OGH 7Ob19/14s

OGH7Ob19/14s26.2.2014

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Vizepräsidentin Dr. Huber als Vorsitzende und durch die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hoch, Dr. Kalivoda, Mag. Dr. Wurdinger und Mag. Malesich als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei minderjähriger A***** K*****, vertreten durch Dr. Kurt Kozak, Rechtsanwalt in Salzburg, gegen die beklagte Partei P***** AG, *****, vertreten durch MUSEY rechtsanwalt gmbh in Salzburg, wegen 21.200 EUR und Feststellung, über den Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Rekursgericht vom 24. August 2012, GZ 1 R 143/12y‑10, mit dem der Beschluss des Landesgerichts Salzburg vom 22. Juni 2012, GZ 12 Cg 137/11m‑6, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

I. Das Verfahren wird nach Einlangen der Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs fortgesetzt.

II. Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.680,84 EUR (darin enthalten 280,14 EUR an USt) bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Die Beklagte ist eine Unternehmerin mit Sitz in Deutschland. Sie produziert und vertreibt Fahrräder. Der in Österreich wohnhafte Kläger erwarb am 3. 11. 2007 in Österreich ein von der Beklagten hergestelltes Fahrrad von der F***** GmbH mit Sitz in Österreich. Am 3. 7. 2009 kam der Kläger mit dem Fahrrad in Deutschland zu Sturz, wobei er verletzt wurde.

Der Kläger begehrt gestützt auf den Titel der Produkthaftung die Zahlung von 21.200 EUR sA und die Feststellung der Haftung der Beklagten für künftige Schäden aus dem Fahrradunfall vom 3. 7. 2009. Der Sturz mit dem Fahrrad sei darauf zurückzuführen, dass sich die Gabelenden von der Radgabel gelöst hätten. Die Beklagte hafte als Herstellerin des Produkts für diesen Produktionsmangel.

Zur Zuständigkeit beruft sich der Kläger auf Art 5 Nr 3 EuGVVO. Der Handlungsort, also der Ort des den Schaden verursachenden Ereignisses liege in Österreich, weil das Fahrrad dort in Verkehr gebracht worden sei. Beim Ort des Inverkehrbringens handle es sich um jenen Ort, an welchem das Produkt dem Endnutzer in Form eines kommerziellen Vertriebs zur Verfügung gestellt wird. Daher sei die internationale Zuständigkeit der österreichischen Gerichte gegeben.

Die Beklagte bestreitet die internationale Zuständigkeit der österreichischen Gerichte, hilfsweise beantragt sie die Abweisung des Klagebegehrens. Sie habe ihren Sitz in Deutschland. Auch der Handlungsort habe sich in Deutschland befunden. Zum einen liege der Herstellungsvorgang in Deutschland, zum anderen sei mit der Versendung des Produkts vom Sitz der Beklagten das Produkt in Deutschland in Verkehr gebracht worden.

Das Erstgericht wies die Klage wegen fehlender internationaler Zuständigkeit zurück. Das Fahrrad sei in Deutschland in Verkehr gebracht worden. Auch habe sich der Unfall in Deutschland ereignet.

Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluss. Bei der Produkthaftung sei Handlungsort der Ort, an dem das Produkt produziert werde. Sollte der Ort des Inverkehrbringens maßgeblich sein, so sei ein Produkt als in den Verkehr gebracht anzusehen, wenn es den vom Hersteller eingerichteten Prozess der Herstellung verlassen habe und in einen Prozess der Vermarktung eingetreten sei. Der Handlungsort befinde sich in Deutschland. Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zum Handlungsort im Sinn des Art 5 Nr 3 EuGVVO in Zusammenhang mit Produkthaftungsansprüchen fehle.

Gegen diesen Beschluss wendet sich der Revisionsrekurs des Klägers mit einem Abänderungsantrag.

Die Beklagte beantragt, den Revisionsrekurs zurückzuweisen; hilfsweise ihm keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig, er ist aber nicht berechtigt.

1. Art 5 Nr 3 der Verordnung (EG) 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil‑ und Handelssachen (EuGVVO) sieht vor, dass „eine Person, die einen Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates hat, in einem anderen Mitgliedstaat - und zwar vor dem Gericht des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht - verklagt werden kann, wenn eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder wenn Ansprüche aus einer solchen Handlung den Gegenstand des Verfahrens bilden.“

2. Der Oberste Gerichtshof hat aus Anlass des Rechtsmittelverfahrens dem Europäischen Gerichtshof die Zuständigkeitsfrage gemäß Art 267 AEUV zur Vorabentscheidung vorgelegt (7 Ob 187/12v):

Der Europäische Gerichtshof hat mit Entscheidung vom 16. Jänner 2014, Rs C‑45/13, wie folgt geantwortet:

Art 5 Nr 3 der Verordnung (EG) Nr 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil‑ und Handelssachen ist dahin auszulegen, dass in dem Fall, dass die Haftung eines Herstellers für ein fehlerhaftes Produkt geltend gemacht wird, der Ort des den Schaden verursachenden Ereignisses der Ort ist, an dem das betreffende Produkt hergestellt wurde.

3. Die Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs entfaltet bindende Wirkung für das Verfahren vor dem österreichischen Gericht in allen Instanzen (RIS‑Justiz RS0082955 [T2]). Die Zurückweisung der Klage durch die Vorinstanzen wegen fehlender inländischer Gerichtsbarkeit ist daher zu bestätigen.

4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

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