Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.961,64 EUR (darin enthalten 326,94 EUR an USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der beklagte Versicherer bietet Produkte zur prämienbegünstigten Zukunftsvorsorge an. Dabei verwendet er im geschäftlichen Verkehr mit Verbrauchern nachstehende Klauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen und Vertragsformblättern:
1. „Sie können auch die Auszahlung ihres angesammelten Guthabens in Anspruch nehmen (Kapitalablöse). Dies ist frühestens nach 15 Jahren möglich. Bei Eintrittsalter ab dem 51. Lebensjahr ist die Kapitalablöse ab Vollendung des 65. Lebensjahres möglich, wenn seit Einzahlung der ersten Prämie mindestens 10 Jahre vergangen sind. Dies unterliegt den Bestimmungen des § 108g EStG.“
2. „Eine Kündigung ist frühestens auf den Schluss des 15. Versicherungsjahres möglich. Bei Eintrittsalter ab dem 51. Lebensjahr ist die Kündigung ab Vollendung des 65. Lebensjahres möglich, wenn seit Einzahlung der ersten Prämie mindestens 10 Jahre vergangen sind. Sie können dann die Auszahlung Ihrer Ansprüche verlangen.“
3. „Eine Übertragung Ihrer Ansprüche auf eine andere Zukunftsvorsorgeeinrichtung oder eine Überweisung Ihrer Ansprüche an ein Kreditinstitut zum ausschließlichen Zwecke des Erwerbs von Pensionsinvestmentfonds-Anteilen oder an eine Pensionskasse oder an ein Versicherungsunternehmen als Einmalerlag für eine nachweislich abgeschlossene Pensionszusatzversicherung ist frühestens auf den Schluss des 15. Versicherungsjahres möglich. Bei Eintrittsalter ab dem 51. Lebensjahr ist die Übertragung oder eine Überweisung Ihrer Ansprüche ab Vollendung des 65. Lebensjahres möglich, wenn seit Einzahlung der ersten Prämie mindestens 10 Jahre vergangen sind.“
Die Klägerin begehrt, der Beklagten die Verwendung dieser Klauseln oder sinngleicher Klauseln oder das Berufen darauf zu verbieten. Weiters erhebt sie ein Urteilsveröffentlichungsbegehren. Eine zehn Jahre übersteigende Mindestvertragsdauer verstoße gegen das in §§ 165 Abs 1 und 178 Abs 1 VersVG normierte Recht des Versicherungsnehmers, das Vertragsverhältnis jederzeit zum Schluss der laufenden Versicherungsperiode zu kündigen und die Auszahlung des Rückkaufswerts zu verlangen. Die Klauseln seien auch intransparent nach § 6 Abs 3 KSchG, weil die Beklagte durch ihren Verweis auf § 108g EStG den unrichtigen Eindruck erwecke, eine derart lange Mindestvertragsdauer sei vom Gesetzgeber vorgesehen.
Die Beklagte beantragt die Abweisung des Klagebegehrens. Der Inhalt der Klausel sei von den §§ 108g ff EStG gedeckt. Aus der Normierung einer Bindungsfrist von „mindestens“ zehn Jahren folge die Zulässigkeit einer darüber hinausgehenden - hier 15-jährigen - Bindung. § 108i EStG regle das privatrechtliche Verhältnis zwischen Versicherer und Versicherungsnehmer, weshalb die Bestimmungen des EStG als lex specialis und posterior den Bestimmungen des VersVG und des KSchG derogierten. Die vertragliche Vereinbarung einer 15-jährigen Bindungsfrist verstoße nicht gegen §§ 165, 178 Abs 1 VersVG. Das EStG gebe die Möglichkeit, eine längere Bindungsfrist zu vereinbaren und gehe damit den Kündigungsbestimmungen des VersVG vor. Eine 15-jährige Kapitalbindung sei nicht benachteiligend, sondern gerade mit dem Zweck der prämienbegünstigten Zukunftsvorsorge vereinbar und sachlich gerechtfertigt. Der Steuerpflichtige könne die Verträge jederzeit prämienfrei stellen.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Klauseln, die einen 15-jährigen Kündigungsverzicht festlegten, seien objektiv gesehen ungewöhnlich, weil die §§ 108g bis 108i EStG lediglich eine Frist von zehn Jahren als bindend vorsähen und schon damit eine Ausnahme von der allgemeinen Kündigungsmöglichkeit nach dem VersVG gegeben sei. Sie seien für den Versicherungsnehmer unerwartet und auch nachteilig im Sinne des § 864a ABGB. Der Verweis auf § 108g EStG sei überdies intransparent, weil der Eindruck erweckt werde, die Kündigungsfrist von 15 Jahren entspreche der gesetzlichen Regelung.
Das Berufungsgericht bestätigte das angefochtene Urteil. § 108i EStG regle nicht das Recht des Versicherers, mindestens zehnjährige, sohin auch beispielsweise 12-, 15- oder 20-jährige Bindungsfristen vorzusehen, sondern das Recht des Versicherungsnehmers über seine Ansprüche nach mindestens zehnjähriger Bindung zu verfügen. Die Vereinbarung der Unkündbarkeit, soweit sie auch für einen zehn Jahre übersteigenden Zeitraum gelten solle, verletze das Recht des Versicherungsnehmers auf jederzeitige Kündigung zum Schluss der laufenden Versicherungsperiode (§ 9 VersVG) nach § 165 Abs 1 VersVG. Von dieser Bestimmung dürfe gemäß § 178 Abs 1 VersVG zum Nachteil des Versicherungsnehmers nicht abgewichen werden. Die Klauseln verstießen daher gegen ein gesetzliches Verbot und seien nichtig.
Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige und die ordentliche Revision zulässig sei, weil oberstgerichtliche Judikatur zur Zulässigkeit einer überlangen Vertragsbindung des Versicherungsnehmers im Bereich der prämienbegünstigten Zukunftsvorsorge fehle.
Dagegen richtet sich die Revision der Beklagten mit einem Abänderungsantrag, hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.
Der Oberste Gerichtshof hat zwar bereits ausgesprochen, dass die §§ 108g Abs 1 Z 2 und 108i Abs 1 EStG den §§ 165 Abs 1, 178 Abs 1 VersVG derogieren. Die Prämienrückforderung einer im Rahmen der staatlich geförderten „prämienbegünstigten Zukunftsvorsorge“ (PZV) abgeschlossenen Lebensversicherung ist innerhalb von zumindest zehn Jahren ausgeschlossen (RIS-Justiz RS0127200). Die Entscheidungen ergingen aber zu Sachverhalten, in denen der Versicherungsnehmer versuchte, vor Ablauf der zehnjährigen Frist den Lebensversicherungsvertrag zu kündigen. Die hier zur Entscheidung anstehende Rechtsfrage stellte sich in den Vorverfahren nicht.
Zutreffend verweist das Berufungsgericht darauf, dass die §§ 108g Abs 1 Z 2 und 108i Abs 1 EStG das durch § 165 Abs 1 VersVG eingeräumte Kündigungsrecht des Versicherungsnehmers einschränken. In diesem Zusammenhang ist die Wendung „zumindest zehn Jahre“ auszulegen. „Zumindest“ bedeutet damit, dass der Versicherungsnehmer bei der PZV nicht vor Ablauf von zehn Jahren verfügen darf. Genau das ergibt sich auch aus den (auch von der Revision zitierten) Gesetzesmaterialien (AB 1285 BlgNR XXI. GP 9: Nach Ablauf der Zehnjahresfrist kann der Steuerpflichtige über sein Kapital nach Maßgabe des § 108i Z 1, Z 2 oder 3 EStG 1988 verfügen. Demgemäß ist auch eine Herausnahme des Kapitals möglich). Die Vergünstigung soll also dem Steuerpflichtigen nur zustehen, wenn er sich unwiderruflich zu einer mindestens (dh nicht weniger als) zehnjährigen Kapitalbindung verpflichtet. Die Bestimmungen des EStG beziehen sich naturgemäß auf den Steuerpflichtigen. Nichts deutet darauf hin, dass damit auch dem Versicherer ein Recht hätte eingeräumt werden sollen, nämlich das Recht, vom Versicherungsnehmer (fernab von weiteren steuerlichen Begünstigungen) einen Kündigungsverzicht auf unbestimmte Dauer zu verlangen. Der Versicherer ist bloß „indirekter“ Nutznießer der Regelung im EStG.
Soweit dem § 165 Abs 1 VersVG durch das EStG nicht derogiert wurde, bleibt er aufrecht. Danach steht dem Versicherungsnehmer bei der Lebensversicherung - auch in Form der PZV - ein jederzeitiges Kündigungsrecht für den Schluss der laufenden Versicherungsperiode zu. Als Versicherungsperiode in diesem Sinn gilt, falls die Prämie nicht nach kürzeren Abschnitten bemessen ist, der Zeitraum eines Jahres (§ 9 VersVG). Von dieser Bestimmung darf gemäß § 178 Abs 1 VersVG zum Nachteil des Versicherungsnehmers nicht abgewichen werden.
Sieht nun die Beklagte in ihren AVB einen zehn Jahre übersteigenden Kündigungsverzicht des Versicherungsnehmers vor, so werden seine Rechte nach § 165 Abs 1 VersVG verletzt, was nach § 178 Abs 1 VersVG nicht zulässig ist. Die Klauseln sind daher nichtig.
Dies haben die Vorinstanzen zutreffend erkannt.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 50, 41 ZPO.
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