European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1984:0070OB00518.840.0322.000
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Die klagende und gefährdete Partei ist schuldig, der beklagten Partei und Gegnerin der gefährdeten Partei die mit 1.408,96 S bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens (darin enthalten 96 S Barauslagen und 119,36 S USt) binnen 14 Tagen zu bezahlen.
Begründung
Ob der Liegenschaft EZ 382 KG *****, zu der der sogenannte Schatten‑ oder Briefwald gehört, ist aufgrund der Servitutenregulierungsurkunden vom 9. 2. 1873 und 12. 10. 1884 das Eigentumsrecht der beklagten Partei und Gegnerin der gefährdeten Partei (im Folgenden nur Beklagte genannt) einverleibt und ersichtlich gemacht, dass die Grundstücke agrargemeinschaftliche Grundstücke sind, die nur mit agrarbehördlicher Genehmigung veräußert und belastet werden können. Die Beklagte lässt auf dieser Liegenschaft eine Materialseilbahn errichten.
Die klagende und gefährdete Partei (im Folgenden nur Kläger) begehrt die Unterlassung der Errichtung und des Betriebs einer Materialseilbahn sowie jeglicher Schlägerung durch die Beklagte, soweit es sich nicht um der Allmende‑Gemeinde Bludenz zustehende Waldnutzungs‑ und Pflegemaßnahmen handelt, sowie die Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für den dem Kläger aus der Schlägerung entstehenden Schaden. Der Kläger sei Mitglied der Allmende‑Gemeinde (Agrargemeinschaft) Bludenz. In dieser Eigenschaft habe er ein Nutzungsrecht an dem Schatten‑ oder Briefwald, insbesondere das Recht zum Holzbezug. Die Nutzungsrechte der Mitglieder der Allmende‑Gemeinde seien auf die Entnahme von Nutz‑ und Brennholz für den Haus‑ und Gutsbedarf beschränkt. Der Beklagten obliege nach § 91 Abs 4 des Vorarlberger Gemeindegesetzes lediglich die Verwaltung der Liegenschaft.
Mit dem Klagebegehren verband der Kläger den Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung, mit der der Beklagten die Fortsetzung des Baues der Materialseilbahn und der Betrieb einer solchen sowie jede Beeinträchtigung der Nutzungsrechte des Klägers untersagt werde.
Die Beklagte erhob unter anderem die Einrede der Unzulässigkeit des Rechtswegs.
Das Erstgericht verhandelte über diese Einrede in Verbindung mit der Hauptsache. Mit Beschluss vom 22. 11. 1983 verwarf es die Einrede der Unzulässigkeit des Rechtswegs (Punkt 1.) und wies den Antrag des Klägers auf Erlassung der einstweiligen Verfügung ab (Punkt 2.). Das Erstgericht vertrat den Standpunkt, dass es sich sowohl bei dem Unterlassungs‑ als auch bei dem Feststellungsbegehren des Klägers um privatrechtliche Ansprüche handle, für die der Rechtsweg zulässig sei.
Gegen die Verwerfung der Prozesseinrede erhob die Beklagte, gegen die Abweisung des Antrags auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung der Kläger Rekurs.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Beklagten Folge und änderte den erstgerichtlichen Beschluss dahin ab, das es der Prozesseinrede der Beklagten stattgab. Es hob das Verfahren als nichtig auf und wies die Klage sowie den Antrag auf Erlassung der einstweiligen Verfügung zurück (Punkt 1. des Beschlusses des Rekursgerichts). Der Kläger wurde mit seinem Rekurs auf diese Entscheidung verwiesen (Punkt 2. des Beschlusses Rekursgerichts). Das Rekursgericht sprach aus, dass der Wert des Streitgegenstands 15.000 S, nicht aber 300.000 S übersteigt und erklärte den Revisionsrekurs an den Obersten Gerichtshof für zulässig.
Das Rekursgericht ging davon aus, aufgrund des rechtskräftigen Bescheids des Landesagrarsenats für Vorarlberg sei bindend festgestellt worden, dass die Liegenschaft EZ 382 KG ***** Gemeindegut sei. Nutzungsrechte am Gemeindegut seien keine privatrechtlichen Ansprüche, sondern Ansprüche öffentlich‑rechtlicher Natur. Da der Kläger die von ihm erhobenen Begehren aus seinem Nutzungsrecht am Gemeindegut ableite, mache er keine privatrechtlichen Ansprüche geltend, über die die Gerichte zu entscheiden hätten. Es handle sich vielmehr um einen Streit im Zusammenhang mit einem öffentlich‑rechtlichen Anspruch, für dessen Entscheidung die Verwaltungsbehörden zuständig seien. Im Hinblick auf die Zurückweisung auch des Antrags auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung sei die darüber ergangene Sachentscheidung des Erstgerichts nicht mehr zu prüfen.
Der gegen die Entscheidung des Rekursgerichts erhobene Revisionsrekurs des Klägers ist nicht berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Nach § 1 JN wird die Gerichtsbarkeit in bürgerlichen Rechtssachen, soweit dieselben nicht durch besondere Gesetze vor andere Behörden verwiesen sind, durch die Gerichte ausgeübt. Ob die ordentlichen Gerichte zur Entscheidung berufen sind, ob also der Rechtsweg zulässig ist, hängt nach ständiger Rechtsprechung (vgl SZ 50/70) davon ab, ob es sich um eine bürgerliche Rechtssache handelt und die Entscheidung über den erhobenen Anspruch nicht durch ein Gesetz einer anderen Behörde zugewiesen wurde. Nach § 35 Abs 2 des Vorarlberger Flurverfassungsgesetzes LGBl 1979/2 (FlVfLG) entscheidet über Streitigkeiten, die zwischen Anteilsberechtigten an Agrargemeinschaften oder zwischen den Mitgliedern einer körperschaftlich eingerichteten Agrargemeinschaft und dieser oder ihren Organen aus dem Mitgliedschaftsverhältnis entstehen, die Behörde. Unter „Behörden“ sind die nach § 82 Abs 2 FlVfLG die aufgrund des Agrarbehördengesetzes 1950, BGBl Nr 1/1951, und des Gesetzes über die Errichtung einer Agrarbezirksbehörde für das Land Vorarlberg, LGBl Nr 1/1949, eingerichteten Behörden zu verstehen.
Die Intention des Gesetzes geht erkennbar dahin, alle agrargemeinschaftlichen Angelegenheiten weitestgehend aus der gerichtlichen Kompetenz herauszuhalten. Die Begriffe „Streitigkeiten“ und „Organe“ im Sinn des § 35 Abs 2 FlVfLG sind daher im weitesten Sinn zu verstehen. Der vorläufig die Verwaltung führenden Gemeinde, deren Stellung nicht auf einem Vertrag, sondern auf dem Gesetz beruht, kommt daher die Stellung eines Organs im Sinne des § 35 Abs 2 FlVfLG zu. Streitigkeiten zwischen einem Anteilsberechtigten oder einem Mitglied einer Agrargemeinschaft und der Gemeinde über die Verwaltung sind Streitigkeiten im Sinne der obgenannten Bestimmung und gehören demnach nicht vor die Gerichte. Dies gilt auch für einen gegen die Gemeinde gerichteten Schadenersatzanspruch, wenn dieser von der Beurteilung abhängt, ob die verwaltende Gemeinde ihre Befugnisse überschritten hat. Das Rekursgericht hat daher zu Recht die Zulässigkeit des Rechtswegs verneint.
Demgemäß ist dem Revisionsrekurs ein Erfolg zu versagen.
Die Entscheidung über die Kosten gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.
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