Normen
ABGB §572
ABGB §871
ABGB §901
ABGB §939
VersVG §158f
ZPO §226 Abs1
ABGB §572
ABGB §871
ABGB §901
ABGB §939
VersVG §158f
ZPO §226 Abs1
Spruch:
Der Versicherer, der ohne Zustimmung des Versicherungsnehmers Ersatzansprüche des Verletzten reguliert hat, kann gegen den Versicherungsnehmer nicht wegen Leistungsfreiheit Regreß nehmen, wenn der Geschädigte diesem gegenüber auf seine Ersatzansprüche ernstlich verzichtet hat
Die Prozeßbehauptung, daß kein Verzicht erfolgt sei, enthält keine Anfechtung des Verzichtes wegen Willensmangel
OGH 15. Jänner 1981, 7 Ob 67/80 (KG Wels R 532/80; BG Gmunden 2 C 575/79)
Text
Der Beklagte verschuldete am 22. Oktober 1978 mit seinem bei der Klägerin haftpflichtversicherten PKW im alkoholisierten Zustand (Blutalkoholgehalt 1.66%) einen Verkehrsunfall, bei dem Stefanie P verletzt wurde. Wegen dieses Unfalles wurde der Beklagte mit Urteil den Bezirksgerichtes Gmunden vom 13. Dezember 1978, GZ 4 U 1793/78- 5, rechtskräftig wegen Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs. 1 und 3 (§ 81 Abs. 2) StGB verurteilt. Als Haftpflichtversicherer des Beklagten leistete die Klägerin an Stefanie P folgende Zahlungen:
1. Schmerzensgeld ........................................ 18 000 S
2. Vertretungskosten ..................................... 2 867 S
3. Auslagen für ein Sachverständigengutachten ............ 2 160 S
---------- 23 027 S.
Die Oberösterreichische Gebietskrankenkasse für Arbeiter und Angestellte (Sozialversicherer der Stefanie P) zahlte die Klägerin 60% des begehrten Betrages von 941.55 S, das sind 564 S. Mit ihrer Klage erhebt die Klägerin gegen den Beklagten eine Regreßforderung von 23 968.55 S samt Anhang. Sie sei dem Beklagten gegenüber nach Art. 6 Abs. 2 lit. c und 3 AKHB (bis zum Betrag von 30 000 S) leistungsfrei. Die Klägerin habe jedoch die Ersatzansprüche der geschädigten Dritten (Stefanie P und Oberösterreichische Gebietskrankenkasse für Arbeiter und Angestellte) befriedigen müssen, die auf sie nach § 158 f. VersVG übergegangen seien. Der Beklagte habe daher der Klägerin ihre Leistungen in der Höhe des Klagsbetrages zu ersetzen. Auf das Teilungsabkommen mit den Sozialversicherungsträgern könne sich der Beklagte nicht berufen.
Der Beklagte beantragt Klagsabweisung und behauptet, daß Stefanie P auf ihre Schmerzensgeldansprüche verzichtet habe. Die Klägerin sei daher zur Geltendmachung von Regreßansprüchen gegen den Beklagten nicht berechtigt. An die Oberösterreichische Gebietskrankenkasse für Arbeiter und Angestellte habe die Klägerin nur 564 S bezahlt.
Das Erstgericht entschied im Sinne des Klagebegehrens.
Nach seinen Feststellungen traf die Gattin des Beklagten die verletzte Stefanie P einen Tag nach dem Unfall und hielt ihr vor, daß der Beklagte wegen seiner Alkoholisierung alles selbst bezahlen müßte, wenn sie ein Schmerzensgeld verlangen sollte. Stefanie P hatte Mitleid mit der Familie des Beklagten und erwiderte dessen Gattin, daß sie keine Ansprüche stellen werde, da es ihr ohnedies nicht so schlecht gehe und sie annehme, daß sich ihre Beschwerden bald bessern werden. Außerdem erklärte Stefanie P, daß sie sich eine Woche Urlaub nehmen werde, damit sie nicht in Krankenstand gehen müsse, weil sie dem Beklagten nicht schaden wolle. Der Beklagte zeigte sich für das Entgegenkommen der Stefanie P erkenntlich und brachte ihr bei einem einen Tag später erfolgten Besuch, bei dem er sich wegen des Unfalles entschuldigte, Blumen. Bei diesem Besuch erklärte Stefanie P neuerlich, daß sie keine Ansprüche stellen werde, weil nicht viel passiert sei. Im Strafverfahren gegen den Beklagten wurde die in der Hauptverhandlung am 13. Dezember 1978 als Zeugin vernommene Stefanie P vom Richter befragt, ob sie sich dem Verfahren als Privatbeteiligte anschließe. Sie erklärte jedoch, sie sei froh, daß nicht mehr passiert sei. Der Beklagte, der auf Grund seiner Alkoholisierung alles selbst bezahlen müsse, tue ihr leid, weshalb sie kein Schmerzensgeld verlange. Der Verteidiger des in der Hauptverhandlung nicht anwesenden Beklagten Dr. Wilfried M erklärte daraufhin Stefanie P, daß er ihre Erklärung zur Kenntnis nehme und hievon seinem Mandanten Mitteilung machen werde. Im Zeitpunkt der Hauptverhandlung waren die Beschwerden der Stefanie P noch nicht zur Gänze abgeklungen. Sie fürchtete in der Folge, daß ihre Beschwerden nicht aufhören werden und sie möglicherweise die Frührente in Anspruch nehmen müsse. Auf Grund einer ihr erteilten falschen Rechtsauskunft war Stefanie P der Meinung, sie verliere ihren Anspruch auf eine Frührente, wenn sie ein Schmerzensgeld für die durch den Unfall erlittenen Verletzungen erhalten würde. Dies und die Annahme, daß ihre Verletzungen geringfügig seien, waren ein Grund, weshalb Stefanie P vorerst gegenüber dem Beklagten und dessen Ehegattin sowie in der Hauptverhandlung vor dem Strafgericht erklärte, daß sie keine Ansprüche geltend machen werde. Da sie aber in der Folge immer noch unter Schmerzen litt und allfällige Dauerfolgen des Unfalles nicht abzusehen waren, machte schließlich Stefanie P durch den von ihr beauftragten Rechtsanwalt gegenüber der Klägerin Schmerzensgeldansprüche geltend. Von den Zahlungen der Klägerin an Stefanie P erfuhr der Beklagte erst, als die Klägerin von ihm mit Schreiben vom 18. Juli 1979 den Ersatz des Klagsbetrages begehrte.
Das Erstgericht war der Ansicht, daß sich Stefanie P bei Abgabe ihrer Verzichtserklärung in einem bei einem unentgeltlichen Rechtsgeschäft (Schulderlaß) beachtlichen Motivirrtum befunden habe. Im Hinblick auf das Fortdauern der unfallbedingten Beschwerden hätten sich die bei Abgabe des Verzichtes durch Stefanie P vorgelegenen Voraussetzungen geändert, so daß der von ihr nachträglich geltend gemachte Schmerzensgeldanspruch berechtigt sei. Der Beklagte sei daher der Klägerin für ihre Leistungen an Stefanie P regreßpflichtig.
Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil hinsichtlich des Zuspruches von 941.55 samt Anhang, wies hingegen das Mehrbegehren von 23 027 S samt Anhang ab. Es war der Ansicht, daß der bei Abschluß eines Rechtsgeschäftes einem Vertragspartner unterlaufene Irrtum nur die Anfechtbarkeit des Vertrages durch den Irrenden zur Folge habe. Bis zur Geltendmachung des Irrtums sei daher das Rechtsgeschäft in der vereinbarten Form wirksam. Eine gerichtliche oder außergerichtliche Anfechtung des von Stefanie P erklärten Verzichtes sei von der Klägerin nicht behauptet worden. Der Forderungsverzicht der Stefanie P sei somit weiterhin aufrecht. Es habe daher ein Schmerzensgeldanspruch der Stefanie P auf die Klägerin nicht übergehen können. Hinsichtlich des Betrages von 23 027 S sei der Regreßanspruch der Klägerin nicht berechtigt.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Revision der klagenden Partei nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Unbestritten ist die mit 30 000 S begrenzte Leistungsfreiheit der Revisionswerberin gegenüber dem Beklagten nach Art. 6 Abs. 2 lit. c und 3 AKHB. Dem aus dem Verkehrsunfall geschädigten Dritten blieb hingegen die Revisionswerberin nach § 158c VersVG im Rahmen der bestehenden Haftpflichtversicherung leistungspflichtig. Im Umfange ihrer Leistungen gingen aber die Schadenersatzansprüche der geschädigten Dritten gegen den Beklagten im Sinne des § 158 f.
VersVG auf die Revisionswerberin über. Bis zur Höhe von 30 000 S ist
daher der Beklagte regreßpflichtig. Hat aber der Versicherer - wie
hier - die Schadensregulierung ohne Zustimmung des Versicherten
durchgeführt, so stehen diesem gegenüber dem regreßberechtigten Versicherer alle Einwendungen aus dem Haftplichtverhältnis gegen den Geschädigten zu. Die Legalzession erfaßt daher stets nur eine Forderung des geschädigten Dritten gegen den Versicherungsnehmer (VersR 1972, 1154; VersR 1973, 976; ZVR 1969/214; 7 Ob 8/80; zuletzt 7 Ob 18/80). Zu prüfen ist demnach der vom Beklagten behauptete Verzicht der Stefanie P auf ihren Schmerzensgeldanspruch. Nach der herrschenden Vertragstheorie bedarf die vom Verzichtenden abgegebene Entsagungserklärung der Annahme des Schuldners (EvBl. 1968/297;
EvBl. 1971/229; RZ 1968, 108; NZ 1977, 124; zuletzt 7 Ob 819, 820/76). Diese kann jedoch als empfangsbedürftige Willenserklärung vom Schuldner auch stillschweigend angenommen werden (SZ 18/184;
EvBl. 1960/6; EvBl. 1971/229; NZ 1977, 124). Ein Verzicht ist außerdem nur dann anzunehmen, wenn der Erklärungsempfänger der Äußerung des Erklärenden einen diesbezüglichen Willen unzweifelhaft entnehmen konnte (Gschnitzer in Klang[2] IV/1, 94; VersR 1974, 609; 5 Ob 135/61). Hier erklärte Stefanie P bei dem Besuch des Beklagten, daß sie ihm gegenüber keine Ansprüche stellen werde, weil nicht viel passiert sei. Diese Erklärung konnte der Beklagte nur so verstehen, daß Stefanie P im Hinblick auf ihre verhältnismäßig geringfügigen Verletzungen bei dem Verkehrsunfall vom 22. Oktober 1978 auf ihre Schadenersatzansprüche verzichte. Diese Entsagungserklärung der Stefanie P wurde auch vom Beklagten, der ihr bei seinem Besuch aus Erkenntlichkeit Blumen brachte, zumindest konkludent angenommen (RZ 1968, 108). Mit Recht bejahten daher die Untergerichte den vom Beklagten behaupteten Verzicht der Stefanie P auf ihren Schmerzensgeldanspruch.
Eine Prozeßbehauptung, daß sich Stefanie P bei Abgabe ihrer Verzichtserklärung in einem bei einem unentgeltlichen Rechtsgeschäft beachtlichen Motivirrtum nach §§ 572, 901 ABGB befunden hätte, wurde von der Revisionswerberin niemals aufgestellt. Ihr Tatsachenvorbringen, daß von Stefanie P eine Verzichtserklärung nicht abgegeben worden sei, schließt entgegen den Revisionsausführungen die Behauptung, ein erklärter Verzicht wäre wegen eines Irrtums der Stefanie P ungültig, nicht in sich. Der einem Kontrahenten bei einem Vertragsabschluß unterlaufene Irrtum im Sinne des § 871 ABGB hat nach der Lehre und Rechtsprechung nicht ex lege die Nichtigkeit, sondern nur die Anfechtbarkeit des Vertrages zur Folge (Gschnitzer in Klang[2] IV/1, 134; Koziol - Welser, Grundriß des bürgerlichen Rechtes[5] 109; SZ 41/33, SZ 46/84, SZ 48/30; EvBl. 1958/160). Es bleibt daher dem Irrenden überlassen, die Anfechtung geltend zu machen. Das gleiche gilt auch für den bei unentgeltlichen Rechtsgeschäften unter Lebenden beachtlichen Motivirrtum im Sinne der §§ 572, 901 ABGB. Die Revisionswerberin hätte daher den vom Beklagten behaupteten Verzicht der Stefanie P wegen Irrtums anfechten müssen. Hiezu wäre sie im Hinblick auf den Anspruchsübergang (Legalzession) nach § 158 f. VersVG berechtigt gewesen (vgl. SZ 41/57). Da die Revisionswerberin eine Irrtumsanfechtung unterließ, durfte das Erstgericht einen allfälligen Motivirrtum der Stefanie P bei der Abgabe ihrer Verzichtserklärung nicht von Amts wegen aufgreifen (SZ 46/84).
Die Ausführungen der Revisionswerberin, daß der gesamte vom Erstgericht festgestellte Sachverhalt der allseitigen rechtlichen Beurteilung zugrunde zu legen sei, ist entgegenzuhalten, daß überschießende Feststellungen nur dann zu berücksichtigen sind, wenn sie in den Rahmen des geltend gemachten Klagsgrundes oder einer bestimmten Einwendung fallen (JBl. 1961, 123; ZVR 1973/7; 5 Ob 217/75; 7 Ob 746/76; 7 Ob 12/77; 7 Ob 34/77; zuletzt 8 Ob 132, 133/79). Die Klage und das sonstige Vorbringen des Klägers müssen daher soviel an rechtserzeugenden Tatsachen enthalten, daß der geltend gemachte Anspruch dadurch substantiiert erscheint (JBl. 1974, 46; 1 Ob 746/76).
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