OGH 7Ob47/88

OGH7Ob47/8815.12.1988

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Wurz, Dr.Warta, Dr.Egermann und Dr.Niederreiter als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Walter G***, Transportunternehmer, Katsch Nr.71, vertreten durch Dr.Hermann Pichler, Rechtsanwalt in Judenburg, wider die beklagte Partei G*** W*** V***, Graz, Herrengasse 18-20, vertreten

durch Dr.Gottfried Eisenberger und Dr.Jörg Herzog, Rechtsanwälte in Graz, wegen S 180.445,53 s.A. infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 20.September 1988, GZ 6 R 141/88-22, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Graz vom 20. April 1988, GZ 7 Cg 229/87-17, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 7.360,65 (darin S 669,15 an Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 18.8.1986 wurde ein vom Kläger bei der beklagten Partei vollkaskoversicherter Dreiachssattelaufleger durch Anheben des mit Kies beladenen Rückwärtskippaufbaues entladen. Infolge schlagartigen Abgehens der Ladung wurde das auf der leicht geneigten Laderampe stehende Fahrzeug nach vorne bewegt. Dabei knickte der rechte hintere, während des Abladevorgangs ausgefahrene Stützfuß ein, so daß die hochgestellte Ladefläche seitlich aus ihrer stabilen Lage geriet. Dabei kam es zu einer Verwindung des Aufliegerrahmens und im weiteren zufolge Aufpralls an einem Gebäude (einer Werkshalle) zu einer Beschädigung des Kipperaufbaues samt Planengestell. Die beklagte Partei ersetzte dem Kläger nur jenen Schaden, der durch den Aufprall an dem Gebäude entstanden war.

Der Kläger begehrt die Zahlung von S 180.445,53 s.A. als Kosten der Reparatur jenes Schadens, der schon vor dem Aufprall des Kipperaufbaues an dem Gebäude - im wesentlichen durch Einknicken des Stützfußes und Verwindung des Laderahmens - entstanden war (einschließlich aufgelaufener Wechselspesen). Es liege auch in diesem Umfang ein Unfallschaden vor.

Die beklagte Partei beantragt die Abweisung der Klage. Der Vorfall habe sich anläßlich eines Betriebsvorganges, nämlich beim Kippen des Sattelaufliegers, ereignet, der dem allgemeinen Verwendungszweck des Fahrzeuges entspreche. Es liege daher nur insoweit kein Betriebsschaden im Sinne der Versicherungsbedingungen vor, als es infolge des Kippens des Fahrzeuges zu einer - als Unfall anzusehenden - weiteren Beschädigung des Fahrzeugaufbaues durch Anprall gegen eine Werkshalle gekommen sei.

Das Erstgericht gab der Klage statt. Es traf unter anderem noch folgende Feststellungen:

Durch das plötzliche Abrutschen der etwa 20 Tonnen schweren Ladung von der noch nicht ganz aufgekippten Ladefläche infolge einer Änderung der ruhenden in gleitende Reibung zwischen Last und Ladefläche wurde eine Kraftkomponente von 5 bis 6 Tonnen in Fahrtrichtung ausgelöst, was zu einem Vorrollen des Fahrzeuges auf der ein Gefälle von ca.10 % aufweisenden Rampenabfahrt um etwa 3 m führte. Dadurch wurde der rechte hintere Stützfuß geknickt, was das seitliche Umkippen des Aufliegers und die übrigen Schäden am Fahrzeug zur Folge hatte. Das Abrutschen der Last ist einer auf das Fahrzeug direkt einwirkenden mechanischen Gewalt gleichzusetzen, beruht jedoch auf einem inneren Betriebsvorgang und stellt also eine statische Lasteinwirkung dar. Das Einknicken des rechten hinteren Stützfußes dagegen ist als eine unmittelbare dynamische Krafteinwirkung auf das Fahrzeug von außen her anzusehen. Die Kraftkomponente von 5 bis 6 Tonnen ist nicht ungewöhnlich groß. Ist die Handbremse ordnungsgemäß angezogen und funktionstüchtig, muß sie diese Kraft aushalten, ohne daß das Fahrzeug - ist es auf ebenem Gelände abgestellt - zu rollen beginnt.

In rechtlicher Hinsicht vertrat das Erstgericht die Ansicht, es bestehe Deckungspflicht der beklagten Partei, da (auch) der eingeklagte Schaden durch einen Unfall iS des Art.II A I.2.e. der AKIB entstanden sei.

Das Berufungsgericht wies die Klage ab. Es führte eine teilweise Beweiswiederholung über den Hergang des Schadensereignisses durch Vernehmung eines Sachverständigen durch und verlas gemäß § 281 a ZPO das schriftliche Sachverständigengutachten ON 9 und dessen mündliche Ergänzungen ON 15. Das Berufungsgericht übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes mit Ausnahme jener, in denen als erwiesen angenommen wird, der Umstand, daß der rechte hintere Stützfuß bei dem durch das Abrutschen der Last ausgelösten Vorrollen des Fahrzeuges einknickte, sei als unmittelbare dynamische Krafteinwirkung auf das Fahrzeug von außen her anzusehen. Die Annahme des Sachverständigen, die mit dem plötzlichen Abgehen der Ladung verbundene Krafteinwirkung auf das Fahrzeug stelle einen inneren Betriebsvorgang dar, der genannte Umstand dagegen sei als eine unmittelbare dynamische Krafteinwirkung auf das Fahrzeug von außen her anzusehen, stehe mit den Denkgesetzen nicht im Einklang, weil in Wahrheit insoweit von einem unmittelbar von außen her plötzlich mit mechanischer Gewalt auf das Fahrzeug einwirkenden Ereignis nicht gesprochen werden könne. In diesem Sinn habe auch der Erstrichter - im Rahmen der rechtlichen Beurteilung - festgestellt, daß die Schadensursache ausschließlich im Abrutschen der Last gelegen sei.

In seiner rechtlichen Beurteilung führte die zweite Instanz aus, es liege ein durch die Kaskosversicherung nicht gedeckter Betriebsschaden vor. Für die Abgrenzung zwischen einem Unfallschaden und einem Betriebsschaden sei entscheidend, ob das Schadensereignis mit Rücksicht auf den Verwendungszweck des Fahrzeuges im allgemeinen oder im Einzelfall dem Betriebsrisiko zugerechnet werden könne. Ein Betriebsschaden sei anzunehmen, wenn der Schaden durch eine Gefahr herbeigeführt werde, die unter Berücksichtigung der Art, wie das Fahrzeug verwendet werde, damit gewöhnlich verbunden sei und gewöhnlich auch überstanden werde. Das Abladen durch Kippen gehöre zur gewöhnlichen Verwendung eines Dreiachssattelaufliegers. Die Verlagerung des Schwerpunktes beim Kippen werde im allgemeinen der Betriebsgefahr zugerechnet. Daß die Ladung schlagartig abgegangen sei, stelle kein außergewöhnliches Ereignis dar. Da aus den getroffenen Feststellungen zwingend der Schluß zu ziehen sei, daß die Handbremse entweder nicht voll funktionstüchtig oder nicht hinreichend angezogen gewesen sei, liege auch ein Bedienungsfehler vor, der dem Bereich des Betriebsrisikos zuzurechnen sei. Das Nachvorrollen des Fahrzeuges und das folgende Einknicken des rechten hinteren Stützfußes, das im weiteren zur Verwindung des Aufliegerrahmens geführt habe, seien als einheitliches Ereignis anzusehen, das keine Elemente einer Einwirkung "von außen her" enthalte. Die Revision sei zuzulassen gewesen, weil es sich bei der Abgrenzung des Unfallschadens vom Betriebsschaden um die Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe handle, so daß die Entscheidung von einer Rechtsfrage abhänge, der zur Wahrung der Rechtssicherheit erhebliche Bedeutung zukomme.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision des Klägers ist ungeachtet der auch vom Berufungsgericht zur Frage, wann - im Sinne des Art.II A I.2.e der AKIB - ein Unfall - und wann ein Betriebsschaden anzunehmen ist, zitierten ständigen Rechtsprechung zulässig, weil ein Sachverhalt wie der vorliegende (allein der der Entscheidung ZVR 1969/183 zugrundeliegende Sachverhalt weist eine gewisse Ähnlichkeit auf) bisher nicht Gegenstand einer Entscheidung des Revisionsgerichtes war, von einem Einzelfall aber gleichwohl nicht gesprochen werden kann. Sie ist jedoch nicht berechtigt

Eine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens ist nicht gegeben, da die zweite Instanz von den Feststellungen des Erstgerichtes nicht ohne Beweiswiederholung abgewichen ist. die "Beweiswiederholung durch Verlesung" ist entgegen den Revisionsausführungen keineswegs "bedenklich", sondern im § 281 a ZPO ausdrücklich vorgesehen, soferne nicht eine der Parteien ausdrücklich das Gegenteil beantragt: Dies ist nicht geschehen. Die vom beigezogenen Sachverständigen vorgenommene rechtliche Qualifizierung des am Fahrzeug entstandenen Schadens ist im übrigen für das Gericht unerheblich.

Nach Art.II A I.2.e der Allgemeinen Bedingungen für die Kasko- und Insassenunfallversicherung von Kraftfahrzeugen und Anhängern (AKIB) umfaßt die Vollkaskoversicherung die Beschädigung des Fahrzeuges "durch Unfall, das heißt durch ein unmittelbar von außen her plötzlich mit mechanischer Gewalt einwirkendes Ereignis; Brems-, Betriebs- und reine Bruchschäden fallen daher nicht unter den Versicherungsschutz".

Ein Betriebsschaden liegt vor, wenn der Schaden durch eine Einwirkung entstanden ist, der ein Kraftfahrzeug gewöhnlich ausgesetzt ist und die es ohne weiteres überstehen muß (SZ 38/90). Dies ist dann der Fall, wenn der Schaden durch eine Gefahr herbeigeführt worden ist, die unter Berücksichtigung der Art, wie das Fahrzeug verwendet wurde, damit gewöhnlich verbunden ist und gewöhnlich auch überstanden wird (SZ 41/54). Das Gegenstück dazu bildet der Unfall, ein außergewöhnliches Ereignis (SZ 41/54). Um von einem Unfall im Sinne der AKIB sprechen zu können, muß noch hinzukommen, daß nach der Art, wie der versicherte Gegenstand im konkreten Fall verwendet wurde, das schädigende Ereignis außergewöhnlich erscheint, so daß mit ihm vorher nicht zu rechnen war (ZVR 1970/119). Kein Kriterium für den Unterschied zwischen den Begriffen "Unfall" und "Betriebsschaden" ist es, ob das Ereignis durch ein im Einzelfall mehr oder weniger selten vorkommendes fahrlässiges Verhalten des jeweiligen Kraftfahrzeuglenkers verursacht wurde (ZVR 1973/43). Entscheidend für die Abgrenzung ist es dagegen, ob mit Rücksicht auf den Verwendungszweck des Fahrzeuges im allgemeinen oder im Einzelfall das Schadensereignis dem Betriebsrisiko zugerechnet werden kann (ZVR 1969/324). Ereignisse die ohne weiteres vorausgesehen werden können, sind Betriebsgefahren, denen auf geeignete Weise zu begegnen ist (ZVR 1969/183). Schadensfälle, die unter Berücksichtigung der Verwendung des Fahrzeuges als normal anzusehen sind, fallen unter das Betriebsrisiko und werden als Betriebsschaden von der Kaskoversicherung nicht erfaßt (ZVR 1969/324). Das Abladen durch Kippen gehört schon nach der Beschaffenheit des gegenständlichen Sattelaufliegers zu dessen gewöhnlicher Verwendung. Die Verlagerung des Schwerpunktes beim Kippen fällt daher unter das normale Betriebsrisiko. Daß im vorliegenden Fall die Ladung nicht allmählich, sondern plötzlich abrutschte, ändert daran nichts, daß Schäden durch einen Bedienungsfehler - wie er nach den Ausführungen in der Revision Ursache des plötzlichen Abrutschens war - zu den Betriebsschäden gehören (Stiefel-Hofmann, Kraftfahrtversicherung13, Rz 63 zu § 12 AKB; Prölss-Martin, Versicherungsvertragsgesetz24, 1181 f). Wurde der Sattelauflieger durch den zu rasch durchgeführten Entladungsvorgang und die damit verbundene Krafteinwirkung nach vorne bewegt, fehlt es an einem von außen her einwirkenden Ereignis. Die hiedurch entstandenen Schäden - Einknicken des rechten hinteren Stützfußes des Fahrzeuges, Verwindung des Aufliegerrahmens - sind Betriebsschäden (Prölss-Martin, aaO 1182, BGH 2.7.69 in VersR 1969, 940). Kommt es im weiteren Verlauf zu einem Aufschlagen auf dem Boden (hier: auf einem Gebäude), handelt es sich - insoweit - um einen Unfall, da ein unmittelbar von außen her plötzlich mit mechanischer Gewalt einwirkendes Ereignis gegeben ist (Prölss-Martin aaO, Stiefel-Hofmann aaO, VersR 1969, 940): Dies aber wird auch im vorliegenden Fall von den Parteien nicht in Frage gestellt. Die Ausführungen des Berufungsgerichtes über einen Bedienungsfehler (nicht ordnungsgemäß angezogene oder nicht ordnungsgemäß funktionierende Handbremse) haben ihre Grundlage im Sachverständigengutachten bzw dessen Ergänzung in der Tagsatzung vom 6.4.1988. Es kann keine Rede davon sein, daß diese Ausführungen "nicht gesetzmäßig zustandegekommen" und "verfahrensmäßig nicht gedeckt" sind.

Mit Recht hat daher die zweite Instanz das Klagebegehren abgewiesen. Die Kostenentscheidung erfolgte nach den §§ 41, 50 ZPO.

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