OGH 7Ob32/24t

OGH7Ob32/24t17.4.2024

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Dr. Weber und Mag. Fitz als weitere Richter in der Erwachsenenschutzsache des T* K*, geboren * 1955, *, vertreten durch den Erwachsenenvertreter Dr. Emilio Stock, Rechtsanwalt, *, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der betroffenen Person gegen den Beschluss des Landesgerichts Innsbruck als Rekursgericht vom 14. Dezember 2023, GZ 55 R 35/23k (55 R 36/23g)‑1107, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0070OB00032.24T.0417.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] 1. Ist das Rechtsmittel ohnehin als unzulässig zurückzuweisen, wäre es ein überflüssiger Formalismus, wollte man die Akten dem Rekursgericht mit dem Auftrag zurückzustellen, seinen Beschluss durch einen Ausspruch nach § 59 Abs 2 AußStrG zu ergänzen (RS0007063). Erwägungen, ob der Entscheidungsgegenstand des Rekursgerichts vermögensrechtlicher Natur ist, können daher dahinstehen (vgl 7 Ob 211/20k mwN).

[2] 2. Seit 1. 4. 2022 leben der Betroffene und seine Ehefrau in einer Mietwohnung in *, Bezirk Meilen, Kanton Zürich, Schweiz, und sind dort aufrecht gemeldet. Am 16. 9. 2022 erging ein Entscheid der KESB (Kinder- und Erwachsenenschutzbehörde) Bezirk Meilen, mit dem für den Betroffenen im Wesentlichen eine Vertretungsbeistandschaft mit Vermögensverwaltung im Sinn von Art 394 ZGB iVm mit Art 395 ZGB angeordnet und als Beistand ein Züricher Rechtsanwalt eingesetzt wurde. Der Bezirksrat Meilen trat mit Beschluss vom 28. 11. 2022 auf die vom Erwachsenenvertreter sowohl im eigenen als auch im Namen des Betroffenen erhobene Beschwerde gegen den Entscheid der KESB vom 16. 9. 2022 nicht ein. Infolge der wiederum vom Erwachsenenvertreter im eigenen Namen sowie als Vertreter des Betroffenen gegen diesen Nichteintretungsbeschluss des Bezirksrats Meilen erhobenen Beschwerde stellte das Obergericht des Kantons Zürich mit Urteil vom 8. 2. 2023 die örtliche (und damit die internationale) Zuständigkeit der KESB Meilen fest, hob den Beschluss des Bezirksrats Meilen auf und wies die Sache zur materiellen Behandlung der Beschwerde an diesen zurück.

[3] 2.1. Der Oberste Gerichtshof hat im vorliegenden Verfahren (7 Ob 171/22f) bereits wie folgt Stellung genommen:

[4] Österreich und die Schweiz sind Vertragsstaaten des Übereinkommens über den internationalen Schutz von Erwachsenen (HESÜ). Nach Art 5 Abs 1 HESÜ sind die Behörden, seien es Gerichte oder Verwaltungsbehörden, des Vertragsstaats, in dem der Erwachsene seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat zuständig, Maßnahmen zum Schutz der Person oder des Vermögens des Erwachsenen zu treffen. Gem Art 5 Abs 2 HESÜ sind bei einem Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts des Erwachsenen in einen anderen Vertragsstaat die Behörden des Staats des neuen gewöhnlichen Aufenthalts zuständig. Für die Errichtung des gewöhnlichen Aufenthalts müssen zur körperlichen Anwesenheit des Erwachsenen in einem Vertragsstaat weitere Kriterien hinzutreten, aus denen sich entnehmen lässt, dass es sich nicht nur um einen vorübergehenden oder gelegentlichen Aufenthalt handelt, sondern der Aufenthalt vielmehr Ausdruck einer Integration des Erwachsenen in ein soziales und familiäres Umfeld ist. Auch im Fall eines Umzugs von einem Vertragsstaat in einen anderen, erwirbt der Erwachsene grundsätzlich dann einen neuen gewöhnlichen Aufenthalt, wenn er an dem neuen Aufenthaltsort sozial integriert ist. Von einer solchen sozialen Integration ist in der Regel nach einer 6‑monatigen Aufenthaltsdauer auszugehen. Dabei handelt es sich jedoch nur um eine Faustregel, von der im Einzelfall auch abgewichen werden kann. Ist der Umzug in einen anderen Vertragsstaat hingegen auf Dauer geplant, so wird der neue gewöhnliche Aufenthalt dort sofort erworben. Dem Willen zur Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts in einem bestimmen Staat ist bei Erwachsenen größeres Gewicht beizumessen als bei Kindern. Dabei kommt es auf den natürlichen, nicht einen rechtsgeschäftlichen Willen an, sodass auch alters‑ oder krankheitsbedingt in der Geschäftsfähigkeit beschränkte Erwachsene einen solchen Willen haben können. Ein Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts führt zu einer sofortigen Änderung der internationalen Zuständigkeit. Das gilt auch dann, wenn das Verfahren im früheren Aufenthaltsstaat bereits anhängig war. Die Behörde hat sich dann von Amts wegen für unzuständig zu erklären.

[5] 2.3. Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze und unter Berücksichtigung des mittlerweile fast 2 Jahre bestehenden Aufenthalts in der Schweiz und denin seiner Einvernahme im Rechtshilfeweg vor dem Bezirksgericht Meilen getätigten Äußerungen des Betroffenen, wonach sein Umzug freiwillig und in der Absicht des dauernden Verbleibs in der Schweiz erfolgt sei, verneinten die Vorinstanzen ihre internationale Unzuständigkeit und bejahten im Einklang mit den Schweizer Behörden deren Übergang auf diese. Sie widerriefen zum einen den dem Erwachsenenvertreter mit Beschluss vom 6. 10. 2022 erteilten Auftrag, Berichte, Abrechnungen und Unterlagen für einen konkret bezeichneten Zeitraum vorzulegen und wiesen den Antrag der ehemaligen Sachwalterin des Betroffenen (dessen Ehefrau) auf Bestätigung einer Ergänzung ihrer Schlussrechnung zurück.

[6] 3.1. In dem vom Erwachsenenvertreter namens des Betroffenen erhobenen Revisionsrekurs werden gegen diese Beurteilung keine stichhaltigen Argumente gebracht:

Rechtliche Beurteilung

[7] 3.2. Die geltend gemachten Verfahrensmängel wurden geprüft, sie liegen nicht vor (§ 71 Abs 3 AußStrG).

[8] 3.3. Der Revisionsrekurswerber vermeint, solange die Bestimmung des Aufenthaltsorts zur Aufgabe des Erwachsenenvertreters in Österreich – wie hier – gehöre, könne eine ausländische Behörde durch eine bloße faktische Verlegung des Aufenthaltsorts unmöglich zuständig werden. Diese Argumentation ist schon deshalb nicht zielführend, weildas HESÜ keine Art 7 KSÜ oder Art 9 Brüssel II Verordnung (vormals Art 10 Brüssel II Verordnung) vergleichbare Bestimmung enthält, wonach in Fällen, in denen Erwachsene widerrechtlich verbracht werden, die Gerichte des früheren Aufenthaltsorts (in dem sich der Erwachsene vor seiner „Entführung“ aufhielt) zuständig blieben (7 Ob 171/22f).

[9] 3.4. Des Weiteren macht der Revisionsrekurswerber eine ordre‑public‑Widrigkeit dahin geltend, dass das Erwachsenenschutzverfahren zivilrechtliche Ansprüche betreffe, was nach den in Österreich geltenden Rechtsgrundsätzen zu einer Gerichtszuständigkeit führen müsse, hingegen in der Schweiz aber in erster und zweiter Instanz Verwaltungsbehörden entscheiden würden, sodass die Anerkennung der Zuständigkeit der KESB elementarsten Rechtsgrundsätzen in Österreich widerspreche.

[10] 3.4.1 Voranzustellen ist, dass in Art 5 Abs 1 HESÜ klargestellt wird, dass für die Zwecke des HESÜ der durchgängig verwendete Begriff „Behörden“ sowohl Gerichte wie Verwaltungsbehörden umfasst.

[11] 3.4.2 Soweit Verwaltungsbehörden über Angelegenheiten, die dem Schutzbereich des Art 6 EMRK unterfallen, entscheiden, müssen sie entweder selbst die Anforderungen an den Tribunal erfüllen, oder es muss die Möglichkeit bestehen, dass die Behördenentscheidungen vor einem Tribunal angefochten werden können (vgl Autengruber in Kahl/Khakzadeh/Schmid, Kommentar zum Bundesverfassungsrecht B‑VG und Grundrechte Art 6 EMRK [Stand 1. 1. 2001, rdb.at] Rz 35 mwN).

[12] Diese Anforderungen sind hier – entgegen der Ansicht des Revisionsrekurswerbers – erfüllt: Nach Art 450 ZGB kann gegen Entscheide der Erwachsenenschutzbehörde Beschwerde beim zuständigen Gericht erhoben werden. Der Kanton Zürich hat ein zweistufiges gerichtliches Beschwerdeverfahren errichtet (zuerst Bezirksrat, dann Obergericht; vgl Droese in Geiser/Fountoulakis, BaslerKommentar ZGB I7 Art 450 Rz 15). Abgesehen davon, dass das Schweizer Bundesgericht den Bezirksrat im Kanton Zürich (dort Bezirksrat Zürich) als Gericht im materiellen Sinn nach Art 6 EMRK und Art 30 Abs 1 der Schweizer Bundesverfassung qualifizierte, sprach es auch aus, dass der Zugang zum Gericht im Sinn von Art 6 EMRK auch dadurch gewährleistet sei, weil das Obergericht kompetent sei, alle Fragen tatbestandlicher und rechtlicher Natur zu untersuchen, die sich in Bezug auf den Einzelfall ergeben, und auch die Befugnis habe, die angefochtene Entscheidung aufzuheben (vgl Schweizer Bundesgericht vom 17. 12. 2012, BGE 139 III 98). Dass das Obergericht im Kanton Zürich ein Gericht im Sinn von Art 6 EMRK ist, wird vom Revisionsrekurswerber auch gar nicht angezweifelt.

[13] 4. Dieser Beschluss bedarf keiner weiteren Begründung (§ 71 Abs 3 AußStrG).

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