OGH 7Ob648/90 (7Ob649/90)

OGH7Ob648/90 (7Ob649/90)6.12.1990

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Warta, Dr. Egermann, Dr. Niederreiter und Dr. Schalich als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei *****gesellschaft mbH, *****, vertreten durch Dr. Rudolf Fuchs, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Ruza P*****, vertreten durch Dr. Christoph Stapf, Rechtsanwalt in Wien, wegen Aufkündigung (Streitwert S 16.502,40), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 26. April 1990, GZ 41 R 292/90-22, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Hernals vom 8. Februar 1990, GZ 4 C 3140/88s-18, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichtes im Ausspruch über die Aufhebung der Aufkündigung des Geschäftslokals Nr. ***** im Hause *****, und im Kostenausspruch wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 5.435,52 bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens (darin enthalten S 905,92 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Beklagte ist Mieterin des Geschäftslokals Nr. ***** und des Kellermagazins Nr. ***** im Hause *****. Die klagende Partei kündigte am 21. 12. 1988 die Bestandverträge aus dem Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 4 erster Fall MRG auf.

Das Erstgericht hob beide Aufkündigungen auf. In Ansehung der Aufkündigung des Kellermagazins erwuchs das Ersturteil in Rechtskraft.

Nach den Feststellungen des Erstgerichtes mietete die Beklagte das Geschäftslokal ab 1. 7. 1985 als Verkaufslokal für Lebensmittel und als Imbissstube. Die Beklagte beabsichtigte mit Josef W***** in dem Geschäftslokal eine Konditoreiwarenerzeugung samt Schnellimbiss und Cafe-Konditorei in der Rechtsform einer GmbH zu betreiben. Am 9. 7. 1985 schloss sie mit Josef W***** einen Gesellschaftsvertrag zur Errichtung der GmbH ab. Die Stammeinlage der Beklagten betrug S 475.000, die des Josef W***** S 25.000. Der Firmenwortlaut wurde mit Ruza P***** GmbH festgelegt. Die Beklagte wurde zur alleinvertretungsbefugten Geschäftsführerin bestellt. Die GmbH finanzierte die Umbau- und Adaptierungsarbeiten des Geschäftslokals und betrieb darin die Konditoreiwarenerzeugung und eine Cafe-Konditorei. Mit Vertrag vom 29. 10. 1986 traten die Beklagte und Josef W***** ihre Geschäftsanteile an Nejazi B***** ab. Der Firmenwortlaut wurde auf Nejazi B***** GmbH geändert und Nejazi B***** zum Geschäftsführer bestellt. Das bisherige Unternehmen wurde in dem Geschäftslokal weitergeführt. Mit Notariatsakt vom 29. 10. 1986 stellte Nejazi B***** der Beklagten das Angebot auf Abtretung der Geschäftsanteile an der GmbH mit Bindung bis zum 31. 12. 2036. Die Beklagte sollte zur Annahme des Anbots nur berechtigt sein, wenn Nejazi B***** aus seinem Verschulden die Tochter der Beklagten, Silvia P*****, nicht als Konditorlehrling einstellt oder das Dienstverhältnis mit Silvia P***** vor Beendigung der Lehrzeit ohne Vorliegen eines Entlassungsgrundes beendet. Mit Notariatsakt vom 7. 11. 1989 nahm die Beklagte dieses Anbot an. Der Firmenwortlaut wurde wider auf Ruza P***** GmbH geändert, Nejazi B***** wurde als Geschäftsführer abberufen und die Beklagte zur alleinigen Geschäftsführerin bestellt.

Nach der Rechtsansicht des Erstgerichtes sei der Kündigungsgrund nach § 30 Abs 2 Z 4 erster Fall MRG nicht gegeben, wenn, wie hier, ein Geschäftslokal in eine GmbH eingebracht worden sei, auch wenn die Geschäftsanteile an der GmbH in der Folge veräußert würden. Das Berufungsgericht änderte das Ersturteil dahin ab, dass es die Aufkündigung als wirksam erkannte. Es sprach aus, dass der Wert des Streitgegenstandes S 50.000 übersteigt und die ordentliche Revision zulässig ist.

Nach der Auffassung des Berufungsgerichtes sei zwar durch die Überlassung des Geschäftslokals der Beklagten an die GmbH der Kündigungsgrund nach § 30 Abs 2 Z 4 erster Fall MRG so lange nicht gegeben gewesen, als die Beklagte an dem von der GmbH betriebenen Unternehmen beteiligt gewesen sei und als Geschäftsführerin mitgearbeitet habe. Der Kündigungsgrund sei jedoch dann durch die Veräußerung der Geschäftsanteile an der GmbH verwirklicht worden. Der Verkauf der Geschäftsanteile an der GmbH ändere an der Identität der GmbH nichts und sei auch nicht als gesetzliche Vertragsübernahme im Sinne des § 12 Abs 3 MRG anzusehen. Die Gesellschaft als juristische Person werde vom Gesellschafterwechsel nicht berührt. Die Überlassung des Mietgegenstandes an eine GmbH, an der der Mieter nicht selbst beteiligt sei und der er kein lebendes Unternehmen veräußere, sei jedenfalls der Bestimmung des § 30 Abs 2 Z 4 erster Fall MRG zu unterstellen. Dieses Ergebnis werde aber stufenweise auch dadurch herbeigeführt, dass der Mieter das Geschäftslokal einer GmbH überlasse, in der Folge aber seinen Geschäftsanteil an dieser GmbH veräußere. Solange der Mieter an dem im Bestandobjekt geführten Unternehmen wirtschaftlich beteiligt sei und am Unternehmen mitarbeite, bestehe ein schutzwürdiges Interesse des Mieters an der Aufrechterhaltung des Mietverhältnisses. Veräußere er dann aber seine Geschäftsanteile an der GmbH, falle dieses Interesse weg. Daraus folge, dass die Veräußerung der Geschäftsanteile an einer GmbH durch den Mieter, der das Geschäftslokal der GmbH zur Verfügung gestellt habe, nicht der Veräußerung eines lebenden Unternehmens gleichgehalten werden könne. Durch das Ausscheiden des Mieters als Gesellschafter werde dann der Kündigungsgrund der gänzlichen Weitergabe nach § 30 Abs 2 Z 4 erster Fall MRG verwirklicht.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen die Entscheidung der zweiten Instanz erhobene Revision der Beklagten ist berechtigt.

Der mit § 19 Abs 2 Z 10 erster Fall MG idente Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 4 erster Fall MRG ist gegeben, wenn der Mieter den Mietgegenstand mit oder ohne Beistellung von Einrichtungsgegenständen ganz weitergegeben hat und ihn in naher Zukunft nicht für sich oder die eintrittsberechtigten Personen dringend benötigt. Rechtsprechung und Lehre haben bald nach Inkrafttreten des MG die in der weiten Fassung des Kündigungstatbestandes gelegene Gefahr für die Unternehmensverwertung erkannt und den Kündigungstatbestand teleologisch reduziert. Eine Kündigung soll nur dann möglich sein, wen die selbständige Verwertung des Bestandgegenstandes im Vordergrund der wirtschaftlichen Transaktion steht (SZ 41/96; Fenyves in Korinek-Krejci, Handbuch zum MRG 312 f). Daher stellen die mit der Veräußerung eines Unternehmens verbundene Überlassung des Bestandobjektes, die Einbringung eines Unternehmens samt Mietrechten in eine Gesellschaft, aber auch die Einbringung von Mietrechten in eine Gesellschaft, an der der Mieter beteiligt ist, den Kündigungsgrund nicht her (MietSlg 39.436, 32.364, 31.394, 29.339 ua; Würth in Rummel, ABGB, Rz 23 zu § 30 MRG mwN). Daran hat sich auch durch das MRG nichts geändert. Es gibt zwar nunmehr für den sogenannten „Ladenschutz" eine eigene Vorschrift (§ 12 Abs 3 MRG), doch ist der Begriff der Weitergabe des Bestandgegenstandes im Sinne des § 30 Abs 2 Z 4 erster Fall MRG weiterhin vor dem Hintergrund des Gedankens der Schutzwürdigkeit der Betriebserhaltung zu interpretieren (vgl. Fenyves aaO 319).

Das Berufungsgericht ist zutreffend zunächst davon ausgegangen, dass nach den unbekämpften Feststellungen des Erstgerichtes die Beklagte im Jahre 1985 der Ruza P***** GmbH das Bestandobjekt nicht im Zuge einer Unternehmensveräußerung überließ und auch nicht ein Unternehmen mit den Mietrechten in die GmbH einbrachte. Die Beklagte hat lediglich das Geschäftslokal der GmbH überlassen, an der sie aber wirtschaftlich beteiligt war. Diesen Vorgang hat das Berufungsgericht nach der oben dargestellten Rechtsprechung zu Recht nicht als Weitergabe im Sinne des § 30 Abs 2 Z 4 erster Fall MRG beurteilt. Strittig ist lediglich, ob durch die Veräußerung der Geschäftsanteile an der GmbH im Jahre 1986 an einen Dritten der Kündigungstatbestand verwirklicht wurde, weil die Beklagte nicht mehr der Gesellschaft angehört (vgl Würth, Einige Fragen des Mietrechtsüberganges in ImmZ 1988, 253). In einem vergleichbaren Fall hat der Oberste Gerichtshof das Ausscheiden des Mieters von Betriebsräumlichkeiten aus der Gesellschaft, die in diesen Räumen ein Unternehmen betrieb, als eine Unternehmensveräußerung gleichartig angesehen und das Vorliegen des Kündigungsgrundes verneint (MietSlg 23.393). In der Entscheidung MietSlg 38.454 hat der Oberste Gerichtshof (allerdings obiter) ausgesprochen, dass eine Veräußerung der Geschäftsanteile durch den Mieter an einen Dritten nicht als eine Kündigungsgrund darstellende Weitergabe der Mietrechte, sondern als Veräußerung des Unternehmens anzusehen ist. Das Berufungsgericht hat diese Rechtsansicht abgelehnt. Beizupflichten ist dem Berufungsgericht darin, dass die neuere Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes einen bloßen Wechsel von Gesellschaftern nicht als Unternehmensveräußerung (im Sinne des § 12 Abs 3 MRG) ansieht (RdW 1987, 408; WBl 1987, 276; zustimmend Würth in ImmZ 1988, 253). Von der Frage, ob eine Unternehmensveräußerung im Sinne des § 12 Abs 3 MRG mit den dort bezeichneten Rechtsfolgen vorliegt, ist jedoch die Frage zu trennen, ob ein bestimmter wirtschaftlicher Vorgang eine gänzliche Weitergabe des Mietgegenstandes nach § 30 Abs 2 Z 4 erster Fall MRG ist. Bei Beurteilung dieser Frage ist davon auszugehen, dass, wie schon oben dargelegt wurde, die teleologische Reduktion des genannten Kündigungstatbestandes auf dem Grundgedanken der Schutzwürdigkeit der Betriebserhaltung beruht; dem Mieter soll die Verwertung seines Unternehmens ermöglicht werden (MietSlg 31.393/25; vgl auch Zingher17 105). Wird ein Unternehmen von einer Gesellschaft betrieben, kann die Verwertung durch Verkauf des Unternehmens oder aber auch durch Verkauf der Geschäftsanteile erfolgen (vgl Reich-Rohrwig, Unternehmenskauf und Beteiligungserwerb in ecolex 1990 140 f). Anders als bei § 12 Abs 3 MRG kommt es im letztgenannten Fall bei § 30 Abs 2 Z 4 erster Fall MRG jedenfalls dann, wenn der Mieter die überwiegenden Geschäftsanteile besitzt und sämtliche Geschäftsanteile veräußert werden, wegen des Grundes der teleologischen Reduktion nicht darauf an, dass sich formal der Rechtsträger nicht ändert. Das Schwergewicht der wirtschaftlichen Transaktion liegt in diesem Fall zweifellos auf der Verwertung des Unternehmens und nicht auf der des Bestandobjektes. Im vorliegenden Fall entfielen von der Stammeinlage der Gesellschaft von S 500.000 S 475.000 auf die Beklagte, die auch alleinige Geschäftsführerin war. Die Geschäftsanteile an der GmbH wurden zur Gänze veräußert. Das von der Gesellschaft betriebene Unternehmen wird vom Erwerber der Geschäftsanteile weitergeführt. Diese Umstände rechtfertigen es, im Sinne des vom Gesetzgeber gebilligten Anliegens der Rechtsprechung das Vorliegen des geltend gemachten Kündigungsgrundes zu verneinen.

Demgemäß ist der Revision Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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