Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 10.200,60 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 1.700,10 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu bezahlen.
Text
Entscheidungsgründe:
Im Zwangsversteigerungsverfahren des Bezirksgerichtes G***** wurde der Beklagten zur Schätzung der Liegenschaft ***** als Sachverständiger beigezogen. Das vom Vollstreckungsorgan aufgenommene Protokoll vom 29.3.1989 enthält keine Beschreibung der zu schätzenden Liegenschaft nach § 28 RSchO. Der Beklagte ermittelte nach § 16 RschO einen Grund- und Bodenwert der Liegenschaft von S 1,773.546. Der Schätzwert samt Zubehör betrug S 1,778.546, das geringste Gebot sohin S 889.273. Bei der Versteigerungstagsatzung am 3.10.1989 wurde die Liegenschaft dem Kläger zum geringsten Gebot zugeschlagen.
Der Kläger behauptet, daß das Haus bereits im Zeitpunkt der Besichtigung durch den Beklagten am 29.3.1989 von echtem Hausschwamm befallen gewesen sei. Der Beklagte habe dies bei seiner Schätzung außer acht gelassen. Infolge dieses Befalles sei die Liegenschaft nur S 590.000 wert. Der Kläger begehrt vom Beklagten den Ersatz des ihm durch das mangelhafte Gutachten verursachten Schadens von S 229.273 sA.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Nach seinen Feststellungen handelt es sich bei der Liegenschaft um einen ehemaligen Pensionsbetrieb mit 29 zum Teil eingerichteten Fremdenzimmern. Der bauliche Zustand des Gebäudes wurde vom Beklagten im Befund genauestens beschrieben, der gesamte Bauzustand wurde als schlecht bewertet. Ein etwa vorhandener Hausschwamm wurde vom Beklagten nicht befundet und auch im Gutachten nicht genannt.
Nach der Rechtsansicht des Erstgerichtes hafte der gemäß § 143 EO zur Schätzung der Liegenschaft beigezogene Sachverständige dem Ersteher nicht für die Richtigkeit des ermittelten Schätzwertes.
Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil und sprach aus, daß die ordentliche Revision zulässig ist. Es teilte die Rechtsansicht des Erstgerichtes und führte ergänzend aus, daß den Sachverständigen aber auch nicht der Vorwurf einer unrichtigen, weil unvollständigen Beschreibung treffe. Die Beschreibung der zu versteigernden und daher zu schätzenden Liegenschaft nach den auf den Wert Einfluß nehmenden Momenten, zu denen nach § 28 Abs 2 RSchO unter anderem der Bauzustand eines Gebäudes gehöre, falle nicht in den Aufgabenbereich des Sachverständigen, sondern in den des Vollstreckungsorgans. Fehler der Beschreibung könnten daher - als außerhalb des Wirkungsbereiches des Sachverständigen liegend - selbst dann nicht eine privatrechtliche Schadenersatzpflicht des Sachverständigen begründen, wenn ihm die Beschreibung vom Gerichtsorgan überlassen und diese durch den Befund des Sachverständigen ersetzt werde. Den Zulässigkeitsausspruch begründete das Berufungsgericht damit, daß zur Frage, ob der im Zwangsversteigerungsverfahren zur Schätzung der Liegenschaft beigezogene Sachverständige dem Ersteher für die vollständige Beschreibung der Liegenschaft hafte, wenn die gemäß § 144 Abs 1 EO dem Vollstreckungsorgan obliegende Beschreibung durch den Befund des Sachverständigen ersetzt werde, divergierende Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs vorliegen.
Die gegen die Entscheidung der zweiten Instanz erhobene Revision des Klägers ist nicht berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
In der Entscheidung SZ 60/2 wurde die in SZ 57/105 ausgesprochene Rechtsansicht, daß der im Zwangsversteigerungsverfahren zur Schätzung der Liegenschaft beigezogene Sachverständige dem Ersteher für die vollständige Beschreibung hafte, wenn die dem Vollstreckungsorgan obliegende Beschreibung durch den Befund des Sachverständigen ersetzt worden sei, mit der Begründung abgelehnt, daß die Beschreibung der in Exekution gezogenen Liegenschaft dem Vollstreckungsorgan obliegt und nicht zum Aufgabenbereich des Sachverständigen gehört. Außerhalb des Aufgabenbereiches des Sachverständigen aufgetretene Fehler können daher nicht seine privatrechtliche Schadenersatzpflicht begründen. Aus diesen Gründen ist der zuletzt genannten Rechtsansicht beizutreten. Diese Frage ist hier aber nicht entscheidend.
Die Schätzung beginnt regelmäßig mit dem Augenschein der Liegenschaft, bei der der Sachverständige anwesend zu sein hat. Der Augenschein darf nur dann unterbleiben, wenn jeder Zweifel darüber ausgeschlossen ist, daß die Schätzleute die zu schätzende Liegenschaft genau kennen. Unabhängig von der dem Vollstreckungsorgan obliegenden Beschreibung der Liegenschaft im Schätzungsprotokoll nach § 28 RSchO hat der Sachverständige anzugeben, aufgrund welcher Erwägungen (Höhe des Gebäudes, Bauzustand udgl) er den Bauwert ermittelte (Heller-Berger-Stix4 1153). Der Sachverständige hat demnach selbst bei der Wertermittlung auf den Bauzustand Bedacht zu nehmen. Fehler, die ihm hiebei unterlaufen, liegen nicht außerhalb seines Aufgabenbereiches. Wie schon das Berufungsgericht darlegte, hat der Oberste Gerichtshof in den bereits genannten Entscheidungen aber eine Haftung des im Zwangsversteigerungsverfahren zur Schätzung der Liegenschaft beigezogenen Sachverständigen für die Richtigkeit des ermittelten Schätzwertes dem Ersteher gegenüber abgelehnt: Der spätere Ersteher hat als Kauflustiger keinen Anspruch auf die in Zwangsversteigerung gezogene Liegenschaft, er hat nur einen im Verfahrensrecht begründeten Anspruch, nicht ungünstiger behandelt zu werden als andere Kauflustige. Den Schätzungsgutachter trifft gegenüber dem späteren Ersteher in Ansehung der gutächtlichen Äußerung zur Schätzwertermittlung keine besondere Sorgfaltspflicht. Die Stellung des Bieters und späteren Erstehers ist nach seiner rechtlich geschützten Lage von der der Parteien (dazu zählen im Zwangsversteigerungsverfahren auch die Buchberechtigten) zu unterscheiden. Eine auf Fahrlässigkeit beruhende Abweichung des Schätzwertes vom wahren Wert begründet daher mangels Rechtswidrigkeitszusammenhanges keinen Schadenersatzanspruch des späteren Erstehers. Dagegen wendet sich Nowotny in JBl 1987, 282, dessen Standpunkt sich auch die Revision zueigen macht. Nowotny erblickt einen Grund für eine Haftung des Sachverständigen bei Fahrlässigkeit darin, daß die Normen, die dem Sachverständigen eine ordentliche Beschreibung und Schätzung vorschreiben (§§ 140 bis 144 EO, §§ 14 bis 32 RSchO) für den Ersteher Schutzgesetze im Sinne des § 1311 ABGB sind, und darüber hinaus in der analogen Anwendung des § 1089 ABGB auf das Verhältnis Ersteher-Sachverständiger.
Aufgrund eines rechtswidrigen Verhaltens ist nur für jenen verursachten Schaden zu haften, den die übertretene Verhaltensnorm nach ihrem Schutzzweck gerade verhindern sollte (Koziol-Welser8 I 418; Reischauer in Rummel, ABGB, Rz 10 zu § 1311; Koziol, Haftpflichtrecht2 I 149 f und die ständige Rechtsprechung des OGH SZ 54/108; ZVR 1980/45 ua). Wie weit der Normzweck reicht, ist Auslegungsfrage im Einzelfall (Koziol aaO 152; SZ 54/108; ZVR 1980/45 ua). Der maßgebliche Normzweck bestimmt sich nach objektiv-teleologischen Gesichtspunkten. Die historische Interpretation kann zwar für die Ermittlung des Normzweckes einen Anhaltspunkt bieten, ist aber nicht das entscheidende Auslegungskriterium (Welser in ÖJZ 1975, 43 f; Burgstaller, Das Fahrlässigkeitsdelikt im Strafrecht 98; vgl auch SZ 54/018). Ziel der Zwangsversteigerung ist die Befriedigung der Gläubiger, die ein Interesse an einem möglichst weitgehenden Erfolg der Versteigerung haben. Diesem Interesse dient auch die gesetzliche Möglichkeit, den Erfolg nach Erteilung des Zuschlags zu verbessern (§ 195 EO). Die Gefahr jeder Zwangsversteigerung liegt in der Wertverschleuderung, gegen die gleichfalls gesetzliche Vorkehrungen vorgesehen sind (§ 151 EO). Die Schätzung nach der geltenden Exekutionsordnung dient unter den genannten Gesichtspunkten vornehmlich den Gläubigern und dem Gericht, das "aufgrund der Äußerung sachkundiger Personen ermessen können soll, ob ein Hintangeben wirtschaftlich zulässig, gerechtfertigt sei" (Mat I 518). Soweit daneben auch das Interesse der Bieter erwähnt wird, kann die Schätzung nur als zusätzliche Information darüber angesehen werden, welcher Wert dem gerichtlichen Verfahren zugrunde gelegt wird. Es ist anerkannt, daß sich der Bieter "nach seinen eigenen Anschauungen, Zwecken und Bedürfnissen ein Calcül über den Wert macht" (Mat I 518; vgl auch Lehmann, Die Zwangsversteigerung 112, der die Schätzung als unsichere Unterlage bezeichnet) und auch selbst zu beurteilen hat, ob die Abgabe eines Anbotes seinen wirtschaftlichen Interessen entspricht (SZ 60/2). Nach dem Ziel der Zwangsversteigerung kann es auch nicht der Zweck der Schätzung sein, den Ersteher vor einem Nachteil durch ein den tatsächlichen Wert der Liegenschaft übersteigendes Anbot zu schützen. Mangels Rechtswidrigkeitszusammenhanges kommt dann aber eine deliktische Haftung des Sachverständigen wegen Verletzung eines Schutzgesetzes dem Ersteher gegenüber nicht in Betracht.
Auch in der analogen Anwendung des § 1089 ABGB im Wege der Heranziehung der Rechtsfigur des Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter auf das Verhältnis Ersteher-Sachverständiger kann dem Standpunkt Nowotnys nicht gefolgt werden. Nach herrschender Lehre und Rechtsprechung kommt eine Haftung des Sachverständigen gegenüber Dritten nur ausnahmsweise in Betracht (Koziol aaO 189 f; Welser, Die Haftung für Rat, Auskunft und Gutachten 84 ff, 98; Bydlinski in JBl 1965, 320 f; SZ 43/236; JBl 1981, 319; RdW 1985, 306). Eine Haftung für die Auskunftserteilung gegenüber Dritten trifft den Gutachter nur ausnahmsweise, insbesondere dann, wenn der Besteller für den Gutachter erkennbar deren Interessen mitverfolgt (Bydlinski aaO 321; Welser aaO 85; JBl 1981, 319 ua). Daß der Gutachter weiß, daß seine Stellungnahme verbreitet werden soll, genügt im Zweifel nicht (RdW 1985, 306). Für eine Interessenmitverfolgung müssen nach der Interessenlage konkrete Anhaltspunkte vorliegen (Welser aaO 86). Wie schon oben dargelegt wurde, dient die Schätzung vornehmlich als Grndlage für die Abwicklung des gerichtlichen Verfahrens, nicht aber dazu, einen unmittelbaren Einfluß auf die Willensbildung Dritter auszuüben. Durch die Schätzung soll nicht die Kauflust Dritter angehoben werden. Auch unter dem Gesichtspunkt des Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter ist daher an der bisherigen Rechtsprechung festzuhalten.
Demgemäß ist der Revision ein Erfolg zu versagen.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)