Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Text
Begründung
Der am 20.5.1949 geborene Wilhelm B***** befindet sich, nachdem er vorübergehend in einem Pflegeheim in Waidhofen/Thaya untergebracht war, seit 14.6.1988 in stationärer Behandlung der Niederösterreichischen Landes-Nervenklinik Mauer. Der vom Erstgericht im vorliegenden Verfahren beigezogene Sachverständige stellte am 21.4.1989 eine "Idiotie mit schweren psychomotorischen Störungen, Gehunfähigkeit, motorischer Unruhe und Kontaktunfähigkeit" fest (AS 7). Mit Beschluß vom 24.4.1989 bestellte das Erstgericht Andrea H***** gemäß § 273 ABGB zum Sachwalter und betraute sie mit der Besorgung aller Angelegenheiten (ON 5). Beim Betroffenen bestehe eine Behinderung des Geistes, die die Gefahr eines Nachteils für ihn selbst beinhalte. Der Betroffene könne nur durch Hilfe anderer in die Lage versetzt werden, seine Angelegenheiten im erforderlichen Maß zu besorgen. Bei einer Tagsatzung des Erstgerichtes im Unterbringungsverfahren in der Landes-Nervenklinik Mauer am 20.9.1991 wurde festgestellt, daß der Betroffene auch blind und fast taub ist. Er neigte zu spontanen Körperbewegungen, es besteht die Gefahr einer Selbstbeschädigung. Mit Beschluß vom gleichen Tag erklärte das Erstgericht die Anwendung von Mitteln zur Einschränkung der körperlichen Bewegungsfreiheit im Sinne des § 32 Abs 1 UbG als zur Behandlung und Pflege notwendig und daher zulässig. Dieser Beschluß wurde vom Rekursgericht mit Entscheidung vom 20.11.1991 ersatzlos behoben (ON 22).
Mit Beschluß vom 6.2.1992 genehmigte das Erstgericht die bisherige Unterbringung des Patienten sachwalterschaftsbehördlich und ordnete seine zukünftige Unterbringung an (ON 28). Der Aufenthalt des Betroffenen in der Niederösterreichischen Landes-Nervenklinik Mauer sei als "untergebracht" zu bezeichnen. Der Patient sei aufs schwerste im Sinne einer Idiotie behindert und nicht in der Lage, selbständig eine sinnvolle und umwelt- und situationsadäquate Handlung zu setzen. Er sei weiterhin auf die ihm bisher zuteil gewordene Pflege im untergebrachten Zustand angewiesen, wenngleich seine geistige Behinderung im Bereich der Geistesschwäche und nicht der Geisteskrankheit zu suchen sei. Eine Aufhebung der Unterbringung würde eine Gefahr für Leib und Leben des Patienten herbeiführen.
Über Rekurs der Sachwalterin hob die zweite Instanz diesen Beschluß auf; den Rekurs an den Obersten Gerichtshof erklärte sie als zulässig. Eine Unterbringung des Betroffenen gemäß § 3 Z 1 UbG sei mangels einer psychischen Krankheit unzulässig. Es müßten deshalb im Sachwalterschaftsverfahren die entsprechenden Anordnungen über den Aufenthalt des Patienten getroffen werden. Zwar könne das Pflegschaftsgericht nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes (SZ 60/12) die Anhaltung einer behinderten Person in einer Krankenanstalt für Geisteskranke anordnen, weil dafür § 282 Satz 2 ABGB eine der Menschenrechtskonvention entsprechende Grundlage biete, doch komme primär die Anordnung einer anderwärtigen Betreuung des Behinderten in Betracht; sollte diese nicht möglich sein, müßte der Betroffene als behinderter Mensch iS des § 13 Abs 2 des NÖ. Sozialhilfegesetzes den nach diesem Gesetz zuständigen Organen zur Betreuung übergeben werden. Nur dann, wenn eine adäquate Betreuung auch im Sozialhilfebereich sich als unmöglich erweisen sollte, bliebe als letzte Möglichkeit die Beibehaltung des Aufenthaltes in der NÖ. Landesnervenklinik Mauer in der bisherigen Art und Weise. Da nach der derzeitigen Aktenlage nicht verläßlich beurteilt werden könne, was mit dem Betroffenen in Zukunft geschehen solle, sei eine Ergänzung des Verfahrens erforderlich. Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof sei zuzulassen gewesen, weil die Entscheidung SZ 60/12 mit den (nach dem Unterbringungsgesetz ergangenen) Entscheidungen 7 Ob 590/91 und 4 Ob 542/91 (JBl 1992/106) nicht im Einklang stehe.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs der Sachwalterin ist zwar nicht im Ergebnis, wohl aber im Eventualbegehren berechtigt, nach welchem auszusprechen sei, daß das Erstgericht nicht "ermächtigt" sei, die Unterbringung in einer psychiatrischen Anstalt bzw Abteilung anzuordnen oder zu genehmigen.
Die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 28.1.1987, 1 Ob 709/86 (SZ 60/12), ist zur Zeit der Rechtslage vor dem Unterbringungsgesetz, das mit 1.1.1991 in Kraft getreten ist, ergangen. Da nach § 3 Z 1 UbG in einer "Anstalt" - das sind nach § 2 leg cit Krankenanstalten und Abteilungen für Psychiatrie, in denen Personen in einem geschlossenen Bereich angehalten oder sonst Beschränkungen ihrer Bewegungsfreiheit unterworfen werden - nur untergebracht werden darf, wer an einer psychischen Krankheit leidet und im Zusammenhang damit sein Leben oder seine Gesundheit oder das Leben oder die Gesundheit anderer ernstlich und erheblich gefährdet, besteht nunmehr keine gesetzliche Möglichkeit mehr, für eine behinderte Person, die nicht auch an einer psychischen Krankheit leidet, die Unterbringung in einer Anstalt für Geisteskranke unter Hinweis auf § 282 Satz 2 ABGB als erforderliche Personenfürsorge anzuordnen. Geistig Behinderte dürfen vielmehr nur dann in Abteilungen und Sonderkrankenanstalten für Psychiatrie aufgenommen werden, wenn neben der geistigen Behinderung auch Symptome einer psychischen Erkrankung auftreten. Idiotie ist keine Erkrankung in diesem Sinn. Eine über die geistige Behinderung vom Grade einer Idiotie hinausgehende Geistes- oder Gemütskrankheit ist nach den für den Obersten Gerichtshof bindenden Feststellungen der Vorinstanzen beim Betroffenen nicht erwiesen.
Eine analoge Anwendung des Unterbringungsgesetzes auf bloß geistig Behinderte kommt mangels Vorliegens einer "planwidrigen Unvollständigkeit", also einer nicht gewollten Gesetzeslücke, nicht in Frage (vgl JBl 1992, 106, 7 Ob 590/91). Daß geistig Behinderte ohne Symptome einer psychischen Erkrankung auch dann, wenn sie im Zusammenhang mit ihrer Behinderung sich oder andere ernstlich oder erheblich gefährden, nach der gegebenen Rechtslage weder in einem geschlossenen Bereich angehalten noch sonst Beschränkungen ihrer Bewegungsfreiheit unterworfen werden dürfen, mag unbefriedigend sein; doch ist die Änderung einer solchen Rechtslage nicht Sache der Rechtsprechung. Auf die sich aufdrängende Frage, ob das vom Sachwalter gestellte Rechtsmittelbegehren dem Wohl des Behinderten dient, wird noch im folgenden eingegangen.
Die Unterbringung des Betroffenen in einer Anstalt iS des § 2 UbG ist daher entgegen der Ansicht des Rekursgerichtes auch nicht als letzte Möglichkeit zulässig.
Dies bedeutet aber nicht, daß der völlig hilflose Patient auf die Straße gestellt und damit dem sicheren Verderben preisgegeben werden dürfte. Wie schon von der zweiten Instanz ausgeführt wurde, gibt es auch im Bereich des Bundeslandes Niederösterreich ein Sozialhilfegesetz, und es umfaßt die Sozialhilfe nach § 1 Abs 2 lit b leg cit. Auch Hilfe für behinderte Menschen, soweit sie - § 2 Abs 2 SHG - nicht von anderer Seite geleistet wird. Nach § 21 a NÖ-SHG kann behinderten Arbeitnehmern, die infolge ihres Leidens oder Gebrechens nicht imstande sind, ein selbständiges Leben zu führen, Hilfe durch Unterbringung in geeigneten Einrichtungen gewährt werden; welche Einrichtungen unter Sozialhilfeeinrichtungen zu verstehen sind, wird im § 45 NÖ-SHG näher ausgeführt. Dem Rekursgericht ist daher hinsichtlich der dem Erstgericht erteilten Aufträge zum Auffinden einer geeigneten Lösung für den Patienten beizupflichten, insbesondere auch darin, daß es Pflicht des Sachwalters ist, im Rahmen der ihm obliegenden Personenfürsorge eine Lösung für den von ihm vertretenen Behinderten zu finden und daß sich ein Sachwalter nicht darauf zurückziehen kann, den derzeitigen Zustand zu beseitigen und damit in Kauf zu nehmen, daß der ihm anvertraute Behinderte ohne die für seine weitere Existenz notwendige Betreuung bleibt.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)