Spruch:
Der Revision der klagenden Partei wird Folge gegeben und die angefochtene Berufungsentscheidung dahin abgeändert, daß sie zu lauten hat:
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei S 100.000,-- samt 4 % Zinsen seit 1.12.1991 sowie die mit S 54.055,56 (darin S 6.237,26 USt. und S 17.632,-- Barauslagen) bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Die beklagte Partei ist weiters schuldig, der klagenden Partei die mit S 9.553,80 (darin S 792,30 USt und S 4.800,-- Barauslagen) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit S 12.706,40 (darin S 1.014,40 USt und S 6.620,-- Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Vorinstanzen haben im ersten Rechtsgang folgenden Sachverhalt festgestellt:
Der Beklagte, der seinen PKW bei der klagenden Partei aufgrund der AKHB haftpflichtversichert hatte, besuchte am 23.8.1989 gegen 18,30 Uhr einen Bekannten in P***** und trank dort zwei Viertel Most. Bei der Rückfahrt um 21,20 Uhr wurde er auf dem Bahnübergang der K***** Landesstraße mit der Südbahn in P***** im Gemeindegebiet von St.G***** von einem entgegenkommenden PKW geblendet. Er bremste und fuhr im Zug der Bremsung mit dem linken Vorderrad gegen einen (nicht näher identifizierten) Gegenstand auf, sodaß es seinen PKW nach links verriß und er dadurch auf den Bahnkörper auffuhr und zwischen den beiden Geleisen zum Stillstand kam. Es gelang ihm nicht mehr, von dort wegzukommen. Als er das Geräusch eines herannahenden Zuges wahrnahm, sprang er unmittelbar vor dessen Eintreffen aus dem Auto. Der Zug erfaßte den PKW und schleifte ihn 300 m weiter, wobei der PKW und die Lokomotive in Brand gerieten. Der Beklagte wollte daraufhin telefonieren, es wurde ihm jedoch schwarz vor den Augen, er stieg die Böschung hinunter und verlor sein Bewußtsein. Er hat auch geweint. Er verweilte an dieser Stelle länger als eine Stunde. Dann ging er zu Fuß nach Hause. Er hat sich deshalb am Unfallsort nicht bei der Gendarmerie gemeldet, weil er nervlich am Ende war. Der Beklagte wurde um ca. 2,30 Uhr von zu Hause von der Gendarmerie abgeholt. Die Alkomatüberprüfung ergab, daß der Beklagte zu diesem Zeitpunkt einen Blutalkoholwert von 0,62 %o hatte. Die Konsumation von 2/4 Liter Most war nicht der Grund dafür, daß sich der Beklagte nicht unmittelbar nach dem Unfall beim nächsten Gendarmerieposten gemeldet hat. Der Beklagte wurde mit Strafverfügung der Bezirkshauptmannschaft St.V***** vom 20.10.1989 rechtskräftig wegen Verletzung der ihm obliegenden Meldepflicht nach § 4 Abs.5 StVO zu einer Geldstrafe verurteilt. Die vom Beklagten beschriebene Bewußtlosigkeit entspricht medizinisch einer Synkope. Derartige Zustände sind einer Unzurechnungsfähigkeit gleichzuhalten. Dieser Zustand endete beim Beklagten erst mit dem Einlangen in seinem Heim. Viele derartiger Patienten erholen sich nach einer derartigen Attacke rasch. Das Entfernen des Beklagten vom Unfallsort stellt eine abnorme Erlebnisreaktion mit begleitender Bewußtseinsstörung dar und entspricht einer psychogenen Einengung des Bewußtseins. Derartige Bewußtseinsstörungen werden durch schon bestehende Hirnleistungsschwächen gefördert. Der Beklagte war mit der (Unfall-)Situation überfordert und hat mit einem Fluchtverhalten reagiert.
Nach Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen im ersten Rechtsgang durch den Obersten Gerichtshof hat die erste Instanz im zweiten Rechtsgang noch ergänzend festgestellt:
Die Fußstrecke, die der Beklagte von seinem Verweilpunkt ca. 200 m von der Bahnübersetzung bis nach Hause (über die Landesstraße und nicht über die kürzere Verbindung über die Bundesstraße) zurücklegte, beträgt 12,1 km. Beim Nachhausegehen hat sich der Beklagte zweimal ausgerastet, indem er sich hingesetzt hat.
Unmittelbar nach dem Eintreffen des Beklagten um ca. 2 Uhr bis 2,15 Uhr in der Nacht wurde die Gendarmerie verständigt. Der Beklagte war bei seinem Eintreffen verwirrt, seine Tochter hat ihm neues Gewand und Beruhigungstabletten verabreicht.
Die klagende Haftpflichtversicherung brachte vor, aufgrund des Unfalls einen Gesamtschaden von S 834.103,-- beglichen zu haben. Der Beklagte habe es unterlassen, den Unfall ohne unnötigen Aufschub der nächsten Polizei- oder Gendarmeriedienststelle zu melden. Aufgrund dieser Obliegenheitsverletzung sei die Klägerin bis zu einem Betrag von S 100.000,-- leistungsfrei.
Der Beklagte beantragte die Klagsabweisung. Er wendete ein, nur wegen eines ihn blendenden entgegenkommenden Fahrzeuges versehentlich auf den Bahnkörper gelangt zu sein. Er habe einen Unfallsschock erlitten und sei nicht in der Lage gewesen, die Gendarmerie zu verständigen. Er habe diese Verständigung nach Beendigung des Schocks, als er nach Hause gekommen sei, nachgeholt. Der Beklagte sei unzurechnungsfähig gewesen und habe daher keine Obliegenheitsverletzung zu verantworten.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren auch im zweiten Rechtsgang ab, weil dem Beklagten wegen des erlittenen Schocks die unterlassene Verständigung der Gendarmerie nicht zum Vorwurf gemacht werden könne. In seiner Beweiswürdigung kam das Erstgericht zum Ergebnis, daß der nunmehrigen Aussage des Beklagten ein realistischer Zeitraster zugrundeliege. Damit sei die Feststellung im nachvollziehbaren Ausmaß zu treffen gewesen, daß der Beklagte unmittelbar nach Einlangen in seinem Haus und der damit zusammenfallenden Beendigung seiner Unzurechnungsfähigkeit die Gendarmerie verständigt habe.
Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und erklärte die Revision für unzulässig.
Die Feststellung, daß der Beklagte bei seinem Eintreffen in seinem Heim verwirrt gewesen sei, wurde vom Berufungsgericht infolge mangelnder Deckung in den Verfahrensergebnissen und daher als aktenwidrig nicht übernommen. Ein Eingehen auf die Tatsachenrüge der Klägerin, dem Beklagten sei der Umstand nicht vorgehalten worden, daß er rund sechs Stunden nach dem Unfall nicht aufklären konnte, warum er immer noch über einen Blutalkoholwert von 0,62 %o verfügte, hielt das Berufungsgericht für nicht erforderlich, weil sich die Klägerin nicht auf eine Alkoholisierung des Beklagten berufen habe. In welchem Umfang die objektivierte Alkoholisierung des Beklagten auf seine Unglaubwürdigkeit Schlüsse ziehen lasse, könne daher dahingestellt bleiben, weil die entscheidungswesentlichen Feststellungen des Erstgerichtes, soweit sie auch auf den Angaben des Beklagten als Partei beruhten, durch objektive Beweisergebnisse, insbesondere durch die Angabe seiner Tochter, gedeckt seien. Die "Feststellung", daß der Beklagte in bezug auf seine Flucht unzurechnungsfähig gewesen sei, sei daher unbedenklich. Der Beklagte sei daher ab dem Beginn des Schockes bis zu seinem Eintreffen in seinem Heim nicht in der Lage gewesen, das Unrechtmäßige seines Handelns einzusehen und sich dieser Einsicht gemäß zu verhalten. Damit sei dem Beklagten der Kausalitätsgegenbeweis gelungen.
Rechtliche Beurteilung
Die gegen diese Entscheidung von der Klägerin erhobene Revision ist zulässig und berechtigt.
Im vorangegangenen Aufhebungsbeschluß vom 13.4.1994 zu 7 Ob 16/94 führte der erkennende Senat aus, daß es nach Nachweis einer Obliegenheitsverletzung im Sinne des § 8 Abs.2 Z 2 AKHB 1988 durch den klagenden Versicherer Sache des beklagten Versicherungsnehmers ist, zu beweisen, daß er die ihm vorgeworfene Obliegenheitsverletzung weder vorsätzlich noch grob fahrlässig begangen hat. Er trug dem Erstgericht die Anlegung eines strengen Maßstabes bei der Beweiswürdigung hinsichtlich der Aussage des Beklagten zur Erbringung des Kausalitätsgegenbeweises auf, weil die Obliegenheit nach § 8 Abs.2 Z 2 AKHB dazu diene, die eigenen Angaben des Versicherten überprüfbar zu machen, zumal der festgestellte Tatsachenablauf vor und nach dem Unfall allein aufgrund der Angaben des Beklagten beruhe, ebenso auch das vom Erstgericht eingeholte Sachverständigengutachten. Der erkennende Senat sprach aus, daß die zitierte Bestimmung die Möglichkeit ausschließe, daß ein Versicherter vorerst durch sein Verhalten die Aufklärung verhindert, dann aber die fehlenden Aufklärungsschritte durch eigene Angaben ersetzt. Dementsprechend kam der erkennende Senat zum Ergebnis, daß die Übernahme von Parteiangaben bzw. von auf diesen Parteiangaben fußenden Sachverständigengutachten dann keine taugliche Feststellungsgrundlage darstelle, wenn der Verdacht, daß eine Verschleierungshandlung bzw eine Beweisunterdrückung zum Nachteil der Versicherung vorliegt, nicht zweifelsfrei widerlegt wird. Bei anderer Ansicht bliebe der durch ein Verhalten des Versicherten geschaffene Beweisnotstand des Versicherers, dem die im § 8 Abs.2 Z 2 AKHB statuierte Obliegenheit entgegenwirken soll, sanktionsfrei. Die Vorinstanzen haben diese vom erkennenden Senat festgehaltenen Erwägungen nicht beachtet. Auch die im zweiten Rechtsgang hinzugekommene Aussage der Tochter des Beklagten gibt über den allein entscheidenden Zeitraum vor und nach dem Unfall keine neuen Erkenntnisse wieder; ihre Angaben können die Aussage des Beklagten nicht objektivieren. Aktenwidrig ist die Annahme des Berufungsgerichtes, die klagende Versicherung habe eine Alkoholisierung des Beklagten im Unfallszeitpunkt gar nicht behauptet; denn die klagende Partei hat sich in ihrem Schriftsatz ON 4 (AS 15) ausdrücklich darauf bezogen, daß der beim Beklagten nach seinem Eintreffen in seinem Heim festgestellte Alkoholgehalt seiner Atemluft, zurückgerechnet auf den Unfallszeitpunkt, einen Blutalkoholwert von mindestens 1 %o ergibt und daß dieser Umstand ein nicht unwesentliches Motiv dafür gewesen sein mag, vorsätzlich die Meldung des Unfalles zu unterlassen. (Der Vorwurf einer Obliegenheitsverletzung iS des § 6 Abs.2 Z 2 AKHB war zufolge Fehlens einer in der genannten Bestimmung erwähnten Entscheidung nicht möglich.) Wenn das Erstgericht - allerdings allein aufgrund der Angaben des Beklagten - noch in dem im ersten Verfahrensgang ergangenen Urteil die Konsumation von Alkohol (allerdings nur von 2/4 Liter Most) nicht als Grund dafür ansah, daß der Beklagte den Vorfall nicht gleich bei der Gendarmerie gemeldet hat (vgl AS 71 = S.5 der Urteilsausfertigung), wird im zweiten Rechtsgang auf die Alkoholisierung des Beklagten mit keinem Wort Bezug genommen. Dies wird vom Berufungsgericht gebilligt. Damit haben beide Vorinstanzen den Auftrag im Aufhebungsbeschluß des Obersten Gerichtshofes sich mit der Tatsache, daß der Beklagte im Unfallszeitpunkt alkoholisiert war, auseinanderzusetzen, mißachtet.
Mit dem dem klagenden Versicherer gelungenen Nachweis einer wie hier vorliegenden wesentlichen Obliegenheitsverletzung des Versicherungsnehmers lastet daher auf diesem beim vorliegenden Feststellungsstand der Verdacht einer Beweisunterdrückung. Wie bereits dargelegt, wäre der Beklagte verpflichtet gewesen, den Beweis zu führen, daß der Verdacht der Alkoholisierung völlig unbegründet ist und daß andere Umstände dazu geführt haben, daß die Unfallsmeldung unterblieben ist. Der Beklagte wäre zu einer nachvollziehbaren Aufklärung seiner früheren Angaben, nur zwei Viertel Liter Most getrunken zu haben, bei dem dazu im Widerspruch stehenden Ergebnis der Alkoholüberprüfung seiner Atemluft sechs Stunden nach dem Unfall gezwungen gewesen. Dies hat er aber unterlassen. Weitere Beweise für die eingeschränkte Zurechnungsfähigkeit des Beklagten sind daher im zweiten Rechtsgang nicht hervorgekommen. Nach der vorliegenden Feststellungslage enthalten daher die Angaben des Beklagten eine entscheidende Lücke über den Geschehensablauf. Das medizinische Sachverständigengutachten über seine eingeschränkte Zurechnungsfähigkeit beruht weiterhin nur auf den Angaben des Beklagten; es reicht daher für einen Kausalitätsgegenbeweis, wie bereits ausgeführt wurde, nicht aus. Mit der im ersten Rechtsgang getroffenen Feststellung, daß der Beklagte kurze Zeit vor dem Unfall alkoholische Getränke zu sich genommen hat, hat die klagende Versicherung den Verdacht einer Alkoholisierung nachgewiesen; die vom Erstgericht in Entkräftung dieses Verdachtes getroffene Feststellung, daß der Genuß von (nur) 2/4 Liter Most nicht die Ursache für die unterlassene Gendarmerieanzeige war, beruht aber allein auf den Angaben des Beklagten. Es würde den Sinn des Kausalitätsgegenbeweises ad absurdum führen, derartige Angaben, die den Verdacht einer Beweisunterdrückung nicht nachvollziehbar beseitigen, zur Grundlage für die Annahme zu machen, daß ein anderer Geschehensablauf Ursache der unterlassenen Aufklärung gewesen ist. Der Vorwurf, die Obliegenheit nach § 8 Abs.2 Z 8 AKHB vorsätzlich und in Verschleierungsabsicht verletzt zu haben, wurde daher vom Beklagten nicht wirksam entkräftet.
Es war deshalb der Revision der Klägerin stattzugeben und die Berufungsentscheidung in eine Klagsabweisung abzuändern.
Die Entscheidung über die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens gründet sich auf § 41 ZPO, jene über die Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens auf die §§ 41 und 50 ZPO.
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