European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0070OB00220.22M.0221.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Versicherungsvertragsrecht
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Diebeklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 833,88 EUR (darin enthalten 138,98 EUR an Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
[1] Zwischen den Streitteilen besteht ein Bündelversicherungsvertrag, der das Risiko „Leitungswasserschaden“ umfasst. Vertragsgrundlagen sind unter anderem die „Allgemeinen Bedingungen für die Sachversicherung A96“ und die „Allgemeinen Bedingungen für die Leitungswasserschadenversicherung – Deckungsvariante Premium FL03“.
[2] Die Allgemeinen Bedingungen für die Sachversicherung A96 (ABS) lauten auszugsweise:
„ Artikel 3 – Sicherheitsvorschriften
[…]
2. Der Versicherer ist von der Verpflichtung zur Leistung frei, wenn der Versicherungsfall nach der Verletzung eintritt und die Verletzung auf Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit des Versicherungsnehmers beruht. Die Verpflichtung zur Leistung bleibt bestehen, wenn die Verletzung keinen Einfluss auf den Eintritt des Versicherungsfalles oder soweit sie keinen Einfluss auf den Umfang der Entschädigung gehabt hat oder wenn zur Zeit des Versicherungsfalles trotz Ablaufes der in Absatz 1 beschriebenen Frist die Kündigung nicht erfolgt war.
[...]“
[3] Die Allgemeinen Bedingungen für die Leitungswasserschadenversicherung – Deckungsvariante Premium FL03 (AWBP) lauten auszugsweise:
„ Welche Sicherheitsmaßnahmen sind zu treffen? – Artikel 8
Die gesetzlichen und behördlichen Sicherheitsvorschriften sind einzuhalten. Wenn diese nichts Strengeres festlegen gelten die Bestimmungen der Ergänzenden Bedingungen für die Sachversicherung (EBS), sowie folgende:
• Waren, die unter Erdniveau aufbewahrt werden, müssen mindestens 12 cm über dem Fußboden gelagert werden;
[…]
Bei Verletzung der Sicherheitsvorschriften kommen die im Artikel 3 ABS angeführten Rechtsfolgen zur Anwendung.
[…]“
[4] Das Hotel der Klägerin weist ein Obergeschoß (OG), ein Erdgeschoß (EG) und fünf Untergeschoße (UG) auf. Es ist in steiler Hanglage errichtet, sodass die ostseitige Rückseite, eine der Längsseiten des Gebäudes, im Bereich der fünf UG bis zur Fußbodenkonstruktion des EG und die beiden südlichen und nördlichen Schmalseiten in diesem Bereich keilförmig, dem Geländeverlauf folgend, eingeschüttet sind. Die dem Hang abgewandte Westseite ist in allen Geschoßen, vom OG bis einschließlich zum fünften UG freistehend. In einigen UG befinden sich Hotelzimmer mit Balkonen nach Westen. Der Hauptzugang zum Hotel erfolgt hangseitig ebenerdig auf dem Niveau des EG. Auch das unterste Geschoß ist ebenerdig von der freistehenden Seite zugänglich. Das Fußbodenniveau des fünften UG ist auf der gesamten Vorderseite über Erdniveau situiert. Es ist über die parallel zum Baukörper verlaufende Straße zugänglich.
[5] Am 27. Mai 2018 kam es im hangseitigen Lüftungsraum des fünften UG zu einem Wasserschaden, nachdem im Rahmen von Bauarbeiten die Hauptwasserleitung beschädigt worden war. Dabei ergoss sich das Wasser massiv, ähnlich eines Baches, über das fünfte UG und floss im Wege der westseitigen Gebäudeöffnungen hangabwärts ab. Auch in die Lager 4 und 5 trat Wasser ein. Dort kam es zu einem Wasserstand von jedenfalls weniger als 12 cm, weil das Wasser über einen Öffnungsquerschnitt im Mauerwerk ungehindert abfließen konnte. Im Lager 4 waren zahlreiche Gegenstände der Klägerin unmittelbar auf dem Boden in Schachteln gelagert. Diese Waren wurden durch das Wasser beschädigt. Der Klägerin entstand dadurch ein Schaden in Höhe von 7.304,20 EURder von der Beklagten nicht ersetzt wurde.
[6] Die Klägerin begehrt Zahlung von 7.304,20 EUR sA. Beim Lagerort der zerstörten Sachen handle es sich nicht um eine unterhalb des Erdbodens gelegene Räumlichkeit, weil das gesamte Hotel in den Hang gebaut sei, sodass das UG 5 als auf Straßenniveau liegend anzusehen sei. Die Klägerin sei daher nicht verpflichtet gewesen, besondere Sicherheitsmaßnahmen bei der Lagerung der Gegenstände zu veranlassen. Im Übrigen habe die Klägerin auch kein grob fahrlässiges Verhalten zu verantworten.
[7] Die Beklagte beantragt Klagsabweisung. Das fünfte UG sei nach der technischen Definition als unter dem Erdniveau liegend anzusehen. Da die Waren entgegen Art 8 AWBP nicht mindestens 12 cm über dem Fußboden gelagert worden seien, sei die Beklagte leistungsfrei.
[8] Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer verstehe unter dem Wortlaut „unter Erdniveau“ Räumlichkeiten, die an allen vier Gebäudeseiten zur Gänze unter Erdniveau gelegen seien, nicht aber solche, die auf einer Seite gänzlich frei von Erdreich seien, sodass diese ebenerdig betreten werden könnten. Auch der Zweck der Klausel, die Ansammlung von Wasser in unteren Bereichen zu verhindern, bringe kein anderes Auslegungsergebnis, weil das Wasser auch im fünften UG habe abfließen können.
[9] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten keine Folge, schloss sich den Ausführungen des Erstgerichts an und ließ die Revision mangels einschlägiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu.
[10] Gegen dieses Urteil wendet sich die Revision der Beklagten mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, dass das Klagebegehren abgewiesen wird; hilfsweise stellt sie einen Aufhebungsantrag.
[11] Die Klägerin beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, in eventu ihr keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[12] Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, sie ist jedoch nicht berechtigt.
[13] 1. Dass der Versicherungsnehmer gemäß Art 8 AWBP Waren, die unter Erdniveau aufbewahrt werden, mindestens 12 cm über dem Fußboden zu lagern hat, ist im vorliegenden Fall unzweifelhaft eine (vorbeugende) Obliegenheit, was insbesondere der Verweis auf Art 3 ABS deutlich zum Ausdruck bringt (vgl RS0080068; RS0080063; Fenyves in Fenyves/Perner/Riedler³ § 6 VersVG Rz 90; vgl die abweichende Bedingungslage in 7 Ob 227/15f [Risikoausschluss]).
[14] 2.1. Allgemeine Versicherungsbedingungen (AVB) sind nach den Grundsätzen der Vertragsauslegung (§§ 914 f ABGB) auszulegen, und zwar orientiert am Maßstab des durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers und stets unter Berücksichtigung des erkennbaren Zwecks einer Bestimmung (RS0050063 [T71]; RS0112256 [T10]; RS0017960). Die Klauseln sind, wenn sie nicht Gegenstand und Ergebnis von Vertragsverhandlungen waren, objektiv unter Beschränkung auf den Wortlaut auszulegen; dabei ist der einem objektiven Betrachter erkennbare Zweck einer Bestimmung zu berücksichtigen (RS0008901 [insb T5, T7, T87]). Unklarheiten gehen zu Lasten der Partei, von der die Formulare stammen, das heißt im Regelfall zu Lasten des Versicherers (RS0050063 [T3]).
[15] 2.2. Den Adressatenkreis von Allgemeinen Versicherungsbedingungen bilden Versicherungsnehmer, sodass es – wie dargelegt – auf das Verständnis der durchschnittlichen versierten Versicherungsnehmer ankommt (siehe auch 7 Ob 25/19f mwN). Eine Auslegung „unter Berücksichtigung der technischen Fachsprache“, wie sie die Beklagte vornimmt, ist somit der Judikatur des Obersten Gerichtshofs nicht zu entnehmen. Auch handelt es sich bei „unter Erdniveau“ nicht um einen dem Inhalt nach unstrittigen Rechtsbegriff (vgl RS0123773), sodass die in Punkt 2.1. dargelegten Auslegungsgrundsätze anzuwenden sind.
[16] 2.3. Der mit der Klausel verfolgte Zweck liegt ersichtlich darin, die höhere Schadensneigung im Rahmen einer Leitungswasserversicherung bei in tiefer gelegenen Gebäudeteilen situierten Waren zu reduzieren, sammelt sich doch Wasser grundsätzlich dem Gesetz der Schwerkraft folgend in den unteren Bereichen an und kann dort nur langsamer oder gar nicht ablaufen (7 Ob 227/15f). Ein Raum ist dann unter Erdniveau, wenn dessen Fußboden niedriger liegt, als das Gelände um das Gebäude; bei gestufter oder unebener Geländeumgebung, wenn er niedriger als die niedrigste Stelle des Geländes liegt (vgl Schimikowski in Reusch/Schimikovski/Wandt, Sachversicherung4 § 14 Rn 96 mwN; vgl auch Jula in Bruck/Möller, VVG9 § 11 AWB 2010 A Rz 2 mwN, der diesfalls auf das Bodenniveau im Bereich der Ausgangstür[en] verweist). Da im vorliegenden Fall das Fußbodenniveau des fünften UG auf der gesamten Vorderseite über Erdniveau situiert ist und das Wasser im Wege der westseitigen Gebäudeöffnungen ungehindert abfließen konnte, war die Klägerin nicht verpflichtet, die beschädigten Waren mindestens 12 cm über dem Fußboden zu lagern. Der Beklagten ist daher der Nachweis der Verletzung der Aufbewahrungsobliegenheit durch die Klägerin nicht gelungen.
[17] 3. Die Revision ist somit nicht berechtigt.
[18] 4. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 50, 41 ZPO.
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