OGH 7Ob2200/96x

OGH7Ob2200/96x24.9.1996

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Niederreiter, Dr.Schalich, Dr.Tittel und Dr.I.Huber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei W***** Aktiengesellschaft, ***** vertreten durch Dr.Josef Olischar, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Boban R*****, vertreten durch Dkfm. DDr.Gerhard Grone, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 100.000 s.A., infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 13.Mai 1996, GZ 35 R 262/96f-30, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Donaustadt vom 12.Dezember 1995, GZ 11 C 915/94h-23, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß die Entscheidung lautet:

"Das Klagebegehren des Inhaltes, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei S 100.000 samt 4 % Zinsen seit 4.2.1994 zu zahlen, wird abgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die in allen Instanzen mit insgesamt S 28.524,48 (darin enthalten S 4.735,28 Umsatzsteuer und S 120,- Barauslagen) bestimmten Kosten dieses Rechtsstreites binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Die klagende Partei ist weiters zum Ersatz der in § 64 Abs 1 Z 1 ZPO genannten Beträge verpflichtet.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 16.3.1993 verschuldete Miodrag K***** als Lenker des PKWs BMW 320i mit dem polizeilichen Kennzeichen ***** in Wien auf der Kreuzung Kliebergasse/Margaretengürtel/Landgutgasse einen Verkehrsunfall. Die klagende Partei ersetzte dem dadurch Geschädigten den Schaden in Höhe von S 230.139.

Miodrag K***** war damals 16 Jahre alt und nicht im Besitz einer Lenkerberechtigung. Der PKW war am Tag des Unfalls von dessen Halterin Mirjana M***** dem Beklagten zur Verwendung überlassen worden. Dieser lenkte den PKW vor dem Unfall auf der Fahrbahn des Gürtels in Wien und parkte ihn im Bereich des Süditorlerplatzes in der Nebenfahrbahn ein, weil er einen Würstelstand aufsuchen wollte. Im PKW befanden sich insgesamt drei weitere Insassen, darunter Miodrag K*****. Der Beklagte verließ den PKW mit einem der Beifahrer, um sich zum Würstelstand zu begeben. Miodrag K***** blieb mit dem vierten Insassen auf der Rückbank des PKWs zurück. Der Beklagte übergab dem Miodrag K***** nicht die Fahrzeugschlüssel, damit dieser den PKW einparken sollte. Miodrag K***** nahm den PKW vielmehr ohne Willen des Beklagten in Betrieb, nachdem dieser ausgestiegen war. Der Beklagte kannte Miodrag K***** nur flüchtig. Ihm war weder dessen genaues Alter noch die Tatsache bekannt, daß Miodrag K***** über keine gültige Lenkerberechtigung verfügte.

Die klagende Partei begehrte vom Beklagten den Ersatz des Teilbetrages von S 100.000 im Regreßweg und behauptete, der Beklagte habe dem Miodrag K***** den PKW überlassen, damit dieser einen Parkplatz suchen solle, obwohl der Beklagte gewußt habe, daß Miodrag K***** weder im Besitz einer gültigen Lenkerberechtigung gewesen sei noch das hiezu erforderliche Alter erreicht gehabt habe.

Der Beklagte wendete ein, Miodrag K***** habe den PKW widerrechtlich in Betrieb genommen.

Das Erstgericht stellte im ersten Rechtsgang den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt fest und wies das Klagebegehren ab. Dem Beklagten sei keine Obliegenheitsverletzung anzulasten, weil der Vorwurf der klagenden Partei, der Beklagte habe den PKW willentlich an Miodrag K***** überlassen, nicht bestätigt worden sei.

Das Gericht zweiter Instanz hob dieses Urteil auf und trug dem Erstgericht eine neuerliche Entscheidung auf. Es erachtete zwar die Beweisrüge der Berufung der klagenden Partei insgesamt für unberechtigt, vertrat aber die Ansicht, daß sekundäre Feststellungsmängel vorlägen, weil nicht geklärt worden sei, unter welchen näheren Umständen Miodrag K***** in den Besitz der Autoschlüssel gelangt sei und ob dem Beklagten daran ein Verschulden treffe. Den Beklagten habe nämlich als mitversicherte Person die Verpflichtung getroffen, alles Mögliche zu unternehmen, um einen anderen von der Benützung des versicherten Fahrzeuges ohne Lenkerberechtigung abzuhalten, wobei ein strenger Maßstab anzulegen sei.

Im zweiten Rechtsgang gab das Erstgericht dem Klagebegehren statt. Es stellte ergänzend fest, daß der Beklagte die Fahrzeugschlüssel vor dem Aussteigen aus dem PKW in seine Pelzjacke gesteckt und die Jacke samt dem in der Tasche befindlichen Schlüssel auf den Fahrersitz gelegt habe. Miodrag K***** habe die Schlüssel widerrechtlich aus der Pelzjacke entnommen. Das Erstgericht führte nunmehr in rechtlicher Hinsicht aus, daß dem Beklagten ein schuldhaftes Verhalten anzulasten sei, weil er die Fahrzeugschlüssel nicht ausreichend verwahrt habe. Damit habe er die widerrechtliche Inbetriebnahme des PKWs riskiert, so daß die klagende Partei gemäß § 6 Abs 2 Z 1 AKHB leistungsfrei sei.

Das Gericht zweiter Instanz teilte diese Rechtsansicht und bestätigte nunmehr das Urteil. Es sprach aus, daß die ordentliche Revision mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig sei. Auf die in der Berufungsbeantwortung enthaltene Beweisrüge sei nicht einzugehen, weil schon auf der Grundlage des festgestellten Sachverhaltes die Rechtsrüge des Beklagten erfolglos bleiben müsse.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision des Beklagten ist zulässig, weil die Entscheidung des Erstgerichtes im zweiten Rechtsgang und die Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes widersprechen, daß der Versicherer dem versicherten Fahrzeughalter (und dem Lenker, der mit Willen des Halters bei der Verwendung des Fahrzeuges tätig und daher gemäß § 1 Abs 2 AKHB mitversichert ist) für Fahrten eines unberechtigten Lenkers Versicherungsschutz zu gewähren hat, gleichgültig, ob der unberechtigte Fahrer einen Führerschein besitzt oder nicht und ob dem Halter (dem berechtigten Lenker) der Mangel der Lenkerberechtigung des Schwarzfahrers bekannt war. Der Versicherungsschutz hat auch dann einzugreifen, wenn der Halter nach § 6 Abs 1 zweiter Satz EKHG für die Folgen einer Schwarzfahrt einzustehen hat (ZVR 1969/352 = SZ 42/78; EvBl 1968/198; VR 1974, 306; 7 Ob 13/94 ua).

Die Revision ist auch berechtigt.

Gemäß § 6 Abs 2 Z 1 AKHB 1988 bleibt die Verpflichtung des Versicherers zur Leistung gegenüber dem Versicherungsnehmer und den mitversicherten Personen bestehen, wenn sie ohne Verschulden annehmen konnten, daß der Lenker die kraftfahrrechtliche Berechtigung oder das Mindestalter besitzt, das versicherte Fahrzeug zu lenken, oder wenn der Lenker das Fahrzeug ohne Willen des Halters gelenkt hat.

Bei der Beurteilung, ob eine sogenannte Schwarzfahrt vorliegt, kommt es auf die ausdrückliche oder stillschweigende Erlaubnis des Verfügungsberechtigten an. Ob eine konkludente Zustimmung vorliegt, ist nach den Umständen des Einzelfalles zu beurteilen. Dabei ist maßgebend, ob der Verfügungsberechtigte nach seiner Persönlichkeit, nach seinen Beziehungen zum Benutzer udgl der Fahrt zugestimmt hätte, wäre er vorher befragt worden (ZVR 1980/242 mwN; 7 Ob 13/94; vgl auch Prölss-Martin VVG25, 1409 ff).

Aus den bereits im ersten Verfahrensgang getroffenen Feststellungen des Erstgerichtes ergibt sich, daß überhaupt keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, der Beklagte habe dem Miodrag K***** auch nur schlüssig die Erlaubnis zur Benützung des PKWs erteilt. Miodrag K***** war dem Beklagten nicht näher bekannt. Er saß auf der Rückbank im Fahrzeug, als der Beklagte ausstieg, und es bestand keinerlei Anlaß, den PKW bis zur Wiederkehr des Beklagten in seiner Position zu verändern, weil der Beklagte den PKW ohnehin ordnungsgemäß eingeparkt hatte. Demnach kann kein Zweifel daran bestehen, daß Miodrag K*****, als er den PKW in Bewegung setzte, nicht berechtigter Fahrer war.

Gemäß § 6 Abs 1 EKHG haftet der Schwarzfahrer anstelle des Halters für den Ersatz des Schadens, den er verursacht hat. Ein Ausschluß der Haftung des Halters tritt aber nicht ein, wenn die Benützung des Fahrzeuges durch sein Verschulden ermöglicht wurde. Diese Bestimmung betrifft aber nur die Haftung des Halters gegenüber dem geschädigten Dritten, nicht jedoch die Deckungspflicht des Versicherers gegenüber dem Versicherungsnehmer (bzw Mitversicherten). Das Haftpflichtversicherungsverhältnis wird auch dadurch nicht berührt, daß der Versicherungsnehmer (Mitversicherte) einen längere Zeit andauernden Zustand schafft, der die Benützung des versicherten Kraftfahrzeuges zu Schwarzfahrten ermöglicht (ZVR 1967/352 = SZ 42/78). Ein Ausschluß der Leistungspflicht des Versicherers käme nur nach § 152 VersVG in Betracht, wenn der Versicherte den Schaden vorsätzlich herbeigeführt hätte. Im vorliegenden Fall kann jedoch nicht unterstellt werden, daß die Tatsache, die den Schaden herbeiführte, nämlich die Schwarzfahrt, vom Beklagten vorsätzlich ermöglicht worden wäre (vgl EvBl 1968/108; 7 Ob 13/94).

Auf die in der Berufungsbeantwortung der klagenden Partei im zweiten Rechtsgang enthaltene Beweisrüge ist das Gericht zweiter Instanz im Ergebnis zu Recht nicht eingegangen. Die klagende Partei rügte nämlich - ebenso wie bereits in ihrer Berufung im ersten Rechtsgang - die Feststellung des Erstgerichtes, wonach Miodrag K***** den PKW ohne Willen des Beklagten in Betrieb gesetzt habe; sie begehrte stattdessen die Feststellung, daß der Beklagte dem Miodrag K***** den PKW zum Einparken überlassen habe. Das Gericht zweiter Instanz hat diese Beweisrüge aber bereits in seiner Entscheidung im ersten Rechtsgang behandelt und als unberechtigt erachtet. Es hat ausdrücklich die Beweiswürdigung des Erstgerichtes und die diesbezüglichen Feststellungen als unbedenklich zugrundegelegt und das Urteil ausschließlich zur Beseitigung seiner Meinung nach vorhandener sekundärer Feststellungsmängel behoben. Nur insoweit, also hinsichtlich der Umstände, wodurch und in welcher Weise sich Miodrag K***** gegen den Willen des Beklagten die Fahrzeugschlüssel beschaffen und den PKW in Betrieb setzen konnte, trat daher das Verfahren in den Stand vor Schluß der mündlichen Verhandlung erster Instanz zurück. Für die hier vorgenommene Aufhebung des Urteiles erster Instanz nach § 496 Abs 1 Z 3 ZPO enthält § 496 Abs 2 ZPO zwar insoweit keine Beschränkung, doch können auch in diesem Fall nach ständiger Rechtsprechung abschließend erledigte Streitpunkte nicht wieder aufgerollt werden (Kodek in Rechberger, ZPO, Rz 5 zu § 496 ZPO mwN).

Da bereits im Verfahren erster Instanz abschließend geklärt war, daß Miodrag K***** das Fahrzeug ohne Willen des Beklagten in Betrieb nahm,. mußte eine neuerliche Beweisrüge hinsichtlich der diesbezüglich gleichbleibenden Feststellungen des Erstgerichtes ohne Erfolg bleiben. Die Frage, ob dem Beklagten im Sinn des § 6 Abs 1 EKHG ein Verschulden daran anzulasten ist, daß Miodrag K***** in den Besitz der Fahrzeugschlüssel gelangen konnte, ist für die Frage der Leistungspflicht des Versicherers im Sinn des § 6 Abs 2 Z 1 AKHB ohne Belang, so daß den ergänzenden Feststellungen des Erstgerichtes im zweiten Rechtsgang über das Aufbewahren der Schlüssel in der Pelzjacke, die im Auto zurückgeblieben sei, keine weitere Bedeutung zukommt.

Es ist daher insgesamt davon auszugehen, daß die dem Beklagten seitens der klagenden Partei vorgeworfene Obliegenheitsverletzung nicht vorliegt, so daß ihm gegenüber kein Regreßanspruch des Versicherers besteht. Die Entscheidungen der Vorinstanzen waren daher in Stattgebung der Revision im Sinne einer Klagsabweisung abzuändern.

Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens erster Instanz gründet sich auf §§ 41, 70 ZPO, jene über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens auf die §§ 41, 50 und 70 ZPO.

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