Spruch:
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung
Der Kläger ist auf Grund eines von seinem Vater abgeschlossenen Versicherungsvertrages bei der Beklagten rechtsschutzversichert. Die Versicherung umfasst neben Privatrechtsschutz als Zusatzleistung auch eine „Ausfallsversicherung für gerichtlich bestimmte Ansprüche aus Körperschäden", deren Bedingungen in einer Nachtragspolizze aufgeführt sind. Diese Bedingungen enthalten unter anderem folgende Bestimmungen:
„2. Was ist versichert?
2.1. In Ergänzung des in ARB Art 6 vorgesehenen Versicherungsschutzes ersetzt der Versicherer in Versicherungsfällen des Schadenersatz-Rechtschutzes mit Personenschäden diejenigen Ansprüche des Versicherungsnehmers auf Schmerzengeld (§ 1325 ABGB) und Verunstaltungsentschädigung (§ 1326 ABGB), die beim Schädiger uneinbringlich sind.
2.2. Ersatzfähig sind Ansprüche gemäß Pkt. 2.1., die im Rahmen eines Zivilprozesses durch gerichtlich beauftragte Sachverständige festgestellt und durch ein staatliches Gericht zuerkannt werden; ...."
Am 15. 6. 2002 wurde der Kläger durch einen tätlichen Angriff des Armin H***** schwer verletzt. Nach Einholung eines fachärztlichen (Privat-)Gutachtens brachte er gegen den Schädiger eine Klage auf Schadenersatzleistung (unter anderem) von EUR 14.000,-- an Schmerzengeld ein. Er erwirkte ein Versäumungsurteil, das in Rechtskraft erwuchs. In der Folge blieb eine Fahrnis- und Forderungsexekution gegen den Schädiger erfolglos.
Der Kläger begehrt von der Beklagten aus der Ausfallsversicherung EUR 14.000,- -. Sein gerichtlich in dieser Höhe festgestellter Schmerzengeldanspruch gegen den Schädiger sei uneinbringlich.
Die Beklagte beantragt Klagsabweisung. Das im Punkt 2. der Bedingungen enthaltene weitere Erfordernis der Feststellung des Anspruches durch einen im Rahmen eines Zivilprozesses gerichtlich beauftragten Sachverständigen sei nicht erfüllt; ein vom Kläger vor dem Prozess eingeholtes Privatgutachten reiche nicht aus. Die Forderung gegen den Schädiger sei auch nicht uneinbringlich, weil erwartet werden könne, dass sie von einem Schüler in den dem Kläger verbleibenden 27 Jahren einbringlich gemacht werden könne.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Die Auffassung des Klägers, die Bestimmung des Punktes 2.2. der Nachtragspolizze sei im Sinn des § 879 Abs 3 ABGB nichtig, sei zu teilen; die betreffende Klausel benachteilige den Versicherungsnehmer gröblich. Das vom Kläger vor dem Zivilprozess gegen den Schädiger eingeholte Gutachten eines Privatsachverständigen reiche zur Objektivierung der Ansprüche aus.
Das Berufungsgericht hob das Urteil des Erstgerichtes auf und trug diesem eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. Es sei allgemein bekannt, dass Privatgutachten die notwendige Objektivität mangeln könne. Dem Interesse der Beklagten, Ersatzbeträge im Rahmen der Ausfallsversicherung erst nach gerichtlicher Objektivierung leisten zu müssen, stehe gegenüber, dass es dem Kläger mangels Streiteinlassung des Schädigers unmöglich gewesen sei, die Voraussetzung der Anspruchsfestsetzung durch einen gerichtlich beauftragten Sachverständigen zu erfüllen. Dies könne aber nicht zur Leistungsfreiheit des Versicherers führen. Nach § 6 Abs 1 Z 10 KSchG seien Vertragsbestimmungen, die eine fremdbestimmte Leistungskontrolle vorsehen, nichtig. Im Rahmen des Versicherungsrechtes sei vielfach vorgesehen, dass über die Höhe des Schadens oder über einzelne Anspruchsvoraussetzungen Sachverständige entscheiden sollten. In der Rechtsschutzversicherung müsse der Vertrag ein Schiedsgutachterverfahren über das Vorgehen zur Beilegung des Streitfalles, für den Deckung begehrt werde, vorsehen. Soweit die strittige Klausel die Verpflichtung zur Leistung der Versicherung von vornherein von der Objektivierung durch ein Gericht abhängig mache, könne darin keine gröbliche Benachteiligung des Versicherungsnehmers erblickt werden. Eine solche läge nur vor, wenn der Versicherer aus Umständen, die in der Sphäre des Schädigers lägen, von einer Leistung befreit werden könnte. Bei richtigem Verständnis der zu beurteilenden Klausel liege eine Leistungsbefreiung nicht vor. Es gebe keine Hindernisse, die Ansprüche des Klägers im Rahmen des Prozesses mit der Beklagten auf die vorgesehene Weise klären zu lassen. Der Rechtssatz, dass ein Deckungsprozess einen Haftpflichtprozess nicht vorwegnehmen dürfe, stehe dem nicht entgegen. Grund für dieses Vorwegnahmeverbot sei nämlich, dass Beweisaufnahmen in einem Deckungsprozess überflüssig seien, weil sie ohnedies keine Bindungswirkung für den Haftpflichtprozess erzeugten. Ein Sachverständigenverfahren (Schiedsverfahren) nach § 158 l Abs 1 VersVG sei nur fakultativ vorgesehen. Der Kläger habe durch die Prozessführung zu erkennen gegeben, nicht von der Möglichkeit eines Sachverständigenverfahrens Gebrauch machen zu wollen. Die ihm zustehenden Schmerzengeldansprüche seien daher der Höhe nach im vorliegenden Verfahren zu überprüfen. Entgegen der Meinung der Beklagten sei die Ansicht des Erstgerichtes, die Forderung des Klägers sei nach Durchführung erfolgloser Exekutionsmaßnahmen als uneinbringlich anzusehen, nicht zu beanstanden. Anhaltspunkte, dass die Forderung in angemessener Frist einbringlich gemacht werden könnte, lägen nicht vor und seien von der Beklagten auch gar nicht behauptet worden. Auch ein Ausfallsbürge, der vom Gläubiger in Anspruch genommen werde, habe nach erfolgloser Exekution gegen den Hauptschuldner substantiiert zu behaupten, dass weitere Exekutionsschritte sinnvoll und erfolgversprechend gewesen wären. Es wäre daher an der Beklagten gelegen, konkretes Vorbringen zu erstatten und zu beweisen, dass der Kläger in absehbarer Zeit zu Vermögen gelangen werde. Die Uneinbringlichkeit der Forderung sei nach zwei erfolglosen Exekutionsschritten daher gegeben. Das Erstgericht werde eine Verfahrensergänzung durch Einholung des beantragten medizinischen Sachverständigengutachtens vorzunehmen und die Schmerzengeldansprüche der Höhe nach zu bestimmen haben.
Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei, weil die Auslegung von Klauseln in Versicherungsbedingungen und AGB über den Einzelfall hinausgehende Rechtsfragen von erheblicher Bedeutung sei.
Gegen den Aufhebungsbeschluss richtet sich der Rekurs der Beklagten, die unrichtige rechtliche Beurteilung geltend macht und beantragt, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, dass die Klage abgewiesen werde.
Der Kläger beantragt in seiner „Revisionsrekursbeantwortung" (richtig Rekursbeantwortung), das Rechtsmittel seiner Prozessgegnerin entweder als unzulässig zurückzuweisen oder ihm nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig; er ist aber nicht berechtigt.
Die Rekurswerberin macht vor allem geltend, dass die maßgebliche Klausel 2.2. der Versicherungsbedingungen entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes nicht ausdehnend interpretiert werden dürfe; es sei vielmehr eine (bloße) Wortinterpretation geboten. Diese führe zum Ergebnis, dass bei Vorliegen eines Versäumungsurteiles mangels Feststellung des Anspruches durch einen gerichtlich beauftragten Sachverständigen stets keine Leistungspflicht des Versicherers bestehe.
Dem kann nicht beigepflichtet werden: Wie alle Klauseln in Allgemeinen Versicherungsbedingungen ist auch die Klausel 2. der Ausfallsversicherungs-Bedingungen nach Vertragsauslegungsgrundsätzen (§ 914f ABGB) auszulegen. Nach ständiger Rechtsprechung hat sich die Auslegung am Maßstab des durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers zu orientieren (RIS-Justiz RS0050063), wobei die einzelnen Klauseln, wenn sie - wie hier - nicht auch Gegenstand und Ergebnis von Vertragsverhandlungen waren, objektiv unter Beschränkung auf ihren Wortlaut auszulegen sind (RIS-Justiz RS0008901). Stets ist aber auch der einem objektiven Beobachter erkennbare Zweck einer Bestimmung zu berücksichtigen (7 Ob 58/05p mwN; 7 Ob 79/07d uva). Der - einem verständigen Versicherungsnehmer ohne weiteres erkennbare - Sinn der Klausel liegt, wie schon vom Berufungsgericht ausgeführt wurde, in einer den Versicherer vor ausufernder Geltendmachung solcher Ersatzansprüche sichernden Objektivierung. Diese soll nach dem Wortlaut der Klausel durch ein entsprechendes gerichtliches Erkenntnis gewährleistet werden, das auf dem Gutachten eines vom Gericht beauftragten Sachverständigen beruht. Der Versicherungsnehmer soll also veranlasst werden, seinen Anspruch auf Schmerzengeld (oder Verunstaltungsentschädigung) durch das Gutachten eines vom Gericht beauftragten Sachverständigen unter Beweis zu stellen. Entsprechend diesem Erfordernis hat der Kläger in seiner Schadenersatzklage gegen den Schädiger zum Beweis seines Schmerzengeldanspruches auch die Beiziehung eines medizinischen Sachverständigen beantragt. Zu dieser Beweisaufnahme ist es nur deshalb nicht gekommen, weil der Schädiger ein Versäumungsurteil gegen sich ergehen ließ.
In aller Regel wird ein Schädiger nur dann auf Einwendungen verzichten und ein Versäumungsurteil gegen sich ergehen lassen, wenn er annimmt, der gegen ihn klagsweise geltend gemachten Forderung dem Grund, aber auch der Höhe nach nicht aussichtsreich entgegentreten zu können. Dass der Versicherungsnehmer gerade in solchen, offenbar besonders „klaren" Fällen zufolge des nicht in seiner Ingerenz liegenden Unterbleibens der Beiziehung eines gerichtlich beeideten Sachverständigen des Versicherungsschutzes verlustig gehen soll, erscheint insbesondere auch aus der Sicht und nach dem Verständnis eines (durchschnittlich versierten) Versicherungsnehmers höchst unbillig. Die Ansicht der Rekurswerberin, im Fall eines Versäumungsurteiles komme der den Versicherungsnehmern mit der strittigen Klausel zugesicherte Versicherungsschutz grundsätzlich nicht in Betracht, steht daher mit den in ständiger Rechtsprechung vertretenen Grundsätzen für die Auslegung von Versicherungsbedingungen nicht im Einklang.
Da es hier am Schädiger lag, dass die in der betreffenden Klausel vorgesehene Objektivierung durch Beiziehung eines Sachverständigen verhindert wurde, erschiene es allerdings auch unbillig, diese Deckungsvoraussetzung ganz entfallen oder, wie das Erstgericht meint, die Einholung eines Privatgutachtens genügen zu lassen. Beizupflichten ist daher auch der Ansicht des Berufungsgerichtes, im Fall eines Versäumungsurteils müsse, wenn der Versicherer - wie hier die Beklagte - Bedenken gegen die Höhe der gerichtlich zuerkannten Forderung habe, doch die Möglichkeit bestehen, durch Beiziehung eines gerichtlich beeideten Sachverständigen im Deckungsprozess die „Feststellung" der Höhe des Schmerzengeldes im Sinn der Klausel 2.2. nachzuholen. Insofern ist der Versicherungsvertrag - da bei Verfassung der betreffenden Klausel die Möglichkeit der Fällung eines Versäumungsurteiles gegen den Schädiger offenbar nicht bedacht wurde - ergänzend zu interpretieren (RIS-Justiz RS0017899), wobei die Frage, was von redlichen Parteien vereinbart worden wäre, wenn sie den nicht bedachten Fall berücksichtigt hätten, die vom Berufungsgericht gefundene Lösung nahelegt. Die „Nachholung des Sachverständigen-Beweises" ist zur Objektivierung des versicherten Anspruches erforderlich und verstößt, wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat, auch nicht gegen den Rechtssatz, dass der Deckungsprozess einen Haftpflichtprozess nicht vorwegnehmen dürfe. Dem Einwand der Rekurswerberin, der Versicherer, der keine Einflussmöglichkeit auf das Prozessgeschehen zwischen Versicherungsnehmer und Schädiger habe, sei dem Ergebnis dieses Verfahrens bei Fällung eines Versäumungsurteils „hilflos ausgeliefert", ist damit der Boden entzogen.
Ob zur Vermeidung eines Deckungsprozesses allenfalls zuvor ein nach § 158 l VersVG fakultativ mögliches Schiedsgutachterverfahren durchgeführt wird, ist den Parteien überlassen. Hier hat der Kläger durch die Einbringung der Klage nach Deckungsablehnung durch die Beklagte darauf erkennbar verzichtet.
Das durch die Klausel 2. zusätzlich gedeckte Risiko uneinbringlicher Ansprüche des Versicherungsnehmers auf Schmerzengeld und Verunstaltungsentschädigung betrifft keine der im Bereich der Rechtsschutzversicherung üblicher- und typischerweise versicherten Gefahren. Der Einwand der Rekurswerberin, dass es dem Wesen der Rechtsschutzversicherung entspreche, (lediglich) jene Risken zu übernehmen, die im Rahmen eines Verfahrens zur Feststellung der materiellrechtlichen Ansprüche zwischen dem Versicherungsnehmer und dessen Schädiger anfielen und dass die „extensive" Auslegung der Klausel durch das Berufungsgericht „jeglichem Grundsatzgedanken betreffend das Wesen der Rechtsschutzversicherung" widerspreche, die in keiner Weise eine Art „Hilfskapitalversicherung" sei, muss daher ins Leere gehen.
Einzuräumen ist der Rekurswerberin, dass entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes kein Fall des § 6 Abs 1 Z 10 KSchG gegeben ist, weil der Schädiger, der dadurch, dass er ein Versäumungsurteil gegen sich ergehen lässt, die Erfüllung der Voraussetzung der Feststellung der Ansprüche durch vom Gericht beauftragte Sachverständige vereitelt, keine dem Einflussbereich des Versicherers als Unternehmer unterliegende Person darstellt. Dies ändert aber nichts daran, dass eine Auslegung der betreffenden Versicherungsklausel, die die Leistungspflicht des Versicherers in Ansehung eines dem Versicherungsnehmer Schmerzengeld oder Verunstaltungsentschädigung zuerkennenden Versäumungsurteils grundsätzlich verneint, als den Versicherungsnehmer gröblich benachteiligend abzulehnen ist. Wie ausgeführt, ist vielmehr eine ergänzende Vertragsauslegung vorzunehmen.
Voraussetzung für die vom Kläger begehrte Versicherungsleistung ist schließlich auch noch die Uneinbringlichkeit des ihm gerichtlich zuerkannten Schmerzengeldanspruches. Die Rekurswerberin hält daran fest, dass diese Voraussetzung mangels entsprechender Feststellungen der Vorinstanzen nicht vorliege. Sie setzt sich dabei darüber hinweg, dass schon das Erstgericht als unstrittigen Umstand festgehalten hat, dass Exekutionsmaßnahmen des Klägers gegen den Schädiger erfolglos blieben. Gegen die Rechtsmeinung der Vorinstanzen, damit sei von der Uneinbringlichkeit der Forderung auszugehen, bestehen keine Bedenken (vgl dazu etwa die Judikatur zur Ausfallsbürgschaft, wonach Uneinbringlichkeit dann vorliegt, wenn der Gläubiger gegen den Hauptschuldner geklagt und vergeblich Exekution geführt hat [P. Bydlinski, KBB § 1346 ABGB Rz 15 mwN; 3 Ob 58/05h ua]). Die Bestimmung 2.1. letzter Halbsatz kann aus dem Blickwinkel eines durchschnittlich versierten Versicherungsnehmers nur bedeuten, dass die Schmerzengeldforderung gegen den Schädiger in absehbarer Zeit nicht durchsetzbar sein dürfe, was angesichts vergeblicher Exekutionsversuche anzunehmen ist. Richtig hat das Berufungsgericht daher erkannt, dass die Beklagte zu beweisen gehabt hätte, dass ungeachtet der festgestellten vergeblichen Exekutionsmaßnahmen die Einbringlichkeit der Forderung in absehbarer Zeit doch wahrscheinlich sei. Dieser (Gegen-)Beweis ist der Beklagten durch den bloßen Hinweis auf die Möglichkeit, der noch junge Schädiger könnte innerhalb der verbleibenden Verjährungszeit doch noch zu Geld kommen, keineswegs gelungen.
Da die Rekurswerberin auch in diesem Punkt und damit insgesamt keinen relevanten Rechtsirrtum des Berufungsgerichtes aufzuzeigen vermag, muss ihr Rechtsmittel erfolglos bleiben.
Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 Abs 1 zweiter Satz ZPO.
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