zum Vertreter der Beklagten. Hierauf verfügte das Landesgericht Innsbruck mittels ZPO Formular 4 die Verständigung des Dr. Peter K***, bei dem diese Verständigung mit dem Urteil am 24. Juli 1989 einlangte. Am 21. August 1989 langte die von Dr. K*** verfaßte Berufungsschrift beim Erstgericht ein.

Das Berufungsgericht hat die Berufung der Beklagten mit der Begründung als verspätet zurückgewiesen, die in § 464 Abs. 3 ZPO vorgesehene Fristerstreckung greife dann nicht Platz, wenn die die Verfahrenshilfe beantragende Partei ohnehin bereits durch einen frei gewählten Rechtsanwalt vertreten war. In einem solchen Fall sei § 464 Abs. 3 ZPO unanwendbar.

Rechtliche Beurteilung

Der von der Beklagten gegen die Entscheidung des Berufungsgerichtes erhobene Rekurs ist gerechtfertigt. Richtig ist zwar, daß die im § 464 Abs. 3 ZPO erwähnte Fristerstreckung dann nicht Platz greift, wenn die Partei nach wie vor durch einen frei gewählten Rechtsanwalt vertreten ist. Es obliegt jedoch dem Prozeßgericht, falls eine bisher von einem frei gewählten Rechtsanwalt vertretene Partei die Verfahrenshilfe und die Beigabe eines Verfahrenshelfers beantragt, diese Partei über die allfällige Auflösung des Vollmachtsverhältnisses zu ihrem bisherigen Rechtsvertreter dazu befragen und zu einer Anzeige im Sinne des § 36 Abs. 1 ZPO anzuleiten. Unterläßt es eine solche Anleitung, muß der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe als Anzeige des Erlöschens des Vollmachtsverhältnisses zum bisherigen Vertreter gewertet werden. Es beginnt daher in einem solchen Fall der Lauf der Rechtsmittelfrist nicht mit der Zustellung der Entscheidung an den frei gewählten Vertreter: Vielmehr ist der Beginn der Rechtsmittelfrist nach der Vorschrift des § 464 Abs. 3 ZPO zu beurteilen (RZ 1987/9, 7 Ob 642/83, 7 Ob 575/85, 1 Ob 699/85 ua). Im vorliegenden Fall hat die Beklagte zwar bei ihrem Antrag auf Gewährung der Verfahrenshilfe nicht auf das Erlöschen des Vollmachtsverhältnisses zu ihrem bisherigen frei gewählten Vertreter hingewiesen, doch wurde sie in dieser Richtung auch vom Erstgericht zu einer entsprechenden Bekanntgabe nicht angeleitet. Demnach mußte im Zweifel von einem Erlöschen des bisherigen Vollmachtsverhältnisses ausgegangen werden, so daß die Berufungsfrist erst mit der Zustellung des erstgerichtlichen Urteiles an den nunmehr bestellten Verfahrenshelfer zu laufen begonnen hat.

Die Berufung erweist sich sohin als rechtzeitig, weshalb der angefochtene Beschluß zu beheben war.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 52 ZPO.

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