Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben. Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Dem Erstgericht wird eine nach Verfahrensergänzung zu treffende neue Entscheidung aufgetragen.
Die Berufungs- und Revisionskosten bilden weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung
Die Vorinstanzen haben folgenden Sachverhalt festgestellt:
Der Beklagte, der seinen PKW bei der klagenden Partei aufgrund der AKHB haftpflichtversichert hatte, besuchte am 23.8.1989 gegen 18,30 Uhr einen Bekannten in Pa***** und trank dort zwei Viertel Most. Bei der Rückfahrt um 21,20 Uhr wurde er auf dem Bahnübergang der K***** Landesstraße mit der Südbahn in Pö***** im Gemeindegebiet von St.G***** von einem entgegenkommenden PKW geblendet. Er bremste und fuhr im Zug der Bremsung mit dem linken Vorderrad gegen einen (nicht näher identifizierten) Gegenstand auf, sodaß es seinen PKW nach links verriß und er dadurch auf den Bahnkörper auffuhr und zwischen den beiden Geleisen zum Stillstand kam. Es gelang ihm nicht mehr, von dort wegzukommen. Als er das Geräusch eines herannahenden Zuges wahrnahm, sprang er unmittelbar vor dessen Eintreffen aus dem Auto. Der Zug erfaßte den PKW und schleifte ihn 300 m weiter, wobei der PKW und die Lokomotive in Brand gerieten. Der Beklagte wollte daraufhin telefonieren, es wurde ihm jedoch schwarz vor den Augen, er stieg die Böschung hinunter und verlor sein Bewußtsein. Er hat auch geweint. Er verweilte an dieser Stelle länger als eine Stunde. Dann ging er zu Fuß nach Hause. Er hat sich deshalb am Unfallsort nicht bei der Gendarmerie gemeldet, weil er nervlich am Ende war. Der Beklagte wurde um ca. 2,30 Uhr von zu Hause von der Gendarmerie abgeholt. Die Alkomatüberprüfung ergab, daß der Beklagte zu diesem Zeitpunkt einen Blutalkoholwert von 0,62 %o hatte. Der Beklagte wurde mit Strafverfügung der Bezirkshauptmannschaft St.V***** vom 20.10.1989 rechtskräftig wegen Verletzung der ihm obliegenden Meldepflicht nach § 4 Abs.5 StVO zu einer Geldstrafe verurteilt. Die vom Beklagten beschriebene Bewußtlosigkeit entspricht medinisch einer Synkope. Derartige Zustände sind einer Unzurechnungsfähigkeit gleichzuhalten. Dieser Zustand endete beim Beklagten erst bei seinem Einlangen in seinem Heim. Viele derartiger Patienten erholen sich nach einer derartigen Attacke rasch. Das Entfernen des Beklagten vom Unfallsort stellt eine abnorme Erlebnisreaktion mit begleitender Bewußtseinsstörung dar und entspricht einer psychogenen Einengung des Bewußtseins. Derartige Bewußtseinsstörungen werden durch schon bestehende Hirnleistungsschwächen gefördert. Der Beklagte war mit der (Unfall-)Situation überfordert und hat mit einem Fluchtverhalten reagiert.
Die klagende Haftpflichtversicherung brachte vor, aufgrund des Unfalls einen Gesamtschaden von S 834.103,-- beglichen zu haben. Der Beklagte habe es unterlassen, den Unfall ohne unnötigen Aufschub der nächsten Polizei- oder Gendarmeriedienststelle zu melden. Aufgrund dieser Obliegenheitsverletzung sei die Klägerin bis zu einem Betrag von S 100.000,-- leistungsfrei.
Der Beklagte beantragte die Klagsabweisung. Er wendete ein, nur wegen eines ihn blendenden entgegenkommenden Fahrzeuges versehentlich auf den Bahnkörper gelangt zu sein. Er habe einen Unfallsschock erlitten und sei nicht in der Lage gewesen, die Gendarmerie zu verständigen. Er habe die Verständigung nach Beendigung des Schocks, als er nach Hause gekommen sei, nachgeholt. Der Beklagte sei unzurechnungsfähig gewesen und habe daher keine Obliegenheitsverletzung zu verantworten.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab, weil dem Beklagten aufgrund des erlittenen Schocks die unterlassene Verständigung der Gendarmerie nicht zum Vorwurf gemacht werden könne.
Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und erklärte die Revision für unzulässig. Die Frage, ob der Beklagte durch den Unfallsschock bis zur Rückkehr in sein Heim unzurechnungsfähig gewesen sei, stelle eine Rechtsfrage dar. Dem Beklagten könne kein Vorwurf nach § 6 Abs.3 VersVG gemacht werden.
Rechtliche Beurteilung
Die gegen diese Entscheidung erhobene Revision der klagenden Partei ist berechtigt.
Im vorliegenden Fall hat der Versicherer den objektiven Tatbestand der Obliegenheitsverletzung iS des § 8 Abs 2 Z 2 AKHB 1988, nach Möglichkeit zur Feststellung des Sachverhalts beizutragen (Unterlassung der Meldung des Unfalles bei der Gendarmerie), durch den beklagten Versicherungsnehmer nachgewiesen. Es war daher Sache des beklagten Versicherungsnehmers, zu beweisen, daß er die ihm nachgewiesene Obliegenheitsverletzung weder vorsätzlich noch grob fahrlässig begangen hat (vgl. SZ 46/106, zuletzt VR 1993, 103). In diesem Zusammenhang hat es das Erstgericht unterlassen, festzustellen, wann der Beklagte wieder in seinem Heim angelangt ist (= nach Auffassung der Vorinstanzen die Beendigung seiner Unzurechnungsfähigkeit) und wieviel Zeit er bis zum Abholen durch die Gendarmerie verstreichen ließ. Die unterlassene Meldung bei der Gendarmerie, daß er sich zu Hause eingefunden hat (vgl. hiezu allerdings auch die Anzeige des Gendarmeriepostens L***** vom 30.8.1989, Blatt 4) und ein Zuwarten bis zum Einlangen der Gendarmerie könnte dem Beklagten bereits deshalb als Obliegenheitsverletzung nach § 8 Abs.2 Z 2 AKHB vorgeworfen werden, weil daraus seine Absicht abgeleitet werden könnte, sich solange wie möglich dem Gendarmerieverhör und damit auch einer Alkoholüberprüfung zu entziehen. Ist der Zustand der Unzurechnungsfähigkeit beendet, so muß vom Versicherungsnehmer eine umgehende Meldung bei der Gendarmerie oder Polizei verlangt werden, muß er sich doch im klaren sein, daß auf ihm der Verdacht der Fahrerflucht und der weitere Verdacht, daß er sich Erhebungen zu entziehen sucht, lastet. Allein aus diesem Grund waren die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben. Bei Erbringung des Kausalitätsgegenbeweises durch den Beklagten werden die Vorinstanzen im fortgesetzten Verfahren bei der Beweiswürdigung strenge Maßstäbe anzulegen haben (vgl. Petrasch, Der Sachverständige Heft 3/1984, 13). Der Oberste Gerichtshof hat bereits mehrfach klargelegt, daß die Obliegenheit nach § 8 Abs.2 Z 2 AKHB dazu dient, die eigenen Angaben des Versicherten überprüfbar zu machen. Diese Bestimmung schließt daher die Möglichkeit aus, daß der Versicherte vorerst durch seine Weigerung die Aufklärung verhindert, dann aber die fehlenden Aufklärungsschritte durch seine eigenen Angaben ersetzen will. Aus diesem Grund wurde die bloße Parteiaussage des Versicherten zur Erbringung des Kausalitätsgegenbeweises als untauglich abgelehnt (vgl. Petrasch aaO, VersR 1986, 51 uva). Einen Gegenbeweis durch ein Sachverständigengutachten, das sich ausschließlich auf Angaben des Versicherten, der vorerst die Aufklärung verhindert hatte, stützt, hat der Oberste Gerichtshof als nicht ausreichend erachtet (ZVR 1989/110). Der erkennende Senat verschließt sich nicht der Kritik von Lorenz (VR 1993, 81 ff), hält jedoch daran fest, daß die Übernahme von Parteienangaben bzw. von auf diesen Parteienangaben fußenden Sachverständigengutachten dann keine tauglichen Feststellungsgrundlage für die Erbringung des Kausalitätsgegenbeweises darstellt, wenn der Verdacht, daß eine Verschleierungshandlung bzw. eine Beweisunterdrückung zum Nachteil der Versicherung vorliegt, nicht zweifelsfrei widerlegt wird. Bei anderer Ansicht bliebe der durch ein Verhalten des Versicherten geschaffene Beweisnotstand des Versicherers, dem die in § 8 Abs 2 Z 2 AKHB statuierte Obliegenheit entgegenwirken soll, sanktionsfrei.
Im vorliegenden Fall haben die Vorinstanzen unbeachtet gelassen, daß ein beim Beklagten um 2,30 Uhr festgestellter Blutalkoholwert von 0,62 %o auf den Unfallszeitpunkt zurückgerechnet einen Blutalkoholwert von mehr als 1 %o ergibt. Der Alkomattest wurde zwar vom Verfassungsgerichtshof nicht mehr als unwiderlegbares Beweisergebnis gewertet (JBl. 1993, 520); nach der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes 7 Ob 1040/93 vom 15.12.1993 stellt er dennoch ein durchaus taugliches Beweismittel dar.
Das Erstgericht wird daher im fortgesetzten Verfahren die Strecke, die der Beklagte vom Unfallsort bis zu seinem Heim zurückgelegt hat sowie sein zeitliches Eintreffen dort zu erheben und festzustellen haben; es wird dem Beklagten auch die vorerwähnten Erwägungen über das Ergebnis des Alkomattests vorzuhalten haben und diese bei der Beweiswürdigung nicht unberücksichtigt lassen dürfen. Am Beklagten wird es liegen, den auf ihm lastenden Verdacht der Verschleierung nachvollziehbar zu widerlegen.
Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 50 ZPO.
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