OGH 7Ob32/08v

OGH7Ob32/08v15.5.2008

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schaumüller, Dr. Hoch, Dr. Kalivoda und Dr. Roch als weitere Richter in der Rechtssache der Antragstellerin Marianne M*****, vertreten durch Dr. Karl Schelling, Rechtsanwalt in Dornbirn, gegen die Antragsgegnerin Gemeinde ***** K*****, vertreten durch Längle Fussenegger Rechtsanwälte Partnerschaft in Bregenz, wegen Festsetzung einer Entschädigung nach § 27 Abs 6 VbgRPG, über den Revisionsrekurs der Antragstellerin gegen den Beschluss des Landesgerichts Feldkirch als Rekursgericht vom 16. November 2007, GZ 4 R 237/07v‑22, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Feldkirch vom 23. August 2007, GZ 20 Nc 4/06f‑16, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird an das Erstgericht zur Verhandlung und neuerlichen Entscheidung zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Begründung

Mit Schreiben vom 19. 2. 1999 des Amts der Vorarlberger Landesregierung wurde der Antragsgegnerin gemäß § 21 Abs 1 iVm § 23 Abs 2 VbgRPG (Vorarlberger Raumplanungsgesetz) die Änderung des Flächenwidmungsplans genehmigt. Am 25. 2. 1999 wurde die Änderung bekannt gemacht. Die Bekanntmachung war vom 1. 3. 1999 bis 18. 3. 1999 angeschlagen. Mit Antrag vom 25. 1. 2000 begehrte die Antragstellerin aufgrund der Änderung des Flächenwidmungsplans eine Entschädigung von 3,100.000 S, weil durch diese Änderung die Bebauung eines Teils der in ihrem Eigentum stehenden Liegenschaft verhindert werde. Der damalige Rechtsvertreter der Antragsgegnerin gab ein Schätzgutachten in Auftrag, um eine Grundlage für eine allfällige außergerichtliche Einigung über die Entschädigungsansprüche zu erhalten. Mit Schreiben vom 18. 3. 2004 teilte die Antragsgegnerin mit, dass in der Angelegenheit beschlossen wurde, einen Ausschuss zur Erarbeitung eines Lösungsvorschlags betreffend die Entschädigungsleistungen der Antragstellerin zu installieren. Über den Antrag der Antragstellerin auf Zahlung einer Entschädigung wurde bis jetzt nicht entschieden.

Die Antragstellerin stellte am 14. 8. 2006 bei Gericht den Antrag nach § 27 Abs 6 VbgRPG auf Festsetzung einer Entschädigung infolge Umwidmung von in ihrem Alleineigentum stehenden Grundflächen. Die Bekanntmachung der Änderung des Flächenwidmungsplans sei am 25. 2. 1999 erfolgt. Die Antragstellerin habe entsprechend § 27 Abs 4 VbgRPG - also innerhalb eines Jahres nach dem Inkrafttreten des Flächenwidmungsplans - die Zuerkennung einer Entschädigungsleistung von 225.285,79 EUR verlangt. Es sei zu keiner einvernehmlichen Lösung gekommen, weshalb die Antragstellerin nach § 27 Abs 6 VbgRPG nach Ablauf eines Jahres ab der Antragstellung nach § 27 Abs 4 VbgRPG die Festsetzung der Entschädigung durch das Gericht verlangen könne.

Die Antragsgegnerin beantragt die Abweisung des Antrags, weil die Antragstellerin die Frist nach § 27 Abs 4 VbgRPG versäumt habe. In sinngemäßer Anwendung der §§ 46 und 47 VbgStraßengesetzes hätte sie binnen sechs Monaten ihren Entschädigungsanspruch bei Gericht geltend machen müssen. Die Antragstellerin sei jedoch jahrelang untätig geblieben. Die Antragsgegnerin habe den Entschädigungsanspruch dem Grunde nach nie anerkannt.

Das Erstgericht wies den Festsetzungsantrag zurück. Nach dem sinngemäß anzuwendenden § 47 Abs 2 VbgStraßengesetz könne jede der Parteien „innert" sechs Monaten ab Rechtskraft des die Entschädigung bestimmenden Bescheids die Festsetzung des Entschädigungsbetrags bei Gericht begehren. Dies bedeute, dass der Antrag gemäß § 27 Abs 4 VbgRPG auf jeden Fall fristgerecht bei der Antragsgegnerin eingebracht worden sei, weil die Antragsgegnerin weder positiv noch negativ über den Antrag entschieden habe und daher kein Bescheid vorliege. Der Antrag sei - mangels Bescheiderlassung - wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs zurückzuweisen.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Antragstellerin nicht Folge und bestätigte die angefochtene Entscheidung mit der Maßgabe, dass der Antrag der Antragstellerin abgewiesen werde. Die Bestimmung des § 47 Abs 2 VbgStraßengesetz lasse sich nicht wortgetreu auf § 27 Abs 6 VbgRPG übertragen, weil dort darauf abgestellt werde, dass eine vertragliche Einigung der Betroffenen über den Entschädigungsbetrag innerhalb eines Jahres nicht zustande komme. Damit sei aber die sinngemäße Anwendung des § 47 Abs 2 VbgStraßengesetz nicht ausgeschlossen. Vielmehr habe die sinngemäße Anwendung so zu erfolgen, dass die dort enthaltene Befristung für die Einbringung eines Antrags auf Festsetzung der Entschädigung durch das Gericht auch für die Entschädigungsfälle des § 27 VbgRPG gelte. Die Anwendung könne, da eben kein Enteignungsbescheid erlassen werde, nur sinngemäß erfolgen. Der Zweck des § 47 Abs 2 VbgStraßengesetz könne nur darin bestehen, den Parteien eine rasche Entscheidung abzuverlangen, ob sie den Rechtsweg beschreiten wollen oder nicht. Fristauslösend sei als Resultat der sinngemäßen Anwendung des § 47 Abs 2 VbgStraßengesetz im Anwendungsbereich des § 27 Abs 6 VbgRPG der Ablauf des Jahres, in dem den Parteien die Möglichkeit einer Einigung offen gestanden sei. Zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen erscheine es geboten, die gesetzlichen Bestimmungen so auszulegen, dass der Antrag auf Festsetzung der Entschädigung durch das Gericht sechs Monate nach Ablauf eines Jahres ab der Antragstellung nach § 27 Abs 4 VbgRPG gestellt werden müsse. Die Frist ende im vorliegenden Fall daher am 25. 1. 2001. Der verfahrenseinleitende Antrag erweise sich somit als verspätet.

Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil oberstgerichtliche Judikatur zu dieser Rechtsfrage fehle.

Dagegen richtet sich der Revisionsrekurs der Antragstellerin mit einem Aufhebungsantrag.

Die Antragsgegnerin beantragt, dem Revisionsrekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig und auch berechtigt.

§ 27 VbgRPG regelt die Voraussetzungen für die Gewährung einer Entschädigung, wenn durch einen Flächenwidmungsplan die Bebauung eines Grundstücks verhindert wird und dadurch eine Wertminderung entsteht.

Ein Antrag auf Entschädigung ist innerhalb eines Jahres nach Inkrafttreten des Flächenwidmungsplans bzw nach Inkrafttreten der Änderung des Flächenwidmungsplans beim Gemeindeamt einzubringen (§ 27 Abs 4 VbgRPG). Kommt über den Grund und die Höhe der Entschädigung keine Einigung zustande, kann jede der Parteien nach Ablauf eines Jahres ab der Antragstellung nach Abs 4 die Festsetzung durch das Gericht verlangen. Hiefür gelten, soweit im Abs 5 nichts anderes bestimmt ist (wie hier), sinngemäß die §§ 46 und 47 des VbgStraßengesetzes (§ 27 Abs 6 VbgRPG).

§ 46 VbgStraßengesetz („Entschädigung") enthält insbesondere Regelungen über Art und Umfang der zu leistenden Enteignungsentschädigung sowie darüber, wem sie gebührt und welche Umstände bei der Ermittlung zu berücksichtigen sind. § 47 VbgStraßengesetz („Entschädigungsverfahren") enthält im Wesentlichen Verfahrensvorschriften. Abs 1 sieht die Bestimmung der Höhe der Entschädigung, soweit es darüber zu keinem Vertrag kommt, im Enteignungsbescheid oder in einem gesonderten Bescheid vor, Abs 2 und 3 enthalten Bestimmungen betreffend das gerichtliche Entschädigungsverfahren, Abs 4 und 5 befassen sich mit von der Enteignung betroffenen Dritten und „Nebenberechtigten".

§ 47 Abs 2 VbgStraßengesetz lautet: „Jede der Parteien kann innert sechs Monaten ab Rechtskraft des für die Entschädigung bestimmenden Bescheides (Abs 1) die Festsetzung des Entschädigungsbetrages bei jenem Bezirksgericht begehren, in dessen Sprengel sich der Gegenstand der Enteignung befindet. Der Bescheid der Landesregierung tritt hinsichtlich des Ausspruches über die Entschädigung mit der Anrufung des Gerichtes außer Kraft. Der Antrag an das Gericht auf Feststellung der Entschädigung kann nur mit Zustimmung des Antragsgegners zurückgezogen werden."

In § 27 Abs 6 VbgRPG wird der Zeitpunkt, nach dem die Festsetzung durch das Gericht verlangt werden „kann", nicht mit der Zustellung eines Bescheids festgesetzt, sondern mit dem Ablaufen eines Zeitraums von einem Jahr ab Antragstellung, wenn innerhalb dieses Jahres zwischen dem von der Flächenwidmung betroffenen Liegenschaftseigentümer und der Gemeinde keine Einigung über den Grund und die Höhe der Entschädigung zustande kommt. Auch wenn nach den gängigen Bestimmungen in Enteignungs- bzw Entschädigungsverfahren durchwegs Befristungen für die Anrufung des Gerichts vorgesehen sind (so schon das meist subsidiär geltende EisbEG [§§ 18 Abs 1, auch 10 Abs 5 leg cit]; vgl Geuder, Österreichisches öffentliches Baurecht und Raumordnungsrecht, 132 ff), ist aber zu berücksichtigen, dass der Lauf der Frist dort erst nach der Erlassung eines Bescheids beginnt. Das Erlassen eines Bescheids ist jedoch nach § 27 Abs 6 VbgRPG gerade nicht vorgesehen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Entscheidung vom 22. 4. 1999, 99/06/0024 zu § 27 Abs 1 VbgRPG ausgesprochen, dass die Gemeinde nach dieser Bestimmung im Rahmen ihrer Privatwirtschaftsverwaltung (und nicht der Hoheitsverwaltung) in Anspruch genommen werde und als Trägerin von Privatrechten dem betroffenen Liegenschaftseigentümer auf Antrag eine Entschädigung zu leisten habe. Da das AVG im Bereich des privatwirtschaftlichen Handelns des Staats nicht zur Anwendung komme, habe der Liegenschaftseigentümer keinen Anspruch auf bescheidmäßige Erledigung des Antrags.

Aus dieser Entscheidung, der zu folgen ist, ergibt sich zunächst die Unrichtigkeit der Rechtsansicht des Erstgerichts, dass der bei Gericht eingebrachte Entschädigungsantrag verfehlt (verfrüht) und unzulässig sei, weil erst die Bescheiderlassung abgewartet werden müsse. Daraus ist aber auch abzuleiten, dass eine Präklusion des gerichtlichen Antrags auf Entschädigung innerhalb der von § 47 Abs 2 VbgStraßengesetz genannten Frist nicht eintreten kann, weil gar kein Bescheid über den an die Gemeinde gerichteten Entschädigungsantrag zu erlassen ist. Die Regelungen des § 47 Abs 2 Satz 1 und 2 VbgStraßengesetz stellen demnach nicht auf einen vergleichbaren Fall ab, was ihre (auch nur sinngemäße) Anwendung ausschließt. § 47 Abs 2 Satz 1 VbgStraßengesetz normiert als Fristauslösung die Erlassung eines Bescheids im Bereich der Hoheitsverwaltung. Dies kann nicht auf das Scheitern des Abschlusses einer Vereinbarung im Rahmen privatwirtschaftlichen Handelns übertragen werden, dem man überdies im Gegensatz zu einem Bescheid weder einen zu einem bestimmten Zeitpunkt gefassten Entscheidungswillen noch allfällige Gründe entnehmen kann.

Dies bedeutet für den vorliegenden Fall:

Der Liegenschaftseigentümer kann im Sinn des § 27 Abs 6 VbgRPG das Gericht nicht vor Ablauf eines Jahres ab der Antragstellung beim Gemeindeamt anrufen. Nach Ablauf dieses Zeitraums ist er aber innerhalb der allgemeinen dreißigjährigen Verjährungsfrist für Entschädigungsansprüche (der Anspruch auf Enteignungsentschädigung ist zwar privatrechtlicher Natur, aber kein Schadenersatzanspruch im Sinn der §§ 1293 ff ABGB [5 Ob 700/78 = RIS‑Justiz RS0034571]) berechtigt, einen Antrag bei Gericht zu stellen, wenn keine Einigung mit der Gemeinde erfolgt.

Die Antragstellerin hat also fristgerecht ihren Antrag bei Gericht gestellt, sodass darüber materiell zu entscheiden ist. Die Rechtssache ist daher an das Erstgericht zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

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