OGH 7Ob192/23w

OGH7Ob192/23w22.11.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätinnen und die Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Dr. Weber und Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A* P*, vertreten durch die Poduschka Partner Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die beklagte Partei A* SE *, vertreten durch die Themmer, Toth & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Feststellung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Handelsgerichts Wien als Berufungsgericht vom 27. Juli 2023, GZ 50 R 106/23d‑17, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien vom 19. Mai 2023, GZ 10 C 544/22f‑11, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0070OB00192.23W.1122.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Versicherungsvertragsrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Dieklagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 751,92 EUR (darin enthalten  125,32 EUR an Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Dem Rechtsschutzversicherungsvertrag zwischen dem Kläger als Versicherungsnehmer und der Beklagten liegen deren Allgemeine Bedingungen für die Rechtsschutz‑Versicherung (ARB 2003) zugrunde, die auszugsweise wie folgt lauten:

ARB 2003: Gemeinsame Bestimmungen:

[...]

Artikel 9

Wann und wie hat der Versicherer zum Deckungsanspruch des Versicherungsnehmers Stellung zu nehmen? […]

2. Davon unabhängig hat der Versicherer das Recht, jederzeit Erhebungen über den mutmaßlichen Erfolg der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung anzustellen. Kommt er nach Prüfung des Sachverhalts unter Berücksichtigung der Rechts- und Beweislage zum Ergebnis:

2.1 dass hinreichende Aussicht besteht, in einem Verfahren im angestrebten Umfang zu obsiegen, hat er sich zur Übernahme aller Kosten nach Maßgabe des Artikels 6 (Versicherungsleistungen) bereit zu erklären;

2.2 dass diese Aussicht auf Erfolg nicht hinreichend, d.h. ein Unterliegen in einem Verfahren wahrscheinlicher ist als ein Obsiegen, ist er berechtigt, die Übernahme der an die Gegenseite zu zahlenden Kosten abzulehnen;

2.3 dass erfahrungsgemäß keine Aussicht auf Erfolg besteht, hat er das Recht, die Kostenübernahme zur Gänze abzulehnen.

[…]“

Rechtliche Beurteilung

[2] Da der Kläger in seiner Revision das Vorliegen der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht zu begründen vermag, ist die Revision entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig. Die Zurückweisung eines ordentlichen Rechtsmittels wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO):

[3] 1. In der Rechtsschutzversicherung ist bei Beurteilung der Erfolgsaussichten kein strenger Maßstab anzulegen (RS0081929). Die vorzunehmende Beurteilung, ob „keine oder nicht hinreichende Aussicht auf Erfolg“ besteht, hat sich am Begriff „nicht als offenbar aussichtslos“ des die Bewilligung der Verfahrenshilfe regelnden § 63 ZPO zu orientieren. „Offenbar aussichtslos“ ist eine Prozessführung, die schon ohne nähere Prüfung der Angriffs- oder Verteidigungsmittel als erfolglos erkannt werden kann, insbesondere bei Unschlüssigkeit, aber auch bei unbehebbarem Beweisnotstand (RS0116448; RS0117144). Auch eine klare Gesetzeslage oder bereits gelöste Rechtsfragen können die Annahme rechtfertigen, dass keine oder keine hinreichende Aussicht auf Erfolg besteht (7 Ob 112/23f). Feststellungen im Deckungsprozess über Tatfragen, die Gegenstand des Haftpflichtprozesses sind, sind für den Haftpflichtprozess nicht bindend, daher überflüssig und, soweit sie getroffen werden, für die Frage der Deckungspflicht unbeachtlich. Eine Vorwegnahme der Beweiswürdigung und des Ergebnisses des Haftpflichtprozesses kommt im Deckungsprozess bei Beurteilung der Erfolgsaussichten nicht in Betracht (RS0081927). Die Frage, in wessen Vermögen der behauptete Schaden eingetreten und wer daher für die Forderung von Ersatz legitimiert ist, stellt ein wesentliches Kriterium für die (rechtliche) Beurteilung der Erfolgschancen dar (7 Ob 130/10h; 7 Ob 64/22w). Die Beurteilung der Erfolgsaussichten in der Rechtsschutzversicherung hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (RS0081929 [T3]).

[4] 2. Der Kläger begehrt im vorliegenden Fall Deckung für einen deliktischen Schadenersatzanspruch in Höhe einer 30%igen Kaufpreisminderung samt Feststellung der Haftung für zukünftige Schäden. Nachdem die Beklagte mangelnde Erfolgsaussichten im Sinn von Art 9.2.3 ARB 2003 eingewendet hatte, weil es sich beim Klagefahrzeug um ein Leasingfahrzeug handle, brachte der Kläger unter Berufung auf die Entscheidung 8 Ob 22/22a zusammengefasst vor, es sei am 12. April 2016 der Kaufvertrag und am 21. April 2016 der Leasingvertrag abgeschlossen worden. Wenn der Leasingvertrag nach dem Kaufvertrag abgeschlossen worden sei, gehe diese Tatsache die Beklagte nichts an. Es sei Sache des Autokäufers, ob er das Auto in bar, durch Überweisung, durch einen Kredit oder über Finanzierungsleasing bezahle.

[5] Dieses Vorbringen des Klägers ist nicht deckungsgleich mit dem in 8 Ob 22/22a festgestellten Vorgang. Vielmehr ist mangels gegenteiliger Anhaltspunkte im Vorbringen des Klägers und dem von ihm vorgelegten Kaufvertrag davon auszugehen, dass er von Anfang an eine Leasingfinanzierung beabsichtigt hat und der Kaufvertrag mit dem Händler lediglich zur Spezifizierung des Leasinggegenstands abgeschlossen worden war (vgl dazu 7 Ob 88/23a; 7 Ob 128/23h). Aus dem Vorbringen des Klägers lässt sich somit ein in seinem Vermögen entstandener Schaden nicht schlüssig ableiten. Die vom Erstgericht zur Leasingkonstruktion getroffenen Feststellungen sind hingegen für die Frage der Beurteilung der Erfolgsaussichten unbeachtlich.

[6] Wenn das Berufungsgericht daher bei diesen Umständen des Einzelfalls mangelnde Erfolgsaussichten im Sinn von Art 9.2.3 ARB 2003 angenommen hat, weil der Kläger aufgrund der Leasingfinanzierung den in seinem Vermögen entstandenen Schaden nicht schlüssig dargelegt habe, ist dies nicht korrekturbedürftig.

[7] 3. Die Revision ist daher zurückzuweisen.

[8] 4. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 50, 41 ZPO.

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