OGH 7Ob25/87

OGH7Ob25/8714.5.1987

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz, Dr. Warta, Dr. Egermann und Dr. Niederreiter als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Karl P***, Kaufmann, Königstetten, Peter-Rosegger-Straße 12, vertreten durch Dr. Wenzel Drögsler, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei V*** DER Ö*** B***,

Versicherungs AG, Wien 2., Untere Donaustraße 47, vertreten durch Dr. Ferdinand Neundlinger, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung (Streitwert 110.000 S), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 29. Jänner 1987, GZ. 2 R 90/86-45, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Handelsgerichtes Wien vom 12. Dezember 1985, GZ. 28 Cg 866/83-40, teils bestätigt und teils abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, dem Kläger die mit 7.577,85 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 1.920 S Barauslagen und 514,35 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger hat für einen LKW Renault, Baujahr 1982, bei der Beklagten eine Vollkaskoversicherung abgeschlossen, der die Allgemeinen Bedingungen für die Kasko- und Insassenunfallversicherung von Kraftfahrzeugen und Anhängern (AKIB) zugrundeliegen. Nach Art. 11 A I 2 e dieser Versicherungsbedingungen umfaßt die Versicherung die Beschädigung, die Zerstörung und den Verlust des Fahrzeuges durch Unfall, d.h. durch ein unmittelbar von außen her plötzlich mit mechanischer Gewalt einwirkendes Ereignis; Brems-, Betriebs- und reine Bruchschäden fallen nicht unter den Versicherungsschutz.

Am 18.5.1983 fuhr der Lenker des LKW auf einer Baustelle des Klägers in Kronau Richtung Langenlebarn. Dabei kam er auf der geraden, geschotterten, etwa 5 bis 6 m breiten Fahrbahn ins Schleudern und rutschte über die geschotterte und verdichtete, nicht sehr steile Böschung des Dammes. Das Fahrzeug kam etwas schräg, im Uhrzeigersinn verdreht mit dem rechten Vorderrad etwa 1,5 bis 2 m vom Wasser entfernt mit eingesunkenen Rädern zum Stehen. Der Fahrzeuglenker versuchte durch Rückwärtsfahren wieder auf die Fahrbahn zu gelangen. Als dies nicht möglich war, legte er beide Differentialsperren ein und versuchte - wiederum im Rückwärtsgang - herauszufahren. Da sich das Fahrzeug nicht bewegte, wurde es in der Folge nach hinten herausgezogen und derart auf den Lagerplatz geschleppt, daß es mit einer Abschleppstange bei laufendem Motor ohne eingelegten Gang geschoben wurde. Dort wurde ein Bruch der rechten Halbwelle der hinteren Hinterachse festgestellt. Es handelt sich um einen verformungslosen Gewaltbruch, der durch eine überhöhte Verdrehbeanspruchung bewirkt worden ist und der zustandekam, als die Halbachse eine dem Rückwärtsgang entsprechende Drehbewegung ausgeführt hatte. Der Bruch kann nicht durch einen während der Betriebszeit des Fahrzeuges aufgetretenen Schaden begünstigt worden sein.

Es liegen keine äußerlichen Deformationen oder durch Außenkontakt entstandenen Brüche vor.

Durch das Abkommen von der Fahrbahn ist nicht zu erwarten, daß die Halbwelle reißt. Dies ist eher von den Bergeversuchen aus eigener Kraft zu erwarten. Es ist nicht auszuschließen, aber unwahrscheinlich, daß durch das Herausziehen des Fahrzeuges mit fremder Kraft der Schaden entstanden ist.

Das Erstgericht hat das auf Feststellung des Versicherungsschutzes der Beklagten für das geschilderte Ereignis gerichtete Eventualbegehren (das Hauptbegehren auf Zahlung von 110.000 S s.A. wurde rechtskräftig abgewiesen) mit der Begründung abgewiesen, das Schadenereignis sei nicht auf einen Unfall, sondern auf einen Betriebsschaden zurückzuführen.

Das Berufungsgericht hat dem Eventualbegehren stattgegeben und hiebei die Rechtsansicht vertreten, das Schadenereignis sei als Unfall zu werten. Es hat ausgesprochen, daß der Wert des Streitgegenstandes 15.000 S, nicht aber 300.000 S übersteigt und die Revision für zulässig erklärt.

Die von der Beklagten gegen die Entscheidung des Berufungsgerichtes wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobene Revision ist nicht gerechtfertigt.

Rechtliche Beurteilung

Richtig hat das Berufungsgericht erkannt, daß die maßgebende Bestimmung der AKIB den Unfallschaden den Brems-, Betriebs- und reinen Bruchschäden gegenüberstellt. Ein Unfall ist nach diesen Bedingungen ein durch ein unmittelbar von außen her plötzlich mit mechanischer Gewalt einwirkendes Ereignis. Demgegenüber liegt ein Betriebsschaden dann vor, wenn der Schaden durch eine Einwirkung entstanden ist, der ein Kraftfahrzeug gewöhnlich ausgesetzt ist und die es ohne weiteres überstehen muß (SZ 38/90; JBl. 1970, 429, JBl. 1977, 599 ua.). Voraussetzung für die Annahme eines Unfalles ist daher seine Plötzlichkeit. Diese ist immer dann gegeben, wenn sich das Geschehen innerhalb eines kurzen Zeitraumes verwirklicht hat. Aber auch allmähliches Geschehen, soferne die Folgen für den Versicherungsnehmer unerwartet waren, fällt unter den Begriff des Unfalles. Der Schaden selbst muß nicht plötzlich entstanden sein (Prölss-Martin VVG23, 1074 f). Gehaftet wird nicht nur für die unmittelbar durch den Unfall verursachten Schäden, sondern für alle damit in adäquatem Kausalzusammenhang stehenden Folgen, die in einer Beschädigung oder Zerstörung des Kraftfahrzeuges bestehen (SZ 36/20; Prölss-Martin a.a.O., 1075). Im Gegensatz zum Betriebsschaden, der durch eine Gefahr herbeigeführt worden ist, die unter Berücksichtigung der Art, wie das Fahrzeug verwendet wurde, damit gewöhnlich verbunden ist und gewöhnlich auch überstanden wird, handelt es sich bei dem Unfall um ein außergewöhnliches Ereignis (SZ 41/54, SZ 38/90 u.a.). Der Umstand, daß das Ereignis durch ein im Einzelfall mehr oder weniger selten vorkommendes fahrlässiges Verhalten des jeweiligen Kraftfahrzeuglenkers verursacht wurde, ist kein Kriterium für den Unterschied zwischen dem Begriff "Unfall" bzw. "Betriebsschaden" (ZVR 1973/43 u.a.).

Der Revision ist zugegeben, daß die durch die üblichen Gefahren von Baustellen an Baustellenfahrzeugen verursachten Schäden im allgemeinen auf die Betriebsgefahr und nicht auf Unfälle zurückzuführen sein werden. Das Einsinken von Baufahrzeugen auf häufig noch nicht verfestigten Flächen der Baustellen wird demnach in der Regel einen Betriebsschaden verursachen und nicht als Unfall gewertet werden können. Nichts anderes bringen die in der Revision zitierten Entscheidungen zum Ausdruck.

Im vorliegenden Fall ist das klägerische Fahrzeug jedoch nicht auf einer nicht befestigten Baustellenfläche eingesunken, sondern von einem ausreichend befestigten Weg abgekommen und teilweise abgestürzt. Die Beurteilung eines Ereignisses als Unfall setzt nicht die Einwirkungen durch einen Dritten voraus. Auch das Abkommen eines Fahrzeuges von der Fahrbahn, etwa durch überhöhte Geschwindigkeit oder durch unrichtiges Lenkmanöver, ist ein Unfall. So wird das Schleudern auf glatter Straße, das meist auf Fahrfehler zurückzuführen ist, im allgemeinen als Unfall betrachtet (Prölss-Martin a.a.O., 1075 u.a.). Ob ein Fahrzeug infolge eines Fahrfehlers, wegen Straßenglätte oder wegen eines anderen Straßenzustandes von der Fahrbahn abkommt, ist für die Beurteilung als Unfall unerheblich. In beiden Fällen steht das Fahrverhalten des Lenkers in keinem angemessenen Verhältnis zum Zustand der Fahrbahn. Derartige Ereignisse haben nichts mit den Einwirkungen zu tun, denen ein Kraftfahrzeug gewöhnlich ausgesetzt ist und die es ohneweiters überstehen muß. Sie sind als außergewöhnlich anzusehen. Da sie plötzlich von außen auf das Fahrzeug einwirken, handelt es sich hiebei um Unfälle, die nach der erwähnten Bestimmung der AKIB unter Versicherungsschutz stehen.

Der Versuch der Bergung eines infolge eines Unfalles abgerutschten Kraftfahrzeuges stellt eine natürliche Folge des Unfalles dar. Die bei dem Bergungsversuch entstandenen Schäden sind daher adäquate Unfallsfolgen. Aus diesem Grunde hat die Versicherung auch jene Schäden zu decken, die bei einem Bergungsversuch infolge eines Unfalles entstanden sind. Daß der Bergungsversuch unter Umständen nicht sachgemäß durchgeführt wurde, spielt keine Rolle, weil eine solche unsachgemäße Bergung allenfalls ein Verschulden des Bergenden begründen kann, die Schuldhaftigkeit für die Beurteilung eines Ereignisses als Unfall oder Betriebsgefahr jedoch, wie bereits dargelegt, keine Rolle spielt. Der in diesem Zusammenhang in der Revision aufscheinende Hinweis auf § 61 VersVG ist nicht recht verständlich. Ein Wegfall des Versicherungsschutzes nach der genannten Gesetzesbestimmung hätte zur Voraussetzung, daß das Ereignis bei Fehlen grober Fahrlässigkeit Versicherungsschutz genießen würde. Eine Prüfung in Richtung nach § 61 VersVG hatte aber hier zu unterbleiben, weil die Beklagte eine entsprechende Einwendung nicht erhoben hat.

Die rechtliche Beurteilung durch das Berufungsgericht erweist sich sohin als richtig.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.

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