OGH 7Ob252/01m

OGH7Ob252/01m7.12.2001

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schalich als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Rohrer, Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Schaumüller und Dr. Kalivoda als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. Wolfram T*****, vertreten durch Dr. Josef Toth, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Verlassenschaft nach Richard G. K*****, verstorben am 15. November 2000, zuletzt wohnhaft gewesen in ***** vertreten durch Dr. Gerhard Semotan, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung (Streitinteresse S 400.000), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom 28. Juni 2001, GZ 15 R 232/00y-15, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 21. September 2000, GZ 8 Cg 130/99t-11, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben und dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Ergänzung des Verfahrens aufgetragen.

Die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Der während des Verfahrens verstorbene (vormalige) Beklagte war Eigentümer einer Liegenschaft in Wien. Die meisten Räume (im Wesentlichen Geschäftsräumlichkeiten) des darauf befindlichen Gebäudes wurden im März 1990 an eine Mietergesellschaft als Generalmieterin vermietet. Letztere hat ihrerseits Untermietverträge über einzelne Bestandobjekte abgeschlossen, darunter mit der damals zwischen dem Kläger und einem Partner bestehenden Rechtsanwaltskanzleigemeinschaft, welche ursprünglich an der unmittelbaren Anmietung vom Beklagten interessiert war. Der Kläger sowie sein damaliger Partner übernahmen die Bürgschaft für die Verpflichtungen der Mietergesellschaft aus deren zum Beklagten bestehenden Mietverhältnis und bestätigten mit Schreiben vom 28. 2. 1990 (Beilage 16) die Übernahme ihrer persönlichen uneingeschränkten Haftung. Nach Auflösung der Kanzleigemeinschaft im Jahre 1993 kündigte der Kläger am 6. 10. 1995 die von ihm übernommene Haftung gegenüber dem Beklagten auf. Daraufhin führte Letzterer als Kläger gegen den nunmehrigen Kläger als Beklagten zu 45 C 555/96b des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien einen Rechtsstreit auf Feststellung des aufrechten Bestandes der Bürgschaft, in welchem dem Klagebegehren in allen drei Instanzen stattgegeben wurde (letztinstanzliche Entscheidung OGH 23. 2. 1999, 1 Ob 326/98t). Der Oberste Gerichtshof sprach - zusammengefasst - aus, dass sich der Kläger (dort Beklagter) der Möglichkeit der Beendigung der Bürgschaft mittels ordentlicher Kündigung noch vor Auflösung des gesicherten Bestandverhältnisses begeben habe; die zur Begründung seiner Auflösungserklärung herangezogenen Umstände (Beendigung der Rechtsanwaltspartnerschaft sowie Ausscheiden seiner Gattin aus der Mietergesellschaft) rechtfertigten auch nicht die außerordentliche Kündigung der Bürgschaft.

Mit der nunmehr am 22. 12. 1999 eingebrachten Klage erhob der Kläger unter Erstattung eines äußerst umfangreichen und bis Schluss der Verhandlung erster Instanz auch mehrfach verbreiterten Vorbringens das Hauptbegehren, dass seine Bürgschaftshaftung vom 28. 2. 1990 durch Kündigungsschreiben vom 8. 11. 1999 mit Wirkung ex nunc beendet sei. Für den Fall der Abweisung des Hauptbegehrens stellte er auch zwei Eventualbegehren, und zwar (erstes Eventualbegehren), dass seine Bürgschaftshaftung aufgehoben sei, bzw (zweites Eventualbegehren) festgestellt werde, dass der Beklagte als Vermieter der Liegenschaft den Kläger als Bürgen des Mietvertrages für alle direkten und indirekten, mittelbaren und unmittelbaren Schäden zu haften habe, die daraus resultieren, dass der Beklagte vertragswidrigerweise den Umbau eines Teiles des Gebäudes, nämlich insbesondere des "Tanzsaales", behinderte, dadurch eine Benützung des Bestandobjektes durch namentlich genannte Untermieter vereitelte, sodass dem Generalmieter die aus diesem Untermietverhältnis erzielbaren Untermieteinkünfte entgangen sind.

Die beklagte Partei hat sämtliche Klagebegehren bestritten.

Das Erstgericht hat das Haupt- und beide Eventualbegehren abgewiesen. Es stellte - ohne weitere Beweisaufnahme - bloß den Inhalt der als Bürgschaftsverpflichtung qualifizierten Urkunde Beilage 16 fest und führte in rechtlicher Beurteilung (zusammengefasst) aus, dass das wenngleich umfangreiche Vorbringen des Klägers weitestgehend nur Vermutungen und Spekulationen (betreffend Verletzung von Schutz- und Sorgfaltspflichten des Beklagten, listige Irreführung etc) beinhalte und darüber hinaus auch "wenig nachvollziehbar" sei.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung, sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstandes über S 260.000 liege und die ordentliche Revision nicht zulässig sei, weil erhebliche Rechtsfragen im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO nicht zu lösen gewesen wären.

Das Berufungsgericht führte in rechtlicher Hinsicht aus, dass auch ein Bürgschaftsvertrag wie der vorliegende als Dauerschuldverhältnis grundsätzlich aus wichtigen Gründen aufgelöst werden könne, wenn einem Teil die Aufrechterhaltung des Vertragsverhältnisses billigerweise nicht zugemutet werden könne. Es lägen jedoch für eine Säumigkeit des Beklagten als Vermieter bei der Ausübung eines allfälligen Kündigungsrechtes keine Anhaltspunkte vor; ebenso könne "selbst wenn man die Richtigkeit des Klagevorbringens unterstellt" von einer relevanten Verletzung von Sorgfaltspflichten gegenüber dem Kläger als Bürgen durch den Beklagten als Gläubiger keine Rede sein. Die - vom Kläger auch als Beweismittel geführten - sonstigen Gerichtsverfahren zwischen dem Beklagten und der Mitgesellschaft besäßen hiefür keine Aussagekraft; Anhaltspunkte, woraus zu schließen wäre, dass das Vertrauensverhältnis zwischen der Beklagten und dem Mieter bzw dessen Bürgen zu erschüttert sei, seien nicht hervorgekommen. Der Kläger habe daher (zusammenfassend) insgesamt keine hinreichenden Gründe für eine außerordentliche Kündigung seiner Bürgschaftsverpflichtung vorgebracht. Dass der Beklagte den Kläger durch rechtswidrige, vorsätzliche Täuschung zu einem für das Eingehen der Bürgschaft kausalen Irrtum über den Umfang der Haftung oder das Risiko der Bürgschaft veranlasst hätte, lasse das Klagevorbringen ebenfalls nicht erkennen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die auf den Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung einschließlich mangelnder Tatsachenfeststellungen und mangelnder Beweisaufnahme infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung (sekundäre Verfahrensmängel) gestützte außerordentliche Revision der klagenden Partei mit dem Antrag, in Stattgebung des Rechtsmittels das bekämpfte Urteil im Sinne einer vollinhaltlichen Stattgebung des Klagebegehrens abzuändern; hilfsweise werden auch Aufhebungsanträge gestellt.

Die beklagte Partei hat nach Freistellung eine Revisionsbeantwortung erstattet, in welcher primär die Zurückweisung des Rechtsmittels wegen Fehlens der Zulässigkeitsvoraussetzungen, soweit vom Kläger Umstände geltend gemacht werden, die vor dem 29. 11. 1997 liegen, dies auch (offenbar) wegen res iudicata (im Verhältnis zum Vorverfahren 45 C 555/96b), in eventu dem Rechtsmittel nicht Folge zu geben beantragt wird.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist wegen gravierender Verletzungen von Verfahrensvorschriften zulässig und im Sinne des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrages auch berechtigt.

Die rechtliche Qualifikation und Auslegung der vom Kläger am 28. 2. 1990 mit dem Beklagten (nunmehr: dessen Verlassenschaft) geschlossenen Vereinbarung als Bürgschaftsvertrag auf unbestimmte Zeit ergibt sich aus der im bereits erwähnten Vorverfahren ergangenen und ausführlich begründeten Entscheidung 1 Ob 326/98t zwischen denselben Parteien, sodass zur Vermeidung von Wiederholungen hierauf vollinhaltlich verwiesen werden kann.

Zutreffend wird im Rechtsmittel gerügt, dass die Vorinstanzen - mit Ausnahme einer Wiedergabe dieser Bürgschaftsurkunde - keinerlei Beweisaufnahmen abgeführt und darauf fußende Feststellungen getroffen haben. Unter diesem Gesichtspunkt beruhen tatsächlich die Ausführungen beider Vorinstanzen, weil keinem der beidem Urteile klar und eindeutig zu entnehmen ist, dass bzw von welcher Sachverhaltsgrundlage ausgegangen wurde (weil eine solche ja gar nicht festgestellt worden ist), auf Vermutungen und Spekulationen zu einem nach derzeitiger Aktenlage vorerst nur fiktiv zu unterstellenden Sachverhaltssubstrat in Richtung der vom Kläger relevierten Auflösungs- und Anfechtungsgründe. Dem steht entgegen, dass nur wenn dem Urteil eines Berufungsgerichtes klar und eindeutig zu entnehmen ist, von welcher Sachverhaltsgrundlage es ausgegangen ist, eine abschließende rechtliche Prüfung durch den Obersten Gerichtshof möglich (2 Ob 2073/96h).

Dass eine Klageführung - ohne beim derzeitigen Verfahrensstand auf die unterschiedlichen Begehrensformulierungen im Einzelnen eingehen zu müssen - gerichtet auf Auflösung eines Dauerschuldverhältnisses aus wichtigen Gründen auch vor Ablauf der vereinbarten Zeit ohne Anwendung sonst zu beachtender Kündigungstermine und/oder Kündigungsfristen möglich und zulässig ist, hat auch das Berufungsgericht bereits zutreffend ausgeführt und entspricht dies auch der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes seit vielen Jahrzehnten (zusammengefasst in RIS-Justiz RS0018305, 0027780, 0018368, 0018377); dies hat auch unter Umständen bei vereinbarter Unkündbarkeit zu gelten (RIS-Justiz RS0018294). Dass auch eine Bürgschaft als Dauerschuldverhältnis entweder durch ordentliche oder durch außerordentliche Kündigung mit der Wirkung ex nunc beendet werden kann, hat der Oberste Gerichtshof in der bereits zitierten Vorentscheidung zwischen den Streitteilen 1 Ob 326/98t (ÖBA 1999, 822 = ecolex 1999, 203 = RdW 1999, 463 = immolex 1999, 203) ausgesprochen und begründet (RIS-Justiz RS0111691). Dass speziell die Bestimmung des § 1364 ABGB über ihren Wortlaut hinaus als Grundlage einer umfassenden, dem Gläubiger auch während der Dauer des Vertragsverhältnisses in Ansehung eines Bürgen obliegenden Sorgfaltspflicht verstanden wird, hat die jüngere Rechtsprechung ebenfalls bereits mehrfach betont und herausgearbeitet (SZ 70/182; RIS-Justiz RS0108422, 0032170, 0032306).

Ausgehend von diesen hier zufolge Nichtfeststehens eines ausreichend konkretisierten Sachverhaltes nur in dieser Allgemeinheit möglichen Rechtsgrundsätzen kann es dem Kläger daher nicht verwehrt sein, eine derartige Auflösungsklage gerichtet auf Beendigung seines Dauerschuldverhältnisses mit dem (vormaligen) Beklagten einzubringen. Da es - wie bereits mehrfach betont - vorliegendenfalls an jeglichem Tatsachensubstrat fehlt, handelt es sich auch bei jenen Ausführungen des Berufungsgerichtes, in denen "die Richtigkeit des Klagevorbringens unterstellt" wird, letztlich um eine ohne Beweisergebnisse vorgenommene vorgreifende Beweiswürdigung, die sich letztlich als Leerformel erweist. Die hiezu vom Berufungsgericht rechtlich gezogenen Schlussfolgerungen mögen durch die Rechtsprechung gedeckt und in casu zutreffend sein; dies zu beurteilen (und damit zu überprüfen) kann jedoch erst dann abschließend gelingen, wenn von den dazu aufgerufenen Tatsacheninstanzen auch ein entsprechend ausreichender Sachverhalt samt zureichender Beweiswürdigung (§ 272 ZPO) erhoben und festgestellt wurde. Dabei wird auch darauf Bedacht zu nehmen sein, dass allenfalls als ungenügend erachtete Angaben im Vorbringen des Klägers über die zur Begründung seines Anspruches geltend gemachten Umstände gemäß § 182 Abs 1 ZPO zu vervollständigen sind, wobei eine diesbezügliche richterliche Anleitungspflicht nach Rechtsprechung und Schrifttum erforderlichenfalls auch im Anwaltsprozess (Nachweise siehe Fucik in Rechberger, ZPO2 Rz 1 zu § 182) Platz zu greifen hat.

Leidet ein Verfahren deshalb an wesentlichen Mängeln, weil eine erschöpfende Erörterung und gründliche Beurteilung der Streitsache unterblieben ist, führt dies gemäß § 496 Abs 1 Z 2 ZPO zur Aufhebung (ebenso § 503 Z 2 ZPO für das Revisionsverfahren).

Mangels Spruchreife waren daher die Urteile beider Vorinstanzen aufzuheben und dem Erstgericht die aus dem Spruch ersichtliche Verfahrensergänzung samt neuerlicher Entscheidung aufzutragen.

Der Kostenvorbehalt ist in § 52 Abs 1 ZPO begründet.

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