European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1985:0070OB00006.85.0131.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Der Revision wird dahin Folge gegeben, dass das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.
Der Kläger ist schuldig, der Beklagten die mit 5.856,30 S bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin 936 S Barauslagen und 497,30 S Umsatzsteuer) sowie die mit 4.753,50 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 1.800 S Barauslagen und 268,50 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Am 4. 11. 1982 wurde das Fahrzeug des Klägers durch den Kontakt mit einer Baustellenabschrankung beschädigt. Aufgrund eines Kaskoversicherungsvertrags des Klägers mit der Beklagten hätte dieser, Leistungspflicht der Beklagten vorausgesetzt, einen Anspruch auf Zahlung von 60.215 S.
Die Beklagte hält dem vom Kläger geltend gemachten Leistungsanspruch Leistungsfreiheit infolge Verletzung der Obliegenheit nach Art 6 Abs 2 Z 1 und Z 2 AKIB entgegen, weil der Kläger trotz eingetretenen Sachschadens keine sofortige Anzeige bei der nächsten Gendarmeriedienststelle erstattet habe. Außerdem habe er den Versicherungsfall grob fahrlässig herbeigeführt, weil er trotz starken Nebels mit weit überhöhter Geschwindigkeit unter Missachtung mehrerer Warntafeln und Verkehrszeichen in die Baustellenabschrankung gefahren sei. Durch die Nichterstattung der Anzeige sei eine Aufklärung des Sachverhalts, insbesondere im Hinblick auf die groß fahrlässige Herbeiführung des Versicherungsfalls, unmöglich gemacht worden.
Das Erstgericht hat das Begehren des Klägers auf Ersatz seiner Schäden von 66.899 S sA abgewiesen. Hiebei ging es von folgenden wesentlichen Feststellungen aus:
Der Kläger fuhr auf der Bundesstraße 21. Im Bereich von Bad Fischau hatte die Firma L* bei Straßenkilometer 31 ein Baulager errichtet und Baustellenabschrankungen aufgestellt, die die Fahrbahn in Richtung Wien derart einengten, dass ein Fahrstreifen um mindestens 3 m verringert wurde. Die Abplankung durch einen Torstahlständer und eingehängte Holzlatten nahm etwa die Hälfte eines Fahrstreifens in Anspruch. Die Abplankung war mit batteriebetriebenen Blinkleuchten gesichert. Außerdem waren 150 m vor dem Behinderungsbereich eine Überholverbotstafel, unmittelbar vor der Behinderung ein Verkehrszeichen „Wartepflicht bei Gegenverkehr“, eine Geschwindigkeitsbeschränkung auf 50 km/h vor der Einengung, ein Verkehrszeichen „Fahrbahnverengung“ und ein Verkehrszeichen „Baustelle“ 150 m vor der Verengung aufgestellt. Infolge des starken Nebels, der bereits bei Wr. Neustadt begonnen hatte und dessen Dichte wechselte, übersah der Kläger sämtliche dieser Verkehrszeichen sowie die Baustellenabschrankung samt Blinkleuchten. Bei Einhaltung einer Geschwindigkeit von rund 60 km/h stieß er gegen 2 Ständer mit Blinklampen und eine Latte. Der dadurch an der Abschrankung entstandene Schaden betrug 2.516 S.
Nach dem Durchbrechen der Abplankung kam das Klagsfahrzeug auf einem Haufen Aushubmaterial zum Stillstand. Der Kläger stellte einen Ständer, der umgefallen war, wieder auf und legte die herabgefallene Latte darüber. Die Beschädigungen anderer Teile bemerkte er nicht, ebensowenig Blinklampen. Dann setzte er seine Fahrt fort. Eine Anzeige bei der Gendarmerie erstattetet er an diesem tage nicht.
Im Rahmen seiner Beweiswürdigung führte das Erstgericht auch aus, dass der Kläger Unsicherheiten bezüglich des Ablaufs des Versicherungsfalls durch eine Anzeige bei der Gendarmerie vermeiden hätte können. Es könne ausgeschlossen werden, dass bei der starken Beschädigung seines Wagens die Baustellenabschrankung nicht beschädigt worden sei. Jedenfalls hätte derartiges dem Kläger unwahrscheinlich vorkommen müssen.
Das Erstgericht vertrat den Standpunkt, der Kläger hätte wissen müssen, dass er einen Sachschaden verursacht hat, weshalb die Verpflichtung zur Erstattung einer Anzeige bei der nächsten Gendarmeriedienststelle bestanden hätte. Demnach habe der Kläger die Obliegenheitsverletzung nach Art 6 Abs 2 Z 2 AKIB begangen, weshalb die Beklagte, mangels Nachweises, dass die Obliegenheitsverletzung nicht auf grober Fahrlässigkeit beruhe, leistungsfrei sei, weil dem Kläger auch nicht der Beweis dafür gelungen sei, dass eine sofortige Anzeigeerstattung keinen Einfluss auf die Leistungsfreiheit der Beklagten gehabt hätte.
Das Berufungsgericht sprach dem Kläger 60.215 S sA unter unbekämpfter Abweisung des Mehrbegehrens zu. Es vertrat den Standpunkt, dem Kläger könne bezüglich der ihm angelasteten Obliegenheitsverletzung lediglich eine leichte Fahrlässigkeit vorgeworfen werden. Selbst wenn man aber seine Fahrlässigkeit als grob einschätzen würde, käme man zu keinem Wegfall der Leistungspflicht der Beklagten, weil diese keinen konkreten Verdacht und auch nicht die Unbenützbarkeit eines Beweismittels infolge Unterlassung der Anzeige bewiesen habe. Letztlich habe die Beklagte lediglich eine grob fahrlässige Herbeiführung des Versicherungsfalls geltend gemacht. Hier könne aber dem Kläger äußerstenfalls eine Überschreitung der zulässigen Geschwindigkeit vorgeworfen werden. Eine bloße Überschreitung der zulässigen Geschwindigkeit begründe jedoch noch keine grobe Fahrlässigkeit. Was die Behauptung, der Kläger habe den Unfall durch Missachtung des vorhandenen Nebels verursacht, anlange, hätte eine Anzeige bei der Gendarmerie keine Aufklärung bringen können, weil sich die durch Nebel geschaffenen Verhältnisse jeden Augenblick hätten ändern können und daher eine Feststellung der Sichtverhältnisse durch die Gendarmerie zu einem bestimmten Zeitpunkt keine Rückschlüsse auf die Sichtverhältnisse zu einem etwas früher gelegenen Zeitpunkt zugelassen hätten.
Das Berufungsgericht erklärte die Revision für nicht zulässig, wobei es auf die von ihm zitierten Judikatur verwies.
Die von der Beklagten gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobene Revision ist zulässig, weil die vom Berufungsgericht gemachten Ausführungen, insbesondere bezüglich der Beweislastverteilung und der groben Fahrlässigkeit, keine Deckung in der von ihm zitierten Judikatur finden.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist auch gerechtfertigt.
Zu der Obliegenheitsverletzung nach Art 6 Abs 2 Z 2 AKIB hat der Oberste Gerichtshof nicht ausgeführt, dass es Sache des Versicherers wäre, zu beweisen, welches Ergebnis eine allfällige behördliche Untersuchung gebracht hätte, sondern lediglich, dass der Versicherer den konkreten Verdacht und die Unbenützbarkeit eines Beweismittels infolge Unterlassung (Verspätung) der Anzeige behaupten und beweisen muss (SZ 51/180, ZVR 1983/150, ZVR 1983/41 ua). Hat der Versicherer einen solchen konkreten Verdacht und den Umstand, dass durch die Unterlassung der Anzeige ein Beweismittel unbenützbar geworden ist, dargetan, so obliegt es dem Versicherungsnehmer zu beweisen, dass ungeachtet dieser Umstände, die rechtzeitige Anzeigeerstattung zu keinem für ihn günstigeren Ergebnis geführt hätte.
Das Berufungsgericht vertritt nun den Standpunkt, die Beklagte habe im vorliegenden Fall letzten Endes nur eine grob fahrlässige Herbeiführung des Versicherungsfalls behauptet, doch sei schon aufgrund ihrer Behauptung eine solche grobe Fahrlässigkeit deshalb auszuschließen, weil die bloße Überschreitung der zulässigen Geschwindigkeit noch keine grobe Fahrlässigkeit begründen könne. In dieser Allgemeinheit ist jedoch die Rechtsmeinung des Berufungsgerichts unrichtig. Der Oberste Gerichtshof hat lediglich mehrfach ausgesprochen, dass die bloße Übertretung einer Verkehrsvorschrift, wie insbesondere die bloße Wahl einer überhöhten Geschwindigkeit, für sich allein noch nicht auch grobe Fahrlässigkeit begründen müsse (VerSR 1967, 388, ZVR 1983/150 u.a.). Dies bedeutet aber nicht, daß ein Unfall, der auf die Wahl einer überhöhten Geschwindigkeit zurückzuführen ist, nicht grob fahrlässig herbeigeführt worden sein kann. Grobe Fahrlässigkeit setzt eine solche Außerachtlassung der erforderlichen Sorgfalt voraus, die sich aus der Menge der auch für den sorgfältigsten nie ganz vermeidbaren Fahrlässigkeitshandlungen des täglichen Lebens als eine auffallende Sorglosigkeit hervorhebt. Die Sorgfaltsverletzung muss sich daher erheblich und ungewöhnlich vom Regelfall abheben, sodass sich der Schaden als wahrscheinlich voraussehen lässt und der Sorgfaltsverstoß bei Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls auch als subjektiv besonders schwer vorzuwerfen ist (SZ 51/180, ZVR 1976/330, EvBl 1973/265 u.a.). Demnach wird eine bloße, nicht allzu große Überschreitung der zulässigen Geschwindigkeit im allgemeinen zwar keine grobe Fahrlässigkeit begründen, doch kann die Überschreitung der im konkreten Fall zulässigen Geschwindigkeit unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls sehr wohl diesen Vorwurf rechtfertigen. Dies wird vor allem dann der Fall sein, wenn der Verkehrsteilnehmer durch Missachtung einer Reihe von Verkehrszeichen zu erkennen gab, dass er nicht nur vorübergehend unachtsam war, sondern dass er dem Geschehen um sich überhaupt keine Aufmerksamkeit gewidmet hat. Vor allem aber stellt die Wahl einer Geschwindigkeit, die den Anhalteweg derart erhöht, dass er weit größer ist als die tatsächliche Sicht, eine auffallende Sorglosigkeit dar. Gerade die Wahl einer überhöhten Geschwindigkeit bei dichtem Nebel gehört zu dem gefährlichsten und verantwortungslosen Fehlverhalten im Straßenverkehr. Demnach könnte ein solches Verhalten ohne weiters auch als grob fahrlässig beurteilt werden.
Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts hat sohin die Klägerin sehr wohl einen Sachverhalt behauptet, der die Möglichkeit einer grob fahrlässigen Herbeiführung des Versicherungsfalls durch den Kläger zulässt. Richtig hat das Berufungsgericht erkannt, dass der Versicherer lediglich den objektiven Tatbestand einer Obliegenheitsverletzung beweisen muss und dass es im Falle dieses Beweises Sache des Versicherungsnehmers ist, seinerseits zu beweisen, dass die Obliegenheitsverletzung nicht auf Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit beruht. Gelingt ihm dieser Beweis lediglich bezüglich des Vorsatzes, nicht jedoch bezüglich der groben Fahrlässigkeit, so steht es ihm frei zu beweisen, dass die Obliegenheitsverletzung keinerlei Einfluss auf die Leistungspflicht des Versicherer gehabt hat.
Im vorliegenden Fall ist dem Kläger nach den getroffenen Feststellungen tatsächlich der Beweis gelungen, dass er die Obliegenheit nach Art 6 Abs 2 Z 2 AKIB nicht vorsätzlich verletzt hat. Dagegen kann der Rechtsansicht des Berufungsgerichtes, sein diesbezügliches Verhalten sei lediglich als leicht fahrlässig zu beurteilen, nicht gefolgt werden. Nach den Feststellungen des Erstgerichts ist der Kläger in die beleuchtete Baustellenabschrankung hineingefahren, wobei sein Wagen schwere Schäden erlitten hat. Bei diesem Sachverhalt konnte sich ein nur einigermaßen gewissenhafter Verkehrsteilnehmer nicht darauf verlassen, dass an den Teilen der Abschrankung keinerlei Schäden entstanden sind. Insbesondere hätte ihm das nunmehrige Fehlen einer Beleuchtung auffallen müssen. Dass aber eine vorher vorhandene und später nicht verschwundene Beleuchtung nicht beschädigt worden ist, hätte der Kläger keinesfalls annehmen dürfen. Richtig hat daher das Erstgericht erkannt, dass der Kläger beim gegebenen Sachverhalt hätte wissen müssen, dass er einen Sachschaden verursacht hat. Dies begründet aber die Annahme einer grob fahrlässigen Verletzung der Aufklärungspflicht. Es wäre also Sache des Klägers gewesen, zu beweisen, dass seine Obliegenheitsverletzung keinerlei Einfluss auf die Leistungspflicht des Beklagten hatte (SZ 50/37, SZ 46/104 ua). Einen solchen Beweis hat der Kläger, entgegen der Auffassung des Berufungsgerichtes, nicht erbracht.
Fest steht, dass zum Unfallszeitpunkt im Raum Wr. Neustadt‑Wöllersdorf dichter Nebel herrschte, wobei die Dichte örtlich wechselte. Die Auffassung des Berufungsgerichts, dass dieser Umstand konkrete Feststellungen bezüglich des Unfallgeschehens auch dann ausgeschlossen hätte, wenn die Gendarmerie bereits kurz nach dem Unfall am Unfallsort erschienen wäre, kann nicht geteilt werden. Vorerst ist davon auszugehen, dass der Unfall entweder auf mangelnde Sicht infolge dichten Nebels zurückzuführen ist oder im Falle besserer Sichtverhältnisse darauf, dass der Kläger keinerlei Warntafeln oder Verkehrszeichen beachtet hat. In beiden Fällen könnte sein Verhalten als grob fahrlässig beurteilt werden. Im Übrigen kann nicht ausgeschlossen werden, dass die konkreten Sichtverhältnisse kurze Zeit nach dem Unfall Schlüsse auf die Sichtverhältnisse zum Zeitpunkt des Unfalls zugelassen hätten. Die Unterlassung der Anzeige durch den Kläger hat jedoch jede weitere Untersuchung auf diesem Gebiet ausgeschlossen. Damit ist aber dem Kläger der ihm obliegende Beweis dafür, dass seine Obliegenheitsverletzung keinerlei Einfluss auf die Leistungspflicht der Beklagten gehabt hat, nicht gelungen.
Da also die von der Beklagten behauptete Obliegenheitsverletzungen gegeben ist und dem Kläger weder der Beweis der fehlenden groben Fahrlässigkeit der Obliegenheitsverletzung noch der Beweis dafür, dass diese Obliegenheitsverletzung keinen Einfluss auf die Leistungspflicht der Beklagten hatte, gelungen ist, hat das Erstgericht mit Recht die Deckungspflicht der Beklagten verneint.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.
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