Normen
Versicherungsvertragsgesetz 1958 §158c
Versicherungsvertragsgesetz 1958 §158c
Spruch:
§ 158c VersVG. gilt nicht für in Italien eingetretene Haftpflichtfälle.
Entscheidung vom 7. Februar 1962, 7 Ob 27/62.
I. Instanz: Landesgericht Klagenfurt; II. Instanz: Oberlandesgericht Graz.
Text
Anna S. war Eigentümerin eines Tankwagenzuges, hinsichtlich dessen sie bei der Beklagten einen Antrag auf Abschließung eines Haftpflichtversicherungsvertrages stellte. Am 10. März 1958 erteilte ihr die Beklagte eine vorläufige Deckungszusage. Anna S. erhielt die Polizze am 10. April 1958, bezahlte jedoch die vorgeschriebene Prämie nicht. Sie veräußerte den Tankwagenzug an Robert L., der am 11. Juni 1958 ebenfalls von der Beklagten eine vorläufige Deckungszusage erhielt. Die Beklagte sandte ihm in der Folge das im Akt in Abschrift erliegende Schreiben vom 11. Juli 1958, in dem festgestellt wurde, daß er in alle Rechte und Pflichten der bisherigen Versicherungsnehmerin eingetreten sei. Es wurde ihm bekanntgegeben, daß die Prämie samt Versicherungssteuer 1882.10 S betrage. Noch bevor aber Robert L. etwas auf die Prämie bezahlt hatte, verschuldete der bei ihm beschäftigte, Martin S. am 11. August 1958 in Italien einen Verkehrsunfall, bei dem u. a. Karl W., der bei der Klägerin pflichtversichert war, verletzt wurde. Die Klägerin erbrachte an W. Versicherungsleistungen im Betrag von
13.692.50 S. Sie erwirkte gegen Robert L. auf diesen Betrag samt Nebengebühren ein Versäumungsurteil, doch erwies sich ihre Forderung als uneinbringlich. Einschließlich der Prozeß- und Exekutionskosten erwuchsen ihr aus dem Verkehrsunfall Auslagen im Betrag von
15.529.88 S.
Die Klägerin führte nun gegen Robert L. Exekution durch Pfändung und Überweisung des ihm gegen die Beklagte zustehenden Deckungsanspruches und begehrt mit der vorliegenden Klage Zuspruch des Betrages von 15.529.88 S samt Nebengebühren. Sie stützt ihr Klagebegehren auf folgende Rechtsgrunde:
1. Die Beklagte sei schon gegenüber Robert L. verpflichtet gewesen, Deckung aus der Haftpflichtversicherung zu gewähren. Robert L. habe annehmen müssen, daß er nicht vor Übersendung der Polizze zu zahlen habe.
2. Auf alle Fälle sei die Beklagte verpflichtet, den fingierten Deckungsanspruch gemäß § 158c VersVG. zu erfüllen.
3. Die Beklagte habe erst ein Jahr nach dem Zeitpunkt, zu welchem Robert L. ihrer Ansicht nach mit der Prämienzahlung in Verzug gekommen war, beim Verkehrsamt der Polizeidirektion Klagenfurt die Anzeige hievon erstattet. Sie sei daher verpflichtet, den durch ihr Verschulden verursachten Schaden zu ersetzen.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt und erachtete alle drei angeführten Rechtsgrunde für gegeben.
Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Es schloß sich allerdings der Ansicht des Erstgerichtes, die Versicherung sei nicht "krank" nicht an. Jedenfalls rechtfertigen nach Ansicht des Berufungsgerichtes die bisherigen Feststellungen noch nicht diese Annahme. Robert L. sei in das Versicherungsverhältnis mit der Vorbesitzerin eingetreten, so daß die Beklagte ihm keine Polizze zu übersenden gehabt habe. Mit der Vorschreibung der Prämie durch das Schreiben vom 11. Juli 1958 sei diese fällig geworden. Es müßte daher zur Klärung der Frage des Bestehens des Versicherungsschutzes gegenüber Robert L. festgestellt werden, wann diesem das Schreiben vom 11. Juli 1958 zugestellt wurde. Erst dann könne beurteilt werden, ob zur Zeit des Unfalles ein Verzug von Robert L. bestand. Die Beklagte hafte aber auf Grund des § 158c VVG. Das österreichische Recht kenne keine Bestimmung, nach welcher die Haftung für unerlaubte Handlungen im Ausland eingeschränkt sei, wenn eine solche nach dortigem Recht nicht im gleichen Umfang bestehe. Für die Entscheidung des Falles komme es auf das Recht an, das für den Versicherungsvertrag selbst gelte, also auf das österreichische Recht.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Beklagten Folge und wies die Rechtssache unter Aufhebung beider untergerichtlicher Urteile an die erste Instanz zurück.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Das Berufungsgericht meint, es bestehe kein Zweifel, daß zur Beurteilung der Frage der Haftung des Versicherers nach § 158c VersVG. das Recht, das dem Versicherungsverhältnis zugrunde liege, also österreichisches Recht, anzuwenden sei. Wie aber schon das Erstgericht zutreffend bemerkt hat, handelt es sich bei dem sogenannten fingierten Deckungsanspruch des geschädigten Dritten um einen auf dem Gesetz selbst beruhenden Anspruch. Der Versicherer ist Legalschuldner (Prölss, Schriftenreihe der Juristischen Studiengesellschaft Karlsruhe Heft 28/29 S. 12 ff., Entsch. BGH. VersR. 1957 S. 145, Thees - Hagemann[2] S. 256). Diese Bestimmung wurde zum Schutz der Verkehrsopfer erlassen (Thees - Hagemann S. 273). Der enge Zusammenhang mit der Verpflichtung zum Abschluß einer Haftpflichtversicherung gemäß § 53 KFG., die ja eine Voraussetzung des Anspruches nach § 158c VersVG. ist, zeigt, daß der Zweck des Gesetzes in beiden Fällen derselbe ist, der Schutz der Verkehrsopfer, was sich namentlich aus § 53 (3) KFG. ergibt. Deshalb legt § 158c VersVG. den Versicherungsanstalten eine Last auf, von der sie sich in vielen Fällen nicht durch Rückgriff gemäß § 158f VersVG. befreien können. Eine solche Forderung ist ja oft uneinbringlich. Wer schuldlos einen Verkehrsunfall erleidet, soll damit rechnen können, daß er Ersatz erhält. Dies geschieht, um die Verkehrssicherheit zu gewährleisten. Es ist nicht einzusehen, warum die österreichischen Versicherer eine Last zur Wahrung der Verkehrssicherheit in Italien übernehmen sollten. Dies kann nicht der Zweck des Gesetzes (§ 6 ABGB.) sein. Das Pflichtversicherungsrecht hat öffentlichrechtlichen Charakter. Seine Bestimmungen und die zu seiner Durchsetzung erlassenen privatrechtlichen Vorschriften sind daher auf das Staatsgebiet beschränkt.
Nach herrschender Lehre und Rechtsprechung gilt auch für das österreichische Recht - obwohl es an einer ausdrücklichen Bestimmung fehlt - wie in Deutschland der Satz, daß eine verbotene Handlung nach den Gesetzen des Ortes, an dem sie begangen wurde, zu beurteilen ist, und zwar auch für deliktsähnliche Verpflichtungsgrunde, wie Haftung für fremdes Verschulden (Ehrenzweig, System[2] I 1 S. 113, Walker - Verdross - Satter bei Klang[2] I S. 213 ff., Köhler S. 132 f., Bolla S. 112 u. a.). Ein solcher Fall ist hier gegeben. Es folgt daraus, daß § 158c VersVG. für in Italien eingetretene Haftpflichtfälle nicht gilt (siehe auch Pienitz, AKB.[2] S. 83 ff., Prölss a. a. O., Stiefel - Wussow Anm. 7 zu § 2).
Es ist ohne rechtliche Bedeutung, daß der Verletzte einem Staat angehört, der eine gleiche Bestimmung zum Schutz der Verkehrsopfer enthält wie das österreichische Recht. Denn für die Beurteilung von Delikten und deliktsähnlichen Verpflichtungsgrunden kommt es auf die Staatsbürgerschaft des Verletzten nicht an, sondern bloß auf das Recht des Ortes, in dem sich das verpflichtende Ereignis abgespielt hat.
Eine Haftung der Beklagten nach § 158c VersVG. besteht daher nicht.
Ebensowenig kann aus der Unterlassung einer rechtzeitigen Anzeige gemäß § 55 (5) KFG. eine Haftung wegen Verschuldens abgeleitet werden. Zunächst sei bemerkt, daß noch gar nicht festgestellt ist, wann Robert L. das Mahnschreiben erhalten hat. Es wäre denkbar, daß er zwar schon in Verzug war, eine Anzeige der Beklagten, die notwendigerweise etwas später erfolgen mußte, aber nicht mehr den Antritt der Fahrt, auf der sich der Unfall ereignet hat, verhindert hätte. Entscheidend ist aber folgende Erwägung: Die Bestimmung des § 55 (6) KFG., nach der es verboten ist, Fahrzeuge zu verwenden, deren Haftpflichtversicherung nicht den Vorschriften entspricht, bezieht sich nur auf das Inland und nicht auf Fahrten in Ländern, in denen solche Vorschriften nicht bestehen. Es ist dabei auf obige Ausführungen, daß Gesetze zum Schutz der Verkehrsopfer nie weiterreichen können als die des Landes, in dem jeweils gefahren wird, zu verweisen. Wer durch sein Verschulden das verbotswidrige Verhalten eines anderen ermöglicht, hat allerdings dafür einzustehen. Der Lenker Robert L. hat aber gegen kein Gesetz verstoßen, als er in Italien die Fahrt mit einem Kraftwagen unternahm, hinsichtlich dessen keine Deckung durch eine Haftpflichtversicherung bestand. Zweck der österreichischen Vorschriften über die Versicherungspflicht ist nicht der Schutz von Personen, die in einem Lande, das eine solche nicht kennt, Verkehrsopfer geworden sind. Zur Begründung eines Schadenersatzanspruches ist es aber erforderlich, daß diejenigen Interessen verletzt wurden, deren Schutz die übertretene Vorschrift bezweckt (Entsch. JBl. 1956 S. 124 u. a.).
Es bleibt daher nur der zu 1. angeführte Rechtsgrund übrig. Mit Recht führt das Berufungsgericht aus, daß entgegen der Ansicht des Erstgerichtes die bisherigen Feststellungen noch nicht die rechtliche Folgerung begrunden, daß die Beklagte gegenüber Robert L. vertraglich zur Deckung verpflichtet gewesen sei. Es kommt jedoch nicht nur, wie die zweite Instanz meint, darauf an, wann Robert L. das Schreiben vom 11. Juli 1958 erhalten hat. Geht man mit dem Berufungsgericht davon aus, daß Robert L. lediglich in das mit der Vorbesitzerin Anna S. begrundete Versicherungsverhältnis eingetreten ist und er daher keine Polizze zu bekommen hatte, so würde § 1 (2) AKB. unanwendbar sein. Denn diese Bestimmung setzt voraus, daß der Versicherungsvertrag durch Zustellung der Polizze zustande kommt. Danach gilt die vorläufige Deckungszusage bis zur Einlösung der Polizze oder bis zu dem Zeitpunkt, zu dem sie erfolgen sollte. Das paßt naturgemäß nicht auf einen Fall, in welchem das Versicherungsverhältnis bereits besteht, da es von Gesetzes wegen (§§ 69, 158 h VersVG.) auf den Erwerber des Fahrzeuges übergegangen ist. Die Höhe der Prämie konnte Robert L. ohnedies aus der Polizze erfahren. Der Zeitpunkt, bis zu dem die vorläufige Deckungszusage galt, läßt sich daher ohne Kenntnis des genauen Inhaltes dieser Erklärung nicht feststellen. Da § 1 (2) AKB. hier nicht anwendbar ist, würde sie mangels einer anderen Erklärung wie jedes Dauerschuldverhältnis auf unbestimmte Zeit, also bis zu einer Kündigung, gegolten haben.
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