European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1984:0070OB00684.840.1122.000
Spruch:
Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
Begründung:
Der am ***** 1972 geborene F***** L***** entstammt der Ehe des österreichischen Staatsbürgers P***** L***** mit der niederländischen Staatsbürgerin Y***** S*****. Der Minderjährige war bei seiner Geburt österreichischer Staatsbürger. Die Ehe der Eltern wurde mit Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtsachen Wien vom 1. 2. 1979, 15 Cg 360/78‑9, rechtskräftig geschieden. Anlässlich der Ehescheidung schlossen die Eheleute einen nachträglich vom Pflegschaftsgericht genehmigten Vergleich, demzufolge die sich aus § 144 ABGB ergebenden Rechte bezüglich des Minderjährigen ausschließlich der Mutter zustehen sollen. Die Mutter ist nach der Ehescheidung mit dem Minderjährigen in die Niederlande übersiedelt, wo sie, als Vertreterin des Minderjährigen, um die Verleihung der niederländischen Staatsbürgerschaft für diesen ansuchte. Tatsächlich wurde dem Minderjährigen aufgrund dieses Ansuchens mit Wirkung vom 9. 12. 1980 die niederländische Staatsbürgerschaft verliehen.
Die Vorinstanzen haben den Antrag der Mutter, dem Vater eine monatliche Unterhaltszahlung von 4.000 S für den Minderjährigen aufzuerlegen, mit der Begründung zurückgewiesen, für einen ausländischen Staatsbürger, der seinen gewöhnlichen Aufenthalt nicht im Inland hat, sei im Inland keine Pflegschaft zu führen, weshalb allfällige Unterhaltsansprüche nur im streitigen Verfahren geltend gemacht werden könnten. Durch den Erwerb der niederländischen Staatsbürgerschaft aufgrund eines Ansuchens seines gesetzlichen Vertreters habe der Minderjährige gemäß § 27 StbG die österreichische Staatsbürgerschaft verloren. Demnach sei keine außerstreitige Gerichtsbarkeit für ihn im Inland gegeben.
Der von der Mutter gegen die Entscheidung des Rekursgerichts erhobene Revisionsrekurs wäre, da übereinstimmende Entscheidungen der Vorinstanzen vorliegenen, gemäß § 16 AußStrG nur wegen Nichtigkeit, Aktenwidrigkeit oder offenbarer Gesetzwidrigkekit zulässig. Der Revisionsrekurs macht ausschließlich geltend, dass im Hinblick auf eine unrichtige Lösung der Frage der Staatsbürgerschaft des Minderjährigen die außerstreitige Gerichtsbarkeit zu Unrecht verneint worden sei. Ob die Vorinstanzen die Frage er Zulässigkeit des Außerstreitverfahrens zutreffend gelöst haben, kann auch im Rahmen eines außerordentlichen Revisionsrekurses gemäß § 16 Abs 1 AußStrG unter dem Rekursgrund der Nullität geprüft werden (8 Ob 526/82, 6 Ob 576/82).
Rechtliche Beurteilung
Die behauptete Nichtigkeit ist allerdings nicht gegeben.
Für im Ausland lebende Kinder, die nicht österreichische Staatsbürger sind, ist bezüglich der in § 109 JN genannten Angelegenheiten die inländische Gerichtsbarkeit gemäß § 110 JN nur gegeben, soweit es sich um Maßnahmen betreffend das im Inland gelegene Vermögen des Minderjährigen handelt. § 109 JN hat die Entscheidung über die Rechte zwischen Eltern und minderjährigen Kindern zum Gegenstand, demnach die im Pflegschaftsverfahren zu behandelnden Angelegenheiten. Die Bestimmung des nunmehrigen § 110 JN, die eine umfassende Regelung der Frage der inländischen Gerichtsbarkeit für derartige Angelegenheiten bewirkte, schließt also die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen ausländischer Minderjähriger mit ständigem Wohnsitz im Ausland im außerstreitigen Verfahren aus (vgl 669 Blg XV GP 41 ff). Sie entspricht dem Haager Übereinkommen vom 5. 10. 1961, BGBl 1975/446, nach dessen Art 1 die Pflegschaft für minderjährige Kinder von demjenigen Staat zu führen ist, in dem diese ihren ständigen Aufenthalt haben. Die Ausnahmen der Art 3 und 4 dieses Übereinkommens beziehen sich lediglich auf Notmaßnahmen für Kinder, die die Staatsbürgerschaft jenes Staates haben, der diese Notmaßnahmen setzen soll. Art 5 Abs 1 des Übereinkommens spricht überhaupt nur aus, dass vor der Wohnsitzverlegung getroffene Maßnahmen vorläufig aufrecht bleiben, ermöglicht aber nicht die Setzung weiterer Maßnahmen durch ein Gericht jenes Staates, aus dem der Wohnsitz verlegt wurde Sohin käme im vorliegenden Fall die Führung einer Pflegschaft durch ein österreichisches Gericht, und damit die Entscheidung über Unterhaltsansprüche im außerstreitigen Verfahren (Pflegschaftsverfahren), nur für bestimmte Notmaßnahmen dann in Frage, wenn der Minderjährige nach wie vor österreichischer Staatsbürger wäre.
Zutreffend haben die Vorinstanzen erkannt, dass im Falle der Annahme einer ausländischen Staatsbürgerschaft aufgrund eigenen Ansuchens gemäß § 27 StbG die österreichische Staatsbürgerschaft verloren geht, ohne dass es hiezu einer Entscheidung einer österreichischen Behörde bedarf (siehe die vom Rekursgericht hiezu zitierte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs und die Literatur). Ein nicht eigenberechtigter Staatsbürger verliert seine österreichische Staatsbürgerschaft dann, wenn die auf den Erwerb der fremden Staatsangehörigkeit gerichtete Willenserklärung für ihn von seinem gesetzlichen Vertreter abgegeben wurde. (Im Übrigen hat das Amt der NÖ Landesregierung inzwischen mit Bescheid vom 22. 10. 1984, I/3‑S‑1629/82, festgestellt, dass das Kind durch den am 9. 12. 1980 erfolgten Erwerb der Staatsbürgerschaft des Königreichs der Niederlande die österreichische Staatsbürgerschaft verloren hat.)
Gemäß § 144 ABGB vertreten die Eltern wohl gemeinsam einen Minderjährigen. Im Falle der Scheidung der Ehe haben sich aber die Eltern darüber zu einigen, wem von ihnen alle aus den familienrechtlichen Beziehungen zwischen den Eltern und den minderjährigen Kindern erfließenden rein persönlichen Rechte und Pflichten (§ 144 ABGB) allein zustehen sollten (§ 177 Abs 1 ABGB). Zu den in § 144 ABGB aufgezählten Elternrechten gehört auch das Recht auf Vertretung des Minderjährigen. Durch die vom Pflegschaftsgericht genehmigte Vereinbarung der Eltern erhält jener Elternteil, dem diese Rechte überlassen worden sind, gemäß § 177 Abs 1 ABGB das alleinige Recht zur Vertretung des Minderjährigen. Diser Elternteil wird also alleiniger gesetzlicher Vertreter.
Nun zählt zwar § 154 Abs 2 ABGB einige Materien auf, bezüglich derer auch der zweite Elternteil zustimmen muss. Darunter fällt der Erwerb einer Staatsangehörigkeit oder der Verzicht auf eine solche. Dieses Zustimmungsrecht besteht jedoch nur unter der Voraussetzung, dass der andere Elternteil an sich vertretungsbefugt ist ( Pichler in Rummel , Rdz 4 zu § 154). Demnach hat im Falle einer pflegschaftsbehördlich genehmigten Vereinbarung im Sinne des § 177 Abs 1 ABGB jener Elternteil, dem die Rechte des § 144 ABGB überlassen worden sind, die alleinige gesetzliche Vertretung des Minderjährigen auch bezüglich der im § 154 Abs 2 ABGB genannten Angelegenheiten (EvBl 1978/170, EFSlg 33.553 ua). Dies ergibt aber, dass im vorliegenden Fall die Mutter des Minderjährigen bei Stellung des Ansuchens um Verleihung der niederländischen Staatsbürgerschaft an den Minderjährigen als dessen alleinige gesetzliche Vertreterin gehandelt hat, weshalb der Minderjährige gemäß § 27 StbG durch die Verleihung der niederländischen Staatsbürgerschaft seine österreichische Staatsbürgerschaft verloren hat. Demnach ist in Österreich für ihn keine pflegschaftsbehördliche Maßnahme mehr zu setzen, was die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen im Außerstreitverfahren ausschließt.
Die behauptete Nichtigkeit ist daher nicht gegeben.
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