OGH 7Ob67/14z

OGH7Ob67/14z21.5.2014

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Vizepräsidentin Dr.

Huber als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hoch, Dr. Kalivoda, Mag. Dr. Wurdinger und Mag. Malesich als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei E***** Z*****, vertreten durch Mag. Georg-Alexander Grötz, Rechtsanwalt in Ternitz, gegen die beklagten Parteien 1. P. ***** OG, 2. P***** M*****, 3. H***** M*****, alle: *****, alle vertreten durch Dr. Wolfgang Winkler, Rechtsanwalt in Ternitz, und den Nebenintervenienten J***** K*****, vertreten durch Siemer‑Siegl‑Füreder & Partner Rechtsanwälte OG in Wien, wegen 15.892 EUR sA und Feststellung, über die Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 19. Dezember 2013, GZ 5 R 202/13g‑49, womit das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 16. August 2013, GZ 56 Cg 3/13m‑40, teilweise bestätigt und teilweise abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagten Parteien sind schuldig, der klagenden Partei die mit 883,15 EUR (darin enthalten 147,19 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Gemäß § 510 Abs 3 letzter Satz ZPO kann sich die Zurückweisung einer ordentlichen Revision wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken. Der Oberste Gerichtshof ist bei der Prüfung der Zulässigkeit einer Revision an den Ausspruch des Berufungsgerichts nach § 500 Abs 2 Z 3 ZPO nicht gebunden (§ 508a Abs 1 ZPO).

Im Revisionsverfahren bestreiten die Beklagten die mit einer Verschuldensteilung 2:1 zu ihren Lasten bejahte Haftung für alle Unfallfolgen aus dem Sturz des Klägers am 7. 12. 2010 um ca 6:30 Uhr im nicht überdachten und eisglatten Teil einer Tankstelle. Mit deren Räumung und Streuung „vor und während der Öffnungszeiten“ war die Erstbeklagte vom Tankstellenpächter, dem Nebeninterventen, beauftragt. Der Zweit- und die Drittbeklagte sind die persönlich haftenden Gesellschafter der Erstbeklagten.

Die Vorinstanzen lasteten der Erstbeklagten grobes Organisations-/Überwachungsverschulden an, weil der Zweitbeklagte ‑ trotz des am Vorabend angekündigten und ab 4:15 Uhr des Unfalltags tatsächlich aufgetretenen gefrierenden Niederschlags ‑ erst 1 ¾ Stunden nach Öffnung der Tankstelle dort eintraf und der Tankstellenbereich daher ab dem Zeitpunkt der Öffnung der Tankstelle trotz gefährlicher Straßenverhältnisse fast zwei Stunden „unbehandelt“ blieb. Der Zweitbeklagte habe sich nicht darauf verlassen dürfen, dass er keine Vorkehrungen zu setzen habe, nur weil es um 4:00 Uhr an seinem eigenen Wohnort noch nicht eisig gewesen sei; sei doch gerade Glatteisgefahr vorhergesagt gewesen und die Tankstelle 35 km entfernt, sodass er erst dorthin fahren habe müssen, um dem Winterdienstauftrag nachzukommen. Aufgrund des gefrierenden Niederschlags habe er dabei mit einem längeren Anfahrtsweg zur Tankstelle als üblich, also mit einer noch späteren Vornahme der Räumung und Streuung rechnen müssen. Auch die Mitarbeiter seien vom Zweitbeklagten erst um 5:30 Uhr verständigt worden (als er festgestellt habe, dass die Straßen auch in T***** eisig waren) und hätten daher ebenfalls erst zu diesem Zeitpunkt losfahren können, um Räum- und Streumaßnahmen zu setzen; da sei es bereits zu spät gewesen, um eine rechtzeitige Räumung und Streuung der Tankstelle (die an Arbeitstagen ab 5:00 Uhr geöffnet war) vorzunehmen.

Das Berufungsgericht sprach zunächst aus, die ordentliche Revision sei nicht zulässig, weil es sich bei der Verschuldensteilung um eine Einzelfallentscheidung handle; es änderte diesen Ausspruch jedoch mit Beschluss vom 24. 3. 2014 im Sinn des Antrags der Revisionswerber (§ 508 ZPO) ab, weil ihnen zuzugestehen sei, dass eine klarstellende Entscheidung des Obersten Gerichtshofs wünschenswert erscheine, „welche Organisation einem Unternehmen, das sich in einem Vertrag zur Übernahme des Winterdienstes verpflichtet hat, zumutbar ist“.

Rechtliche Beurteilung

Eine Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO wird damit nicht aufgezeigt.

Die Zulassungsbeschwerde leitet die Zulässigkeit der Revision einerseits daraus ab, dass die Frage des Verschuldens der Erstbeklagten vom Berufungsgericht falsch, nämlich erheblich von der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abweichend, beurteilt worden sei (worin eine Abweichung liegen soll, wird jedoch nicht dargetan). Andererseits wird sie damit begründet, dass es keine oberstgerichtliche Entscheidung darüber gebe, in welchen Zeitabständen der Zweitbeklagte die tatsächlichen Wetterverhältnisse kontrollieren hätte müssen.

Nach ständiger Rechtsprechung schließen jedoch Besonderheiten der Fallgestaltung eine richtungsweisende, die Rechtsentwicklung vorantreibende und für zukünftige Entscheidungen nutzbringende Judikatur des Obersten Gerichtshofs in der Regel aus (RIS-Justiz RS0042405 [T1 bis T3; T6; T10; T22; T28]). Wie die Revisionsbeantwortung des Klägers ‑ zu Recht ‑ geltend macht, liegt eine Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO daher schon wegen dieser Einzelfallbezogenheit nicht vor (vgl 10 Ob 37/13h).

Eine solche wird nicht schon dadurch begründet, dass ein völlig gleichgelagerter Sachverhalt vom Obersten Gerichtshof bisher noch nicht entschieden wurde (RIS-Justiz RS0107773). Dass eine juristische Person die Haftung für die unzureichende Organisation des Winterdienstes treffen kann, geht schon aus der Entscheidung 2 Ob 47/07m hervor (RIS-Justiz RS0023138 [T3]). Die Beurteilung, wann dies zutrifft, entzieht sich hingegen einer allgemeinen Aussage und richtet sich typischerweise nach den konkreten Umständen des Einzelfalls (so bereits 2 Ob 36/12a). Umso weniger kann allgemein gesagt werden, welche Organisation einem Unternehmen, das den Winterdienst übernommen hat, zumutbar ist, oder in welchen Zeitabständen es „die tatsächlichen Wetterverhältnisse kontrollieren“ muss.

Die Argumentation der Beklagten, zum Zeitpunkt der Kontrolle um 4:00 Uhr sei noch keine „erkennbare Gefahr“ und daher kein Grund für den Zweitbeklagten vorgelegen, Maßnahmen zur Schneeräumung oder zum Streuen gegen Glatteises zu setzen, übergeht, dass diese Gefahr bereits aufgrund der Wettervorhersage erkennbar (wenngleich noch nicht eingetreten) war, wonach jederzeit mit Glatteisbildung gerechnet werden musste. In einer solchen Situation durfte der Erstbeklagte nicht einfach 1 ½ Stunden weiterschlafen.

Die Behauptung, es habe keinen Sinn, Streumaßnahmen zu setzen, noch bevor sich eine Schnee- oder Eisdecke gebildet habe, findet in den Feststellungen keine Deckung und entbehrt in dieser Allgemeinheit jeder Grundlage.

Soweit die Rechtsmittelwerber geltend machen, sie hätten darauf vertrauen dürfen, von einem Mitarbeiter der bereits um 5:00 Uhr geöffneten Tankstelle kontaktiert zu werden, falls Maßnahmen zu setzen wären, wird Folgendes übersehen: Diese Information würde voraussetzen, dass ein Tankstellenmitarbeiter die Glatteisbildung erkennt. Darauf darf sich ein Unternehmer, der den Winterdienst übernommen hat, aber nicht verlassen. Außerdem übernahm die Erstbeklagte den Winterdienst „vor und während der Öffnungszeiten“. Es war daher nach dem ihr erteilten Auftrag bei entsprechender Witterung von der Erstbeklagten dafür Sorge zu tragen, dass bereits um 5:00 Uhr bei Öffnung der Tankstelle geräumt und gestreut ist. Geht man davon aus, dass auch die Tankstellenmitarbeiter erst gegen 5:00 Uhr ihren Dienst antreten (dem Sachverhalt ist nichts anderes zu entnehmen), würde der Standpunkt der Beklagten dazu führen, dass angesichts der Fahrzeit zur Tankstelle (45 Minuten) und der Feststellung, dass es nicht üblich ist, dass die Tankstellenmitarbeiter selbst streuen, zumindest für 45 Minuten bei entsprechender Witterung im Tankstellenareal Glatteis herrschen konnte.

Die Beurteilung der Frage, ob eine bestimmte Verschuldensteilung durch die Vorinstanzen angemessen ist, stellt eine Ermessensentscheidung dar, bei der nach ständiger Rechtsprechung keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO zu lösen ist, wenn ‑ wie hier ‑ eine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung nicht erblickt werden kann (RIS-Justiz RS0042405; RS0044088; RS0044262).

Da erhebliche Rechtsfragen nicht geltend gemacht werden und auch sonst nicht zu beantworten sind, ist die Revision zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 50, 41 ZPO. Der Kläger hat in seiner Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit der Revision der Beklagten hingewiesen. Der Streitgenossenzuschlag gemäß § 15 RATG gebührt ihm aber nicht, wie verzeichnet, in der Höhe von 20 %, sondern nur in Höhe von 15 %, weil sich der Nebenintervenient auf Seite der Beklagten am Revisionsverfahren nicht mehr beteiligte (RIS‑Justiz RS0036223).

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