Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Der Beklagte ist schuldig, der Klägerin die mit 3.396,85 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 308,35 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Streitteile sind seit dem 10.9.1976 miteinander verheiratet. Der Ehe entstammen die drei Kinder Barbara, geboren am 11.1.1977, Andreas, geboren am 21.6.1978 und Eva Maria, geboren am 8.5.1980. Die Klägerin begehrt die Scheidung der Ehe aus dem Verschulden des Beklagten, weil dieser sie mißhandelt habe, keinen ausreichenden Unterhalt für die Familie leiste und dem Alkohol zuspreche. Außerdem habe er die Klägerin auch beschimpft.
Die Vorinstanzen haben die Ehe aus dem Verschulden des Beklagten geschieden, wobei sie von folgenden wesentlichen Feststellungen ausgingen:
Nachdem die Ehe bis 1979 oder 1980 harmonisch verlaufen war, kam es seither zu Streitigkeiten, die im wesentlichen darauf zurückzuführen waren, daß der Beklagte auf seinem jeweiligen Arbeitsplatz Schwierigkeiten mit Arbeitskollegen hatte und, um seinen Ärger darüber zu vergessen, dem Alkohol zusprach. Dies hatte zur Folge, daß er noch aggressiver wurde und weitere Streitigkeiten mit Kollegen entstanden. Der Beklagte reagierte die Unzufriedenheit über diesen Zustand zu Hause an der Klägerin insoferne ab, als er schimpfte und nörgelte. Außerdem setzte er die Klägerin herab. Im Zusammenhang mit dem Alkoholgenuß verlor der Beklagte mehrfach seinen Arbeitsplatz. Dies hatte bei ihm einen weiteren Alkoholkonsum zur Folge.
Weitere Gründe für die Streitigkeiten lagen darin, daß der Beklagte, der monatlich maximal 8.000 S verdiente, die nach Abzug einer Kreditrate und des Mietzinses verbleibenden ca. 5.000 S in eine Kasse legte, aus der jeder Ehegatte Geld entnehmen konnte. Diese Kasse war oft Mitte des Monats leer, in welchen Fällen die Klägerin Geld von ihrer Mutter ausleihen mußte. In den Zeiträumen, in denen der Beklagte dem Alkohol mehr zusprach, war die Kasse deshalb schneller geleert als in anderen Monaten, weil der beklagte Geld für den Genuß von Alkohol entnahm. Außerdem war es Art des Beklagten, zu Beginn des Monats größere Lebensmitteleinkäufe zu tätigen, wobei er nicht auf den Einkaufspreis günstiger Nahrungsmittel achtete, sondern auch Alkoholika und Delikatessen einkaufte. Versuche der Klägerin, die Überlassung der Haushaltskasse in ihre alleinige Verwaltung zu erreichen, scheiterten. Da die Klägerin durch das Verhalten des Beklagten gereizt wurde, kam es zu Streitigkeiten, die im September 1980 dazu führten, daß die Klägerin mit den Kindern zu ihrer Mutter zog. Auch nach ihrer Rückkehr in die Ehewohnung kam es zu keiner Verbesserung der Beziehungen der Streitteile. Dazu trug auch bei, daß die Klägerin begann, der Glaubenslehre der Zeugen Jehovas zu folgen. Sie besuchte Veranstaltungen dieser Sekte und nahm auch die Kinder mit. Der Beklagte sah in diesem Verhalten einen Grund, seinerseits dem Alkohol zuzusprechen.
Im Mai 1983 bezogen die Streitteile ihre letzte gemeinsame Wohnung in Landeck. Der Beklagte sprach immer mehr dem Alkohol zu und verlor nach etwa vier Wochen seinen Arbeitsplatz. In der Folge war er arbeitslos. Im Hinblick auf den Alkoholkonsum entnahm der Beklagte in dieser Zeit besonders häufig Geld aus der gemeinsamen Wirtschaftskasse. Da der Unterhalt der Familie nicht gesichert schien, kam es immer häufiger zu Streitigkeiten zwischen den Streitteilen, die durch die Nörglereien des Beklagten hervorgerufen wurden.
Am 22.7.1983 verlangte der Beklagte am Morgen von der Klägerin einen Geschlechtsverkehr. Da der Klägerin vor ihm ekelte, verweigerte sie sich dem Beklagten. Der Beklagte wurde daraufhin zornig, erfaßte die nur mit der Unterwäsche bekleidete Klägerin mit beiden Händen und drängte sie gewaltsam aus der Ehewohnung, wobei er sie aufforderte, die Wohnung für immer zu verlassen. Die in der Unterwäsche vor der Wohnungstür stehende Klägerin bat, sich ein Kleid holen zu dürfen. Dies wurde ihr vom Beklagten gestattet. Er ließ die Klägerin am gleichen Tag wieder in die Wohnung, doch gab es weiter ständig Streit zwischen den Ehegatten.
Am 24.7.1983 kam es wieder wegen des Geldes zu einem Streit, in dessen Verlauf der Beklagte sehr zornig wurde, weshalb die Klägerin vor ihm flüchtete und sich im Badezimmer einschloß. Aus Wut riß der Beklagte die Tür zum Badezimmer gewaltsam auf. Hiebei wurde das Schloß beschädigt. Sodann erfaßte der Beklagte die Klägerin mit den Händen und begann sie durchzuschütteln, wobei er erregt schrie, er werde sich noch vergessen. In den folgenden Tagen suchte er ständig Streit mit der Klägerin.
Am 26.7.1983 verließ die Klägerin die Ehewohnung und zog in das Frauenhaus nach Aldrans. Nachdem der Beklagte auf Grund einer einstweiligen Verfügung die Wohnung verlassen hatte und zu seiner Mutter gezogen war, kehrte die Klägerin mit den Kindern in die Ehewohnung zurück.
Rechtlich führten die Vorinstanzen aus, das Verhalten des Beklagten in seiner Gesamtheit stelle eine Reihe schwerer Eheverfehlungen dar, weshalb die Ehe gemäß § 49 EheG aus seinem Verschulden zu scheiden sei. Das festgestellte Verhalten der Klägerin rechtfertige nicht die Annahme einer Verwirkung des Scheidungsrechtes nach § 49 2.Satz EheG.
Rechtliche Beurteilung
Die vom Beklagten gegen die Entscheidung des Berufungsgerichtes wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobene Revision ist nicht gerechtfertigt.
Von einer entschuldbaren Reaktionshandlung auf Verfehlungen des anderen Ehepartners kann nur dann gesprochen werden, wenn sich ein Ehepartner als unmittelbare Folge eines grob ehewidrigen Verhaltens des anderen dazu hinreißen läßt, in einer verständlichen Gemütsbewegung, die die Zurechnung seines Handelns als Verschulden ausschließt, seinerseits Eheverfehlungen zu setzen. Derartiges muß aber dann verneint werden, wenn sich das ehewidrige Verhalten eines Ehegatten, nämlich die Verletzung seiner Verpflichtung zur anständigen Begegnung und seiner Beistandspflicht, über mehrere Jahre hinzieht. Hier verhindert es schon das zeitliche Moment, das ehewidrige Verhalten des Beklagten als entschuldbare Reaktionshandlung auf die vorangegangenen Eheverfehlungen der Klägerin zu qualifizieren (EFSlg.33.889, 33.897 ua.). Im vorliegenden Fall steht fest, daß der Beklagte durch Jahre hindurch übermäßig dem Alkohol zugesprochen und daß er von den zur Verfügung stehenden,an sich bescheidenen Mitteln für die Haushaltsführung unverhältnismäßig große Beträge für seine ausschließlichen Bedürfnisse, wie insbesondere Alkoholika, abgezweigt hat. Ferner steht fest, daß er wiederholt Streit mit der Klägerin suchte und gegen diese auch tätlich vorgegangen ist. Das Gesamtverhalten des Beklagten stellt daher, wie die Vorinstanzen richtig erkannt haben, eine Summe schwerer Eheverfehlungen dar. Schon infolge ihrer zeitlichen Dauer können diese Verfehlungen nicht als bloße Reaktionshandlungen auf das Verhalten der Klägerin gewertet werden. Mit Recht wirft das Berufungsgericht der Klägerin einen gewissen religiösen Fanatismus vor, der allerdings geeignet sein konnte, gewisse Reaktionen des Beklagten hervorzurufen. Abgesehen davon aber, daß nach den getroffenen Feststellungen der Alkoholkonsum des Beklagten dem religiösen Fanatismus der Klägerin zeitlich vorausging, kann von einer bloßen Reaktion auf das Verhalten der Klägerin schon deshalb keine Rede sein, weil nicht festgestellt wurde, daß der Beklagte dem Alkohol immer nur dann zusprach, wenn er sich über das religiöse Verhalten der Klägerin erregte. Vielmehr war die Grundlage für seinen Alkoholkonsum sein Fehlverhalten am jeweiligen Arbeitsplatz. Daß er seinen Zorn über seine Schwierigkeiten am Arbeitsplatz an der Klägerin abreagierte, muß ihm als schwere Eheverfehlung angelastet werden. Wenn für die Anwendung des § 49 Satz 2 EheG (Verwirkung des Scheidungsrechtes) auch kein unmittelbarer Zusammenhang zwischen den beiderseitigen Eheverfehlungen gegeben sein muß, so muß doch das ehewidrige Verhalten des beklagten Ehegatten durch jenes des klagenden Ehepartners irgendwie beeinflußt worden sein, da es ja andernfalls zu einer von Rechtsprechung und Lehre abgelehnten Kompensation der beiderseitigen Verfehlungen käme, es sei denn, daß die Verfehlungen des beklagten Ehegatten gegenüber jenen des Klägers an Bedeutung derart zurücktreten, daß ihre Berücksichtigung sittlich nicht zu rechtfertigen wäre (RZ 1966, 204, RZ 1965, 48, JBl.1977, 494 u.a.).
Nach den getroffenen Feststellungen war der Alkoholkonsum des Beklagten höchstens zu einem ganz geringen Ausmaß durch das Verhalten der Klägerin bedingt. Dasselbe gilt für die Beeinträchtigung des Familienunterhaltes durch die Entnahmen des Beklagten aus der Kasse. In Wahrheit besteht so gut wie gar kein Zusammenhang zwischen dem Fehlverhalten des Beklagten und dem religiösen Fanatismus der Klägerin. Mag letzterer auch als Eheverfehlung zu werten sein (einen Mitschuldantrag hat der Beklagte zurückgezogen), so können diese Verfehlungen der Klägerin keinesfalls derart schwer gewertet werden, daß demgegenüber die Eheverfehlungen des Beklagten zurücktreten. Vielmehr müssen auch unter Berücksichtigung des klägerischen Verhaltens die Eheverfehlungen des Beklagten als wesentlich schwerer gewertet werden als die allfälligen Verfehlungen der Klägerin. Mit Recht haben sohin die Vorinstanzen das Vorliegen der Voraussetzungen des § 49 Satz 2 EheG verneint.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.
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