OGH 7Ob594/90

OGH7Ob594/9012.7.1990

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Warta, Dr. Egermann, Dr. Niederreiter und Dr. Schalich als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Leopold J***, Kaufmann, Wien 10, Himbergerstraße 17-19, vertreten durch Dr. Heinz Ehmann, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Maria G***, Pensionistin, Wien 10, Oberlaaer Straße 210, vertreten durch Dr. Markus Groh, Rechtsanwalt Wien 8, Florianigasse 19, als Sachwalter, wegen Räumung, infolge Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgerichtes vom 21. Februar 1990, GZ 41 R 792/89-11, womit das Urteil des Bezirksgerichtes Favoriten vom 6. August 1989, GZ 5 C 1755/89i-5, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben. Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben und in der Sache selbst erkannt, daß das Klagebegehren, die Beklagte sei schuldig, dem Kläger die im ersten Stock des linken Seitentraktes vom Hause Wien 10, Oberlaaer Straße 210, gelegene Wohnung, bestehend aus Zimmer, Kabinett und Küche samt Nebenräumlichkeiten (Waschküche, Keller, Stiegenhaus und WC) sowie Garten, geräumt von allen ihren Fahrnissen zu übergeben, abgewiesen wird.

Der Kläger ist schuldig, der Beklagten die mit S 2.059,52 (darin S 329,92 an Umsatzsteuer und S 80,- an Barauslagen) bestimmten Verfahrenskosten erster Instanz, die mit S 3.334,72 (darin S 549,12 an Umsatzsteuer und S 40,- an Barauslagen) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit S 1.977,60 (darin S 329,60 an Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens beim Obersten Gerichtshof binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Räumung einer näher bezeichneten Wohnung im Haus Wien 10, Oberlaaer Straße 210. Die Beklagte habe nach dem Kaufvertrag vom 19. 12. 1978 auf Lebensdauer ein Gebrauchsrecht an dieser Wohnung. Das Gebäude, in dem sich die Wohnung befinde, sei in einem gesundheits- bzw. lebensgefährdenden Ausmaß baufällig. Das Magistrat der Stadt Wien habe deshalb mit Bescheid vom 2. 3. 1989 die Räumung der von der Beklagten benützten Wohnung binnen drei Monaten angeordnet. Innerhalb von sechs Monaten ab Rechtskraft des Bescheides sei das Haus Oberlaaer Straße 210 abzutragen. In der Begründung des Bescheides werde unter anderem ausgeführt, daß auf Grund der festgestellten Gebrechen eine Instandsetzung nicht mehr vertretbar sei, da mindestens die Hälfte der vorhandenen Bausubstanz durch neue Bauteile ersetzt werden müßte. Der Beklagten sei ein auf der gegenständlichen Liegenschaft befindlicher, modern ausgestatteter Bungalow samt Gartenfläche als Ersatz angeboten worden; die Beklagte habe dies jedoch zurückgewiesen.

Die Beklagte beantragt die Abweisung der Klage. Sie sei dem dem Bescheid zugrundeliegenden Ermittlungsverfahren nicht beigezogen worden, weil sie keine Parteistellung in diesem gehabt habe. Doch habe die Behörde im Hinblick auf das ihr zustehende Wohnungsgebrauchsrecht zu dem Räumungs- und Abtragungsauftrag folgende Alternative in den Spruch des Bescheides aufgenommen:

"Diese Verpflichtung besteht dann nicht, wenn innerhalb derselben Frist anstelle der Räumung und Abtragung die gegenständlichen Räume entsprechend der Bauordnung für Wien instandgesetzt werden." Der Bescheid sei rechtskräftig. Der Kläger sei verpflichtet, der Beklagten die Möglichkeit der Ausübung der Servitut in jenem Umfang zu erhalten, in dem dieser zum Zeitpunkt der Einräumung gegeben gewesen sei. Dieser Verpflichtung stehe der Spruch des Bescheides vom 2. 3. 1989 nicht entgegen.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Zusätzlich zu dem nicht bestrittenen Sachverhalt traf es folgende Feststellungen:

Der Kläger kaufte das gesamte Objekt mit Kaufvertrag vom 19. 12. 1978 von der Beklagten. Das Gebrauchsrecht der Beklagten ist grundbücherlich sichergestellt. Die Beklagte hat den Kaufvertrag wegen Unzurechnungsfähigkeit angefochten. Das Verfahren hierüber wurde erst 1989 beendet und blieb für die Beklagte ohne Erfolg. Nach dem Inhalt des Bescheides vom 2. 3. 1989 bestehen Baugebrechen zufolge fehlenden Verputzes, aufsteigender Feuchtigkeit, schadhafter Türstöcke, fehlender Türblätter, eines nicht mehr trittsicheren Fußbodens und Mängeln am Dach und am Stiegenaufgang.

Die alternative Möglichkeit auf Erfüllung des Abtragungsauftrages durch Behebung der Gebrechen wurde in den Bescheid nach dessen Begründung aufgenommen, um dem Hauseigentümer und den Mietern die Möglichkeit zu geben, durch entsprechende Vereinbarungen dennoch die Instandsetzung der Räume zu sichern. Das Erstgericht vertrat die Ansicht, das Gebrauchsobjekt sei durch den Räumungsbescheid rechtlich untergegangen, sodaß die Beklagte zur Räumung verpflichtet sei. Der Zustand des Objektes sei derart, daß dieses nur mehr durch unwirtschaftliche Aufwendungen erhalten werden könnte; solche Aufwendungen seien dem Kläger nicht zumutbar.

Die zweite Instanz hob das Urteil des Erstgerichtes unter Rechtskraftvorbehalt auf. Der baubehördliche Räumungs- und Abtragungsbescheid binde das Gericht nicht in der Beurteilung des Untergangs des dienenden Gebäudes im Sinne des § 525, erster Halbsatz, ABGB. Überdies müsse der mit der Dienstbarkeit der Wohnung belastete Liegenschaftseigentümer, habe er von der Baubehörde die Möglichkeit eingeräumt erhalten, die Zerstörung des Gebäudes durch Instandsetzungsmaßnahmen zu verhindern, von dieser Möglichkeit dann Gebrauch machen, wenn seine Rechtsstellung als Verpflichteter aus dem Dienstbarkeitsvertrag mit der Beklagten ihm diese Pflicht aufbürde. Streitentscheidend sei demnach, ob der Kläger bei der gegebenen Sachlage als Servitutsverpflichteter schuldig sei, das mit der Dienstbarkeit belastete Gebäude instandzusetzen. Gemäß § 508, zweiter Satz, ABGB sei der Eigentümer verbunden, die mit dem Gebrauchsrecht belastete Sache auf seine Kosten in gutem Stand zu erhalten. Nach dem dritten Satz dieser Gesetzesstelle müsse, wenn die Kosten (der Instandhaltung) denjenigen Nutzen übersteigen, der dem Eigentümer übrigbleibt, der Berechtigte den Überschuß der Kosten tragen oder vom Gebrauch abstehen. Diese Bestimmung knüpfe die Erhaltungspflicht des Liegenschaftseigentümers an die Wirtschaftlichkeitsgrenze in der Weise, daß der Eigentümer das Gebäude zumindest in jenem brauchbaren Zustand erhalten müsse, in dem es sich bei Einräumung des Gebrauchsrechtes befunden habe, ohne daß er verhalten wäre, Aufwendungen zu tätigen, die in ihren Kosten den Nutzungswert der Sache übersteigen. Die Rechtsprechung anerkenne eine darüber hinausgehende Instandhaltungspflicht des Dienstbarkeitsbelasteten für den Fall, daß das Wohnungsrecht Versorgungszwecken diene. Die Grenze liege in diesem Fall dort, wo der Aufwand dem Belasteten nicht mehr zugemutet werden könne. Es seien deshalb Feststellungen darüber erforderlich, welche Kosten die Instandsetzungsarbeiten erfordern, welchen Wert die Liegenschaft für den Kläger im Verhältnis zu den aufzuwendenden Kosten darstelle, ob das Wohnungsrecht der Beklagten als zu Versorgungszwecken eingeräumt anzusehen sei und bejahendenfalls, ob die Aufwendungen über die Grenze des dem Kläger wirtschaftlich Zumutbaren hinausgehen. Die Voraussetzungen des § 502 Abs.1 ZPO seien gegeben, weil das Berufungsgericht in der Ablehnung der vom Erstgericht angenommenen Bindung an den verwaltungsbehördlichen Bescheid von der oberstgerichtlichen Rechtsprechung abweiche und zur Frage, ob der Bestand einer dienstbarkeitsrechtlich zu beurteilenden Instandsetzungspflicht im Falle des mit einer Instandsetzungsbefugnis gekoppelten Abtragungsbescheides dem Räumungsbegehren des Liegenschaftseigentümers entgegenstehe, Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes nicht vorhanden sei. Dagegen richtet sich der Rekurs des Klägers mit dem Antrag, den Beschluß der zweiten Instanz aufzuheben und entweder in der Sache selbst - abweislich - über die Berufung der Beklagten zu entscheiden oder der zweiten Instanz eine sachliche Entscheidung über das Rechtsmittel der Beklagten aufzutragen.

Die Beklagte beantragt, dem Rekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist berechtigt, wenn auch nicht im Sinne des Antrages des Klägers; doch gilt im Rekursverfahren gegen Aufhebungsbeschlüsse des Berufungsgerichtes nicht das Verbot der reformatio in peius (SZ 48/136).

Nach § 525 ABGB erlöschen Dientsbarkeiten durch den dauernden Untergang der Sache. Ein bloß vorübergehender Untergang bewirkt kein Erlöschen (Petrasch in Rummel, ABGB2, Rz 1 zu § 525). Der genannte Erlöschungsgrund entspricht dem Auflösungsgrund für Bestandverträge nach § 1112 ABGB, sodaß für seine Beurteilung die für jenen Auflösungsgrund nach Lehre und Rechtsprechung geltenden Grundsätze herangezogen werden können. Als Erlöschensgrund ist demnach auch der rechtliche Untergang der Sache anzusehen, der nach der Rechtsprechung bei Entzug der baubehördlichen Benützungsbewilligung gegeben ist, wobei davon ausgegangen wird, daß Demolierungsbescheide der Baubehörde auch ohne ausdrücklichen Ausspruch den Entzug der Benützungsbewilligung enthalten (MietSlg. 34.242/31; MietSlg. 27.196/7; Würth in Rummel, ABGB2, Rz 4 zu § 1112). Es darf sich jedoch nicht um einen bloß vorübergehenden Entzug der baurechtlichen Benützungsbewilligung handeln, entscheidend ist die Endgültigkeit der baubehördlichen Maßnahme (6 Ob 702/86; vgl. auch SZ 43/12). Im vorliegenden Fall ist die baubehördliche Maßnahme nicht endgültig. Nach dem Bescheid vom 2. 3. 1989 entfällt nämlich die Verpflichtung zur Abtragung, wenn die Räume entsprechend der Bauordnung instandgesetzt werden. Zwar steht es dem Hauseigentümer grundsätzlich frei, von einer solchen im Bescheid eingeräumten Eventualermächtigung Gebrauch zu machen, es sei denn, daß er zur Instandsetzung verpflichtet ist (vgl. Krzizek, System des österreichischen Baurechts III 102; Würth aaO Rz 2 und 3). Eine solche Verpflichtung ergibt sich grundsätzlich aus den Bestimmungen des § 508 ABGB. Sind die Voraussetzungen für eine Instandhaltungspflicht des Klägers gegeben, könnte die Dienstbarkeit der Beklagten - auch bei Festhalten an der bisherigen Rechtsprechung zur Frage der Bindungswirkung - noch nicht erloschen sein. Daß die dem Kläger im Bescheid gesetzte Frist für die Instandsetzung bereits abgelaufen ist, stünde dem nicht entgegen. Ungeachtet des Wortlautes des § 129 Abs.4 der Wiener Bauordnung hat der Eigentümer auch nach Ablauf der Erfüllungsfrist die Möglichkeit, Instandsetzungsmaßnahmen vorzunehmen, weil einer Vollstreckung des Abtragungsauftrages das Vorliegen eines geänderten Sachverhalts entgegengehalten werden kann. Der Abtragungsauftrag stellt nicht einen contrarius actus zu der nach wie vor gegebenen Baubewilligung dar (Geuder-Hauer, Das Wiener Baurecht 439 Anm. 16).

Dem Kläger, der sich auf das Erlöschen der Dienstbarkeit durch rechtlichen Untergang der Sache beruft und sich hiebei auf den die Eventualermächtigung enthaltenden Bescheid vom 2. 3. 1989 stützt, trifft allerdings die Behauptungs- und Beweislast für das Fehlen einer Instandhaltungspflicht, weil in diesem Fall das Fehlen einer Instandhaltungspflicht zu den rechtsvernichtenden Voraussetzungen gehört. Ist der Entzug der Benützungsbewilligung nach dem Inhalt des Bescheides nicht endgültig, muß derjenige, der aus der Endgültigkeit Rechte ableiten will, die Voraussetzungen hiefür behaupten und beweisen.

Diesen Beweis hat der Kläger nicht angetreten. Gleichgültig, ob nun der Beklagten das Wohnrecht zu Versorgungszwecken eingeräumt wurde oder nicht, der Kläger hätte entweder behaupten und beweisen müssen, daß die Kosten der Instandsetzung denjenigen Nutzen übersteigen, der ihm als Eigentümer übrigbleibt, ohne daß die Beklagte als Berechtigte bereit wäre, den Überschuß zu tragen (§ 508, dritter Satz, ABGB), oder, daß ihm die Erhaltung des Objektes nicht mehr zugemutet werden könne - jeweils unter Beachtung des Umstandes, daß der Eigentümer verpflichtet ist, das Gebäude zumindest in jenem brauchbaren Zustand zu erhalten, in dem es sich zur Zeit der Einräumung des Wohnungsrechtes befunden hat (Petrasch in Rummel, ABGB2, Rz 2 zu § 508; Pimmer in Schwimann, ABGB, Rz 17 zu § 521). Der Kläger hat zur Begründung seines Anspruches allein auf den Bescheid vom 2. 3. 1989 hingewiesen und dessen Begründung zitiert, die sich in ihrem wesentlichen Teil auf die Wiedergabe des Wortlautes des § 129 Abs.4 der Wiener Bauordnung beschränkt. Der Bescheid allein aber bewirkt mit Rücksicht auf die darin aufgenommene Eventualermächtigung und die im oben dargestellten Ausmaß bestehende Instandsetzungspflicht des Klägers noch nicht den endgültigen Untergang der dienstbaren Sache.

Mangels entsprechender Klagebehauptungen erübrigt sich eine Verfahrensergänzung im Sinne der Aufträge des Berufungsgerichtes. Die Sache erweist sich damit als spruchreif im Sinne einer Abweisung des Klagebegehrens, sodaß der angefochtene Beschluß aufzuheben und gemäß § 519 Abs.2, letzter Satz, ZPO in der Sache selbst zu erkennen war.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

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