OGH 7Ob27/15v

OGH7Ob27/15v9.4.2015

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Hofrätin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und durch die Hofräte Dr. Höllwerth, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich und Dr. Singer als weitere Richter in der Unterbringungssache der Kranken Minderjährige A***** A*****, vertreten durch den Verein VertretungsNetz‑Sachwalterschaft, Patientenanwaltschaft, Bewohnervertretung (Patientenanwältin Mag. R***** G*****), 1130 Wien, Krankenhaus Hietzing, Riedelgasse 31, Pav. C, vertreten durch Mag. Nikolaus Weiser, Rechtsanwalt in Wien, Mutter D***** R***** A*****, Vater A***** G***** A*****, Abteilungsleiter Prim. Dr. R***** G*****, wegen Unterbringung, über den Revisionsrekurs des Vereins gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 4. Dezember 2014, GZ 43 R 647/14m‑38, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Hietzing vom 26. September 2014, GZ 19 Ub 89/14m‑20, ersatzlos aufgehoben wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0070OB00027.15V.0409.000

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird teilweise Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass der Beschluss lautet:

Der Beschluss nach § 26 Abs 1 UbG hat zu entfallen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Nachdem mit Beschluss vom 1. 8. 2014 die Unterbringung der Kranken für zwei Monate ab Beginn der Unterbringung (18. 7. 2014) für zulässig erklärt worden war, zeigte der Abteilungsleiter am 12. 9. 2014 die Notwendigkeit einer weiteren Unterbringung an. Noch an diesem Tag führte das Erstgericht die Erstanhörung durch; es erklärte die (weitere) Unterbringung vorläufig für zulässig und beraumte für den 26. 9. 2014 eine mündliche Verhandlung an.

In dieser Verhandlung erklärte das Erstgericht in Abwesenheit der am Vortag entwichenen Kranken die Unterbringung für unzulässig.

Das Rekursgericht hob aus Anlass des Rekurses des Abteilungsleiters den Beschluss ersatzlos auf. Auch wenn die Kranke ohne Aufhebung der Unterbringung entwichen sei, verletze die Durchführung der Verhandlung das im Unterbringungsverfahren verstärkt verankerte Recht auf Gehör; eine dennoch in Abwesenheit der Kranken gefällte Entscheidung sei nichtig. Eine Rückholung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Sinn der Judikatur des VwGH sei nach Ablauf der 14‑tägigen Frist des § 20 Abs 1 UbG gesetzlich nicht gedeckt und demnach im Zeitpunkt der Rekurserhebung unzulässig.

Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage der Voraussetzungen der Zulässigkeit einer Unterbringung für den Fall der Abwesenheit eines entwichenen Kranken in der Verhandlung bestehe.

Der gegen diesen Beschluss erhobene Revisionsrekurs des Vereins ist zulässig, er ist auch teilweise berechtigt.

1. Gelangt ‑ wie hier ‑ das Gericht bei der Erstanhörung zum Ergebnis, dass die Voraussetzungen der Unterbringung vorliegen, so hat es diese gemäß § 20 Abs 1 UbG vorläufig bis zur Entscheidung nach § 26 Abs 1 UbG für zulässig zu erklären und eine mündliche Verhandlung anzuberaumen, die spätestens innerhalb von 14 Tagen nach der Erstanhörung stattzufinden hat. Gemäß § 26 Abs 1 erster Satz UbG hat das Gericht am Schluss dieser in der Anstalt stattfindenden (vgl § 24 UbG, § 38c KAKuG) mündlichen Verhandlung, zu welcher unter anderem der Kranke zu laden ist (§ 22 Abs 2 UbG), für dessen Teilnahmemöglichkeit der Abteilungsleiter zu sorgen hat (§ 24 UbG), über die Zulässigkeit der Unterbringung zu entscheiden; der Beschluss ist gemäß § 26 Abs 1 zweiter Satz UbG in der Verhandlung in Gegenwart des Kranken zu verkünden, zu begründen und diesem zu erläutern. Die Entscheidungsbefugnis des Gerichts beschränkt sich dabei auf den feststellenden Ausspruch über die Zulässigkeit der Unterbringung. Es kann die Unterbringung weder anordnen noch aufheben; diese beiden Entscheidungen liegen in der Kompetenz des Abteilungsleiters ( Kopetzki , Grundriss des Unterbringungsrechts³ Rz 309; vgl auch RIS‑Justiz RS0113151).

2. Aus dem vorangeführten Regelungskomplex ist zu schließen, dass sich der Kranke im Zeitpunkt der nach § 26 Abs 1 UbG zu treffenden gerichtlichen Entscheidung ‑ über Anordnung des Abteilungsleiters ‑ auch faktisch in der Anstaltsunterbringung befinden muss. Dies ergibt sich nicht nur aus der gesetzlich vorgesehenen Beschlussfassung in der in der Anstalt unter Beteiligung des Kranken stattfindenden mündlichen Verhandlung, sondern auch aus dem Umstand, dass bis zu dieser Entscheidung die Unterbringung durch die Beschlussfassung nach § 20 Abs 1 UbG gedeckt ist. Vor diesem Hintergrund macht eine (weitere) Zulässigkeitsprüfung nur dann Sinn, wenn der Kranke im Zeitpunkt der Beschlussfassung nach § 26 Abs 1 UbG auch noch tatsächlich aufrecht untergebracht ist. Dies ist beispielsweise bei einem bewilligten Ausgang, nicht jedoch - wie hier - bei einem Entweichen des Kranken der Fall. Entweicht ein Kranker aus der Anstaltsunterbringung und ist es nicht möglich, diesen bis zur gerichtlichen Entscheidung nach § 26 Abs 1 UbG rückzuholen, hat eine solche (endgültig) zu unterbleiben. Bei einer verspäteten Rückführung ist keine Entscheidung nach § 26 Abs 1 UbG mehr zu fällen, sondern vielmehr ein neues Verfahren mit einer Erstanhörung durchzuführen (in diesem Sinn auch Kopetzki aaO Rz 327).

3. Ein Rechtsschutzdefizit ist mit dieser Vorgangsweise nicht verbunden, kann doch in dieser Situation ‑ wie im Fall einer zwischen Erstanhörung und der Entscheidung nach § 26 Abs 1 UbG erfolgten Entlassung des Kranken (vgl RIS‑Justiz RS0128581, RS0075964 [T2]) ‑ der Beschluss, mit dem die Unterbringung vorläufig für zulässig erklärt wurde, selbständig angefochten werden. Die Rechtsmittelfrist beginnt dann mit der Erkennbarkeit, dass die Entscheidung nach § 26 Abs 1 UbG entfällt (vgl Kopetzki aaO Rz 344 mwN). Dies ist mit Beschluss auszusprechen.

4. Demnach ist das Rekursgericht im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass kein Beschluss nach § 26 Abs 1 UbG zu fassen ist. Die Kranke entwich einen Tag vor der für den letzten Tag der 14‑tägigen Frist des § 20 Abs 1 UbG anberaumten mündlichen Verhandlung aus der Anstaltsunterbringung und wurde bis zu der nach § 26 Abs 1 UbG zu treffenden Entscheidung nicht rückgeholt. Damit hatte eine solche Entscheidung zu entfallen, was mit Beschluss auszusprechen ist.

5. In diesem Sinn sind daher in teilweiser Stattgebung des Rekurses des Vereins die Entscheidungen der Vorinstanzen abzuändern.

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