OGH 7Ob505/91

OGH7Ob505/9121.3.1991

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Warta, Dr. Egermann, Dr. Niederreiter und Dr. Schalich als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Firma G***** KG, ***** vertreten durch Dr. Wolfgang Zahradnik u.a. Rechtsanwälte in Lambach, wider die beklagte Partei Firma L***** AG, ***** vertreten durch Dr. Werner Thurner u.a. Rechtsanwälte in Graz, wegen S 772.205,97 samt Anhang infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 15. Oktober 1990, GZ 3 R 101/90-24, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 29. Dezember 1989, GZ 6 Cg 5/90-19, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 19.825,20 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 3.304,20 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Beklagte hat den Kläger beauftragt, Kunstdruckpapier von ihrem Standort in ***** nach Rotterdam zu befördern. Die Klägerin beauftragte mit der Durchführung des Transportes von ***** nach Wien die Firma *****, die den Transport mittels Sattelaufliegers durchführte. Bei der Fahrt nach Wien kam es zu einem Unfall, durch den die Klägerin Schäden erlitt. Den Ersatz dieser Schäden begehrte sie zu 30 Cg 394/86 des Handelsgerichtes Wien von der Firma *****, wobei sie die Behauptung aufstellte, der Unfall sei ausschließlich auf einen Fahrfehler des von dieser Firma eingesetzten Fahrers zurückzuführen. Diesem Verfahren ist die Beklagte als Nebenintervenient beigetreten. Mit Urteil des Handelsgerichtes Wien vom 5. 6. 1988, 30 Cg 394/86-48, wurde das Klagebegehren abgewiesen, weil das Gericht einen Fahrfehler des eingesetzten Fahrers nicht als erwiesen annahm. Mangels Erhebung eines Rechtsmittels dagegen ist dieses Urteil in Rechtskraft erwachsen.

Mit der vorliegenden Klage verlangt die Klägerin nunmehr von der Beklagten mit der Behauptung, das Fahrzeug sei von der Beklagten nicht ordnungsgemäß beladen worden, Schadenersatz. Beide Vorinstanzen haben dieses Klagebegehren abgewiesen, weil sie eine unsachgemäße oder mangelhafte Verladung durch die Beklagte nicht als erwiesen annahmen. Das Berufungsgericht vertrat hiebei die Rechtsansicht, grundsätzlich bestehe in einem Prozeß der in einem Vorprozeß unterlegenen Hauptpartei gegen ihren damaligen Nebenintervenienten keine Bindungswirkung bezüglich der im Vorprozeß festgestellten Tatsachen.

Rechtliche Beurteilung

Die von der Klägerin gegen die Entscheidung des Berufungsgericht erhobene Revision, die vom Berufungsgericht für zulässig erklärt wurde, ist nicht berechtigt.

Das Berufungsgericht hat keinen Verfahrensverstoß dadurch begangen, daß es ein von der Klägerin mit der Berufung zur Dartuung der angeblich unrichtigen Beweiswürdigung vorgelegtes Privatgutachten nicht beachtet hat, weil sich neues Vorbringen im Sinne des § 482 Abs 2 ZPO nur auf die Berufungsgründe selbst, nicht auch auf die behaupteten Ansprüche beziehen darf. Neuerungen können nur zur Dartuung und Widerlegung der Berufungsgründe der Nichtigkeit oder Mangelhaftigkeit des Verfahrens vorgebracht werden, nicht aber zur Unterstützung bei der Bekämpfung anderer Berufungsgründe (Fasching Zivilprozeßrecht Rz 1730, EFSlg 52.215, 41.717 ua).

Soweit sich die Revision auf den Inhalt des erwähnten Privatgutachtens bezieht, ist sie nicht dem Gesetz gemäß ausgeführt.

Es kann hier unerörtert bleiben, ob die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes bezüglich der fehlenden Bindungswirkung in ihrem vollen Umfang richtig ist oder nicht. Diese Rechtsansicht wird von Fasching (Kommentar III, 732 Zivilprozeßrecht Rz 415) geteilt, jedoch von der Judikatur (JBl 1984, 265, JBl 1978, 382, VersR 1970, 560, SZ 31/77 u.a.) sowie von Reischauer (Streitverkündung und Bindungswirkung in ÖJZ 1979, 57 f) abgelehnt. Der erwähnten Judikatur lagen jedoch ausschließlich Regreßprozesse zugrunde. Voraussetzung eines Regreßprozesses ist aber die vorangegangene Verpflichtung des nunmehrigen Klägers zur Erbringung einer Leistung an einen Dritten. Ein Prozeß, mit dem der nunmehrige Kläger eine Forderung geltend macht, die er bereits in einem Vorprozeß gegen einen Dritten erfolglos behauptet hatte, ist kein Regreßprozeß. Daß die erwähnte Judikatur nur Regreßprozesse im Auge hatte, ergibt sich daraus, daß als gesetzliche Grundlage für die angenommene Bindungswirkung § 931 ABGB, das DNHG, das AHG sowie einzelne Bestimmungen von Spezialgesetzen genannt wurden. Auch die Stelle bei Gschnitzer in Klang2 IV/1, 529 bezieht sich nur auf § 931 ABGB. Sämtliche der genannten gesetzlichen Bestimmungen haben aber nur Regreßforderungen zum Gegenstand. Demnach läßt sich die zitierte Judikatur zur Stützung einer Bindungswirkung der Tatsachenergebnisse eines vom nunmehrigen Kläger verlorenen Vorprozesses heranziehen. Tatsächlich bestehen wesentliche Unterschiede zwischen einem Regreßprozeß einerseits und einem Prozeß wie dem vorliegenden andererseits. Im Regreßprozeß steht die Forderung gegen den nunmehrigen Kläger fest. Im andern Fall macht der nunmehrige Kläger eine Forderung geltend, die keineswegs festgestellt wurde. Meist wurde nicht einmal ihr Nichtbestehen festgestellt, sondern nur der Beweis dafür als nicht erbracht angesehen. Es ist daher mehr als fraglich, ob man die von der Judikatur entwickelten Grundsätze bezüglich der Bindungswirkung der Tatsachenergebnisse des Vorprozesses auch auf andere als Regreßprozesse übertragen kann.

Selbst wenn man aber die von der Judikatur vertretene Bindungswirkung auch über Regreßprozesse hinaus annehmen sollte, müßten doch auch hier die von Reischauer in dem erwähnten Artikel geforderten Voraussetzungen erfüllt sein. Die Bindungswirkung kann sich demnach nur auf die notwendigen Entscheidungselemente beziehen (Reischauer aaO, 58 und derselbe in Rummel I2 Rz 2 zu § 931). Es muß die gleiche Beweislastverteilung wie im Vorprozeß gegeben sein (Reischauer aaO, 60 f und derselbe Rz 5 in Rummel I2 zu § 931). Ob ein Entscheidungselement notwendig war, hat das Gericht des Folgeprozesses prinzipiell selbständig zu prüfen, wenn jenes Element im Vorprozeß mit einem zulässigen Rechtsmittel bekämpfbar war. Es hat zu prüfen, ob bei Widerlegung der getroffenen Feststellung und richtiger rechtlicher Beurteilung eine andere Entscheidung hätte ergehen müssen. Ein Beweiswürdigungsergebnis ist nur dann notwendiges Urteilselement, wenn es für die zu lösende Rechtsfrage relevant war (Reischauer in Rummel I2 Rz 3 zu § 931 ABGB).

Im vorliegenden Fall war für das Urteil im Vorprozeß ausschließlich entscheidend, ob der Unfall durch einen Fahrfehler des eingesetzten Kraftfahrers verursacht worden ist oder nicht. Nur dies war notwendiges Entscheidungselement des Vorverfahrens. Das Gericht hat im Vorprozeß den Beweis für den behaupteten Fahrfehler als nicht erbracht erachtet und daher das Begehren des für diese Frage beweispflichtigen Klägers abgewiesen. Der Hinweis auf eine unsachgemäße Beladung war lediglich eines von mehreren Argumenten für die Beweiswürdigung des Gerichtes. Dieses Argument hätte für sich allein überhaupt nicht mit einem Rechtsmittel bekämpft werden können. Auch bei seinem Wegfall wäre die Rechtsfrage nicht anders zu lösen gewesen, weil der Kläger eben der ihm obliegenden Beweispflicht nicht entsprochen hatte. Wesentliches Entscheidungselement hätte die Frage der unsachgemäßen Beladung nur werden können, wenn ein Fahrfehler des eingesetzten Fahrers festgestellt worden wäre. In diesem Fall hätte eine unsachgemäße Beladung eine rechtsvernichtende Tatsache sein können, für die der Beklagte im Vorprozeß beweispflichtig gewesen wäre.

Im vorliegenden Prozeß war einziges wesentliches Entscheidungselement die Frage der unsachgemäßen Beladung. Die Beweispflicht traf hier den Kläger dieses und des Vorprozesses. Es ergibt sich sohin, daß selbst bei Annahme einer Bindungswirkung auch in einem Verfahren wie dem vorliegenden höchstens eine Erwägung des Gerichtes für seine Beweiswürdigung im Vorprozeß nicht tragbar gewesen wäre, dies jedoch nicht zu einer Bindung bezüglich der für das vorliegende Verfahren einzig entscheidenden Frage geführt hätte. Daß aber nur die beiden erwähnten Umstände (Fahrfehler oder unsachgemäße Beladung) ausschließlich als Schadensursache in Frage kämen, hat das Verfahren nicht ergeben. Es kann also nicht davon ausgegangen werden, daß der Wegfall des Fahrfehlers als Unfallsursache notwendig unsachgemäße Beladung als Unfallsursache erbracht hätte.

Es ergibt sich sohin, daß die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes bezüglich einer fehlenden Bindungswirkung zumindest für dieses Verfahren zutreffend ist. Fehlt es aber an einer solchen Bindungswirkung, so ist der Oberste Gerichtshof an die im Folgeprozeß von den Vorinstanzen getroffenen Feststellungen gebunden.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41 und 50 ZPO.

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